BIID

BIID

Unter Body Integrity Identity Disorder, Kurzform BIID, versteht man eine vom eigentlichen Zustand abweichende Körper- oder Sinneswahrnehmung.

Inhaltsverzeichnis

Symptomatik

Durch eine Veränderung des Körperschemas erleben Menschen mit BIID Teile oder Funktionen des eigenen Körpers als überflüssig oder störend. Betroffene leben in der Vorstellung, dass ihr Körper der eines Menschen mit einer Behinderung ist, erkennen jedoch, dass dies nicht der Realität entspricht, in der sich der Zustand ihres Körpers tatsächlich befindet. Seelisch haben sie dabei die Lebensweise von Menschen mit einer Behinderung adaptiert.

Es entsteht dabei der oft als überwältigend erlebte Wunsch, ein oder mehrere Gliedmaßen zu amputieren oder das Rückenmark zu durchtrennen oder eine andere Funktion (Hörfähigkeit, Sehfähigkeit) aufzuheben und damit den realen Körper in Einklang mit der als „richtig“ empfundenen Querschnittslähmung, Gehörlosigkeit, Erblindung usw. zu bringen. Betroffene binden z.B. ihren Arm auf dem Rücken fest, weil sie ihn als störend empfinden.

Durch eine Medizinethik, die unnötige Verstümmelungen ablehnt, ist es den Patienten allerdings nur schwer möglich, ihren Wunsch durch einen von Ärzten durchgeführten operativen Eingriff zu realisieren. Dies führte bei Betroffenen zur Selbsthilfe mittels Messern, Unterkühlungen mit Nekrosefolgen, Schrotgewehren und ähnlichen Instrumentarien.

Personen, die an BIID leiden, bezeichnen sich selber als Wannabe (von engl. want to be: etwas sein wollen, "Möchtegern"). Ein großer Teil versucht sich Erleichterung zu verschaffen, indem mittels des Gebrauchs von Prothesen, Orthesen, Rollstühlen oder Blindenstöcken ein Gefühl der erwünschten körperlichen Beeinträchtigung erzeugt wird. Dieses Vorspielen eines nicht vorhandenen Zustandes wird Pretending genannt. Fraglich ist, ob bei Personen bis zum 25. Lebensjahr durch das Pretenden die Identitätsentwicklung im Sinne von BIID verstärkt wird.

Da nicht nur der Wunsch nach einer Amputation vorliegt, sondern vielmehr das Bedürfnis, seinen realen Körper dem gestörten Körperschema anzupassen, etablierte sich der Begriff "body integrity identity disorder". Die Störung hat bislang keinen Einzug in das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders gefunden. Sie ging jedoch an die DSM Task Force, die den Neueintrag für 2013 prüft.

Betroffene offenbaren ihre Einstellungen und Gefühle häufig weder Angehörigen oder Therapeuten. BIID ist hinsichtlich seiner Genese und Ausprägung mit einer sogenannten Störung der Geschlechtsidentität (Transgender/Transsexualität) vergleichbar.

Ursachen

Die Ursachen von BIID sind derzeit unbekannt. Diskutiert werden sowohl neuroanatomische Veränderungen funktioneller Hirnregionen als auch entwicklungspsychologische Ansätze, nach denen sich schon im Kindesalter eine Störung des Körperschemas etabliert. Für die letztgenannte Deutung spricht die Tatsache, dass sich bei einem Großteil der Menschen mit BIID anamnestisch eine Manifestation der Erkrankung im frühen Jugendalter nachweisen lässt.

Therapie

Eine ursächliche Behandlung ist derzeit nicht bekannt. Es kann versucht werden, mit psychiatrischer und verhaltenstherapeutischer Unterstützung eine Stabilisierung des Zustandes zu erreichen. Die Gabe von selektiven Serotoninwiederaufnahmeinhibitoren kann als begleitende, antidepressive Therapie durchgeführt werden. Derzeit wird angenommen, dass eine Heilung im Sinne des Verschwindens des Leidens nur durch die Amputation selbst möglich sei.

Der schottische Arzt Dr. Robert Smith hat im Jahr 2000 zwei Beinamputationen bei Patienten mit BIID vorgenommen. Durch Indiskretionen und nach einem Bericht des Fernsehsenders BBC verbot die britische Ärztekammer nach Aufforderung durch das Schottische Nationalparlament weitere Amputationen. Als Grund wurde angegeben, dass die Öffentlichkeit solche Eingriffe missbilligen würde; darüber hinaus wurde ein Ansturm ausländischer BIID-Betroffener befürchtet.

