Postraub

Postraub

Der große Postzugraub (engl. The Great Train Robbery) ist die Bezeichnung des Überfalls auf einen Postzug, der sich am 8. August 1963 bei der Bridego-Eisenbahnbrücke in Ledburn nahe Mentmore in der Grafschaft Buckinghamshire in England ereignete.

Inhaltsverzeichnis

Ablauf des Zugüberfalls

Der königliche Postzug von Glasgow nach London wurde durch zwei manipulierte Signale an einer einsamen Stelle (Sears Crossing in der Nähe von Cheddington) zum Stehen gebracht, der Lokführer Jack Mills durch einen Schlag auf den Kopf bewusstlos geschlagen und das überraschte Zugpersonal festgesetzt. Die Bande fuhr mit der Lokomotive und dem Geldwaggon weiter bis zur Bridego-Brücke und lud dort £ 2.631.784 (das entspricht heute einem Wert von etwa 50 Mio. €) in die bereitstehenden Fluchtfahrzeuge.

Anführer der Bande war der damals 32-jährige Bruce Reynolds. Als gesichert gilt außerdem die Teilnahme von Ronald Biggs, Buster Edwards, Roger Cordrey, John Daly, Gordon Goody, Jimmy Hussey, Roy James, Robert Welch, Jimmy White, Charlie Wilson und Tommy Wisbey. Mindestens drei weitere Personen, darunter ein pensionierter Lokführer, waren ebenfalls am Tatort, konnten aber nie ermittelt werden. Zwei der drei Unbekannten seien verstorben, nur einer lebe noch, erklärte Bruce Reynolds in einem Interview mit Pro Sieben.

Bei dem minutiös vorbereiteten Überfall wurden keine Schusswaffen eingesetzt. Der Lokführer Jack Mills wurde allerdings mit einer Eisenstange niedergeschlagen, erholte sich psychisch nie wieder vollständig von dem Überfall und kehrte nicht mehr zu seiner Arbeit zurück. 1970 starb er an Leukämie.

Ermittlungen und Fahndungserfolg

Vier Tage lang suchte die Polizei vergeblich nach einer heißen Spur, weil die Täter bei dem Überfall Handschuhe und Masken trugen und die Beute schnell zu einem abgelegenen Bauernhof (Leatherslade Farm in der Grafschaft Oxfordshire) abtransportierten. Dieser lag nahe genug an der Überfallstelle, um ihn vor der Errichtung von Straßensperren erreichen zu können. Außerdem waren weder alle Bandenmitglieder noch deren Familien in sämtliche Details eingeweiht.

Dennoch wurden zwölf Bandenmitglieder innerhalb weniger Monate gefasst, nachdem die Polizei am fünften Tag nach dem Raub nach Hinweisen aus der Bevölkerung ihren - gerade verlassenen - Unterschlupf Leatherslade Farm entdeckt und dort zahlreiche Fingerabdrücke und andere Spuren sichergestellt hatte. Auch die Strohmänner John Wheater, Leonard Field und Brian Field, die die Farm im Auftrag der Räuber angekauft hatten, wurden verhaftet. Hinzu kam William Boal, der gemeinsam mit Cordrey auf der Flucht festgenommen worden war und sich bei der Vernehmung in Widersprüche verwickelt hatte.

Im bis dahin längsten Prozess der britischen Justizgeschichte wurden die Verhafteten 1964 in Aylesbury zu meist drakonischen Haftstrafen verurteilt. Biggs, Goody, Hussey, James, Welch, Wilson und Wisbey erhielten jeweils 30 Jahre, Boal und Cordrey 14 Jahre, Brian und Leonard Field je 5 Jahre und Wheater 3 Jahre Haft. Lediglich John Daly (Schwager von Bruce Reynolds) wurde mangels Beweisen freigesprochen.

