Felix Krull

Felix Krull

Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. Der Memoiren erster Teil ist ein Roman von Thomas Mann, der in den Jahren 1909 bis 1911 und zwischen dem 26. Dezember 1950 und dem 16. April 1954 entstand.

Den Roman stellt Thomas Mann in die Tradition des europäischen Schelmenromans. «Es ist ein etwas leichtsinniges Buch, dessen Scherze man mir zugute halten mag» meinte Thomas Mann.[1]

Erstausgabe 1954 für Europa

Inhaltsverzeichnis

Konzeption

Geplant war der Hochstaplerroman als eine Parodie auf J.W. von Goethes Autobiografie Dichtung und Wahrheit. Die Zusammenfassung der Kapitel in ‚Bücher‘ analog zu Goethes Werk trägt dieser Anspielung Rechnung. Vordergründig hat Thomas Mann eine travestierende Übertragung des Künstlertums ins Betrügerisch-Kriminelle angestrebt. Der Künstler wird humoristisch in die Nähe des Hochstaplers gerückt. Das Werk steht sowohl in der Tradition des Abenteuerromans als auch des Schelmenromans (Der abenteuerliche Simplicissimus von Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen) und parodiert den Bildungsroman. Mythologische Parallelen und Anspielungen bereichern den Schelmenroman.

Entstehungsgeschichte

Thomas Mann plante den Roman seit 1905. Angeregt hatten ihn die Memoiren des Hochstaplers und Betrügers Manolescu. In die Jahre 1910 bis 1913 fällt die erste Arbeitsphase. Der Titel lehnt sich an Jean-Jacques Rousseaus «Bekenntnisse» an. Nach einer Pause von nahezu vier Jahrzehnten wurde 1950 bis 1954 der «Der Memoiren erster Teil» abgeschlossen. Beim ersten Teil ist es geblieben. Zur Weiterführung von Felix Krulls Lebensweg äußerte sich der neunundsiebzigjährige Thomas Mann: «Wie, wenn der Roman weit offen stehen bliebe? Es wäre kein Unglück meiner Meinung nach».

Inhalt

(Die angegebenen Seitenzahlen in den Fußnoten beziehen sich auf die Taschenbuchausgabe des Fischer-Verlags)

Herkunft Felix Krulls

Felix Krull ist ein Sonntagskind: „Der Rheingau hat mich hervorgebracht“ [2], an „einem Sonntage übrigens“ [3], als Sohn eines Sektfabrikanten.

Die Eingangstür der väterlichen Villa löste beim Schließen ein kleines Glockenspiel aus, das „den Anfang des Liedes ‚Freut euch des Lebens‘ spielte“, - Motto und Lebenseinstellung im Hause Krull. Felix Krull schreibt rückblickend: „Ich stamme aus feinbürgerlichem, wenn auch liederlichem Hause.“ [4] Das Wort „feinbürgerlich“ trägt Felix Krulls Unbildung Rechnung: Er meint „gutbürgerlich“. Das Wort „liederlich“ ist eine autobiografische Anspielung Thomas Manns. Der Hauptpastor Ramke von St. Marien in Lübeck, Thomas Manns Geburtsstadt, hatte nach dem Tod von Thomas Manns Vater über die verbliebenen Manns als einer „verrottete[n]“ Familie gesprochen.[5]

Theater als vereinbarte Illusion

Nach einem Theaterbesuch durchschaut das Kind Felix Theater als den „Genuß einer vereinbarten Illusion“ [6].

Gegeben wird eine nicht näher genannte Operette. Star und Publikumsliebling der Aufführung ist Müller-Rosé. Er spielt einen Gesandtschaftsattaché, einen sympathischen jungen Schwerenöter und Schürzenjäger.

Mit Müller-Rosé war Felix´ Vater in seiner Pariser Zeit befreundet. Nach der Vorstellung besucht der Vater ihn in dessen Garderobe und nimmt den kleinen Felix mit.

„Ein Anblick von unvergesslicher Widerlichkeit bot sich dem Knaben dar. An einem schmutzigen Tisch und vor einem staubigen und beklecksten Spiegel saß Müller-Rosé, nichts weiter am Leibe als eine Unterhose aus grauem Trikot.“

Felix „erkannte […], daß er rothaarig war. Noch war sein eines Auge schwarz ummalt, und metallisch schwarz glänzender Staub haftete in den Wimpern, indes das andere nackt, wässerig, frech und vom Reiben entzündet den Besuchern entgegenblinzelte. Das alles jedoch hätte hingehen mögen, wenn nicht Brust, Schultern, Rücken und Oberarme Müller-Rosés mit Pickeln besät gewesen wären. Es waren abscheuliche Pickel, rot umrändert, mit Eiterköpfen versehen, auch blutend zum Teil. […] Dies also – so etwa gingen damals meine Gedanken -, dies verschmierte und aussätzige Individuum ist der Herzensdieb, zudem soeben die graue Menge sehnsüchtig emporträumte! Ihm war es gelungen, der Menge das Ideal ihres Herzens in seiner Person erblicken zu lassen und sie dadurch unendlich zu erbauen und zu beleben!“ [7]

Der Vierzehnjährige ist erschrocken über die Doppelnatur des widerwärtigen Kerls in der Garderobe und der Lichtgestalt auf der Bühne. Doch dann kann er beide Erscheinungen in Einklang bringen, - Wirklichkeit und schönen Schein der Operettenbühne:

„Wieviel Bewunderung gebührt ihm nicht für das, was ihm heute gelang und offenbar täglich gelingt! Gebiete deinem Ekel und empfinde ganz, daß er es vermochte, sich in dem geheimen Bewusstsein und Gefühl dieser abscheulichen Pickel mit so betörender Selbstgefälligkeit vor der Menge zu bewegen, ja, unterstützt durch Licht und Fett, Musik und Entfernung, diese Menge das Ideal ihres Herzens in seiner Person erblicken zu lassen und sie dadurch unendlich zu erbauen und zu beleben. […] Welche Einmütigkeit in dem guten Willen, sich verführen zu lassen. […] Lediglich der Hang und Drang seines Herzens zu jener bedürftigen Menge hat ihn zu seinen Künsten geschickt gemacht; und wenn er ihr Lebensfreude spendet, sie ihn dafür mit Beifall sättigt, ist es nicht ein wechselseitiges Sich-Genüge-Tun, eine hochzeitliche Begegnung ihrer Begierden?“ [8]

