Oberländischer Kanal

Oberländischer Kanal
Verlauf des Oberländischen Kanals

Der Oberländische Kanal, auch Oberlandkanal oder Kanal Elbing-Osterode (polnisch Kanał Elbląski) genannt, befindet sich in der polnischen Woiwodschaft Ermland-Masuren. Er wurde von 1844 bis 1860 unter der Leitung des königlich preußischen Baurats Georg Steenke aus Königsberg (Preußen) erbaut. Mitarbeiter beim Bau des Oberländischen Kanals waren die Ingenieure Severin und Carl Lentze, der hauptsächlich als Konstrukteur der Weichselbrücke in Dirschau bekannt wurde und später beim Bau des Sueskanals mitwirkte.[1]

Der Oberländische Kanal verbindet mehrere Seen wie den Geserichsee und Städte in Ostpreußen von Iława (deutsch: Deutsch Eylau) über Ostróda (Osterode) bis Elbląg (Elbing) zum Frischen Haff. Als Besonderheit und heutige Touristenattraktion gelten die fünf Rollberge („Geneigte Ebenen“), auf denen die Schiffe zur Bewältigung des Höhenunterschieds von 99 Metern mithilfe eines hydraulischen Antriebs auf Schienenwagen über Land transportiert werden und die seit der Fertigstellung des Kanals funktionsfähig sind. Die Länge des Kanals beträgt 129,8 km bis Iława, wobei der Abschnitt Elbląg – Ostróda, mit dem der Kanal meist identifiziert wird, 82 km beträgt.[2]

Das Kanalsystem gilt als technisches Denkmal und steht unter Denkmalschutz.[3]

Inhaltsverzeichnis

Baugeschichte

Bereits 1789 entstand ein Plan, das ostpreußische Oberland wegen seines reichen Holzvorkommens auf einer kürzeren Schiffsroute mit der Ostseeküste zu verbinden, da der Holztransport auf dem Schiffweg über die Drewenz nach Thorn, über die Weichsel, die Nogat und den Kraffohlkanal zum Frischen Haff mehr als 6 Monate dauerte und unrentabel war. 1803 stellte der Landesbaurat Eytwelin das Projekt eines Kanals mit der Umgehung von Thorn vor, dessen Bau jedoch nicht realisiert wurde.[4] 1825 wurde das Projekt erneut aufgegriffen, und das preußische Landesparlament beschloss endgültig den Bau eines Kanals. Zunächst war der Ingenieur Severin aus Marienwerder als Bauleiter vorgesehen, der aber bereits in der Planungsphase scheiterte.[4]

Denkmal für Georg Steenke am Oberländischen Kanal, Inschrift: „Dem Erbauer des Oberländischen Canals und der geneigten Ebenen, dem königl. Baurath Steenke, zum fünfzigjährigen Dienstjubiläum, dem 15. Juli 1872, in dauernder Anerkennung. Die dankbaren Landwirthe“

1836 begann die konkrete Planung durch Georg Steenke, unter dessen Leitung bereits 1833 der Seckenburger Kanal in der Memelniederung erbaut worden war. Steenke legte zunächst den Kanalweg fest und erwog erste hydrotechnische Lösungen. In den Bereich der Legende gehört jedoch, dass er dem preußischen König (Friedrich III.) schon in diesem Jahr vorschlug, zur Überbrückung des Höhenunterschiedes von fast 100 m auf der 9 km langen Kanalstrecke von Buchwalde (Buczyniec) nach Kussfeld (Całuny) eine „Schifffahrt über Berge“ mit geneigten Ebenen einzurichten.[5] Stattdessen hatte Steenke zunächst 20 Kammerschleusen vorgesehen, was jedoch zu kostspielig war und eine effektivere Lösung erforderte.[6] Aus diesem Grund unternahm er verschiedene Reisen, darunter nach Belgien, Holland und Bayern, um die neuesten hydrotechnischen Anlagen zu begutachten.

