Pflichtverletzung

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Die Pflichtverletzung ist nach dem in Deutschland seit dem 1. Januar 2002 geltenden neuen Schuldrecht der zentrale Begriff im Recht der Leistungsstörungen. Ein Schuldner begeht immer dann eine Pflichtverletzung, wenn er anders handelt als es ihm durch das Schuldverhältnis vorgeschrieben ist. Die Verletzung einer Pflicht aus einem Schuldverhältnis hat nach § 280 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) grundsätzlich zur Folge, dass der Gläubiger Schadensersatz verlangen kann. Die Schadensbeurteilung erfolgt gem. §§ 249 ff. BGB.

Pflichtverletzungen können beispielsweise innerhalb vertraglicher Schuldverhältnisse begangen werden. Im Rahmen eines Kaufvertrages ist der Verkäufer z. B. verpflichtet, die verkaufte Sache frei von Sach- und Rechtsmängeln zu übereignen (§ 433 Abs. 1 S. 2 BGB). Wenn der Verkäufer eine mangelhafte Sache liefert, verletzt er die genannte Pflicht.
Pflichten, bei deren Verletzung ein Schadensersatzanspruch nach § 280 Abs. 1 BGB entstehen kann, bestehen aber auch innerhalb gesetzlicher oder vertragsähnlicher Schuldverhältnisse. Beispiel: Person A hat eine Schaufensterscheibe von Person B beschädigt und schuldet deshalb aus unerlaubter Handlung (§ 823 Abs. 1 BGB) Schadensersatz. Wenn Person A den Schaden repariert und dabei die Schaufensterauslagen der Person B beschädigt, begeht Person A eine Pflichtverletzung innerhalb eines gesetzlichen Schuldverhältnisses und haftet nach § 280 Abs. 1 BGB.

Inhaltsverzeichnis

Begriffsgeschichte

Im Rahmen der Schuldrechtsmodernisierung wurde lange Zeit über den passenden Zentralbegriff des neuen Leistungsstörungsrechts diskutiert.[1] Innerhalb der Schuldrechtskommission des Bundesjustizministeriums wurden zunächst die Begriffe „Vertragsverletzung“, „Forderungsverletzung“ und „Nichterfüllung“ vorgeschlagen. Letztlich folgte die Kommission aber dem von Uwe Diederichsen vorgeschlagenen Begriff der Pflichtverletzung.
Gegen den Begriff „Vertragsverletzung“ sprach, dass auch gesetzliche Schuldverhältnisse, bei denen kein Vertrag existiert, umfasst werden sollten. Der Ausdruck „Forderungsverletzung“ hätte für solche Verhaltenspflichten Probleme bereitet, die mit keinem unmittelbaren Forderungsrecht korrespondieren, z. B. die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die sonstigen Rechtsgüter des Gläubigers. Der Begriff der „Nichterfüllung“ wurde ebenfalls für zu eng gehalten, da unter Nichterfüllung nur das teilweise oder vollständige Ausbleiben einer geschuldeten Leistung verstanden werde.[2]

Der doppelte Tatbestand der Pflichtverletzung

Der Begriff „Pflichten aus dem Schuldverhältnis“ in § 280 Abs. 1 BGB umfasst zwei Arten von Pflichten: Leistungs- und Schutzpflichten.

Eine Pflichtverletzung ist zunächst dann gegeben, wenn eine Leistungspflicht gar nicht oder schlecht erfüllt wird. Schuldet etwa jemand einer Bank die Rückzahlung eines Darlehens von € 200.000,- und zahlt nicht, dann begeht er eine Pflichtverletzung. Dasselbe gilt, wenn der Verkäufer eines PKW das verkaufte Fahrzeug nicht an den Käufer liefert.

Zum anderen ist es eine Pflichtverletzung, wenn der Schuldner seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechtsgüter des Gläubigers (§ 241 Abs. 2 BGB - Schutzpflichten) nicht erfüllt. Auch dazu ein Beispiel: Ein Handwerker wird in eine Wohnung gerufen, um einen Wasserhahn zu reparieren. Er führt diesen Auftrag aus, stößt aber aus Unachtsamkeit eine wertvolle Vase im Flur um. Der Handwerker hat zwar seine Leistungspflicht erfüllt, aber nicht hinreichend Rücksicht auf das Eigentum des Auftraggebers genommen und damit die Pflicht zur Rücksichtnahme verletzt. Er hat deshalb eine Pflichtverletzung im Sinne von § 241 Abs. 2 BGB begangen (Schadenersatz gem. § 280 Abs. 1 BGB).