Der Theaterbesuch wird zum Schlüsselerlebnis für den künftigen Hochstapler und Hoteldieb. Er meint, mit seinen Selbstinszenierungen der Umwelt eine Art Liebesdienst zu erweisen, dem jeweiligen Gegenüber geheime Identitätswünsche zu erfüllen. Schon sein Vater, der Sektfabrikant, hatte seine minderwertige Produktion gerechtfertigt mit der Sentenz: „[…] kurz, ich gebe dem Publikum, woran es glaubt.“ [9]

Früher Lug und Trug

Dem Schüler Felix Krull behagt die Schule nicht. Um dem „feindselige[n] Institut“ [10], zu entkommen, wo er nur mäßige Erfolge hat und wo er von seinen Mitschülern „geschnitten“ wird, übt er, Krankheiten zu simulieren und bringt es mit Willensstärke soweit, dass selbst der Hausarzt, der ihn durchschaut, vor seiner konsequenten Schauspielerei kapituliert [11].

Selbstverliebt erinnert sich der Memoirenschreiber an eine kleine Dieberei, die er auf dem Schulweg begangen hat. Mutterseelenallein in einem Delikatessenladen erliegt er dem „Zauber“ der dargebotenen Süßigkeiten. Auf den möglichen Vorwurf des Lesers, dies sei Diebstahl, meint der alt gewordene Felix Krull, das sei ein „armseliges Wort“, - eine „Fliegenklatsche […], die niemals trifft“ [12]. Er habe es sich „gefallen lassen müssen“, von der „bürgerlichen Gerichtsbarkeit“ mit derartigen Vorwürfen konfrontiert zu werden. Seine Tat jedoch sei die eines Gunstkindes des Schicksals gewesen, nicht die von Krethi und Plethi.

„Vertreibung“ aus dem Rheingau

Felix Krulls Vater geht mit seiner minderwertigen Sektproduktion Bankrott und erschießt sich. Aber an dem Konkurs sei nicht Engelbert Krull selbst schuld gewesen, sondern ein jüdischer Bankier, der „einer der verhärtetsten Halsabschneider war“[13], wie der Memoirenschreiber anmerkt.

Mit dem verschwenderischen Leben in der Villa ist es nun vorbei. Felix´ Mutter muss fortan den Rest der Familie mit dem Betrieb einer Pension unterhalten, die sie in Frankfurt eröffnet. Felix betätigt sich vorübergehend im Frankfurter Rotlichtmilieu als Zuhälter, indem er „mäßige Teilhaberschaft an dem Gewinn“[14] der Prostituierten Rozsa beansprucht, die nach dem Zimmermädchen Genovefa [15] Felix alle Raffinements des Liebeslebens beibringt.

Musterung

Ein Bravourstück liefert Felix Krull während der Musterung zum Militär. Er spielt Arzt und Kommission einen epileptischen Anfall vor, nachdem er zuvor die dazu passende Anamnese dem Mediziner angeboten bzw. sich hat abfragen lassen.[16]

„Mein Gesicht verzerrte sich – aber damit ist wenig gesagt. Es verzerrte sich auf eine meiner Meinung nach völlig neue und schreckenerregende Art, so, wie keine menschliche Leidenschaft, sondern nur teuflischer Einfluss und Antrieb ein Menschenantlitz verzerren kann. Meine Züge wurden buchstäblich nach allen vier Seiten, nach oben und unten, rechts und links auseinandergesprengt, um gleich darauf wieder gegen die Mitte zusammenzuschrumpfen; ein abscheulich einseitiges Grinsen zerriss danach meine linke, dann meine rechte Wange“.

Der Militärarzt hält ihn für einen Epileptiker und mustert ihn aus. Auf die Simulation hatte sich der Gestellungspflichtige „mit großer Genauigkeit, ja streng wissenschaftlich“ vorbereitet. [17], - durch das Lesen von einschlägiger Fachliteratur. Thomas Mann hat es ebenso gehalten. Für die schriftstellerische Produktion hat er sich stets das jeweilige Fachwissen angeeignet.

Hotelkarriere

Als Berufswahl rät sein Pate Schimmelpreester dem herangewachsenen Felix, vorerst die „Hotelkarriere“ einzuschlagen. Er kann ihm auch eine Anstellung in einem angesehenen Pariser Hotel vermitteln. Auf der Reise nach Paris steht Felix Krull während der Zollabfertigung neben einer Dame, die reich wirkt. Beider Gepäckinhalt liegt ausgebreitet auf dem Tisch der Zollstation. Die Schmuckkassette der Dame kommt dicht neben seinen Sachen zu liegen. Felix Krull stiehlt sie heimlich.

In dem luxuriösen Pariser Hotel beginnt Felix Krull zunächst als Liftboy. Im Fahrstuhl steht er eines Tages der Dame gegenüber, die er während der Zollabfertigung bestohlen hatte. Den Dieb erkennt die Dame in dem adretten Liftboy nicht. Dem charmanten Felix gelingt es, ein nächtliches Rendezvous mit ihr einzufädeln. Sie ist Schriftstellerin, publiziert ihre Werke unter dem Pseudonym Diane Philibert und ist mit einem Klosettschüssel-Fabrikanten verheiratet. Als ihr Felix gesteht, sie bestohlen zu haben, ist die reiche Frau entzückt. Mythologisch gebildet, sieht sie in Felix das Abbild des antiken Hermes, der unter anderem selbst ein Dieb war und so in der Antike zum Schutzgott der Diebe avancierte. Die Wonnekommentare der schon reiferen Frau über Felix´ Liebestüchtigkeit, als sie in seinen Armen liegt, sind ein erotisch-schriftstellerisches Meisterstück des sechsundsiebzigjährigen Thomas Mann.

Felix Krull steigt zum Kellner auf, bald zum Oberkellner. In seiner Freizeit kann er sich mit dem Erlös aus dem Diebesgut einen dandyhaften Lebensstil leisten. Die „Hotelkarriere“ will er aber nicht abbrechen. Sie soll ihn letztlich weiter bringen. Erst als er den jungen, reichen Marquis de Venosta durch seine Berufstätigkeit kennen lernt, gibt er die Arbeit im Hotel auf.