Nach dem Baubeginn wurden in der Zeit von 1844 bis 1850 bereits fünf Kammerschleusen südlich vom Drausensee fertiggestellt. 1850 machte Steenke eine Reise in die USA, um die hydrotechnischen Anlagen auf dem Morriskanal in New Jersey zu inspizieren, wo außer Kammerschleusen 23 geneigte Ebenen mit Wagen, auf denen die Schiffe transportiert wurden, eingerichtet waren. Steenke hielt diese Lösung für zu wenig effektiv und konstruierte stattdessen mit seinen Mitarbeitern Severin und Lentze „Ebenen mit Gipfeln“, die die Kammerschleusen unnötig machten und eine technische Innovation bedeuteten.[6] Der Bau der vier geneigten Ebenen in Buchwalde, Kanthen, Schönfeld und Hirschfeld war 1860 abgeschlossen, sodass der Kanal am 31. August 1860 offiziell eingeweiht und befahren werden konnte, trotz des Widerstands von Steenke, der die bisherigen fünf Kammerschleusen im Bereich zwischen Kussfeld und dem Drausensee durch eine weitere geneigte Ebene ersetzen wollte.[7] Erst in der Zeit von 1874 bis 1881 entstand die fünfte geneigte Ebene in Kussfeld, die mit einer moderneren Wasserturbine angetrieben wurde.[8]

In der Zeit von 1921 bis 1931 erfolgte eine Modernisierung des Kanals, indem die Schleusen, Wehre und Sicherheitstore umgebaut wurden und die Holzkonstruktionen in den Schleusen durch Beton ersetzt wurden.[8]

Die geneigten Ebenen

Das Schiff Ostróda mit dem Transportwagen auf der Geneigten Ebene

Neben zwei herkömmlichen Abstiegsbauwerken mit Schleusen dienen auf einer Teilstrecke von 9,5 km fünf Geneigte Ebenen (Rollberge) zur Überwindung des Höhenunterschiedes von 99,5 m ü. NN auf 0,3 m ü. NN.[9] [10] Dabei werden die Schiffe auf einen Schienenwagen verladen und mittels einer Standseilbahn bzw. eines Schrägaufzuges zum nächsten Abschnitt des Kanals weiterbefördert. Der Antrieb erfolgt hydraulisch durch Wasserkraft, über Wasserräder, Drahtseile und, im Falle der später erbauten geneigten Ebene von Całony Nowe (Neu-Kussfeld), über eine elektrisch betriebene Wasserturbine.[11]

Daten der geneigten Ebenen

  • „Höhe“ bezeichnet die zu überwindende Höhendifferenz bis zum folgenden Kanalabschnitt
  • „Distanz“ bezeichnet den Kanalabschnitt bis zum Beginn der folgenden geneigten Ebene
Name Höhe Länge Distanz erbaut Besonderheit Abbildung
Buchwalde (Buczyniec) 21,5 m 550 m 2,1 km bis 1860
Oberländischer Kanal2.jpg
Kanthen (Kąty) 18,0 m 450 m 2,9 km bis 1860
Kąty, lodní výtah, horní část.JPG
Schönfeld (Oleśnica) 24,5 m 350 m 2,2 km bis 1860
Oleśnica, lodní výtah, pohled odspodu.JPG
Hirschfeld (Jelenie) 22,5 m 510 m 2,0 km bis 1860
Jelenie, lodní výtah, pohled zhora.JPG
Kussfeld (Całuny) 13,0 m 450 m entfällt 1874–1881 Turbinenantrieb
100 3934 wozek pochylnia caluny.jpg

