- Neil J. Smelser
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Neil J. Smelser (* 1930 in Kahoka, Missouri) ist ein US-amerikanischer Soziologe.
Er erreichte 1952 die Hochschulreife am Harvard College. Anschließend studierte er Philosophie, Politik und Wirtschaft an der Oxford University. Von 1954 bis 1958 war er an der Harvard University immatrikuliert und erreichte 1958 seinen Doktorgrad in Philosophie. Mit 24 Jahren wurde er bereits Co-Autor von Talcott Parsons und schrieb mit ihm zusammen das Buch "Economy and Society".
Von 1962 bis 1994 war er Professor für Soziologie an der University of California, Berkeley. In Laufe seines Lebens war er unter anderem Direktor des „Center for Advanced Study in the Behavioral Sciences“, Editor der „American Sociological Review“, Mitglied der „National Academy of Sciences“ und der „American Philosophical Society“. Weiterhin ist er Träger verschiedene Akademischer Auszeichnungen.
Inhaltsverzeichnis
Forschungsinteressen
Die Forschungsinteressen Smelsers liegen in den Bereichen sozialer Wandel, Psychoanalyse, Wirtschaftssoziologie, kollektives Verhalten und soziologische Theorien. In seinen Untersuchungen verbindet er Aspekte des Strukturfunktionalismus mit der besonderen Berücksichtigung wirtschaftlicher Faktoren und Handlungsbereiche. Grundlage für seine Forschung ist der Ansatz von Parsons, den er aber erweitert und ausbaut.
In Social Change in the Industrial Revolution: An Application of Theory to the British Cotton Industry analysiert er ein Modell sozialen Wandels. Die empirische Grundlage ist die Industrielle Revolution in England zwischen 1770 und 1840. Er analysiert die strukturellen Veränderungen von Betriebs- und Familienformen, die im Verlauf der Industrialisierung in England erfolgt sind, insbesondere das Wachstum der Baumwollindustrie und die damit einhergehende Veränderung der Familienstruktur in der Arbeiterklasse.
Sozialer Wandel nach Smelser
Smelser entwickelt eine Art Zuwachs-Modell, dass Wirkungen kumuliert und historische Ereignisse kausal miteinander verknüpft. In diesem Modell kann die nächste Stufe erst erreicht werden, wenn die vorhergehende durchlaufen wurde. Das bedeutet, dass der Durchlauf einer Stufe die jeweilige notwendige Bedingung für die nachfolgende Stufe ist. Deshalb spricht Smelser auch von einem „value added process.“ Das Model für den sozialen Wandel besteht folglich aus sieben Stufen und es dient zur Analyse des Prozesses des sozialen Wandels. Als Generator für sozialen Wandel sieht Smelser soziale Konflikte.
Die erste Stufe beginnt, wenn Mitglieder des Systems unzufrieden sind mit Aspekten des Systems. Diese Unzufriedenheit kann sich auf die Rollenverteilung in der Familie und Gesellschaft, auf die Verwendung von Ressourcen und anderem beziehen. Die direkte Reaktion auf diese Unzufriedenheit sind Ängste und Aggressionen. Die aufgestauten Spannungen entladen sich in Konflikten und Unruhen (zweite Stufe). In der dritten Stufe versucht man mittels Mechanismen sozialer Kontrolle die Unruhen und Störungen zu beseitigen bzw. zu lösen. Gelingt der Spannungsausgleich nicht, tritt die vierte Stufe in Kraft. Smelser geht davon aus, dass in der modernen Industrialisierungsphase dieser Ausgleich nicht gelingt. In der vierten Stufe werden neue soziale Problemlösungen entwickelt und ausprobiert. Diese Lösungsansätze werden in der fünften Stufen spezifiziert, in der sechsten Phase erlangen sie Verbindlichkeit und in der siebten Stufe werden diese Lösungen als erfolgreich institutionalisiert und routinisiert anerkannt.
Es entstehen neue soziale Einheiten, wenn alle Stufen erfolgreich durchlaufen worden, die nach weiteren Prozessen im sozialen System gefestigt sind. Die neu entstandene Gesellschaft ist wesentlich differenzierter und neue Funktionen sind effektiver.
Beispiel: vorindustrielle Familie
Die empirische Erfüllung des Modells erfolgt durch die Analyse der Differenzierung von Familienrollen in der englischen Industrialisierung. Smelser geht davon aus, dass die vorindustrielle Familie mehrere Funktionen ausübt. Sie ist Produktionsstätte und sichert dabei ihre Existenz in Heimarbeit. Die Arbeitsmotivation, die der Sicherung der Familie als ökonomische Einheit dient, wird in innerfamiliären Sozialisationsprozessen der Kinder gesichert. Diese Doppelfunktion spiegelt eine bestimmte Rollenverteilung in der Familie wider.
Die im Haus übliche Rollenverteilung gerät durch Änderung der externen Produktionsbedingungen unter Anpassungszwang. Die Einführung neuer Produktionstechniken im Bereich Spinn- und Webmaschinen bedingt die Notwendigkeit Produktionen in Fabriken umzusiedeln. Die arbeitsnotwendigen Fertigkeiten werden durch die neue Technik reduziert. Das hat zur Folge, dass Frauen und Kinder ebenso leicht auf dem Arbeitsmarkt rekrutierbar sind wie Männer. Die langfristigen Erfahrungen des ehemaligen Hauptverdieners werden nutzlos. Damit löst sich das Fundament der Vaterrolle als Familienernährer auf. Weiterhin wird die Erziehungsrolle durch die Einführung von Schulerziehung aus dem Familienverband ausgelagert.
Spannungen und Konflikte ergeben sich durch die neue Rollenverteilung und den traditionellen kulturellen Wertevorstellungen. Die Trennung von Familie und Arbeit und das Abgleiten vieler Familien in ärmliche Verhältnisse steht im Widerspruch zu den bis dato geltenden kulturellen Wertesystem. Dieses Ungleichgewicht führt zu Streiks und Konflikten (1. - 2. Stufe). Polizeimaßnahmen und Versammlungsverbote als soziale Kontroll- und Eindämmungsmaßnahmen werden eingeleitet und repräsentieren die 3. Stufe. Auf der vierten bis siebten Stufe beginnt die Erfindung, Ausarbeitung und institutionelle Routinisierung einer neuen ausgeglichenen Rollenverteilung, die die Spannungen entlädt.
Smelser interpretiert seine Beobachtungen als strukturelle Differenzierung von Einheiten, durch den ein höherer gesellschaftlicher Komplexitätsgrad erreicht wird. Dabei verändert sich die Rollenstruktur, dass Funktionen am Ende mehrere Einheiten wesentlichen effizienter in der Aufgabenerfüllung sind.
Literatur
- Neil J. Smelser: Social Change in the Industrial Revolution. London 1959
- H. Nokielski: Einführung in die Soziologie. Universität Duisburg-Essen, 2004
- Gabler Wirtschafts-Lexikon. Wiesbaden 2001
Weblinks
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