- Rosinentheorie
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Die Rosinentheorie kommt in zwei Rechtsgebieten vor und zwar im Arbeitsrecht und dem Handels- und Gesellschaftsrecht. Eine vorrangige Rolle spielt sie jedoch im Handels- und Gesellschaftsrecht, so dass folgend nur im Rahmen dieses Rechtsgebietes auf die Rosinentheorie eingegangen wird.
Inhaltsverzeichnis
Vorkommen
Die Rosinentheorie steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit § 15 Abs. 1 HGB. Um sie anschaulich zu machen, muss zunächst kurz auf § 15 Abs. 1 HGB eingegangen werden. § 15 Abs. 1 HGB will den Rechtsverkehr von Kaufleuten schützen, indem er die Rechte derer beschränkt, die ihren Pflichten nicht nachkommen. Dazu enthält das HGB eintragungspflichtige Tatsachen wie z.B. § 31 Abs. 1, § 53 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2, § 143 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 HGB. Unterlässt der Betroffene die Eintragung kommt § 15 Abs. 1 HGB zur Anwendung. Einem Dritten, meistens einem Gläubiger des Kaufmanns, kann der Betroffene die nicht eingetragene Tatsache nicht entgegenhalten, sprich er kann sich nicht auf diese berufen.
Beispiel 1
K und V sind Gesellschafter der KV OHG. Da ihr Geschäft blüht und sie zu zweit leicht überfordert sind beschließen diese ihren Freund F mit ins Boot zu holen. Da sie dem F nicht von Anfang an eine Gesellschafterstellung zubilligen, entscheiden sie sich dem F eine Prokura zu erteilen. Die Prokuraerteilung wird ins Handelsregister gem. § 53 Abs. 1 Satz 1 HGB eingetragen. F beginnt eifrig, als Prokurist der KV OHG, Verträge abzuschließen. Nach einigen Fehleinkäufen des F entziehen K und V dem F die Prokura. Aufgrund des hohen Betriebes in der OHG unterbleibt die Eintragung der Löschung. F ist so von seinen Freunden dermaßen enttäuscht, dass er sich rächen will. Er begibt sich zu einem Elektrohandel und schließt mit E einen Kaufvertrag im Namen der OHG über fünf neue Laptops im Wert von 5.000,- €. E verlangt nun Zahlung des Kaufpreises von K. Zu Recht?
In diesem Beispiel sieht man, welchen Sinn § 15 Abs. 1 HGB hat. Zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zwischen F und E war F tatsächlich nicht mehr Prokurist der KV OHG. Da K es unterlassen hat, die Prokuraentziehung nach § 53 Abs. 2 HGB ins Handelsregister einzutragen, kann er sich gegenüber E nicht auf die Prokuraentziehung berufen. E kann folglich darauf vertrauen, das F Prokurist ist, da ein Erlöschen der Prokura nicht ins Handelsregister eingetragen wurde (sog. negative Publizität des § 15 Abs. 1 HGB). Damit wird das Vertrauen auf das Schweigen des Handelregisters geschützt. Der Kaufvertrag ist somit zustande gekommen. Da keine Anhaltspunkte weder für den Untergang des Anspruchs noch für dessen Durchsetzbarkeit aus dem Sachverhalt ersichtlich sind, muss K den Kaufpreis i.H.v. 5.000,- € zahlen. (Die richtige Anspruchsgrundlage des E gegen K wäre § 433 Abs. 2 BGB i.V.m. § 124 Abs. 1 § 128 HGB, das ist jedoch nicht das Thema dieses Artikels).
Beispiel 2
Die K & Co. OHG betreibt ein Autosalon. K und O sind Gesellschafter der OHG, sind jedoch laut dem Gesellschaftsvertrag nur gemeinschaftlich befugt die OHG nach Außen zu vertreten (§ 125 Abs. 2 HGB). Dies ist auch so im Handelsregister eingetragen. Sollte jedoch einer der beiden aus der OHG ausscheiden, wird der andere automatisch allein vertretungsbefugt. Am 13. Juni 2009 schließt K einen Kaufvertrag mit dem Autohändler A über zwei günstige Fahrzeuge der oberen Mittelklasse. Dabei handelt K im Namen der OHG. Am 1. Juni 2009 ist O jedoch aus der OHG ausgeschieden. Das Ausscheiden hatte O nicht nach § 143 Abs. 2 HGB ins Handelsregister eingetragen. Aufgrund schwerer finanzieller Not der OHG geht jetzt A gegen O persönlich vor. Er verlangt die Kaufpreiszahlung für die beiden Fahrzeuge von O persönlich.
Zu Recht?
