Aussonderungsrecht

Aussonderungsrecht

Aussonderung ist ein Begriff aus dem Insolvenzrecht, der die Entnahme von Gegenständen oder Rechten aus der Insolvenzmasse auf Verlangen eines Berechtigten beschreibt.

Inhaltsverzeichnis

Allgemeines

Das deutsche Insolvenzrecht wird vom Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger beherrscht (Par conditio creditorum). Dieses Prinzip wird jedoch häufig durchbrochen. Das Gesetz unterteilt die Gläubiger in aussonderungsberechtigte (§ 47 InsO), absonderungsberechtigte (§§ 49 ff. InsO), aufrechnungsberechtigte (§§ 94 bis 96 InsO), Massegläubiger (§§ 53ff. InsO) und sonstige Gläubiger. Die sonstigen Gläubiger sind die eigentlichen Insolvenzgläubiger; auch sie werden nicht gleich behandelt. Die Insolvenzordnung kennt im Grundsatz eine Klasse von Insolvenzgläubigern (§ 38 InsO) und sieht lediglich für einen Ausnahmebereich nachrangige Insolvenzgläubiger vor (§ 39 InsO).

Ziel eines Gläubigers, der sich Realsicherheiten bestellen lässt, ist der Erwerb von Aussonderungs- oder Absonderungsberechtigungen. Mit der Aussonderungsberechtigung kann der Gegenstand dem Insolvenzverfahren insgesamt entzogen werden. Die Realsicherheiten geben dem Gläubiger die Möglichkeit, entweder den betreffenden Gegenstand der Einzel- oder Gesamtvollstreckung insgesamt zu entziehen (§§ 771 ZPO, 47 InsO) oder Vorabbefriedigung aus dem Erlös für den bestimmten Gegenstand zu verlangen (§§ 805 ZPO, 49 ff. InsO). Die Aussonderung zielt auf die Nichtzugehörigkeit einer Sache/eines Rechts zur Insolvenzmasse ab, während Absonderung auf bevorzugte Befriedigung aus der Masse gerichtet ist.

Aussonderungsfähigkeit

Wer aufgrund dinglichen oder persönlichen Rechts geltend machen kann, dass ein zur Masse herangezogener Gegenstand der Insolvenzmasse in Wirklichkeit nicht angehört, begehrt Aussonderung. Derart Aussonderungsberechtigte sind keine Insolvenzgläubiger, weil sie nicht Befriedigung aus der Masse verlangen, sondern im Gegenteil eine Bereinigung der Masse herbeiführen.

Zur Aussonderung berechtigen insbesondere Eigentum, einfaches Vorbehaltseigentum (wenn der Insolvenzverwalter des Vorbehaltskäufers zum Besitz nicht mehr berechtigt ist; § 986 BGB), Besitz (wenn ein Recht auf Wiedereinräumung des Besitzes besteht; § 861 BGB[1]), Erbschaftsanspruch, schuldrechtlicher Herausgabeanspruch (z. B. auf Kaufsache, auf Rückgabe der Mietsache, auf Rückgabe von Verwahrsachen; §§ 1004, § 1007 BGB[2]), beschränkt dingliches Recht (wenn das Recht selbst den Gegenstand der Aussonderung bildet und nicht die Sache oder das Recht, auf dem das dingliche Recht lastet). Das Sicherungseigentum berechtigt den Sicherungsgeber regelmäßig zur Aussonderung in der Insolvenz des Sicherungsnehmers. Der Sicherungsnehmer ist aber nur aussonderungsberechtigt, wenn es sich bei dem Insolvenzschuldner nicht um den Sicherungsgeber handelt. Andernfalls - und das ist die Regel - steht dem Sicherungsnehmer nur ein Absonderungsrecht zu (§ 51 Nr. 1 InsO).

Kein Aussonderungsrecht besteht indes bei reinen Verschaffungsansprüchen, wie zum Beispiel beim Anspruch des Käufers gegen den Verkäufer auf Übereignung der gekauften Sache gemäß § 433 Abs. 1 BGB. Hierbei besteht nur ein Verpflichtungsgeschäft und kein Erfüllungsgeschäft. Selbst wenn der Käufer den Kaufpreis bereits bezahlt hat, ist der Käufer lediglich Insolvenzgläubiger und reiht sich in die Reihe der übrigen, ungesicherten Insolvenzgläubiger mit ein.

