- Riemann-Thomann-Modell
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Das Riemann-Thomann-Modell beschreibt typische Verhaltensweisen und Wirkungen eines Individuums aus der Perspektive feststellbarer Grundausrichtungen. Den Begriff Grundausrichtung kann man sehr vereinfacht wie folgt umschreiben: Ganzheitlicher Zustand, bei dem sich ein Wohlgefühl für den jeweiligen Menschen einstellt bzw. dieser Wohlfühlzustand angestrebt wird.
Inhaltsverzeichnis
Das Riemann-Thomann-Modell: Grundstrebungen des Menschen
Grundsätzlich lassen sich nach Fritz Riemann (1975) und Christoph Thomann (1988) vier gegensätzliche Grundausrichtungen des Menschen beobachten. Alle vier Grundausrichtungen kommen bei jedem Menschen in unterschiedlicher Ausprägung vor. Aber meistens sind zwei oder manchmal nur eine dieser Ausrichtungen maßgebend für das aktuelle Empfinden und Verhalten. Diese Grundausrichtungen haben einen direkten Einfluss auf das Kommunikations- und Beziehungsverhalten. Nachfolgend werden diese Grundausrichtungen in Reinkultur beschrieben.
Die Näheausrichtung
Folgende Dinge und Gefühle sind für Menschen mit einer ausgeprägten Näheausrichtung wichtig: Nähe zu anderen Menschen, Bindung, Zuneigung, Vertrauen, Sympathie, Mitmenschlichkeit, Geborgenheit, Zärtlichkeit und Harmonie. Sie brauchen Wärme, Bestätigung, sind selbstlos bis zur Selbstaufgabe, haben soziale Interessen, können sich leicht mit anderen identifizieren und sich selbst vergessen. "Nähemenschen" sind kontaktfähig, teambereit, ausgleichend, akzeptierend und verständnisvoll.
Sie neigen aber auch zu Abhängigkeit, da sie ungern alleine sind. Sie haben eine Opfermentalität und sind aggressionsgehemmt.
Die Distanzausrichtung
Menschen mit dieser Ausrichtung wollen und brauchen genau das Gegenteil von dem, was Nähemenschen brauchen: Abgrenzung, Unverwechselbarkeit, Freiheit, Individualität, Eigenständigkeit, rationales Denken und Handeln („bloß kein Gefühl“). Sie wollen nicht beeinflusst werden. Sie suchen den Abstand und scheinen erst einmal niemanden zu brauchen. Sie wirken oft kühl und unnahbar. Die Vernunft ist ihnen sehr wichtig.
Erst wenn ihnen in einer Beziehung zu anderen ein hohes Maß an Freiheit und Rückzugsmöglichkeiten garantiert wird, lassen sie sich auf Gefühle und Nähe ein. Sie wollen nicht auf fremde Hilfe angewiesen sein und wirken oft bindungsängstlich und/oder unbeholfen im emotionalen Bereich.
Die Dauerausrichtung
Für Menschen mit einer Dauerausrichtung sind folgende Werte von größter Wichtigkeit: Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, Sparsamkeit, Wille, Verantwortung, Planung, Vorsicht, Kontrolle, Ziele, Gesetze, Kontinuität, Notwendigkeit, Verbindlichkeit, Treue, Grundsätze, Regeln, Analysieren, Stabilität, Pflicht, Dauerhaftigkeit, Konsequenzen.
"Dauermenschen" sind sehr verlässlich, systematisch, gründlich, ordentlich, sie haben Organisationstalent und sind prinzipientreu. Sie neigen aber auch dazu, manchmal langweilig, unflexibel, pedantisch und stur zu sein.
Die Wechselausrichtung
Für Menschen mit dieser Ausrichtung steht alles Neue und ständig Wechselnde im Vordergrund. Sie sind das Gegenteil der so genannten Dauermenschen. Alles, was mit Leidenschaften, Reizen, Rausch und Phantasie zu tun hat, ist für sie sehr wichtig. Sie suchen den Genuss, Charme, Kreativität, Temperament, Suggestion, Spontaneität, Risiko, Ideenreichtum, Dramatik und Begehren. Diese Menschen sind neugierig, wünschen, suchen, lernen und leben gerne. Sie sind kreativ, einfallsreich, spontan und unterhaltsam. Sie können aber auch unzuverlässig, chaotisch, theatralisch, egozentrisch, geschwätzig und unsystematisch sein.
Die Grundausrichtungen lassen sich in ein Koordinatenkreuz einbinden. Es gibt dabei eine Raum- und eine Zeitachse. Die Zeitachse ist die Senkrechte mit den beiden Extremen Dauer und Wechsel. Die Raumachse ist die Waagrechte mit den Extremen von Distanz und Nähe. Raum und Zeit sind also die Kriterien, in denen Menschen sich im Umgang miteinander unterscheiden.