Zirkusbesuch

Während eines Zirkusbesuches wird Felix Krull bewusst, dass er ebenfalls Künstler ist und kein gewöhnlicher Zuschauer. Die Darbietungen der Artisten, insbesondere der Trapezkünstlerin Andromache, sieht er wie jemand, der sich vom „Bau“[18], vom Fach fühlt. „Nicht vom circensischem Fach, vom Salto-mortale-Fach, natürlich, konnte ich mich fühlen, aber vom Fach im allgemeineren, vom Fach der Wirkung, der Menschenbeglückung und –bezauberung.“

In den Artisten erkennt Felix Krull seinesgleichen. Er will bezaubern wie sie und geht damit, so sieht er es, ein vergleichbares Risiko ein wie die Trapezartisten unter der Zirkuskuppel.

Eleanor Twentyman, Lord Kilmarnock

Gelegenheit, die Hotelkarriere aufzugeben, hat es für Felix Krull bereits zweimal gegeben.

Unter dem „polierten Pöbel“, umschwänzelt und verpflegt von befrackten Kellnern, ist auch Mr. Twentyman, ein neureicher Industrieller aus Birmingham mit rotem Portweingesicht. Mit Gattin und Tochter nebst Zofe bewohnt er über Wochen eine Suite. Die Tochter Eleanor, „ein blondes Ding, hübsch nach Art eines Zickleins [19], mit den rührendsten Schlüsselbeinen der Welt“ verliebt sich heftig in Felix Krull. Er hat seine liebe Not mit ihr und gibt sich alle Mühe, dem „Klein-Mädchen-Wildfang [20] ein gemeinsames Durchbrennen schonend auszureden.

Gleichzeitig wirbt „eine Persönlichkeit ernsteren Gewichts“ [21] um ihn, dessen Empfindungen „etwas wogen auf der Waage der Menschheit. Es ist Lord Kilmarnock, von schottischem Hochadel, „ein Mann von sichtlicher Vornehmheit, um die Fünfzig, mäßig hoch gewachsen, schlank, äußert akkurat gekleidet, mit noch ziemlich dichtem, eisenfarbig ergrautem Haar und einem gestutztem, ebenfalls leicht ergrautem Schnurrbart, der den bis zur Anmut fein geschwungenen Mund freigab.“ [22] Thomas Mann hat sich mit der Figur des Lord Kilmarnock porträtiert. [23] Wie der Lord hatte er viel Sinn für hübsche junge Männer. Auch seine persönliche Wirkung hat er Lord Kilmarnock mitgegeben: „Sein Eintritt in den Saal war immer von einer Befangenheit, die bei einem so großen Herrn hätte befremden können, seinem Ansehen aber, wenigstens in meinen [Felix Krulls] Augen, keinen Abbruch tat.“ [24] Lord Kilmarnock möchte Felix Krull mit sich nehmen auf sein Schloss nach Schottland, als Kammerdiener. Sein Salär würde ein Vielfaches betragen als in seiner gegenwärtigen Stellung, seine Pflichten würden sich, da genügend Dienerschaft vorhanden sei, ganz auf die Betreuung Lord Kilmarnocks beschränken. Seine leise gesprochene Bitte: „Es ist der Wunsch eines einsamen Herzens“ [25].

Felix Krull widersteht Eleanor Twentyman und Lord Kilmarnock. Beide kann er mit gut gewählten Worten trösten. Der traurige Lord schenkt ihm zum Abschied seinen Ring, auf den ein sehr schöner Smaragd gearbeitet ist, den der Memoirenschreiber, der alt gewordene Felix Krull, noch immer besitzt.

Der Vorname Lord Kilmarnocks, Nectan, kann auf den keltischen Heiligen Sankt Nectan bezogen werden, der ein Teil seines Lebens als Eremit verbracht hat, einsam und abgeschnitten von der Gesellschaft.

Der Rollentausch

Felix Krull spielt vertretungsweise den etwa gleichaltrigen Marquis de Venosta, um ihm ein Alibi vor seinen strengen Eltern zu verschaffen. Der Marquis kann sich so ungestört seiner leichtsinnigen Pariser Liebschaft widmen. In der Rolle des reichen Marquis tritt Felix Krull eine Weltreise an.

Zunächst geht es im Nachtzug nach Lissabon. Im Speisewagen sitzt Felix Krull dem mitteilungsbedürftigen Professor Kuckuck gegenüber. Er findet Gefallen an dem gut aussehenden jungen Marquis. Im Verlaufe der Unterhaltung kommt es zu einem kleinen Privatseminar, dem der aufnahmewillige Felix Krull gespannt folgt. Professor Kuckuck plaudert über die Evolution. Zum Schluss verrät er, nachdem er sich vorsichtshalber noch einmal umgesehen hat, ein Geheimnis: Seine Sicht der Kosmogonie.

Es habe nicht eine, sondern drei „Urzeugungen“ gegeben: Die Entstehung des Seins aus dem Nichts, die Erweckung des Lebens aus dem Sein und das Hinzukommen von einem Dritten: Das Wissen von Anfang und Ende. Dieses, nur dem Homo sapiens gegebene Wissen, unterscheide ihn von aller Natur, der organischen und dem bloßen Sein. ‚Das Wissen von Anfang und Ende‘ ist eine Umschreibung Thomas Manns für Vorstellung im Sinne Schopenhauers, für die Dimension des Geistigen.

Thomas Mann legt diese Philosophie Professor Kuckuck in den Mund, dem er Schopenhauers „Sternenaugen“ [26] verliehen hat. Aber ein Jahr zuvor hatte er dieses Weltbild bereits unter eigenem Namen vorgestellt („Lob der Vergänglichkeit“).

Professor Kuckuck hat seine innerste Weltsicht preisgegeben. Sehr bewegt muss er - um sich zu beruhigen - einen Schluck Wasser trinken. Aber der Zug auf seiner nächtlichen Fahrt macht einen Schlenker, Professor Kuckuck schweppert. Mit dem kleinen Missgeschick hat Thomas Mann nach so viel Tiefgang wieder in den parodistischen Ton des Hochstapler-Romans zurück gefunden.