Boal starb 1968 in der Haft. Die meisten anderen Posträuber saßen ihre Haftstrafen entweder ab oder kamen Mitte der 70er Jahre im Zuge einer Strafrechtsreform frei. Lediglich Ronald Biggs und Charlie Wilson gelang die Flucht.

Flucht von Biggs, Reynolds und Wilson

Charlie Wilson floh und lebte außerhalb Montreals in Rigaud Mountain in Kanada in einer gehobenen Mittelklasse-Nachbarschaft. Wilson war nur ein weiterer Bewohner, der sich seiner Privatsphäre erfreute. Nur seine Ehefrau machte den Fehler, ihre Eltern in England anzurufen, so dass Scotland Yard seine Spur verfolgen konnte.

Bruce Reynolds gelang die Flucht über Südfrankreich nach Mexiko, wo er eine Weile gemeinsam mit Buster Edwards lebte. 1968 wurde er bei einem Aufenthalt im Vereinigten Königreich verhaftet und saß bis 1978 im Gefängnis. Buster Edwards war schon vorher aus Heimweh nach Großbritannien zurückgekehrt und verhaftet worden. Er betrieb nach Verbüßung seiner Haft einen Blumenladen im Herzen Londons.

Nach 15 Monaten floh Biggs aus dem Gefängnis. Nachdem er sich in Paris gefälschte Papiere beschafft hatte und sein Gesicht verändern ließ, reiste er mit seiner Ehefrau Charmian und seinen zwei Söhnen über Australien nach Rio de Janeiro, wo er mit den letzten £ 200 ankam. Als man ihn schließlich auch dort 1974 nach 11 Jahren der Flucht ausfindig machte, konnte er den britischen Strafverfolgungsbehörden nicht ausgeliefert werden, da die britische Regierung nicht der Reziprozität zustimmte, d. h. im umgekehrten Falle jemanden aus dem Vereinigten Königreich nach Brasilien auszuliefern. Des Weiteren konnte Biggs nicht aus Brasilien ausgewiesen werden, weil eine brasilianische Staatsbürgerin, die Nachttänzerin Raimunda de Castro, ein Kind von ihm erwartete. Der inzwischen völlig mittellose Biggs, der wegen seines Status als Verbrecher auch in Brasilien nicht arbeiten konnte, nutzte seine vorübergehend wiederkehrende Popularität für den Verkauf von T-Shirts und Kaffeebechern mit seinem Konterfei. Für $ 60 konnte man mit ihm zusammen frühstücken. Zeitweilig trat er mit den Sex Pistols mit dem Lied No one is innocent auf.

1991 nahm Ronnie mit der Deutschen Punk- und Rockband Die Toten Hosen die Single Carnival In Rio (Punk Was) für deren Album Learning English - Lesson One auf und feierte mit ihnen seinen 62. Geburtstag.

Rückkehr von Biggs

Nach mehreren Schlaganfällen und Herzinfarkten erklärte sich Biggs im Alter von 71 Jahren im Mai 2001 bereit, nach Großbritannien zurückzukehren, selbst wenn dieses seine erneute Inhaftierung bedeute. Nachdem die Zeitung The Sun ihm seinen Rückflug, £ 20.000 und verschiedene Auslagen gezahlt hatte, kehrte er ins Vereinigte Königreich zurück und wurde erneut inhaftiert.

Sonstiges

Einer der beteiligten Postzugwaggons wird nun im Birmingham Railway Museum präsentiert.

Den Posträubern kam entgegen, dass der ursprünglich vorgesehene Hochsicherheitswaggon gerade im Ausbesserungswerk war.

1978 verkauften die bereits entlassenen Posträuber ihre Geschichte an einen Verlag und behaupteten in dem von Piers Paul Read verfassten Buch The Train Robbers zunächst, die Organisation der ehemaligen SS-Angehörigen ODESSA habe den Raub finanziert, zogen diese Darstellung aber noch vor Veröffentlichung des Buches wieder als frei erfunden zurück. Auch der zweiten „Enthüllung“, Buster Edwards sei der Mann gewesen, der den Lokführer geschlagen habe, wurde später vehement von anderen Posträubern widersprochen.

