Offene Vermögensfragen

Offene Vermögensfragen

Als „offene Vermögensfrage“ bezeichnete man zunächst die zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) ungelöste Frage, wie die Enteignungen in der DDR zu behandeln sind, soweit Vermögen von Staatsangehörigen der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist.

Im Zuge der Deutschen Wiedervereinigung hat die DDR mit dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen eine Regelung getroffen, die in der Regel eine Rückübertragung des enteigneten Vermögens vorsah. In Fällen, in denen eine Rückübertragung nicht möglich ist, sieht das Gesetz eine Entschädigungsregelung vor.

Inhaltsverzeichnis

Enteignungen in der DDR

Entsprechend der sozialistischen Staatsidee wurde in Ostdeutschland während der sowjetischen Besatzungszeit und nach Gründung der DDR Privateigentum zielgerichtet in Volkseigentum überführt, also enteignet. Während Bürgern der DDR hierfür eine Entschädigung zustand, erfolgte die Enteignung vom Vermögenswerten der Bundesbürger entschädigungslos bzw. gegen geringere Entschädigung, als sie DDR-Bürgern üblicherweise zustand. Weiterhin wurde DDR-Grundbesitz von Eigentümern aus der Bundesrepublik Deutschland zielgerichtet durch staatliche Maßnahmen überschuldet, um sie entschädigungslos in Volkseigentum überführen zu können.

Diese Enteignungen geschahen entgegen landläufiger Meinung nicht willkürlich, sondern auf DDR-gesetzlicher Grundlage, insbesondere der „Verordnung zur Sicherung von Vermögenswerten“ vom 17. Juli 1952, der „Anordnung Nr. 2 vom 20. August 1958 über die Behandlung des Vermögens von Personen, die die Deutsche Demokratische Republik nach dem 10. Juni 1953 verlassen" sowie der „Verordnung vom 6. September 1951 über die Verwaltung und den Schutz ausländischen Eigentums in der Deutschen Demokratischen Republik". Wurde zunächst entschädigungslos enteignet (nach DDR-Verständnis „in den Schutz des Volkseigentums überführt“), setzte die DDR ab 11. Juni 1953 nur noch staatliche Verwalter ein, die teilweise möglichst rasch für eine Überführung in Volkseigentum sorgten („Verordnung vom 11. Dezember 1968 über die Rechte und Pflichten des Verwalters des Vermögens von Eigentümern, die die Deutsche Demokratische Republik ungesetzlich verlassen haben“). Die Anordnung der staatlichen Verwaltung bewirkte, dass das Eigentum formal bestehen blieb, die Befugnisse aus dem Eigentum einschließlich der Einziehung von Erträgen jedoch vom staatlichen Verwalter wahrgenommen wurden (Einnahmen wurden meist an den Staatshaushalt der DDR abgeführt). Teilweise bestanden diese staatlichen Verwaltungen zum Ende der DDR noch. Der Grundsatz "Rückgabe vor Entschädigung" wurde damit begründet, dieser sei zur Gleichbehandlung der bereits Enteigneten mit den noch von staatlicher Verwaltung Betroffenen notwendig, weil Letztere mit der Aufhebung der staatlichen Verwaltung ihr Eigentum zurück erhielten.

Entstehung des Begriffs „offene Vermögensfragen“

Anfang der 1970er Jahre war die DDR besonders um diplomatische Anerkennung bemüht, was 1972 im besonderen Verhältnis der DDR zur BR Deutschland zum „Vertrag über die Grundlagen der Beziehungen zwischen der Deutschen Demokratischen Republik und der Bundesrepublik Deutschland (Grundlagenvertrag)“ führte. Die Behandlung des enteigneten Vermögens wurde damals nicht geregelt. Der Verhandlungsführer der DDR, Dr. Michael Kohl, hielt in einem einseitigen "Protokollvermerk zum Vertrag" vom 21. Dezember 1972 fest: "Wegen der unterschiedlichen Rechtspositionen zu Vermögensfragen konnten diese durch den Vertrag nicht geregelt werden." (GBl. DDR 1973 II Nr. 5, S. 27)