Liebesabenteuer in Lissabon

In Lissabon, der ersten Station seiner Weltreise, hat Felix Krull als Marquis de Venosta Anschluss an Professor Kuckucks Familie bekommen. Der Gelehrte stammt aus Deutschland, hat in Lissabon geheiratet und ist Vater einer sehr hübschen, aber schnippischen Tochter. Sie scheint, so vermutet Felix, mit dem wissenschaftlichen Mitarbeiter ihres Vaters verlobt zu sein. Dies entpuppt sich jedoch schnell als eine Fehlbeobachtung Felix’. Kuckucks Frau, Senhora Maria Pia, gibt eine rassige Erscheinung ab, hoheitsvoll, mit „königlichem Busen“. Ihre Oberlippe ziert ein kaum merklicher Bartflaum. Felix Krull ist von Tochter und Mutter gleichermaßen beeindruckt.

Der Tochter - sie wird von Nahestehenden meistens Zouzou genannt, heißt aber Suzanna - macht Felix hartnäckig den Hof. Nach dem Erlebnis eines Stierkampfes zusammen mit der Familie Kuckuck trifft es sich, dass Felix endlich mit ihr allein ist. Er sieht sich am Ziel seiner Wünsche. Doch die Mutter tritt dazwischen, schickt „Suzanna“ weg von „Busch und Bank“ und fordert den verunsicherten Felix auf, ihr zu folgen, durch Salon und Speisezimmer und von da in einen „intimere[n] Raum“.

Senhora Maria Pia schließt die Tür und setzt zu einer Strafpredigt an, kommt aber ziemlich schnell davon ab und bietet Felix Krull „Trost“ an: „Maria!“ rief ich. Und: „Holé! Heho! Ahe!“ rief sie mit mächtigem Jubel [27]. Ein Wirbelsturm urtümlicher Kräfte trug mich ins Reich der Wonne. Und hoch, stürmischer als beim iberischen Blutspiel, sah ich unter meinen glühenden Zärtlichkeiten den königlichen Busen wogen.“[28]

Damit endet „Der Memoiren erster Teil“.

Geplante Fortsetzung des Romans

Thomas Mann hat die geplante Fortsetzung der Memoiren auf einem Notizblatt wie folgt festgehalten: „Felix Krull wird mit 20 Jahren Kellner, lernt mit 21 den jungen Aristokraten kennen, an dessen Statt er reist. Kehrt mit 22 zurück. Arbeitet bis 27 als Hôteldieb. Von 27 bis 32 im Zuchthaus. Heiratet mit 34. Gerät mit 39 wieder in Untersuchungshaft und wird von Polizisten an das Sterbebett seiner Frau begleitet. Flucht aus dem Untersuchungsgefängnis und Entweichung nach England.“ Auf demselben Notizblatt wird auch die Einteilung des Romans festgehalten: „Erster Teil: Jugend. / Zweiter Teil: Kellner und Reise. / Dritter Teil: Hôteldieb / Vierter Teil: Zuchthaus / Fünfter Teil: Ehe / Sechster Teil: Der Kleinen Tod. Flucht. Ende.“[29]

Interpretationsansätze

Das Romanpersonal

Engelbert Krull, der Vater

Engelbert Krull besitzt eine „Schaumweinfabrik am Rhein“. Das Ehepaar Krull lädt häufig Gäste ein. Die Trinkgelage in der Villa arten regelmäßig in Orgien aus. Als Sektfabrikant betrügt er. Pate Schimmelpreester zu Engelbert Krull: „Ihre Person in Ehren, aber ihren Champagner sollte die Polizei verbieten. Vor acht Tagen habe ich mich verleiten lassen, eine halbe Flasche davon zu trinken, und noch heute hat meine Natur sich nicht von diesem Angriff erholt.“ [30]

Engelbert Krull geht bankrott und erschießt sich. Felix trauert um ihn (soweit das einem Narzissten möglich ist). „Mein armer Vater“ lautet die stehende Formel, wenn er ihn in seinen Memoiren erwähnt. Engelbert Krull verkörpert den banal-weltläufigen Lebenskünstler, der folgerichtig scheitert, da ihm Pflichtgefühl und Leistungswille abgehen.

Mutter Felix Krulls

Sie wird als dumm und von beleibter, unästhetischer Gestalt beschrieben. Mit ihrer Tochter Olympia fühlt sie sich mehr verbunden als mit ihrem Ehemann. Beide Ehegatten langeweilten sich „bis zur Erbitterung miteinander“. [31]

Olympia Krull, die Schwester

Olympia hat eine enge Beziehung zu ihrer Mutter. Der Vater spielt für sie, wie für Felix, keine wichtige Rolle. Nach dem väterlichen Bankrott schlägt sie die Künstlerkarriere ein und hat Erfolg auf der Operettenbühne.

Ihr Bruder bezeichnet sie als „dickes und außerordentlich fleischlich gesinntes Geschöpf“, dessen Lebensinhalt von dumpfer „Vergnügungssucht“ geprägt sei. Ihr Name spielt auf die olympische Götterwelt an und deren Sittenfreiheit.

Pate Schimmelpreester

Felix´ Taufpate Schimmelpreester, „ein schrulliger Maler“ [32] ist ein enger Freund der Familie und für den heranwachsenden Felix eine wichtige Bezugsperson. Schimmelpreester wird mit Professor angeredet, ohne diesen Titel jedoch zu besitzen. Aufgrund nie ganz deutlich gewordener Vorfälle hat es Schimmelpreester in die rheinische Provinzstadt verschlagen, in der auch Felix Krull aufwächst. Felix, mit seinem Kostümkopf, steht dem Maler häufig Modell, nackt oder phantasievoll kostümiert.

Nachdem der Vater bankrott gegangen ist und sich erschossen hat, kümmert sich Pate Schimmelpreester um die Restfamilie. Der Mutter rät er, in Frankfurt eine kleine Pension zu eröffnen, sein Patenkind Felix soll die Hotelkarriere einschlagen. Aufgrund einer lange zurückliegenden Bekanntschaft mit dem Direktor eines angesehenen Pariser Hotels kann er Felix auch eine aussichtsreiche Lehrstelle verschaffen.

Marquis Louis de Venosta

Der Marquis Louis de Venosta stammt aus einer luxemburgischen Adels- und Industriellenfamilie. In Paris dilettiert er als angehender Kunstmaler. Finanziell gut gestellt, verkehrt er im Restaurant des Hotel St.James & Albany. Dort wird er von dem Kellner Felix Krull wiederholt bedient. Felix’ adrettes Wesen macht ihm Eindruck. Zu seiner Überraschung begegnet er ihm auch anderenorts und lernt den Dandy Felix Krull kennen, in der Rolle, die sich Felix in seiner knappen Freizeit gestattet,- finanziert von Diebesgut. Der Marquis ist von der Doppelexistenz entzückt.