Als gesichert gilt, dass der Raub über ein Jahr lang geplant und zumindest indirekt aus der Beute eines Überfalls auf die Lohnkasse der Fluggesellschaft BOAC aus dem Jahre 1962 finanziert wurde.

Zwei der Posträuber versuchten sich als Autoren: Ronnie Biggs (Odd Man Out) und Bruce Reynolds (Autobiography of a Thief) schilderten in ihren Büchern jeweils auch den Ablauf des Postraubes, vermieden es aber, bislang unbekannte Details oder Namen zu enthüllen.

Von den gestohlenen 2.631.684 Pfund konnten nur rund 330.000 wiedergefunden werden: 146.000 hatten Boal und Cordrey bei ihrer Festnahme in Bornemouth bei sich, 100.900 wurden auf einer Lichtung gefunden, 47.245 in einer Telefonzelle, 36.000 im Wohnwagen von Jimmy White. Größtenteils waren die Banknoten (1-Pfund, 5-Pfund- und 10-Schilling-Scheine) nicht registriert, somit lassen sich spätere Funde nicht zuordnen. Es muss angenommen werden, dass insbesondere die länger flüchtigen Biggs, Reynolds, Edwards und Charlie Wilson einen großen Teil ihres Anteils für ihre aufwändigen Fluchtpläne ausgegeben haben. Doch auch die anderen mussten in den Wochen bis zu ihrer Verhaftung hohe Schweigegelder zahlen oder wurden selbst bestohlen. Durch eine Währungsreform im Jahre 1970 (Abschaffung des Schilling, Umstellung auf dekadisches System) wurden zudem die Anteile der inhaftierten Posträuber, falls überhaupt noch vorhanden, unbrauchbar.

Ein von Biggs angeheuerter pensionierter Lokführer sollte ursprünglich die Lok bis zur Bridegobrücke fahren, bekam diese aber nicht in Gang. So wurde der bewusstlose Mills wachgerüttelt und gezwungen, weiter zu fahren.

Die Fluggesellschaft Ryanair benutzte die Geschichte im Frühjahr 2007, um in einer steuerrechtlichen Auseinandersetzung mit dem britischen Schatzkanzler und designierten Premierminister Gordon Brown eine Parallele zwischen „Greedy Gordon“ Brown und den Zugräubern zu ziehen. In einer Anzeige in Tageszeitungen wurde der Schatzkanzler als Karikatur mit einem Geldsack in der Hand dargestellt als „der große Flugzeugräuber“ – in einer Presseerklärung der Fluggesellschaft hieß es: „44 Jahre nachdem Ronnie Biggs 2,3 Millionen Pfund im Großen Postzugraub geklaut hat, klaut Gordon Brown über eine Milliarde Pfund von den Fluggästen im Großen Flugzeugraub […] Der gierige Gordon lässt die Großen Postzugräuber wie Amateure aussehen. Ronnie Biggs schaffte 2,3 Millionen Pfund beiseite, aber musste sich fast 40 Jahre verstecken. Gordon Browns APD bringt ihm netto eine Milliarde, und er kommt ungeschoren davon […] Sagen sie diesem Großen Flugzeugräuber, was Sie denken – legen Sie Protest bei Gordon ein: ministers@hm-treasury.gsi.gov.uk[1].

Film

  • Die Geschichte Buster Edwards, der nach Mexiko floh, sich aber später den Behörden ergab, wurde 1988 im Film Buster verarbeitet, in dem Phil Collins die Hauptrolle übernahm.

Einzelnachweise

  1. (Ryanair. (2007b, Feb. 14). The great plane robbery - Greedy Gordon Brown nicks £1bn from passengers. News release, http://www.ryanair.com/site/EN/news.php?month=feb&story=pro-en-140207&yr=07

Weblinks


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