In der Folgezeit hat die DDR mit anderen Staaten vertragliche Vereinbarungen über die vermögensrechtlichen Fragen getroffen (Republik Finnland: Abkommen vom 3. Oktober 1984; Königreich Schweden: Abkommen vom 24. Oktober 1986[1]; Republik Österreich: Vertrag vom 21. August 1987; Königreich Dänemark: Abkommen vom 3. Oktober 1987). Diese Abkommen sahen pauschale Abfindungen der DDR an die jeweiligen Vertragspartnerstaaten vor. Die Vertragspartnerstaaten verteilten die Abfindungen in eigener Verantwortung an die enteignungsbetroffenen Bürger.

Zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland kam jedoch ein solches Abkommen zunächst nicht zustande. Erst im Zuge der Wiedervereinigung einigten sich die beiden deutschen Staaten grundsätzlich über die Behandlung offener Vermögensfragen (Gemeinsame Erklärung der Regierungen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990). Im Gegensatz zu den Entschädigungsregelungen mit anderen Staaten vereinbarten die beiden deutschen Staaten eine grundsätzliche Rückübertragung des enteigneten Vermögens. Die Siegermächte des zweiten Weltkriegs stimmten am 12. September 1990 in den „Zwei-plus-Vier-Gesprächen“ zu.

Regelung der offenen Vermögensfragen

Aufgrund dieser gemeinsamen Erklärung erließ die DDR zunächst die „Verordnung über die Anmeldung vermögensrechtlicher Ansprüche“ vom 11. Juli 1990. Diese Verordnung klärte den Anwendungsbereich sowie Form und Frist der Anmeldungen und blockierte den Grundstücksverkehr in der DDR, soweit anmeldebelastete Grundstücke betroffen waren.

Am 23. September 1990 erließ die Volkskammer der DDR das Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen – Vermögensgesetz – (VermG).

Wegen des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik Deutschland am 3. Oktober 1990 wurde dieses Gesetz jedoch durch die DDR nicht ausgeführt.

Beide Regelungen sind mit dem Einigungsvertrag vom 31. August 1990 als Bundesrecht übernommen worden und mehrfach novelliert worden.

Weitere Regelungen waren in dem Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen definiert.[2]

Regelungsinhalte (Grundzüge)

Zweck des Vermögensgesetzes ist im Wesentlichen, die spezifischen Vermögensnachteile in der DDR auszugleichen, die Bürger der Bundesrepublik Deutschland und Ausländer hinnehmen mussten. Enteignungen, von denen DDR-Bürger und Bürger der Bundesrepublik Deutschland gleichermaßen betroffen waren, werden durch dieses Gesetz nicht geregelt.

Nach dem Vermögensgesetz sind Vermögenswerte grundsätzlich zurückzuübertragen, wenn sie entschädigungslos enteignet wurden oder die Enteignung gegen eine geringere Entschädigung erfolgte, als sie DDR-Bürgern normalerweise zustand.

Als weitere Rückübertragungstatbestände wurden bestimmte Fälle des wirtschaftlichen Zwangs (zum Beispiel bei Alteigentümern von Mietshäusern, die wegen der nur geringen Mieten in der DDR die Unterhaltungskosten nicht mehr tragen konnten) und der Eigentumsverlust auf Grund unlauterer Machenschaften, zum Beispiel durch Machtmissbrauch, Korruption, Nötigung oder Täuschung seitens des Erwerbers, staatlicher Stellen oder Dritter (klassisches Beispiel: Zwangsverkauf bei Ausreise) in das Gesetz aufgenommen.

Weil in der DDR – im Gegensatz zur Bundesrepublik bzw. den westlichen Besatzungszonen – entsprechende Regelungen fehlten, dehnt das Gesetz den Anwendungsbereich auf die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft aus.