Reich und von Adel, doch sonst ein schlichter Kopf, ist der Marquis in Bedrängnis geraten. Seine Eltern fordern - unter Androhung von Enterbung - die Trennung von seiner Pariser Freundin und haben ihm eine Weltreise verordnet. Felix Krull erkennt seine Chance und schlüpft in eine neue Rolle. Unter dem Namen des Marquis tritt er dessen Weltreise an. Die Unterschrift seines Vaters konnte Felix bereits als Schulkind perfekt fälschen, die Unterschrift des Marquis gelingt ihm ebenso.

Madame Houpflé

Mit Madame Houpflé, der Gattin eines Klosett-Schüsselfabrikanten, alias Diane Philibert, erfolgreiche Schriftstellerin, hat der Liftboy Felix Krull alias Armand eine kurze, aber heftige Liebesbeziehung.

In dem schlanken, gut gewachsenen Liftboy meint die gebildete Frau, den personifizierten Hermes zu erkennen. Sie möchte von ihm, nachdem er ihr gestanden hat, sie anderenorts bereits bestohlen zu haben, lustvoll erniedrigt werden, - von Hermes, dem Gott der Diebe. Felix Krull mit seiner kümmerlichen Schulbildung lernt so Hermes kennen. Von nun an wird er, sobald sich die Gelegenheit ergibt, auf den antiken Hermes zu sprechen kommen, - als sei antike Mythologie ihm ein geläufiger Bildungsbesitz.

Professor Kuckuck

Professor Kuckuck, Ehemann und Vater seiner portugiesischen Doppelliebschaft, begegnet Felix Krull im Zug nach Lissabon. In dem „Eisenbahnkapitel“, einem der Höhepunkte des Romans, lässt ihn Thomas Mann die Philosophie der drei Urzeugungen vortragen, die schrittweise Entstehung von Materie, Leben und Erkenntnis.[33] Danach bleibt der kleinbürgerliche Gelehrte im Hintergrund.

Stanko

Der unrasierte Kroate Stanko, der in der Hotelküche arbeitet und sich im Pariser Ganovenmilieu auskennt, überrascht Felix, als dieser - vermeintlich unbeobachtet - den von Madame Houpflé gestohlenen Schmuck betrachtet. Stanko gibt Felix einen Tipp, wie er den Schmuck zu Geld machen kann und verlangt Halbpart.

In der Folge akzeptiert Felix diesen Stanko als gelegentlichen Freizeitbegleiter. Er lässt sich von ihm duzen, bleibt ihm gegenüber jedoch beim „Sie“. Als Stanko vorschlägt, gemeinsam einen Einbruch zu riskieren, beendet Felix die Kumpanei. Stanko, selbst ein Krimineller und von mäßigem Verstand, ist unter dem Romanpersonal einer der wenigen, die den Kriminellen in Felix Krull sofort erkennen.

Mythologische Parallelen

Hermes

Der vielleicht zentrale Aspekt des blenderischen Halbwissens, mit welchem Krull, der in der Schule eher schlechte Schüler, seine Mitmenschen regelmäßig beeindruckt, ist die von Madame Houpflé erworbene Kenntnis des griechischen Gottes Hermes. Genau wie Felix erreicht dieser Gott seine Ziele durch Gewaltlosigkeit und herausragende rhetorische Fähigkeiten, wobei er auch dem Betrug nicht ganz abgeneigt ist. Die Charaktermerkmale dieser Gottheit sind ebenso wie die des Krull extrem variabel, sodass es Schwierigkeiten bereitet, das Essentielle seines Seins zu erfassen. Seine jugendliche Eleganz und natürliche Begabung bilden eine weitere Parallele zu Felix’ Wesen. Als Götterbote befindet sich Hermes zwischen Menschheit und Göttern, in einer höher gestellten Position als der Rest der Erdenbewohner – ein Status, den auch Krull für sich beansprucht. Dessen episodenhafte Form des Reisens – horizontal und vertikal in der Gesellschaft – findet sich in Hermes’ Eigenschaft als Gott der Wanderer wieder.

Kritisch anzumerken ist allerdings, dass Hermes eine Gestalt der griechischen Antike ist, in der Friedrich Nietzsche zufolge[34] noch der Gegensatz von „gut“ (im Sinne von „edel“, d.h. „adelig“) und „schlecht“ (im Sinne von „schlicht“, d.h. von niederem Stand) vorherrschend gewesen sei und in der es eine „Herrschaft der Guten“, also eine „Aristokratie“ gegeben habe. Im Kontext der zugehörigen „Herrenmoral“ sei es, so Nietzsche, sinnlos, einem „Herren“ vorzuwerfen, er sei kriminell, da er auf Grund seiner sozialen Stellung die Definitionshoheit darüber besitze, was er dürfe und was nicht. Um mit dieser Haltung „durchzukommen“, muss man aber auch wirklich „Herr“ sein (wie der Gott Hermes) und dies nicht (wie Felix Krull) bloß vortäuschen.

Thomas Mann nimmt die Arbeit an dem Hochstapler-Roman wieder auf in einer Zeit, die gerade die Exzesse des nationalsozialistischenHerrenmenschentums“ überstanden hat. Er ist im Innersten der Demokratieskeptiker aus der Zeit seiner Betrachtungen eines Unpolitischen (1918) geblieben. [2] - Zu Thomas Mann und Hermes siehe auch [3].