Verfahren

Wer aufgrund eines der oben erwähnten dinglichen oder persönlichen Rechte geltend machen kann, dass ein Gegenstand im Besitz des Insolvenzschuldners nicht zur Insolvenzmasse gehört, ist kein Insolvenzgläubiger und nimmt am Insolvenzverfahren nicht teil (§ 47 InsO). Ihm steht deshalb ein Anspruch auf Herausgabe des Gegenstandes gegen den Insolvenzverwalter außerhalb des eigentlichen Insolvenzverfahrens zu. Die Aussonderung ist mithin darauf zurückzuführen, dass ein Gegenstand nicht zur Insolvenzmasse gehört, der Insolvenzverwalter jedoch den Gegenstand durch Besitz oder Inanspruchnahme zunächst zur Insolvenzmasse zählt („Massebefangenheit“). Ein Gegenstand ist massebefangen, wenn der Insolvenzverwalter Besitz daran ausübt[3] oder unter Anerkennung des fremden Eigentums das Recht beansprucht, die Sache für die Masse zu nutzen und darüber zu entscheiden, ob, wann und in welcher Weise er sie an den Eigentümer zurückgibt[4]. Liegen diese Ausnahmetatbestände nicht vor, scheidet ein Herausgabeanspruch gegen den Verwalter aus. Das Aussonderungsrecht entspricht der Drittwiderspruchsklage in der Einzelzwangsvollstreckung (§ 771 ZPO).

Um einen wirksamen Aussonderungsanspruch gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend machen zu können, sind vom Aussonderungsberechtigten folgende Schritte einzuleiten:

  • Antrag an den Insolvenzverwalter,
  • Nachweise der Aussonderungsberechtigung des Anspruchstellers und
  • Vorliegen einer aussonderungsfähigen Sache oder Rechts.

Der Aussonderungsberechtigte darf die Geschäfts- oder Lagerräume des Insolvenzschuldners zur Besichtigung seiner Gegenstände nicht gegen den Willen des Insolvenzverwalters betreten. Der Insolvenzverwalter ist hingegen zur vollständigen Auskunft verpflichtet. Der Aussonderungsanspruch bestimmt sich dabei nach den Gesetzen, die außerhalb des Insolvenzverfahrens gelten (§ 47 Satz 2 InsO). Demnach kann der aussonderungsberechtigte Gläubiger seinen Anspruch nur im Rahmen der zivilrechtlichen Vorschriften verfolgen.

Folgen

Nach Prüfung wird der Insolvenzverwalter den aussonderungsberechtigten Gegenstand an den Berechtigten herausgeben. Hierdurch wird die Insolvenzmasse nicht geschmälert, weil der Gegenstand von Anfang an nicht dazu gehört hat. Verweigert der Insolvenzverwalter hingegen die Erfüllung des Anspruchs, so erfolgt die Durchsetzung des Aussonderungsanspruchs nach dem allgemeinen Zivilprozessrecht. Der Aussonderungsanspruch kann durch eine einstweilige Verfügung (z. B. durch Veräußerungs- oder Einziehungsverbot) gesichert werden. Im Fall der Zwangsvollstreckung steht dem Aussonderungsberechtigten die Drittwiderspruchsklage nach § 771 ZPO zu.

Wurde ein aussonderungsberechtigter Gegenstand vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom Schuldner oder nach der Eröffnung vom Insolvenzverwalter unberechtigt veräußert, so kann der Aussonderungsberechtigte gemäß § 48 InsO die Abtretung des Rechts auf die Gegenleistung verlangen, soweit diese noch aussteht. Ist die Gegenleistung bereits erbracht, kann er die Herausnahme der Gegenleistung aus der Insolvenzmasse verlangen, soweit sie noch in der Masse unterscheidbar vorhanden ist (Ersatzaussonderung).

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. etwa wenn der Lieferant vom Vertrag zurücktritt
  2. etwa wenn ein wertpapierverwahrendes Kreditinstitut insolvent wird
  3. BGHZ 148, 252, 260; BGH NZI 2008, 554, 555 Rn. 14 f.
  4. BGHZ 127, 156, 161
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