Ist eine Rückübertragung nicht möglich, weil beispielsweise zwischenzeitlich Privatpersonen in „redlicher Weise“ das Eigentum an dem Vermögensgegenstand erworben haben, sieht das Gesetz eine Entschädigung aus dem Entschädigungsfonds vor.

Ausdrücklich nicht geregelt werden in dem Gesetz die Enteignungen auf besatzungsrechtlicher Grundlage (Befehle der sowjetischen Militäradministration (SMAD) 1945 bis 1948). Als besatzungsrechtliche Grundlage werden auch die Verordnungen der damaligen Länder bzw. Provinzen der sowjetischen Besatzungszone angesehen, insbesondere die Bodenreform in Deutschland. Die Bundesregierung gab als Begründung Vorbehalte der Siegermächte des 2. Weltkriegs an. Als Ausgleich für diese Enteignungen hat die Bundesrepublik Deutschland eine Entschädigungsregelung getroffen.

Wird ein Vermögensgegenstand zurückübertragen, sind Leistungen aus dem Lastenausgleich zurückzuzahlen.

Siehe auch

Literatur

Zwischenstaatliche Verträge
Gesetzestexte und Verwaltungsanweisungen
  • Gerhard Fieberg (Herausgeber), Harald Reichenbach (Herausgeber): Enteignung und offene Vermögensfragen in der ehemaligen DDR, Band I und II, Verlag: RWS Kommunikationsforum Recht, Wirtschaft, Steuern, ISBN 3-814-51856-X (ausführliche Zusammenstellung von Gesetzestexten einschl. Enteignungsvorschriften der DDR und der sowjetischen Besatzungszone)
  • Rudi Scholz (Bearbeiter), Walter Werling (Bearbeiter), Behandlung des in der ehemaligen DDR belegenen Grundbesitzes von Berechtigten außerhalb dieses Gebietes, Schriftenreihe des Bundesamts zur Regelung offener Vermögensfragen Heft 1 (als Manuskript gedruckt, kann über das Bundesamt bzw. die nachgeordneten Ämter eingesehen werden; ausführliche Zusammenstellung von Verwaltungsanweisungen und Richtlinien der DDR zur Überführung von Vermögensgegenständen in Volkseigentum, insbesondere zur diskriminierenden Behandlung von Eigentümern außerhalb der DDR )
Juristische Kommentare (Auswahl)
  • Vermögensgesetz ( VermG). Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen (Ringeinband)

von Gerhard Fieberg (Herausgeber), Harald Reichenbach (Herausgeber), Burkhard Messerschmidt (Herausgeber), Verlag: C.H.Beck (April 2000), ISBN 3-406-50007-2, ISBN 978-3-40650-007-7

Allgemeine Literatur
  • [1] (PDF-Datei) Erläuterungen der Bundesregierung zu den Anlagen zum Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung der Einheit Deutschlands vom 31. August 1990, hier: Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen, Bundestagsdrucksache 11/7831 vom 12. September 1990 (1,18 MB)
  • [2] (PDF-Datei) Franz Bardenhewer, Das Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen, Überblick und Zwischenbilanz, in: Vermessung Brandenburg Heft 2/97 (84 kB)
  • [3] Prof. Dr. Jutta Limbach: Rechtliche Aspekte der deutschen Wiedervereinigung, 1999. Text: Seoul 1999, ISBN 89-87509-54-0, Electronic ed.: Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung Library, 1999
  • Dahn, Daniela: Wir bleiben hier oder wem gehört der Osten : vom Kampf um Häuser und Wohnungen in den neuen Bundesländern. Reinbek bei Hamburg, 2003, ISBN 3-499-13423-3

Weblinks

Einzelnachweise

  1. abgedruckt in: Rädler/Raupach/Bezzenberger (Hrsg.): Vermögen in der ehemaligen DDR, Herne/Berlin 1991, ISBN 3-927935-50-6, Teil 5 B IX.; Fieberg/Reichenbach, Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen, München, ISBN 3-406-35950-7, Anh II 5.
  2. Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen vom 23. September 1990

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