Narziss

Der mythologische Narziss und die Romanfigur Krull sind gleichermaßen erfüllt von Eigenliebe und dem Stolz auf die ihnen beschiedene Schönheit. Die Ästhetik des Körperlichen der beiden Charaktere bedingt, dass sich zahlreiche Menschen jedes Geschlechts in sie verlieben. Während der Narziss diese ihm entgegengebrachte Liebe jedoch herzlos zurückweist, was ihm ein isoliertes Schicksal und schließlich den Tod beschert, nimmt Krull zumindest erotische Avancen des Öfteren und mit Vergnügen an. Felix begibt sich in eine andere, positivere Art der Isolation. Zwar ist er davon überzeugt, auserwählt zu sein, aber dennoch hat er das Gefühl, die Welt zu lieben, mit all ihren großen und kleinen Schönheiten in seiner Allsympathie, genauso wie sie ihn aus seiner Sicht liebt. Er sei „zum Liebesdienste geschaffen und ausgezeichnet“[35], meint Rozsa, das „Freudenmädchen“, seine „Lehrmeisterin“.[36] Allerdings sind die Lästereien über seine Mitmenschen, die der Memoirenschreiber dem Leser mitteilt, mit dieser Haltung nur schwer vereinbar; sie zeugen nicht von echter Nächstenliebe. Auch das Bemühen um ein „ordentliches“ Begräbnis für seinen Vater ist nicht nur durch ein Gefühl der Pietät motiviert, sondern auch Ausdruck der Sorge, der Vater könne als Selbstmörder ähnlich „gebrandmarkt“ werden, wie Goethe es am Ende seines Romans „Die Leiden des jungen Werther“ beschreibt.[37] Diese Schmach muss jemand wie Felix Krull unbedingt vermeiden. Felix Krull weist viele Merkmale auf, die einen Narzissten kennzeichnen, ein Krankheitsbild, das zuerst von Sigmund Freud systematisch dargestellt wurde, der sich bei der Wahl des Namens für diese Neurose von der antiken Mythologie hat inspirieren lassen.

Andromache

Die Zirkusartistin Andromache[38] vereint all die Wunschvorstellungen des Krull. Der als androgyn beschriebene, aber doch irgendwie zierliche Körper konzentriert das Doppelbild von Bruder und Schwester aus seiner Frankfurter Zeit und die später folgende Symbiose der strengen, rassigen Mutter da Cruz und ihrer Tochter Zouzou auf eine Person. Durch eiserne Disziplin und einen unbedingten Willen ist diese Trapezakrobatin Abend für Abend in der Lage, über sich hinauszuwachsen, den Menschen zu überwinden. Krull spiegelt sich in ihr wider, in einer vermeintlichen Form des Übermenschen, wie ihn Nietzsche gefordert hat. Den Blick hinter diese heroische Fassade gewährt allein der Name dieses Charakters. Tatsächlich ist die antike Andromache, die Frau Hektors, lediglich eine besonders tragische, vom Schicksal gestrafte Frau, deren gesamte Familie getötet und die als Sklavin unmenschlich behandelt wurde. Somit ist der scheinbare Übermensch womöglich nichts weiter als Kafkas schwindsüchtige Reiterin auf der Galerie.

Felix Krulls Welt- und Selbstverständnis

Der Schelmenroman enthält einen ironisch verfremdeten Appell an Ehrgeiz und Selbstdisziplin, die jeder aufbringen sollte, um (als „Selbstüberwinder“ im Sinne Nietzsches) etwas aus sich zu machen. Auch ein Hang zum Existenzialismus lässt sich in Krulls Weltverständnis entdecken. Der vom Schicksal Bevorzugte - denn so sieht sich das Sonntagskind Felix - nimmt sein Leben selbst in die Hand, ist seine Freiheit und sein Schicksal, muss sich vor niemand als sich selbst rechtfertigen. In diesen Auffassungen finden sich Aspekte aus den Philosophien Schopenhauers, Nietzsches und Sartres.

Felix’ (lat.: der Glückliche) Lebensstrategie:

  • Der schöne Schein: „Von Natur fühlt er sich als bevorteilt und vornehm, ist es aber nicht seinem gesellschaftlichen Range nach und korrigiert diesen ungerechten Zufall durch eine seiner Anmut sehr leicht fallenden Täuschung, durch Illusion.“ [39] Damit rückt Thomas Mann den Hochstapler in die Nähe des Künstlers.
  • Liebe zu sich selbst und die unerschütterliche Gewissheit, „aus feinerem Holze geschnitzt zu sein“, beeindrucken die Umwelt und machen liebenswert.
  • Beredsamkeit und Charisma sind effektiver als Gewalt.
  • Höflichkeit schafft Distanz.
  • „Liebe die Welt und sie wird dich lieben.“ Thomas Mann bezeichnet diese Welt-Sehnsucht als Pan-Erotik [40] und Allsympathie.

Zustimmung oder gar heimliche Bewunderung findet Felix nur bei Lesern, die sich ebenso leicht beeindrucken lassen wie seine Opfer. Ob die Gefoppten ihm jedoch auf Dauer böse sind, bleibt offen. Hat er die ‚Opfer‘ doch glänzend unterhalten! Thomas Mann am 17. Oktober 1954 an Fritz Martini: „Dieser moderne Hermes ist im Grunde garnicht frivol, sondern hat eine gewisse komisch-versöhnende Weltansicht - so scheint mir.“

Krulls Gesellschaftsbild

Krulls Haltung gegenüber der Mitwelt pendelt zwischen „Allsympathie“ und Erwähltheitsdünkel. Wenngleich Krull die Welt in all ihrer Vielfalt zu lieben vorgibt, lässt er keinen Zweifel daran, dass er an eine natürliche Hierarchie glaubt, dass er von der Ungleichwertigkeit der Menschen überzeugt ist. Thomas Mann hat diese Gesinnung als aristokratisch bezeichnet. Hier hat er sie dem Sohn eines leichtlebigen, Konkurs gegangenen Schaumweinfabrikaten mitgegeben.

Elitär spricht Felix Krull vom menschlichen „Kroppzeug“ (Musterung), beschreibt Armut wie eine Krankheit und möchte den Leser schonen, wenn er nicht weiter die ärmlichen Mitreisenden im Zug nach Paris beschreibt. Offen bleibt dabei, ob Krull seine eigenen Ansichten mitteilt oder ob er glaubt, die geäußerte Weltsicht gehöre zu seiner Rolle.

Viele der unbeabsichtigten Helfer seines Aufstiegs können auf wundersame Weise einen persönlichen Profit aus der Begegnung mit ihm ziehen. Er hinterlässt keine Leichen, sondern eine um ein Abenteuer mit mythologischen Hintergrund bereicherte Madame Houpflé, hat dem einfältigen Stanko zu Geld verholfen und dem Marquis de Venosta zu Freiheit für seine Pariser Liebschaft, war dem mitteilungsbedürftigen Professor Kuckuck ein aufmerksamer Zuhörer, hat die rassestolze Senora Kuckuck beglückt. Enttäuschen musste er nur Eleanor Twentyman und Lord Kilmarnock.