Jeder Mensch hat nicht nur eine Grundausrichtung, sondern ist ein Gemisch aus allen. Aber er besitzt Schwerpunkte. So kann seine Zusammensetzung z. B. aus 70 Prozent Nähe und 30 Prozent Distanz bestehen. Auf der Zeitachse hat er vielleicht jeweils 50 % Dauer und Wechsel. Daraus setzt sich dann das ungefähre "Heimatgebiet" zusammen.
Dieses Heimatgebiet hat dann auch eine Mitte, welche durch den Persönlichkeitsschwerpunkt repräsentiert wird. Es ist sehr schwer, seine eigene Ausrichtung selbst zu bestimmen, da jede Grundrichtung irgendwie durch Situationen und das Verhalten in diesen bekannt ist. Wenn man allerdings versucht sich selbst einzuordnen, sollte man sich vor Augen halten, dass alle Grundrichtungen gleich zu werten sind. Es gibt in diesem Modell kein „gut“ oder „schlecht“, sondern prinzipiell ein „gleichwertig“.
Die vier Grundausrichtungen in der Arbeitssituation
Die vier Grundausrichtungen wirken sich nicht nur im Privatbereich aus, sondern auch in der Arbeitssituation, zum Beispiel beim Verkaufsgespräch. Entsprechend seinen Grundtendenzen hat jeder Mensch auch seinen dazu passenden Kommunikationsstil (siehe auch Nachrichtenquadrat nach Prof. Friedemann Schulz von Thun).
In der Arbeitswelt sind die offiziellen Werte in Unternehmen meist im Dauer-Distanz-Bereich angesiedelt: Gefordert sind Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit, persönliche Distanz, Sicherheit und Ordnung, Genauigkeit und Seriosität, also alles sehr sachbezogen. Dies betrifft häufig auch die Bewertung von Mitarbeitern und Führungskräften.
Typologie
Der Ansatz, Menschen mit ihrer unterschiedlichen Wesensart verschiedenen Typologiegruppen zuzuordnen, reicht bis in die Antike zurück. So haben bereits Hippokrates und Paracelsus versucht, die unübersehbare Fülle menschlicher Individualitäten in der so genannten Temperamentenlehre zu ordnen. In den vergangenen Jahrhunderten wurde die Typenlehre immer wieder aufgegriffen, neu belebt und weiterentwickelt. So haben auch Goethe, Schiller und Nietzsche einen Beitrag zu deren Popularität in ihrer Zeit geleistet. Vorreiter der neuzeitlichen Modelle war der bekannte Psychologe C. G. Jung.
Fasst man im Riemann-Thomann-Modell die Gemeinsamkeiten der Menschen bezogen auf Verhalten und wahrnehmbare Wirkung in den jeweiligen Grundausrichtungen in Gruppen zusammen, so ergeben sich daraus bestimmte Typen mit ihren typbedingen Eigenarten. Nimmt man nun alle sich ergebenden Typen zusammen, so lassen sich diese systematisch in einer Typologie darstellen. Siehe auch Typenlehre nach Fritz Riemann.
Gerade im Bereich Alltag und Wirtschaft lassen sich gut Typologien bilden. Auf Basis des Riemann-Thomann-Modells wurde beispielsweise die Kundentypologie nach Lorenz entwickelt. Sie befasst sich mit dem typischen Kommunikationsverhalten, den Bedürfnissen und Motiven bei Kaufentscheidungsprozessen von Kunden, insbesondere im persönlichen Kontakt mit Verkäufern (siehe Vertrieb).
Quellen
- Christoph Thomann: Klärungshilfe: Konflikte im Beruf, ISBN 3-499-60462-0, Verlag: rororo
Literatur
- Geml, Richard/Lauer, Hermann: Marketing- und Verkaufslexikon, 4. Aufl., Stuttgart 2008, ISBN 978-3-7910-2798-2
- Lorenz, Karl H. A.: Typisch Kunde! Lorenz-Verlag, Elmstein 2007, ISBN 978-3-940094-00-1
- Riemann, Fritz: Grundformen der Angst. Verlag Ernst Reinhard, München 1961
- Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander reden 3: Das ‚Innere Team‘ und situationsgerechte Kommunikation. Rowohlt vier Taschenbuch Verlag, Hamburg 1998
- Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander reden 4: Kommunikationspsychologie für Führungskräfte. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Hamburg 2000
- Stahl, Eberhard: Dynamik in Gruppen, Beltz-Verlag, Basel 2007
- Thomann, Christoph/Schulz von Thun, Friedemann: Klärungshilfe. rororo-verlag, Hamburg 1988
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