Aserbaidschanische Literatur

Aserbaidschanische Literatur

Der Begriff aserbaidschanische Literatur umfasst alle literarischen Werke, die in verschiedenen Perioden in unterschiedlichen Sprachen (Aserbaidschanisch, Persisch, Arabisch, Türkisch, Russisch usw.) vom aserbaidschanischen Volk geschaffen wurden.

Die aserbaidschanische Literatur spiegelt die Besonderheiten der Zeitalter wider, die die vielfältige Geschichte des aserbaidschanischen Volkes über Jahrhunderte geprägt haben. Sie zeigt das Denken und Sehnen des Volkes, seinen Kampf und sein geistiges Wachstum. Die Literatur, besonders die Aufklärungsliteratur, spielte bei der Entstehung der nationalen Identität des aserbaidschanischen Volkes eine bedeutende Rolle.

Inhaltsverzeichnis

Mittelalter

Schriftliche Zeugnisse der aserbaidschanischen Literatur der frühesten Periode sind nicht erhalten. Aber es ist nachgewiesen, dass bereits im fünften Jahrhundert unserer Zeitrechnung im alten Kaukasischen Albanien (Albania), dem nord-östlichen Teil Aserbaidschans, ein Alphabet existierte, unter dessen Verwendung literarische Werke verfasst wurden. Das Epos «Kitab-i Dede Korkud», das im 7. Jahrhundert in aserbaidschanischer Sprache verfasst wurde, ist eine der Kultur- und Geschichtsquellen des aserbaidschanischen Volkes. In 12 Sagen wird in diesem Epos der Kampf der Oghusen, der Vorfahren der Aserbaidschaner, für Freiheit und Unabhängigkeit beschrieben. Das Original dieser Sagen wird heute in den Museen im Vatikan und in Dresden aufbewahrt.

Vom 10. bis 11. Jahrhundert n. Chr. schufen die Dichter Chätib Täbrisi (1030-1108), Gätran Täbrisi (1010-1080) und der Philosoph Bähmänjar (gestorben 1066) eine Reihe von Werken.

Im 12. Jahrhundert, während der muslimischen Renaissance, schufen Dichter wie Äbül-Ula Gändschäwi und Fäläki Schirwani (1108-1146) ihre Werke, Äfsäläddin Chägani (1120-1199) protestierte in seinen Werken gegen die Unterjochung und den religiösen Fanatismus. Das Leitmotiv seiner Gedichte und seines bekanntesten philosophischen Werkes «Ruinen der Stadt Madain» ist der Protest gegen die Willkür. Die Dichterin Mahsati Ganjavi, deren Lyrik durch eine freigeistige Haltung gekennzeichnet ist, setzt die Motive von Omar Khayyām fort.

Einen Höhepunkt der aserbaidschanischen Poesie bildet im 12. Jahrhundert das Schaffen von Nizami Gəncəvi (1140-1209), einem der Großen der Weltliteratur. Der Feder von Nizami, der in der Stadt Gəncə geboren war und dort das ganze Leben verbracht hat, entstammen, außer den lyrischen Gedichten, „Chamse“ (Xəmsə) – die fünf Poeme „Schatz der Geheimnisse“, „Chosrow und Schirin“, „Lejli und Medschnun“, „Sieben Schöne“ und „Iskender-Namä“. In diesen Gedichtzyklen fanden die philosophischen, ästhetischen und ethischen Ansichten von Nizami Ausdruck. Dieser Dichter und Humanist war ein Vertreter der progressivsten Ideen seiner Epoche, er trat gegen Ungerechtigkeit auf. Die von ihm geschaffenen literarischen Gestalten (Schirin, Färhad, Lejli, Medschnun) gingen in die Weltliteratur ein. Auch der deutsche Klassiker Goethe schätzte sein Schaffen und Talent sehr hoch.