Hydrotechnische Anlagen zur Betreibung der geneigten Ebenen

Wirtschaftliche Bedeutung des Kanals

Auslastung

Mit dem Bau des Oberländischen Kanals war ein schnellerer und rentablerer Transport der zum Export bestimmten landwirtschaftlichen Erzeugnisse des Oberlandes verbunden, wie Holz, Tierfelle und Langholzkiefern aus Taberbrück (Tabórz), die als Masten im Schiffbau gefragt waren.[12] Nach Inbetriebnahme des Kanals im Jahr 1860 passierten täglich etwa zwölf bis zwanzig Schiffe den Kanal. Steenke notierte 1862 in seinem Tagebuch, dass es an einem Tag sogar 57 Schiffe waren.[13] Seit dem Bau einer Eisenbahnlinie erfolgte ab 1893[14] ein allmählicher Rückgang in der Auslastung. Während 1913 noch Waren im Gewicht von 107.486 Tonnen über den Kanal transportiert wurden, waren es 1920 nur noch 69.481 Tonnen, 1925 34.951 Tonnen, während das Transportvolumen 1927 wieder auf 49.778 Tonnen anstieg.[13]

Tourismus

Der Kanal wurde schon bald nach der Inbetriebnahme wegen seiner technischen Besonderheiten und der idyllischen Landschaft ein Ausflugsziel. Bereits 1864, noch vor dem Bau der fünften geneigten Ebene, bereiste Bernhard Olbert aus heimatkundlichem Interesse den Kanal und publizierte eine Beschreibung seiner Reise.[13]

1901 beschrieb Robert Dorr in einem Reiseführer über die Region um Elbing die Anfänge der Touristik, wobei die Reisenden zunächst als Passagiere auf den Lastschiffen mitfuhren:

„ … Diese auf dem Kanal schwimmenden Dampfschiffe gehören der Firma A. Zedler. Es ist vorteilhaft, wenn man vorher genau nachfragt, und auch den Kapitän des auserwählten Schiffes bittet, dass er die nötigen Lebensmittel und Getränke für die Passagiere mitnimmt, denn die Schiffe dienen dem Transport von Waren. Später beginnen wir die Reise um 5 Uhr Morgens, beispielsweise mit dem Dampfschiff „Bertha“ fahrend, anfangs auf dem Elbingfluss und dann über den ganzen Drausensee. [ … ] Noch weiter geht das Fahrwasser in einen Kanal über, der an einer Seite einen Weg zum Schleppen besitzt, verlaufend auf dem Wall mit Weiden. Hinter den Wällen erstrecken sich weite Schilf- und Binsenflächen. Eine solche Landschaft reicht bis Kleppe,[15] wo die erste geneigte Ebene in Neu Kussfeld auftaucht. Dann kommen die nächsten geneigten Ebenen, von den Einheimischen „Berge auf Rädern“ genannt, in Hirschen, Schönfeld, Kanthen und Buchwalde.[16]

Erst 1912 begann die professionelle Touristik mit Ausflugsschiffen der Reederei Adolf Tetzlaff aus Osterode.[17] Während der Kanal anfangs vor allem für Schul- und Betriebsausflüge unter heimatkundlichem oder technischem Aspekt genutzt wurde, kamen immer mehr Individualreisende hinzu, sodass der touristische Anreiz durch den Bau von Gasthäusern und organisierte Reisen mit Ausflügen in die Umgebung gesteigert wurde. Das Touristikgeschäft erwies sich in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg als lukrativ, sodass die Flotte der Ausflugsschiffe erweitert wurde. Beispielsweise konnte die 1927 in Betrieb genommene MS. Konsul mit einer Länge von 30 m und einer Breite von 4,25 m 185 Personen aufnehmen und erreichte eine Spitzengeschwindigkeit von 25 km/h.[17] Bereits 1920 entstand ein Konkurrenzunternehmen, die Reederei Munter aus Saalfeld.[18]

Das Passagierschiff Cyranka an einer Anlegestelle unweit der geneigten Ebene in Buczyniec (Buchwalde)

