Muratori

Muratori
Ludovico Antonio Muratori

Ludovico Antonio Muratori (* 21. Oktober 1672 in Vignola; † 23. Januar 1750 in Modena) war ein italienischer Gelehrter und Geistlicher.

Muratori gehört zu den bedeutenden italienischen Gelehrten des 18. Jahrhunderts. Der fromme, gütige und bei seiner bescheidenen Herkunft doch als vornehm geltende Mann setzte sich unermüdlich für fast alle Bereiche der damaligen Wissenschaften ein. Er gilt als der Vater der italienischen Geschichtsschreibung.

Inhaltsverzeichnis

Ausbildung und die Liebe zum Wissen

Ludovico Antonio Muratori wurde am 21. Oktober 1672 als Sohn einer Bauernfamilie geboren. Er zeigte schon in seiner Kindheit großen Lerneifer, wie er selbst in seiner autobiographischen Schrift von 1731 erzählt. Nach seinem Grammatikstudium an einer Jesuitenschule legte er beim Orden der Jesuiten das Ordensgelübde ab. Er absolvierte das Pubblico Studio und promovierte 1692 in Philologie, Rechtswissenschaft und 1694 in Philosophie.

In dieser Periode befasste er sich leidenschaftlich mit Literatur, Geschichte und Kunst ohne an eine Karriere in der Kirche oder Politik zu denken. Er studierte die griechische Sprache und las die italienischen und griechisch-lateinischen Autoren. Zu Beginn seiner Studien mangelte es ihn an Texten und Arbeitsmitteln. Später wurde er von dem Historiker Benedetto Bacchini unterstützt, dem Muratori sowohl im akademischen als auch im religiösen Bereich viel verdankte. Seinem Maestro folgend, widmete er sich der patristischen Literatur und allgemein auch den kirchlichen und religiösen Schriften, indem er einen intensiven Briefwechsel mit den wichtigsten Gelehrten aus Bologna und Modena führte.

Seine wissenschaftliche Ausbildung war mit seinem Aufenthalt an der Biblioteca Ambrosiana Mailand beendet. Er schloss dort sein Studium bei Carlo Borromeo mit dem Doktortitel ab. Der reiche Bestand an literarischen, historischen und philosophischen Texten dieser Bibliothek gab seiner Arbeit großen Auftrieb. Besonderes Interesse zeigte er für eine historisch-kritische Durchsicht der Literatur und der überlieferten Quellen.

Über Wahrheit schrieb Muratori sehr oft, denn sie wurde zum Vorrangsthema sowohl im religiösen als auch im historischen Bereich, was er schon immer mit dem Glauben in seinem Denken bestritt, auch um den Preis, sich mit der Tradition auseinanderzusetzen.

Aus seiner Zeit in Mailand stammen die ersten Anregungen zum Studium des Mittelalters, als er das Ordensgelübde vor dem Bischof von Tortona (1695) ablegte, von dessen geschichtlichen Analysen und religiösen und reformierenden Anregungen er sich inspirieren ließ.

Literatur, Religion und Geschichte

Der Herzog von Modena, Rinaldo d’Este, lud ihn ein und bot ihm eine Stellung als Archivar und Bibliothekar an. Verschiedene Staaten Europas waren zu dieser Zeit in den Spanischen Erbfolgekrieg verwickelt. Ein gut geordnetes und ausgestattetes Dokumentenarchiv wie das in Modena, bot bei den Auseinandersetzungen um Rechtstitel gute Voraussetzungen, um die eigenen Ansprüche zu belegen. Eins dieser ungelösten Probleme war die Frage der Herrschaft über die Lagune von Comacchio. Am 30. Juli 1702 wurde Modena von den Franzosen besetzt und das gesamte soeben von Muratori geordnete Archiv musste verlegt worden.

Da Muratori seine Studien über das Mittelalter wegen Quellenmangel gezwungenermaßen aufgeben musste, schrieb er einige literarische bzw. literaturgeschichtliche Bücher, nämlich I primi disegni della repubblica letteraria d’Italia (1703) und Della perfetta poesia italiana (1706) und einen Text mit literarischer Qualität, die Riflessioni sopra il buon gusto intorno le scienze e le arti (1708). Motiv dieser Arbeiten war nicht persönlicher Ruhm sondern ein sachliches Interesse an einer Beschreibung der nationalen italienischen Literatur.