Im 14. Jahrhundert verbreitete sich die religiös-politische Bewegung des Hurufismus. Die Hurufisten waren der Meinung, dass die Buchstaben des arabischen Alphabets einen heiligen Charakter haben und die Lösung der Weltgeheimnisse bergen. Der Hurufismus war eine Art des Protests gegen damals vorherrschende religiös-radikale Dogmen. Der Hurufit, Dichter und Denker İmadəddin Nəsimi (geb. 1369 in Şamaxı) war der erste große aserbaidschanische Lyriker, der auf aserbaidschanisch philosophische Gedichte (Ghasele) schuf. Den Grundstein seines Schaffens bildete die Konzeption "Än äl Hägg" (Ich bin die Wahrheit), die erklärte, dass der Mensch durch die innere Bereicherung das göttliche Niveau erreichen kann. Er wurde 1417 in Aleppo (Syrien) von Verfolgern hingerichtet.

Neuzeit

Im 16. Jahrhundert begann der politische, wirtschaftliche und kulturelle Aufschwung in Aserbaidschan. Der Staatsmann Schah Ismail I. (1486-1524), der Gründer des Safawidenreiches, schuf unter dem Pseudonym Chätai (Chatāʾī) Werke in aserbaidschanischer Sprache („Diwan“, „Dähnamä“, „Nässihatnamä“). Er benutzte Motive der Volkspoesie, die seiner Lyrik eine charakteristische Schlichtheit verliehen. In dieser Periode tritt der andere bekannteste Vertreter der aserbaidschanischen Literatur, Muhammad Fuzūlī (1480-1556) auf. Seine von tiefen philosophischen Gedanken durchdrungenen lyrischen Gedichte und Ghasele in aserbaidschanischer, arabischer und persischer Sprache dienten als Muster für die lyrische Poesie. In seinem romantischen Poem „Lejli und Medschnun“ besang er die reine, erhabene Liebe. Mit dem Namen Füzuli ist die endgültige Formierung der aserbaidschanischen Literatursprache verbunden.

Im 17. Jahrhundert wurden die heroisch-romantischen Epen (Dastane) „Aschyg Gärib“, „Schah Ismail“ und „Koroghlu“ bearbeitet und geschrieben. Der Inhalt des letzteren hat historische Hintergründe. Der Sänger und Volksheld Koroghlu war Verteidiger der unterdrückten und Feind des Despotismus. Unter dem Einfluss des volkspoetischen Schaffens im 17. Jahrhundert wurde die klassische Poesie demokratisiert. Die Dichter Sahib Təbrizi (1601-1676) und Qövsi Təbrizi setzten die Traditionen von Füzuli fort und wurden von der Volkspoesie stark beeinflusst. Zwei große Dichter bestimmten die wichtigsten Strömungen der Lyrik des 18. Jahrhunderts: In der Lyrik von Vidadi (1709-1809) klingen stärker soziale Motive an, während die Poesie von Molla Pənah Vaqif (1717-1797) von Optimismus mit Blick auf die Zukunft des Volkes durchdrungen ist. Das Schaffen Vaqifs stellt eine wesentliche Etappe in der Entwicklung der aserbaidschanischen Poesie zum Realismus dar.

Aufklärungsliteratur

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verstärkte sich die aserbaidschanische Aufklärungsliteratur. Die ersten Aufklärer waren der Wissenschaftler und Dichter Abbasqulu ağa Bakıxanov (1796-1847), der Dichter Mirzə Şəfi Vazeh (1792-18S6) und İsmayıl bəy Qutqaşınlı (1806-1896). Sie brachten die neuen Genres (Novelle, alltägliches Poem) wie auch die Gestalt des «kleinen Mannes» in die Literatur ein. Die Gedichte von Vazeh waren auch im deutschen Sprachraum beliebt. Sie wurden von Friedrich von Bodenstedt ins Deutsche übersetzt und als „Lieder des Mirza-Schaffy“ in Deutschland herausgegeben.

