Oldenburger Baby

Oldenburger Baby

Als Oldenburger Baby wurde Tim, ein Kind mit Down-Syndrom (Trisomie 21) bekannt. Am 6. Juli 1997 wurde die Schwangerschaft der Mutter in der Städtischen Frauenklinik Oldenburg in der 25. Schwangerschaftswoche abgebrochen, indem die Geburt eingeleitet wurde. Der Fetus überlebte jedoch seine Geburt, obwohl er erst mehrere Stunden nach der unerwarteten Lebendgeburt medizinisch versorgt wurde. Er wurde zu einem Symbol in der Debatte um späte Schwangerschaftsabbrüche und ihre rechtlichen und ethischen Konsequenzen.

Ausgangssituation

Die zum Zeitpunkt der Diagnosemitteilung 35 Jahre alte Mutter hatte zuvor für den Fall einer Verweigerung des Eingriffs mit Suizid gedroht. Aufgrund der Regelungen zur medizinischen Indikation wurde daher von einem ärztlichen Gutachter eine Gefahr für das Leben oder die körperliche und seelische Gesundheit der Mutter festgestellt, welche eine zeitlich unbefristete Abtreibung erlaubt. Dieses Recht wurde von der Mutter wahrgenommen.

1997 war es noch nicht üblich, Föten, die an der Grenze zur Lebensfähigkeit oder darüber hinaus abgetrieben werden sollten, durch eine Kaliumchlorid-Injektion vor der Geburtseinleitung präventiv zu töten. Es wurde davon ausgegangen, dass die Föten die Geburt nicht überleben würden. Tim jedoch kam nach der Geburtseinleitung mit Prostaglandin unter der Aufsicht eines Assistenzarztes der gynäkologisch-geburtshilflichen Abteilung mit einem Gewicht von 690 g bei einer Größe von 32 cm lebend zur Welt.

Da das Ziel des Eingriffs der Tod des Fötus war, wurde das Frühgeborene rund zehn Stunden (Quelle: Focus) nicht medizinisch versorgt. Erst als deutlich wurde, dass der Junge nicht sterben würde, bekam er ärztliche Hilfe. Zu diesem Zeitpunkt soll seine Körpertemperatur bereits auf 28° C gesunken gewesen sein.

Folgen

Da die leiblichen Eltern den Jungen nicht annahmen, blieb der Junge bis März 1998 in der Obhut der Oldenburger Kinderklinik und wurde dann vom Jugendamt als Pflegekind in eine Familie im Landkreis Cloppenburg vermittelt.

Tim ist im Gegensatz zu der Mehrheit reif geborener Kinder mit Down-Syndrom schwerstbehindert, was auf den Schwangerschaftsabbruch und die fehlende medizinische Versorgung nach der Frühgeburt zurückgeführt wird. Insbesondere sein Gehirn, seine Augen und die Lungen wurden schwer geschädigt. Mehrere Operationen waren nötig, und der Junge entwickelte autistische Züge.

Nach einer zweiwöchigen Delfintherapie im Jahr 2003 zeigte er deutliche Fortschritte im motorischen Bereich, Verbesserungen bei der Nahrungsaufnahme und der Nutzung der Lautsprache. Seit 2004 besucht Tim eine Förderschule mit dem Schwerpunkt geistige Entwicklung.

Die leiblichen Eltern des Kindes reichten Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen die Geburtsklinik und den behandelnden Arzt ein und gaben an, nicht über die Möglichkeit informiert worden zu sein, dass das Kind den Schwangerschaftsabbruch in diesem Stadium der Schwangerschaft überleben könnte. Seitens der Klinik wurde dieser Vorwurf bestritten. Der Bundestagsabgeordnete Hubert Hüppe (CDU) erstattete Strafanzeige mit der Begründung, dass zu prüfen sei, ob überhaupt eine Indikation für den Abbruch vorgelegen habe, und wies unabhängig davon auf die ärztliche Behandlungspflicht hin, die in diesem Fall mehrere Stunden unterblieben sei, was u. a. gegen Artikel 3 des Grundgesetzes verstoßen habe („Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“).

Der Assistenzarzt, der den Abbruch der Schwangerschaft vorgenommen hatte und das Kind nicht medizinisch versorgen ließ, sollte zunächst wegen Körperverletzung angezeigt werden, allerdings wurde insoweit nie Anklage erhoben und die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen im Hinblick auf eine Körperverletzung eingestellt. Der Arzt wurde jedoch wegen unterlassener Hilfeleistung zu einer Geldstrafe von 13.000 Euro verurteilt.

Die leibliche Mutter von Tim begab sich nach der gescheiterten Abtreibung in psychotherapeutische Behandlung, schließlich nahm sie sich sechs Jahre nach der Geburt des Kindes im Alter von 41 Jahren das Leben. Der leibliche Vater hat formell nach wie vor bestimmte Sorgerechte inne, die er nicht ausübt.

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