Salinen von Commachio

1708, in der Folge der Abtretung des Großherzogtums Modena an Frankreich, widmete sich Muratori wieder der Geschichtsforschung. Auslöser war der Streit zwischen dem Kirchenstaat und Frankreich, wer von beiden die Rechtsnachfolge des ehemaligen österreichischen Besitzes der sumpfigen valli bei Comacchio, der nach dem Ende der österreichischen Oberherrschaft zunächst an Frankreich gefallen war, anzutreten hatte. Zwölf Jahre arbeitete er an einem Gutachten über die historischen und juristischen Ansprüche der beiden Parteien auf dieses Gebiet, mit dem Ergebnis einer Bestätigung der Ansprüche der Este auf die valli. Ein weiteres Ergebnis seines Quellenstudiums war ein Buch über die Genealogie der Familie Este, die Antichità estensi ed italiane, dessen erster Band 1717 veröffentlicht wurde.

Zu Beginn des 18. Jahrhunderts kam es durch seine enge Freundschaft mit Pater Paolo Segneri zu einem Wendepunkt in seinem Leben. Er widmete sich unter dessen Einfluss der Armenfürsorge und der Seelsorge. Das weckte in ihm den Wunsch nach einer eigenen Pfarrei. Schließlich wurde ihm die Pfarrei Santa Maria della Pomposa in Modena anvertraut. Die Tätigkeit als Pfarrer war anstrengend und zeitraubend: Er ließ die Kirche renovieren, und er gründete in Modena eine karitative Vereinigung, die Compagnia della Carità (Gesellschaft der Wohltätigkeit), die sich der Armenfürsorge widmete. Trotzdem fand er noch Zeit für seine wissenschaftliche Arbeit. So vollendete er eine Anthologie religiöser Texte mit dem Titel De ingegnorum moderatione in religionis negotio.

Die Reife und die Meisterwerke

Denkmal Muratoris in Modena

In den Jahren zwischen 1723 und 1743 verfasste Muratori auf Aufforderung von Freunden, u. a. auch des Dichters Apostolo Zeno, ein 38-bändiges Werk über Geschichte und Literatur Italiens, das in drei Abteilungen eingeteilt war: Rerum Italicarum Scriptores (1723–1738), die Antiquitates Italicae Medii Aevi (1738–1743) und den Novus Thesaurus Veterum Inscriptionum (1738–1743). Weiterhin arbeitete er in seinen letzten Lebensjahren an dem ersten umfassenden Werk über die Geschichte Italiens von der Geburt Christi zur Gegenwart, den Annali d’Italia erschienen zwischen 1743 und 1749.

An Werken mit religiösem oder theologischem Inhalt verfasste er zwischen 1732 und 1749 ebenfalls eine ganze Reihe: De Superstitione Vitanda (1732–1740), bei dem er die Themen von De Ingegnorum Moderatione wieder aufnahm und das Blutgelübde, in dem er auf übertriebene religiöse Kulte einging. In der Abhandlung Cristianesimo felice nelle missioni de' padri della Compagnia di Gesù nel Paraguay von (1743–1749) setzte er sich mit dem sozialen Experiment der Jesuiten auseinander, die in Paraguay eine Kommune nach von ihnen vermuteten Prinzipien des Gemeinschaftslebens im frühen Christentum eingerichtet hatten.

Von besonderer Bedeutung ist sein Buch De regolata devotione de' cristiani, es ist beispielhaft für italienische Religionsstudien des 18. Jahrhunderts. Das von Papst Benedikt XIV. geschätzte Werk versucht eine Synthese zwischen Rationalität und Religion, von Kultus und dem praktische Leben der Christen herzustellen.

Eine weitere Reihe seiner Bücher bezog sich auf eine Reform und Neuorganisation der Ausbildung an den Universitäten in allen Bereichen der Wissenschaften, auch in der Theologie und der Rechtswissenschaft. Abgehandelt werden diese Themen in den Schriften La filosofia morale spiegata ai giovani von 1735, Dei difetti della giurisprudenza von 1742 bis 1743, in Delle forze dell'intendimento umano o sia il pirronismo confutato von 1745, und schließlich in der Pubblica Felicità von 1749, in der er verklausuliert die Fürsten ermutigt, derartige Reformen zu fördern.

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