Unter den Aufklärern nimmt Mirzə Fətəli Axundov (1812-1878), ein realistischer Schriftsteller und Philosoph und der Gründer der aserbaidschanischen Dramatik, eine bedeutende Stellung ein. In seinen Komödien werden die Vorurteile und die Rückständigkeit der Herrschenden kritisiert. Der Dramatiker schuf die bezaubernden Gestalten der ehrlichen Leute aus dem Volk, der aserbaidschanischen Frauen wie auch der progressiven Vertreter seiner Epoche, die auf soziale Verbesserungen drangen.

Einer der bedeutendsten Vertreter der satirischen Lyrik im 19. Jahrhundert war Qasım bəy Zakir (1784-1857), der die Korruptheit der zaristischen Beamten und die Grausamkeit der Gutsbesitzer brandmarkte. Diese Themen wurden in den Gedichten von Seyid Əzim Şirvani (1835-1888) weiterentwickelt.

1873 gründete der Dramatiker Nəcəf bəy Vəzirov (1854-1926) das erste dramatische Theater in Baku. In seinen Theaterstücken "Die Leiden von Fächräddin" und "Aus dem Regen in die Taufe" entwickelte Vəzirov die Aufklärungsideen von M.F.Axundov weiter. Die Dramen "Zerstörtes Nest" und "Junge ohne Schicksal" von Əbdürrəhim bəy Haqverdiyev (1870-1933) sowie "Die Toten" von Cəlil Məmmədquluzadə (1866-1932) zeigen die Haltlosigkeit der sich überlebenden Ordnungen, die Entstehung des neuen Menschen.

Die realistischen Erzählungen dieser Schriftsteller spielten eine große Rolle bei der Entwicklung der aserbaidschanischen Prosa. Das Organ, das energisch um den Sieg der demokratischen Ideen kämpfte, war die Zeitschrift "Molla Nəsrəddin", die von Cəlil Məmmədquluzadə Anfang 20. Jahrhunderts herausgegeben wurde. An dieser Zeitschrift arbeitete der satirische Dichter Mirzə Ələkbər Sabir mit. Farbenreiche Sprache, tiefgründiger Humor und ätzender Spott kennzeichnen Sabirs Werke. Die romantische Strömung in der aserbaidschanischen Literatur des 20. Jahrhunderts spiegelte sich im Schaffen von Hüseyn Cavid, Abbas Səhhət und Məhəmməd Hadi. Sie poetisierten den Traum von einer besseren Gesellschaftsordnung, die sich auf vernünftige Gesetze gründet.

Sowjetische Periode und Gegenwart

In der Sowjetära gab es viele Dichter mit hoher poetischer Begabung, zum Beispiel Cəfər Cabbarlı (1899–1934) oder Səməd Vurğun (1906–1956), aber die meisten literarischen Werke sind hoffnungslos verdrängt worden. Dank dem Ende der Stalin-Ära hatten die aserbaidschanischen Schriftsteller in den sechziger Jahren die Gelegenheit, sich von dem Schema des sozialistischen Realismus zu entfernen. In diesen Jahren schufen Əkrəm Əylisli, Sabir Əhmədov, İsmayıl Şıxlı, Xəlil Rza Ulutürk, Məmməd Araz, İlyas Əfəndiyev, Bəxtiyar Vahabzadə, Anar, Rüstəm İbrahimbəyov und andere ihre Werke, die sich von dem üblichen Rahmen lösten und die allgemein menschlichen, ethischen und ästhetischen Werte verkörperten.

Nach dem Zusammenbruch der UdSSR hat sich eine neue Ära in der aserbaidschanischen Literatur geöffnet. Die neu erworbene Literaturfreiheit erlaubte den Ausbau neuer Literaturrichtungen wie des freien Verses oder der realistischen Novellen. Bekannte Dichter und Schriftsteller der postsowjetischen Periode sind neben einigen der oben genannten auch Çingiz Abdullayev, Elçin Əfəndiyev, Kamal Abdulla, Afaq Məsud, Ramiz Rövşən, Elçin Hüseynbəyli, Sabiq Rüstəmxanlı, Vaqif Səmədoğlu, Vaqif Bayatlı usw.

Siehe auch

Aserbaidschanische Märchen

Literatur

Weblinks


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