Autobiografische Bezüge

Sicher ist, dass der Roman „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ insofern eine Autobiographie darstellt, als der Memoirenschreiber (der Erzähler) und der Protagonist dieselbe Person sind. Schwieriger zu beantworten ist die Frage, inwieweit und in welcher Form Thomas Mann sich selbst in den Roman eingebracht hat.

Geplant war der Hochstaplerroman als Parodie von Goethes Autobiographie „Dichtung und Wahrheit“. Doch unter der Hand schreibt Thomas Mann, sich selbst ironisch durchschauend, sein eigenes Psychogramm. Kein Roman Thomas Manns ist autobiographischer und bekenntnishafter als dieser.[41]

Thomas Mann hat Felix Krull mit einem heiteren Naturell ausgestattet - und damit eine Kontrastfigur geschaffen zu dem abweisenden Adrian Leverkühn in „Doktor Faustus“ und dem melancholischen Tonio Kröger in der gleichnamigen Künstlernovelle. Unter den Gattungsbegriffen Autobiografie / Künstlerroman korrespondieren „Doktor Faustus“ und „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“. Die beiden Romane zeigen verschiedene Facetten von Thomas Manns Persönlichkeit.

In der Dichterin Diane Philbert und in Senhora Maria Pia mit dem kaum merklichen Bärtchen, beide mit ihrem Gefallen an der jünglingshaften Erscheinung Felix Krulls, steckt auch ein bisschen Thomas Mann, der sich ja ebenfalls von aparter Jungmännlichkeit hat beeindrucken lassen. Tochter Erika hatte das „Erz-Päderastische“ der Liebesszene mit Diane Philbert sofort durchschaut (Thomas Mann am 31. Dezember 1951 im Tagebuch).

Lord Kilmarnock schließlich könnte als Thomas Manns „alter ego“ im Roman betrachtet werden: Auch Thomas Mann hat sich als älterer Herr in einen jungen Kellner verliebt.

Zitierenswert ist die Vorbereitung Felix Krulls auf die Täuschung der Militärersatzkommission: „[…], daß ich mit großer Genauigkeit, ja streng wissenschaftlich zu Werke ging und mich wohl hütete, die sich bietenden Schwierigkeiten für gering zu achten. Denn Dreinstolpern war nie meine Art, eine ernste Sache in Angriff zu nehmen; vielmehr habe ich stets dafür gehalten, dass ich gerade mit dem äußerstem, der gemeinen Menge unglaubhaftesten Wagemut kühlste Besonnenheit und zarteste Vorsicht zu verbinden habe, damit das Ende nicht Niederlage, Schande und Gelächter sei, und bin gut damit gefahren.“ Mit gleicher Sorgfalt ist auch Thomas Mann an seine künstlerischen Produktionen herangegangen.

Seinen Narzissmus fasst Felix Krull in die Worte: „Ja, der Glaube an mein Glück und daß ich ein Vorzugskind des Himmels sei, ist in meinem Innersten stets lebendig geblieben, und ich kann sagen, dass er im ganzen nicht Lügen gestraft worden ist“. Thomas Mann hat sich ebenso gesehen. Aus dem amerikanischen Exil, sein trotz des Zwangs zum Weggang aus Deutschland geglücktes Leben rechtfertigend, schreibt er einem Freund im Nachkriegsdeutschland: „Ich bin eben gnädig geführt worden von einem Schicksal, das es zwar streng, darunter aber immer grund-freundlich mit mir meinte.“ Der Adressat, Hans Reisiger, ist in Doktor Faustus als Rüdiger Schildknapp porträtiert.

Sprache und Stil

Felix Krull erkämpft sich gewaltfrei seinen Weg durch die Schichten der Gesellschaft. Seine Waffe ist die Sprache, die bestätigende und einschmeichelnde Rede. Sie öffnet ihm sämtliche Türen. Mit seinen komplexen Satzkonstruktionen (Hypotaxen mit zahlreichen Neben- und Unterordnungen) und seiner hochgestochenen Wortwahl suggeriert er ein Bildungsniveau, über das er nicht verfügt. Er beeindruckt mit en passant aufgeschnapptem Halbwissen. Doch die Art, wie er sein Halbwissen präsentiert, ist nun wieder etwas Besonderes, eine Art künstlerisch-artistischer Leistung.

Der Ich-Erzähler neigt zu pathetischen Formulierungen und möchte den Leser durch zahlreiche Euphemismen „vor den unansehnlichen Niederungen des Lebens bewahren“ und versucht sich bei ihm permanent einzuschmeicheln (captatio benevolentiae). Um seine „Authentizität“ zu bewahren (gleich zu Beginn beteuert Felix, „wahrhaftig“ sein zu wollen), verleiht er seinen Schilderungen eine assoziative Note, welche vor allem durch seine zahlreich verwendeten Parenthesen erzeugt wird. Er schweift oft vom Kern des Geschehens ab und weicht der Wahrheit aus, zieht breite, bisweilen auch redundante Kreise um die tatsächlichen Situationen, sodass letztlich der Einschub, das Abdriften das Charakteristische dieses Romans ist. Nach eigenem Bekunden schaltet der Ich-Erzähler mit seiner Biographie, mit dieser Materie „nach Gutdünken“, in künstlerischer Freiheit.