Rechtsfolgen der Pflichtverletzung

§ 280 Abs. 1 BGB legt fest, dass der Schuldner grundsätzlich Schadensersatz zu leisten hat, wenn er eine Pflichtverletzung begangen hat. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner beweisen kann, dass er für die Pflichtverletzung nicht verantwortlich ist. Soweit dabei von einer Exkulpation gesprochen wird, ist das terminologisch zumindest ungenau, spricht erfasste „culpa“ nur das eigene Verschulden. Missachtet würden bei dieser Formulierung indes die Fälle des Einstehens für Dritte gem. § 278 BGB. Exkulpieren kann sich der Schuldner nur für das eigene Verschulden. In der Sprache des BGB bedeutet dies, dass er sie dann „nicht zu vertreten“ hat. Zu vertreten hat der Schuldner nach § 276Abs. 1 BGB in der Regel Vorsatz und Fahrlässigkeit (Verschulden). Er muss also Schadensersatz leisten, wenn er eine Pflicht bewusst verletzt hat oder wenn ihm wenigstens mangelnde Sorgfalt bei der Erfüllung seiner Pflichten vorzuwerfen ist.

Die Grundregel des § 280 Abs. 1 BGB wird durch die folgenden Absätze modifiziert. § 280 Abs. 1 BGB ist nur für den Schadensersatz neben der Leistung alleinige Anspruchsgrundlage. Wenn der geforderte Schadensersatz ein Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung ist, müssen nach § 280 Abs. 2 BGB zusätzlich die Voraussetzungen des Verzuges gemäß § 286 BGB erfüllt sein. Im Fall des Schadensersatzes statt der Leistung knüpft § 280 Abs. 3 den Schadensersatz an die weiteren Voraussetzungen der § 281, § 282 und § 283 BGB. Der Schaden tritt dann an die Stelle der ursprünglichen Leistungspflicht.

Für den Fall, dass mehrere Pflichtverletzungen gegeben sind - im Rahmen des § 281 BGB namentlich die ursprüngliche Nicht- oder Schlechtleistung und im Anschluss das nicht (ordnungsgemäße) Nacherfüllen, fragt sich, auf welche der beiden Pflichtverletzungen sich das Vertretenmüssen i.R.d. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB bezieht. Die Frage ist in der Literatur heftig umstritten.[3] Im Ergebnis wird es wohl reichen müssen, dass der Schulder eine der beiden zu vertreten hat.

Eine einheitliche Haftungsnorm aufgrund von Pflichtverletzungen, wie sie seit der Schuldrechtsmodernisierung mit § 280 Abs. 1 BGB existiert, entspricht der aktuellen internationalen Rechtsentwicklung.[4] Die von der Lando-Kommission erarbeiteten „Principles of European Contract Law“ enthalten in Art. 9;510 eine entsprechende Regelung.

Literatur

  • Wolfgang Fikenschter/Andreas Heinemann: Schuldrecht. 10. Auflage, De Gruyter, Berlin 2006.
  • Harm Peter Westermann (Hrsg.): Das Schuldrecht 2002 - Systematische Darstellung der Schuldrechtsreform. Boorberg, Stuttgart 2002.
  • Stefan Tetenberg: Der Bezugspunkt des Vertretenmüssens beim Schadensersatz statt der Leistung, JA 2009, 1.
  • Sebastian Ludes/ Sebastian Lube: Vertretenmüssen bei § 281 BGB, ZGS 2009, 259.

Einzelnachweise

  1. Wolfgang Fikenschter, Andreas Heinemann: Schuldrecht, Rn. 361.
  2. Michael Schultz in Das Schuldrecht 2002. Hrsg.: Harm Peter Westermann, S. 21.
  3. Vgl. nur etwa Looschelders, FS Canaris, S. 737ff.; Otto, in: Staudinger, BGB, § 280 Rn. D 11; Tetenberg, JA 2009, 1; Ludes/Lube, ZGS 2009, 259.
  4. Helmut Heinrichs in Palandt (63. Aufl.), § 280 Rn. 2.
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