- Schalksburgsage
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Die Schalksburgsage oder – wie sie in der literarischen Verarbeitung durch Wilhelm Hauff auch genannt wird – Die Sage vom Hirschgulden[1] ist eine historische Sage oder historische Überlieferung.[Anm. 1] Sie handelt vom Verkauf der Stadt Balingen und der dazugehörenden Herrschaft um einen unangemessen geringen Betrag. In den jüngsten Versionen, erstmals belegt bei Gustav Schwab[2], wird dieser Betrag durch den Hirschgulden gegenständlich gemacht.
Der historische Kern der Überlieferung ist der Verkauf der Herrschaft Zollern-Schalksburg an Württemberg im Jahr 1403. Bereits in der Zimmerischen Chronik (geschrieben 1540/1558–1566) findet sich ein Beleg, wie das Ereignis in damaligen Adelskreisen wiedergegeben wurde. Die zollerische Geschichtsschreibung suchte dem ihre Version entgegenzusetzen und nutzte die Beschreibung auch als Mahnung an zukünftige Generationen, sorgsam mit dem Familienbesitz umzugehen. Jakob Frischlin beschrieb – einmal für die Zollern, das andere mal in einer württembergischen Landesbeschreibung – die Überlieferung aus zwei klar zu unterscheidenden Blickwinkeln. Die Zeit zwischen dem Dreißigjährigen Krieg und dem frühen 19. Jahrhundert stellt eine Überlieferungslücke dar, in der Erweiterungen, wie der erwähnte Hirschgulden, aber auch eine weitere Burg Eingang in die Überlieferung fanden. Im Zuge der von den Brüdern Grimm eingeleiteten Sagenforschung fand die Überlieferung durch Schwab wieder weitere Verbreitung. Wilhelm Hauff schuf darauf aufbauend ein um typische Märchenmotive erweitertes eigenständiges Werk, welches er in die Rahmenerzählung Das Wirtshaus im Spessart einbettete.
Inhaltsverzeichnis
Die Sage
Verkürzte Wiedergabe nach Schwab:
- Es waren einmal drei Burgen, Schalksberg, Hirschberg und Zollern. Auf denen lebten drei Brüder. Hirschberg war das schönste und der dortige Bruder der reichste. Ihm gehörte Balingen. Dieser erkrankte schwer, und das Gerücht ging um, er sei gestorben. Von den Brüdern kam keine Anteilnahme, stattdessen ließen sie Freudenschüsse hören. Darüber ärgerte sich der Todkranke so sehr, dass ihn ein heilsames Fieber überkam und er genaß. Er entschloss sich, seinen Brüdern das Erbe vorzuenthalten und verkaufte Burg und Stadt Balingen, auf den Fall seines Todes, an Württemberg um einen elenden Hirschgulden(?). Er lebte noch lange Zeit währenddessen ihm seine Brüder schön taten. Als er doch starb kamen seine Brüder wieder auf die Burg: „mit Worten wehklagen(d) und im Herzen fröhlich“. Doch der Abgesandte Württembergs zeigte ihnen den Vertrag und übergab ihnen den Hirschgulden. Am nächsten Tag beschlossen die Brüder, zumindest den Hirschgulden im Wirtshaus auf den Kopf zu hauen. Aber als sie damit bezahlen wollten, teilte ihnen der Wirt mit, dass der Hirschgulden abgewertet worden sei. So hatten sie statt des Erbes am Ende noch einen Gulden Schulden.
Historischer Hintergrund
Siehe im Detail: Herrschaft Schalksburg
In den 80er Jahren des 13. Jahrhunderts hatte sich das Adelsgeschlecht der Zollern in die Linien Zollern-Zollern und Zollern-Schalksburg geteilt. Das 14. Jahrhundert begann mit einem Bürgerkrieg zwischen Friedrich dem Schönen und Ludwig dem Bayern. In Schwaben bauten die Grafen von Württemberg ihre Herrschaft weiter aus – in Opposition zu den Städten und dem Niederen Adel einerseits, und im Gegensatz zu Habsburg andererseits. Letztere hatten mit dem Erstarken der Eidgenossen in ihren Stammlanden zu kämpfen. Beide zollerischen Familien schlossen sich als Gefolgsleute diesen beiden Häusern an. Zur Interpretation der Sage ist dabei relevant, dass die beiden Familien nicht immer im selben Lager kämpften und die Unterstützung zumindest teilweise auf eigene Rechnung erfolgte. 1377 starb Friedrich IV., genannt der Junge Ritter und älterer Bruder des letzten Grafen von Zollern-Schalksburg, auf Seite der Württemberger in der Schlacht bei Reutlingen im Kampf gegen den Schwäbischen Städtebund. Ein Leichenzug von Reutlingen nach Balingen führt unweigerlich unterhalb der Burg Hohenzollern vorbei. Als im Jahr 1403 der einzige Sohn von Graf Friedrich V., genannt Mülli, starb, entschloss sich der Vater, seine Herrschaft für 28.000 Gulden an Württemberg zu verkaufen. Das Erbbegräbnis der Zollern lag im Kloster Stetten. Ein Leichenzug von Balingen dorthin hätte ebenfalls unterhalb der Burg Hohenzollern vorbeigeführt. Stetten war zwar lange Zeit noch das Hauskloster auch für Zollern-Schalksburg, aber Friedrich VI., wie auch später sein Vater, wurden in der St. Nikolauskapelle in Balingen beerdigt. Die nächste für die Sage relevante Frage ist, weshalb die Herrschaft nicht an Zollern-Zollern verkauft wurde. Die Antwort lautet, dass ihre finanzielle Situation durch die Beteiligung an den oben genannten kriegerischen Aktionen ebenso desolat war wie der ihrer Verwandten. Graf Friedrich Ostertag, genannt Tägli, aus der Linie Zollern-Zollern siegelte sogar als Zeuge auf den beiden Verkaufsurkunden. Eine letzte offene Frage ist, wann der, erst 200 Jahre nach dem eigentlichen Verkauf aufgelegte Hirschgulden Bestandteil der Sage wurde.