In diesem Fall kommt die Rosinentheorie zur Anwendung. Es ist zwischen der fiktiven Lage einerseits und der tatsächlichen Lage andererseits streng zu trennen. Die tatsächliche Lage ist, dass O bereits am 1. Juni 2009 aus der OHG ausgeschieden ist und somit für die Verbindlichkeiten der OHG, die nach seinem Ausscheiden begründet worden sind nicht mehr einstehen müsste. Die fiktive Lage hingegen (damit ist die Lage gemeint, die sich aus dem Handelsregister ergibt) besagt, dass O weiterhin Gesellschafter der OHG ist, da das Ausscheiden des O nicht ins Handelsregister eingetragen wurde.
A hat somit ein Wahlrecht, ob er die fiktive oder die tatsächliche Lage gelten lassen will . Dieses Wahlrecht ist jedoch nicht die Rosinentheorie. Dieses Wahlrecht des A ergibt sich aus der Anwendung des § 15 Abs. 1 HGB.
Die Rosinentheorie behandelt das Problem, ob sich A im vorliegenden Fall bezüglich derselben Tatsache (also ob O noch Gesellschafter ist oder nicht) einmal auf die fiktive und ein anderes Mal auf die tatsächliche Lage berufen kann. Denn für A ergibt sich folgendes Problem: Lässt er die tatsächliche Lage gelten, kann er von O nichts verlangen, da dieser ja bereits zum 1. Juni 2009 aus der OHG ausgeschieden ist und somit zum Zeitpunkt des Vertragschlusses am 13. Juni 2009 nicht mehr Gesellschafter der OHG war. Wählt er die fiktive Lage, hat A das Problem, dass K alleine nicht vertretungsbefugt war, denn nach der fiktiven Lage wäre O weiterhin Gesellschafter und K und O durften laut Handelsregister nur gemeinschaftlich die OHG nach Außen vertreten, so dass der Kaufvertrag zwischen der OHG und A, mangels Vertretungsmacht des K unwirksam wäre.
Der Bundesgerichtshof entwickelte zur Lösung dieses Problems die sog. Rosinentheorie. Diese gibt A im vorliegenden Fall die Möglichkeit im Rahmen des Zustandekommens des Kaufvertrages auf die tatsächliche Lage abzustellen, mit der Konsequenz, dass K im Zeitpunkt des Kaufvertragschlusses allein vertretungsbefugt war, da O ja ausgeschieden ist, und laut Sachverhalt K die OHG somit alleine vertreten durfte. Bezüglich der Inanspruchnahme des O als Gesellschafter der OHG kann A die fiktive Lage des Handelsregisters wählen. Danach ist O weiterhin Gesellschafter, da er die Austragung nach § 143 Abs. 2 HGB versäumte.
Namensherkunft
An dieser Stelle wird deutlich, woher der Name der Theorie kommt. Dadurch das A jeweils die günstigere Lage wählen kann, sucht er sich die Rosinen aus. Das Herauspicken der Rosinen soll das Berufen auf die jeweils günstige Lage bildlich darstellen. Diese Theorie wird in der Lehre jedoch heftig kritisiert. Diese sieht in der Anwendung der Rosinentheorie einen Verstoß gegen § 242 BGB. Das Berufen des Gläubigers auf unterschiedliche Lagen stellt ein widersprüchliches Verhalten dar und somit einen Verstoß gegen § 242 BGB. Der BGH hingegen begründet die Anwendung der Rosinentheorie, dadurch dass § 15 Abs. 1 HGB niemals zu Gunsten dessen angewandt werden darf, der seine Pflicht zur Ein- oder Austragung ins oder aus dem Handelsregister verletzt habe . Zwar könnte das Verhalten des Gläubigers einen Verstoß gegen § 242 BGB darstellen, jedoch ist der Gläubiger schutzwürdig, denn aufgrund der Pflichtverletzung des Kaufmanns, der aus der OHG ausgeschieden ist, kommt es überhaupt zu diesen Verstoß. Der (notwendige) Verstoß des Gläubigers gegen § 242 BGB ist auf die Pflichtverletzung des Kaufmanns zurückzuführen und ist diesem sozusagen zuzurechnen. Deshalb darf die Pflichtverletzung des Kaufmanns keinesfalls zu seiner Entlastung führen. Mithin kann A den O persönlich in Anspruch nehmen.
Literatur
- Koller/Roth/Morck, Kommentar zum Handelsgesetzbuch, § 15
- BGH 65, 309
- Hager Jura 92, 63; Schmidt § 14 II 4c
- Canaris § 5 26; Schilken AcP 187, 10f; Hübner Rz. 153;
- Tiedtke, DB 1979, 245 (247)
- Kreutz, Jura 1982, 637; Altmeppen 164ff.; Reinicke JZ 85, 278
- Detlef Leenen: "Die Funktionsbedingungen von Verkehrssystemen in der Dogmatik des Privatrechts", in: Okko Behrends (Hg.) Rechtsdogmatik und praktische Vernunft - Symposium zum 80. Geburtstag von Franz Wieacker, Göttingen 1990, S. 108 ff.
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