Nachtzug nach Lissabon

Nachtzug nach Lissabon

Nachtzug nach Lissabon ist ein Roman von Pascal Mercier (ein Pseudonym Peter Bieris) aus dem Jahr 2004. Er beschreibt, wie ein Mensch plötzlich und konsequent sein gewohntes Leben aufgibt und sich auf die Suche nach dem bisher ungelebten Leben begibt. Ein literarisches Vorbild ist dabei der Roman „Der Mann, der den Zügen nachsah“ von Georges Simenon. Simenons Held wird aus der Realität gerissen und gerät auf einer Zugreise in eine kriminelle Gegenwelt. Bieri legt die Zugmetapher anders aus.

„ICH WOHNE IN MIR WIE IN EINEM FAHRENDEN ZUG“
„Ich bin nicht freiwillig eingestiegen, hatte nicht die Wahl und kenne den Zielort nicht. Eines Tages in der fernen Vergangenheit wachte ich in meinem Abteil auf und spürte das Rollen. Es war aufregend, ich lauschte dem Klopfen der Räder, hielt den Kopf in den Fahrtwind und genoß die Geschwindigkeit, mit der die Dinge an mir vorbeizogen. Ich wünschte, der Zug würde seine Fahrt niemals unterbrechen. Auf keinen Fall wollte ich, daß er irgendwo für immer hielte.“

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Raimund Gregorius, ein überaus verlässlicher und beliebter Lehrer für Latein, Griechisch und Hebräisch an einem Gymnasium in Bern, begegnet im strömenden Regen auf dem Weg zur Schule einer Frau, die auf ihn den Eindruck macht, als wolle sie sich das Leben nehmen. Er nimmt sich der Frau an, die sich als Portugiesin herausstellt; sie begleitet ihn in seine erste Unterrichtsstunde, die sie vorzeitig wieder verlässt. Noch am Vormittag verlässt Gregorius den Unterricht, vielleicht um die Frau zu suchen. Dabei stößt er in einem Antiquariat auf ein dünnes Buch mit vergilbtem Einband, das 1975 in Lissabon erschienen ist. Der Buchhändler übersetzt für ihn nicht nur den Titel: Ein Goldschmied der Worte, sondern auch einige Zeilen aus diesem Text von Amadeu Inácio de Almeida Prado. Wenn es so ist, dass wir nur einen kleinen Teil von dem leben können, was in uns ist – was geschieht mit dem Rest?

Raimund Gregorius ist von den wenigen Worten so ergriffen, dass er beschließt, Portugiesisch zu lernen und sich auf die Suche nach diesem Goldschmied der Worte zu begeben. Gleich am nächsten Morgen macht er sich auf die Reise über Paris und Irún, von dort geht es mit dem Nachtzug nach Lissabon.

Der Hauptteil des Buches beschreibt, wie Raimund Gregorius dem Leben des Poeten und Arztes Amadeu de Prado nachspürt. Er beginnt zu ahnen, was sein eigenes Leben ihm wirklich an Möglichkeiten zu bieten hat oder vielleicht zu bieten gehabt hätte.

„Die Angst davor, dass das Leben unvollständig bliebe, ein Torso; das Bewusstsein nicht mehr der werden zu können, auf den hin man sich angelegt hatte. So hatten wir die Angst vor dem Tode schließlich gedeutet. Doch wie kann man sich, fragte ich, vor der fehlenden Ganzheit und Stimmigkeit des Lebens fürchten, wo man sie doch, wenn sie einmal zur unwiderruflichen Tatsache geworden ist, gar nicht mehr erlebt? ... Unser Leben, das sind flüchtige Formationen aus Treibsand, von einem Windstoß gebildet, vom nächsten zerstört. Gebilde aus Vergeblichkeit, die verwehen, noch bevor sie sich richtig gebildet haben.“

Rezensionen

Der Roman wurde überwiegend positiv aufgenommen. Otto A. Böhmer bestimmt den Roman in seiner Rezension (DIE ZEIT, 25. November 2004, Nr.49) als „fantastische Zugreise nach innen“[1]:

„Pascal Mercier hat ein beeindruckendes Buch geschrieben, einen Bewusstseinskrimi mit Tiefgang und ohne Gewähr. Eine Gewähr nämlich gibt es nicht, nicht im Lotto und nicht im Leben, es sei denn, man stellt sie sich, kühnerweise, selbst aus und steht für sie ein, gegen die Anmaßungen des vorgeblich besseren Wissens. Die Philosophie, zumindest die große, nicht mit dem Tagesgeschäft des rationellen Bedenkens befasste Philosophie, hat, dank Peter Bieri, der sich seinen Mercier hält, mehr zu sagen, als sie sich zu sagen traut.“

Claudia Voigt schreibt im Spiegel (4/2004)[2]:

„Prados fiktive Schriften sind wie ein zweites Buch in diesen Roman eingefügt. Als Leser bewegt man sich auf drei Ebenen, gespannt verfolgt man, wie Gregorius das schillernde Puzzle von Prados Leben aus den Erzählungen verschiedener Menschen zusammensetzt, während man zugleich Prados eigene Gedanken kennen lernt. Und dann erlebt man die behutsame Wandlung Gregorius' vom pflichtbewussten Lateinlehrer in einen sich öffnenden, neugierigen Menschen. 'Die Geschichten, die die anderen über einen erzählen, und die Geschichten, die man über sich selbst erzählt: Welche kommen der Wahrheit näher?', heißt es in Prados Buch.
Nach fünf Winterwochen kehrt Gregorius von Lissabon nach Bern zurück. Womöglich ist er todkrank. Er leidet unter einem seltsamen Schwindel. Sein altes Leben erkennt er kaum wieder. Aber er ist weit gereist in die Welt des Denkens und mit ihm der Leser dieses wunderbaren Romans. “

Kritischer wertet Tom Liehr im Online-Portal Literatur fast pur [3]:

„Merciers wortgewaltiges, hocheloquentes und meistens sehr spannendes Buch führt durch die portugiesische Geschichte und in die Philosophie, erzählt von Freundschaft und Abhängigkeit, entwickelt überaus interessante und originelle Ansätze, die vermeintlich der Feder des - erfundenen - Portugiesen entstammen, manchmal Banalitäten zu enthalten scheinen, sich aber tatsächlich fast ausschließlich mit den ‚zentralen‘ Themen befassen. Eine wunderbare, sehr intelligente Lektüre, originell und nur zuweilen etwas sehr ausführlich. Daß die virtuelle Hauptfigur, Amadeu de Prado, letztlich eine Abstraktion des Autors selbst ist, kann ihm verziehen werden, denn sie ist vortrefflich gelungen.“

Verfilmung

Die Schweizer C-Films AG hat die Verfilmung des Filmes unter der Regie von Bille August angekündigt. Die Dreharbeiten in Bern und Portugal (Lissabon, Coimbra, Cacilhas) sollen im ersten Halbjahr 2012 absolviert werden. In der Hauptrolle als Raimund Gregorius soll Jeremy Irons agieren, nachdem ursprünglich Geoffrey Rush vorgesehen war. In weiteren Rollen sollen zudem Bruno Ganz und Vanessa Redgrave agieren.[4] Ebenfalls im Gespräch für eine Rolle soll sich Noomi Rapace befinden.[5]

Literatur

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. Kritik in der Zeit
  2. Kritik im Spiegel
  3. Kritik auf Literatur-fast-pur.de
  4. http://www.20min.ch/people/schweiz/story/14733775
  5. http://www.kino.de/star/noomi-rapace/filmografie/214401.html

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