Literatur

  • American Psychiatric Association (Hrsg.): Diagnostic and statistical manual of mental disorders. DSM-IV-TR. Fourth edition, text revised, American Psychiatric Publishing Inc., Washington D.C. (USA) 2000, ISBN 0-89042-024-6. (englisch)
  • Gregg M. Furth, Robert Smith: Apotemnophilia: information, questions, answers, and recommendations about self-demand amputation. rev. ed., 1stBooks, Bloomington (Indiana/USA) 2002, ISBN 1-5882-0390-5. (englisch)
  • D. Groß, S. Müller, J. Steinmetzer (Hrsg.): Normal - anders - krank? Akzeptanz, Stigmatisierung und Pathologisierung im Kontext der Medizin. Humandiskurs - Medizinische Herausforderungen in Geschichte und Gegenwart. 1. Aufl., MWV Medizinisch Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Berlin 2007, ISBN 978-3-939069-28-7. (u.a. Fachbeitrag mit dem Thema: Body Integrity Identity Disorder (BIID). Amputationswunsch: autonome Entscheidung oder neuropsychologische Störung?)

Weblinks


Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать реферат

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Biid — Unter Body Integrity Identity Disorder, Kurzform BIID, versteht man eine vom eigentlichen Zustand abweichende Körper oder Sinneswahrnehmung. Inhaltsverzeichnis 1 Symptomatik 2 Ursachen 3 Therapie 4 Literatur 5 Weblinks / …   Deutsch Wikipedia

  • Body integrity identity disorder — (BIID), formerly known as Amputee Identity Disorder, is a psychological disorder wherein sufferers feel they would be happier living as an amputee. It is typically accompanied by the desire to amputate one or more healthy limbs to achieve that… …   Wikipedia

  • Body Integrity Identity Disorder — Unter Body Integrity Identity Disorder (engl. Körperintegritätsidentitätsstörung), Kurzform BIID, versteht man den Wunsch eines Menschen, seinen Körper oder einen Sinn zu verändern. Häufig besteht der Wunsch danach, mit einem oder mehreren… …   Deutsch Wikipedia

  • Blanchard, Bailey, and Lawrence theory controversy — The BBL Controversy also known as the Autogynephilia Controversy is an ongoing and heated line of discussion in the transgendered community. The subject, Blanchard, Bailey, and Lawrence theory, is a theory of transsexual taxonomy developed by Ray …   Wikipedia

  • Desorden de identidad de la integridad corporal — Saltar a navegación, búsqueda El desorden de identidad de la integridad corporal o BIID (sigla de Body Integrity Identity Disorder) es una enfermedad psiquiátrica que provoca en el individuo afectado un irresistible deseo por amputarse una o más… …   Wikipedia Español

  • Klinikerotik — Typisches Pflegerinnenkostüm für das erotische Rollenspiel Bei der Klinikerotik handelt es sich um einen Sammelbegriff aus dem Bereich des BDSM. Hierbei werden sexuelle Praktiken, im Kontext mit Situationen von ärztlichen Behandlungen,… …   Deutsch Wikipedia

  • Kliniksex — Typisches Pflegerinnenkostüm für das erotische Rollenspiel Bei der Klinikerotik handelt es sich um einen Sammelbegriff aus dem Bereich des BDSM. Hierbei werden sexuelle Praktiken, im Kontext mit Situationen von ärztlichen Behandlungen,… …   Deutsch Wikipedia

  • Rollstuhlpretender — Typisches Pflegerinnenkostüm für das erotische Rollenspiel Bei der Klinikerotik handelt es sich um einen Sammelbegriff aus dem Bereich des BDSM. Hierbei werden sexuelle Praktiken, im Kontext mit Situationen von ärztlichen Behandlungen,… …   Deutsch Wikipedia

  • Harisu — Infobox Model name = Harisu 하리수 · 河莉秀 imagesize = caption = birthname = Lee Kyung yup (changed to Lee Kyung eun in 2002) birthdate = Birth date and age|mf=yes|1975|2|17 location = Seongnam, South Korea height = height|m=1.68 haircolor = black… …   Wikipedia

  • Südkoreaner — Koreanische Schreibweise (Nordkoreanischer Begriff) Hangeul: 조선인 Hanja: 朝鮮人 Revidiert: Joseonin McCune R.: Koreanische Schreibweise (Südkoreanischer Begriff) …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”