Chronologische Folge der einzelnen Drucke

Literatur

  • Quellen (*) des Wikipedia-Artikels in: Zweideutigkeit als System. Thomas Manns Kunstdefinition. Kapitel [1.11]. [4]
  • Helmut Koopmann: „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“, in: ders. (Hg.): Thomas-Mann-Handbuch, 3., aktualisierte Auflage, Stuttgart 2001, S. 516-533. (mit ausführlichen bibliografischen Angaben) ISBN 3-520-82803-0 (seitenidentische Taschenbuchausgabe im Fischer Taschenbuch Verlag ISBN 3-596-16610-1)
  • Martin R. Dean: Der Flügelschlag eines brasilianischen Schmetterlings. Thomas Manns «Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull» als Modell weltläufigen Erzählens. In: Neue Zürcher Zeitung, 9./10. Dezember 2006 (online).
  • Hans Wysling: Zum Abenteurer-Motiv bei Wedekind, Heinrich und Thomas Mann. In: Wysling, Hans: Ausgewählte Aufsätze 1963-1995. Hg. von Thomas Sprecher und Cornelia Bernini. Frankfurt/Main 1996. S. 89-125.
  • Hans Wysling: Narzissmus und illusionäre Existenzform. Zu den „Bekenntnissen des Hochstaplers Felix Krull“ (Gebundene Ausgabe)
  • Jürgen Jacobs: Thomas Manns ‚Felix Krull‘ und der europäische Schelmenroman. In: Laborintus litteratus. Hg. v. Ulrich Ernst. Wuppertal 1995. S. 49-69.
  • Kern, Stefan Helge: Thomas Mann: Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. Königs Erläuterungen und Materialien (Bd. 456). Hollfeld: Bange Verlag 2007. ISBN 978-3-8044-1858-5
  • Bernd M. Kraske: Im Spiel von Sein und Schein. Thomas Manns Hochstapler-Roman „Felix Krull“. Verlag Literarische Tradition. ISBN 978-3-930730-40-7

Verfilmungen

Der Klassiker ist Kurt Hoffmanns Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull (1957) mit Horst Buchholz als Felix Krull. Diese Verfilmung weist jedoch ein von dem Buch abweichendes Ende auf. Das Drehbuch sowie die Idee zur Schlusslösung stammen von Robert Thoeren.

Das Buch wurde 1981–82 als fünfteilige Fernsehserie verfilmt, Drehbuch und Regie Bernhard Sinkel. Auch eine 125-minütige Version wurde erstellt, die aber dem komplexen Werk Thomas Manns nicht gerecht wird. John Moulder-Brown verkörperte Felix Krull, Klaus Schwarzkopf seinen Vater.

Weitere Medien

  • Die Musterungsszene existiert als LP des S. Fischer Verlages, hergestellt von der Deutschen Grammophon Gesellschaft (leider o.J.). Vermutlich handelt es sich um Werbematerial, denn das Cover trägt den gelb unterlegten Aufdruck „Die Buchausgabe des Romans BEKENNTNISSE DES HOCHSTAPLERS FELIX KRULL ist erschienen im S. Fischer Verlag“. Die Grafische Gestaltung ist angelehnt an die des Schutzumschlages der Erstausgabe. (Quelle: Privatbesitz des Originals)
  • Die „Musterungsszene“ ist zu hören auf der 1966 in der DDR erschienenen LP Litera 8 60 001 „Thomas Mann - Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull. Musterungsszene, gelesen von Thomas Mann“
  • Es existiert außerdem eine weitere LP (Aritola-Athena) dieser Szene vom Fischer Verlag mit der Aufschrift: Thomas Mann liest die Musterungsszene aus seinem Roman „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“, Katalog-Nr. 70 066
  • Es existieren Tonaufnahmen von Thomas Mann, der aus Felix Krull liest. Die verschmitzte Freude des Autors während der Lesung ist noch den alten Tonaufnahmen deutlich anzumerken: ISBN 3-89940-263-4
  • Das Gespräch mit Professor Kuckuck existiert als LP von der Deutschen Grammophon Gesellschaft in der Reihe Wort Resonance (Aufnahme: S. Fischer Verlag). Überschrift: „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull - Gespräch zwischen Krull und Professor Kuckuck, gelesen vom Autor“, vermutlich aus 1957 (P-Jahr). (Quelle: Privatbesitz des Originals). Katalog-Nr. 2571 127 (Ausgabe als MC: 3321 127)

Diese LP wird auf dem Schutzumschlag der Auflage 21.-42. Tausend, S. Fischer / Frankfurt 1954 erläutert: Als Überraschung an die Leser erscheine gleichzeitig mit dem Buch eine LP. Diese - 50 Min. Spieldauer - „wurde nach einer Aufnahme des Nordwestdeutschen Rundfunks, Hamburg, von der Deutschen Grammophon-Gesellschaft hergestellt. In künstlerisch ausgestatteter Schutzhülle“. Weiter heißt es: An die Stelle der objektiven Buchseite trete hier die lebendige Wärme der Stimme des Dichters und seiner Persönlichkeit. (Quelle: Schutzumschlag des Buches)

  • 2008: Hörspiel-Vertonung von Sven Stricker für den NDR. Als CD-Auflage im Februar 2009 beim Hörverlag erschienen (ISBN 978-3-86717-238-7).

Siehe auch

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Am 10. September 1954 an Peter Baltzer.
  2. S.8
  3. S.11
  4. S.7
  5. Thomas Mann Anfang März 1896 an Otto Grauthoff
  6. S.35
  7. S.33f.
  8. S.36
  9. S.10
  10. S.37
  11. vgl. S.37-47
  12. S.50
  13. S.59
  14. S.124
  15. vgl.S.54ff.
  16. S.90-112
  17. S.95
  18. S.203
  19. S.216
  20. S.219
  21. S.219
  22. S.219f.
  23. Tagebuch, 4. April 1954
  24. S.220
  25. S.225
  26. S.269
  27. das war wenig vorher der vom Stierkampf hingerissenen Maria Pia entfahren, die Äußerung erinnert aber auch an Felix’ Zeit mit Rozsa
  28. S.399
  29. vgl. [1]
  30. S.10
  31. S.19
  32. Mann, Thomas: Die Begegnung. Olten: Vereinigung Oltener Bücherfreunde 1953, S.14
  33. bzw. Geist, Vorstellung, abstraktives Denken
  34. vgl. Aphorismus 260 seiner Schrift „Jenseits von Gut und Böse“ (1883)
  35. S. 121
  36. Hier ironisiert Thomas Mann den Begriff „Liebe“
  37. Werther wird nachts außerhalb des Friedhofs mehr verscharrt als begraben. Auch Engelbert Krull hätte auf eine Weise begraben werden können, die signalisiert: „Hier liegt ein Selbstmörder!“
  38. beschrieben auf S. 198-204
  39. Mann, Thomas: Die Begegnung. Olten: Vereinugung Oltener Bücherfreunde 1953, S. 12
  40. Mann, Thomas: Die Begegnung. Olten: Vereinugung Oltener Bücherfreunde 1953, S. 13
  41. Koopmann, Helmut: Thomas Mann Handbuch. Stuttgart: A. Kröner 2001, S.516

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