Im Verlauf des Zweiten Weltkriegs wurde die Schifffahrt auf dem Kanal eingestellt, 1948 aber – auch auf Betreiben des Reeders Tetzlaff (1888-1952)[19] – wieder aufgenommen, nachdem eine Eisenbahnreparaturwerkstatt als Ersatz für das vernichtete Antriebsrad der geneigten Ebene in Buchwalde ein neues Antriebsrad hergestellt hatte.[20] Trotzdem wurde dem Tourismus auf dem Kanal in den Folgejahren nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Diese Situation änderte sich erst ab 1992, als die Stadt Ostróda den Betrieb des Kanals und den Schutz des Ökosystems in der Kanalumgebung übernahm .[21]

Heutzutage wird der Kanal wieder fahrplanmäßig von Ausflugsschiffen befahren, wobei insbesondere die geneigten Ebenen eine Touristenattraktion sind und jährlich von mehr als 30.000 Passagieren überquert werden (Stand um 1999)[22] mit seitdem zunehmender Tendenz. Der Betrieb wird im Winterhalbjahr ab Ende September bis zum 1. Mai eingestellt.

Literatur

  • Dariusz Barton (Ü: Wlodzimierz Mengel): Der Oberländische Kanal. MW, Sztutowo 2010, ISBN 978-83-88015-58-8
  • Tadeusz Peter (Ü: Maria Anielska-Kolpa): Der Oberlandkanal. AFW „Mazury“ Olsztyn, nach 1999, ohne Angabe des Erscheinungsjahrs, ISBN 978-83-89523-79-2

Weblinks

 Commons: Oberländischer Kanal – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Dariusz Barton: Der Oberländische Kanal, 2010, S. 4.
  2. Dariusz Barton: Der Oberländische Kanal, 2010, S. 21.
  3. Tadeusz Peter: Der Oberlandkanal. AFW „Mazury“ Olsztyn, S. 5, wörtliches Zitat: „ein Baudenkmal hydrographischer Kunst und steht unter konservatorischem Schutz“.
  4. a b Dariusz Barton: Der Oberländische Kanal, 2010, S. 8.
  5. Dariusz Barton: Der Oberländische Kanal, 2010, S. 9.
  6. a b Dariusz Barton: Der Oberländische Kanal, 2010, S. 10.
  7. Dariusz Barton: Der Oberländische Kanal, 2010, S.10–11.
  8. a b Dariusz Barton: Der Oberländische Kanal, 2010, S. 11.
  9. Tadeusz Peter: Der Oberlandkanal, ISBN 978-83-89523-79-2, Schema des Oberlandkanals, S. [49].
  10. Dariusz Barton: Der Oberländische Kanal. Sztutowo 2010, S. 24.
  11. Tadeusz Peter: Der Oberlandkanal. AFW „Mazury“ Olsztyn, S. 17.
  12. Tadeusz Peter: Der Oberlandkanal, ISBN 978-83-89523-79-2, S. 6.
  13. a b c Dariusz Barton: Der Oberländische Kanal, 2010, S. 12.
  14. Tadeusz Peter: Der Oberlandkanal, ISBN 978-83-89523-79-2, S. 17.
  15. Gasthof zwischen dem Drausensee und der ersten geneigten Ebene, siehe Dariusz Barton: Der Oberländische Kanal, 2010, S. 15.
  16. Vollständiges Zitat bei Dariusz Barton: Der Oberländische Kanal, 2010, S. 12–13.
  17. a b Dariusz Barton: Der Oberländische Kanal, 2010, S. 13.
  18. Tadeusz Peter: Der Oberlandkanal, ISBN 978-83-89523-79-2, S. 19.
  19. http://www.ostpreussen.net/index.php?seite_id=12&kreis=24&stadt=06&bericht=02
  20. Tadeusz Peter: Der Oberlandkanal, ISBN 978-83-89523-79-2, S. 27.
  21. Tadeusz Peter: Der Oberlandkanal, ISBN 978-83-89523-79-2, S. 28–29.
  22. Siehe Tadeusz Peter: Der Oberlandkanal, ISBN 978-83-89523-79-2, S. 29.
54.02444444444419.597777777778

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