Pygmalion-Effekt

Pygmalion-Effekt

Als Pygmalion-Effekt (nach der mythologischen Figur Pygmalion) oder Rosenthal-Effekt wird in der Psychologie das Resultat eines Versuchsleiter-Versuchspersonen-Verhältnisses bezeichnet, insbesondere des Lehrer-Schüler-Verhältnisses; man spricht hierbei auch vom Versuchsleitererwartungseffekt oder Versuchsleiter-Artefakt. Dem Effekt nach sollen sich Erwartungen, Einstellungen, Überzeugungen sowie Vorurteile des Versuchsleiters nach Art der „selbsterfüllenden Prophezeiung“ auswirken, das heißt die Leistungen der Versuchsperson entwickeln sich in erwarteter Form. Es ist umstritten, ob der Effekt wirklich existiert.[1]

Beispiel für den Effekt: Hat ein Lehrer bereits eine (vorweggenommene) Einschätzung der Schüler (etwa dumm, klug, usw.), so wird sich diese Ansicht im späteren Verlauf auch bestätigen. Dieses wird dadurch ermöglicht, dass der Lehrer seine Erwartungen in subtiler Weise den Schülern übermittelt, z. B. durch die Wartezeit auf eine Schülerantwort, durch Häufigkeit und Stärke von Lob oder Tadel, durch stärkere oder schwächere Beachtung von Schülern und unterschiedlich hohe Leistungsanforderungen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Im Jahre 1907 untersuchte Oskar Pfungst ein Pferd, das als Kluger Hans bekannt war und von dem Mathematiklehrer Wilhelm von Osten trainiert wurde. Das Pferd sollte Rechenaufgaben lösen können. Allerdings stellte sich heraus, dass das Pferd auf minimale Signale des Trainers reagierte, die diesem selbst überhaupt nicht bewusst waren.

Im Jahre 1965 unternahmen der amerikanische Psychologe Robert Rosenthal (* 1933 in Gießen) und Leonore Jacobson zahlreiche Untersuchungen im Bereich der Lehrer-Schüler-Interaktionen, daher wird der Sachverhalt auch „Rosenthal-Effekt“ genannt.

Pygmalion-Effekt nach Rosenthal

Das Rosenthal-Experiment wurde an zwei verschiedenen Grundschulen durchgeführt. Eine der Schulen war die Oak School, eine öffentliche Grundschule in einer mittelgroßen Stadt. Die Schule lag in einem Arbeiterviertel und der Großteil der Eltern waren un- oder angelernte Arbeiter. Ein Sechstel der Schüler waren mexikanischer Abstammung. Die Schule war, obwohl es sich um eine Grundschule handelte, dreizügig. Es gab einen mittleren, einen schnellen und einen langsamen Zug. Dies ist bei öffentlichen Grundschulen in den USA nicht selten.[2] Die zweite Schule war die Crest School. Sie unterschied sich deutlich von der Oak School. Die Schüler der Crest School entstammten zum größten Teil der mittleren und oberen Mittelschicht. Sie waren bis auf wenige Ausnahmen weiß.[3] Zwischen beiden Schulen gab es einen IQ-Unterschied. Während in der Oak School ein durchschnittlicher IQ von 98 gemessen wurde, wurde in der Crest School ein durchschnittlicher IQ von 109 gemessen.[4] Der durchschnittliche IQ der Kinder im schnellen Zug der Oak School war ebenfalls 109.[5] Den Lehrern an den Schulen wurde vorgetäuscht, dass ein wissenschaftlicher Test mit den Kindern durchgeführt würde. Durch diesen Test sollten angeblich Überflieger ausgewählt werden, die kurz vor einem Entwicklungsschub ständen. Dies träfe auf 20 Prozent der Kinder zu. In Wirklichkeit wurden 20 Prozent der Kinder willkürlich ausgewählt. Ein Unterschied zwischen den besonderen und den gewöhnlichen Kindern existierte somit nur im Bewusstsein der Lehrer.[6] Nach einem Jahr konnte festgestellt werden, dass die Kinder aus der Gruppe der Überflieger ihren IQ viel stärker steigern konnten als Kinder aus der Kontrollgruppe. Der Effekt war bei Kindern der ersten und zweiten Klasse besonders stark.[7] Die größten IQ-Gewinne wiesen die Schüler des mittleren Zuges der Oak School auf.[8] Interessant war, dass die IQ-Steigerungen bei den Kindern am stärksten waren, die ein besonders attraktives Äußeres hatten.[9]

Er untersuchte auch Forscher, denen angeblich schlaue und dumme Ratten vorgeführt wurden. Das Ergebnis war, dass die eigentlich zufällig zugeordneten Ratten starke Unterschiede in erwarteter Form zeigten. Rosenthal führte das auf stärkere Zuneigung zu den angeblich schlaueren Ratten zurück.

Versuch, die Studien zu replizieren und Kritik

Die Studien von Rosenthal konnten nur schwer repliziert werden. Nach Heinz Heckhausen tritt der Pygmalioneffekt nur unter folgenden Bedingungen auf:

  1. der Schüler ist ein sogenannter „Leistungsverweigerer“ oder „Minderleister“, er leistet derzeit also weniger, als ihm seine Fähigkeiten erlauben,
  2. der Lehrer hat bislang die Fähigkeiten des Schülers unterschätzt,
  3. der Schüler hat die Einschätzung des Lehrers auch übernommen, also internalisiert.

Hans Jürgen Eysenck warf Rosenthal methodische Fehler vor. Angeblich hätte dieser für die Überprüfung des IQ der Kinder einen Test genommen, der für diese Altersgruppe nicht geeignet sei. Zudem sei die Stichprobe sehr klein gewesen[10].

Pygmalion-Effekt nach Shaw

Unter Pygmalion-Effekt nach Shaw versteht man, wenn eine Person aus einer unteren Schicht für ein Mitglied der Oberschicht gehalten wird und entsprechend behandelt wird. Die Bezeichnung geht zurück auf das Theaterstück Pygmalion von George Bernard Shaw.

„Sehen Sie, wenn man davon absieht, was ein jeder sich leicht aneignet: sich anziehen, richtige Aussprache und so weiter, dann besteht der Unterschied zwischen einer Dame und einem Blumenmädchen wahrhaftig nicht in ihrem Benehmen, sondern darin, wie man sich gegen sie benimmt.“ (Shaw (1950), Pygmalion, in: klassische Stücke, übersetzt von Siegfried Trebitsch, Suhrkamp Verlag Berlin/Frankfurt)

Abgrenzung zu ähnlichen Effekten

Der Pygmalion-Effekt ist analytisch zu unterscheiden von ähnlichen selbsterfüllenden Prophezeiungen, wobei die Unterscheidung empirisch oft nicht sauber möglich ist (sofern die Effekte überhaupt messbar sind). Erfolgt die Verhaltensanpassung nicht im Rahmen einer asymmetrischen Beziehung zu einer konkreten, mit besonderer Autorität ausgestatteten Bezugsperson (z.B. Versuchsleiter, Vorgesetzter, Lehrer, Arzt), sondern in Reaktion auf allgemeine gesellschaftliche Vorurteile, spricht man vom Andorra-Effekt.

Ein Sonderfall des Pygmalion-Effekts, bei dem die durch die Erwartungen einer Autoritätsperson (Vorgesetzter) gesteigerte eigene Erwartung einer Person an sich selbst als entscheidender, vermittelnder Faktor betrachtet wird, wird als Galatea-Effekt bezeichnet. Bei einer negativen selbsterfüllenden Erwartung spricht man auch vom "Golem-Effekt".

Als Hawthorne-Effekt wird eine Verhaltensänderung bezeichnet, die allein auf das Bewusstsein einer Versuchsperson zurückgeführt wird, im Rahmen einer Untersuchung oder eines Experiments unter Beobachtung zu stehen, ohne dass die Versuchsleiter ausdrücklich konkrete, gesteigerte Leistungsanforderungen oder andere Erwartungshaltungen an sie richten.

Siehe auch

Galatea-Effekt, Liste der klassischen Experimente in der Psychologie, Teilnehmende Beobachtung, Reaktivität (Sozialwissenschaften), Bedrohung durch Stereotype, Konstruktivismus (Philosophie)

Literatur

  • Robert Rosenthal & Lenore Jacobson (1966): Teachers’ Expectancies: Determinants Of Pupils’ IQ Gains. Psychological Reports, 1966, 19, 115-118.
  • Robert Rosenthal & Lenore Jacobson (1968): Pygmalion in the classroom: Teacher expectation and pupils' intellectual development. New York: Holt, Rinehart & Winston
  • J. Sterling Livingston (1969): Motivation: Pygmalions Gesetz, in Havardmanager, 12. Jg. (1990), S. 90-99.

Quellen

  1. Eysenck, Hans Jürgen (1984): Die Ungleichheit der Menschen. Kiel: Orion-Heimreiter-Verlag. ISBN 3-89093-100-6, S. 167
  2. Rosenthal/Jacobson (1971): Pygmalion im Unterricht. Weinheim. Verlag Julius Beltz
  3. ebd., Seite 174
  4. ebd., Seite 174
  5. ebd., Seite 175
  6. ebd., Seite 216
  7. ebd., Seite 217
  8. ebd., Seite 218
  9. ebd., Seite 122
  10. Eysenck, Hans Jürgen (1984): Die Ungleichheit der Menschen. Kiel: Orion-Heimreiter-Verlag. ISBN 3-89093-100-6, S. 167

Weblinks


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