Berichte späterer Chroniken über den Verkauf
Neben dem Kaufvertrag vom 3. November 1403[3] und der notariellen Bestätigung vor dem Hofgericht in Rottweil[4] gibt es noch weitere Berichte über den Verkauf.
Der Bericht der Zimmerischen Chronik
In der um 1565/66 erstellten Zimmerischen Chronik erzählt Froben Christoph von Zimmern am Beispiel der Zollern die Folgen von Uneinigkeit, Neid und Misstrauen unter Verwandten (er schreibt Brüdern). Es ist ein Beispiel unter mehreren.[Anm. 2] Froben Christoph von Zimmern erzählt, dass der Vetter auf Zollern, als er hörte, dass der Sohn des die Balinger Hälfte des zollerischen Besitzes innehaben Verwandten gestorben war, eine halbe Nacht vor dessen Burg zu Balingen gepfiffen und getanzt habe, worauf der Balinger Bruder seinen Besitz um „ain gerings, und namlichen umb (…) [an Württemberg] zu kaufen gegeben…“[5] habe.
Froben Christoph kannte den Betrag nicht, hätte ihn aber, wie die bewusste Auslassung zeigt, als sorgfältiger Chronist gerne wiedergegeben. Wir können davon ausgehen, dass diese Version dem Allgemeinwissen des süddeutschen Adels entsprach, wie dieses auch über 100 Jahre später bei Zusammentreffen untereinander ausgetauscht wurde. Die Chronik berichtet mehrfach über solche Treffen der Grafen und Herren im Land zu Schwaben, und Froben Christoph war, wie er in seiner Chronik berichtet, ab 1559 ausschreibender Graf für solche Treffen.
Bereits hier finden sich also zwei maßgebliche Elemente der späteren Sage: Der niedrige Kaufpreis und das missgünstige Verhalten des Verwandten auf der Zollernburg. Froben Christoph benutzt das Wort Bruder als allgemeinen Begriff für Verwandtschaft, spricht aber konkret und korrekt vom Vetter. Dieter Mertens rechnet am Beispiel verschiedener zeitgenössischer Herrschaftsverkäufe vor, dass der Kaufpreis für damalige Verhältnisse angemessen war.[Anm. 3]
Die Hauschronik der Grafen von Zollern
Im Jahr 1511 war es den Zollern nochmals gelungen, in den Besitz zumindest der Burg Schalksburg zu gelangen. Graf Eitelfriedrich II. von Zollern hatte die Pfandschaft über die Burg erworben. Es war sein Plan, die verloren gegangene Herrschaft wieder an das Haus Zollern zurückzubringen. So trug er dem Haus Württemberg an, dass einer seiner Söhne doch die Vogtei über das Amt Balingen übernehmen könne. Laut Zimmerischer Chronik sei er auch bereit gewesen, das Amt Balingen als Pfandschaft zu übernehmen.[6] Die Pläne zerschlugen sich aber durch seinen Tod 1512. Im Jahr 1520 wurde in einem Erbvergleich im Hause Zollern die Schalksburg Eitelfriedrich III. als standesgemäßer Sitz zugewiesen. Sie kam 1525 nach dessen Tod an seinen Neffen Jobst Nikolaus II. († 1558). Von diesem löste Württemberg unter Herzog Christoph im Jahr 1554 die Pfandschaft wieder aus.
Graf Karl I. (1516–1576) fielen nach dem Tod Jobst Nikolaus II. im Jahr 1558 alle schwäbischen Besitzungen der Zollern zu. Er war aber auch damit konfrontiert, diese Besitzungen wieder unter vier Söhnen aufteilen zu müssen. Der endgültige Verlust der Herrschaft Schalksburg führte ihm vor Augen, dass sich ein solcher Verlust auf Grund von interfamiliären Streitigkeiten nicht wiederholen dürfe. Er nahm deshalb ausdrücklich Bezug auf den Verlust Balingens und der dazugehörigen Herrschaft, als er am 24. Januar 1575 in einem als Hausgesetz verfassten Letzten Willen erklärte:
- „Darauß auch zum anderen noch mehr ybels ervolgt, das ein sollicher unwillen zwischen unseren vorfahren entstanden, das sie auch deshalben das irrig verkauft oder so teüer ainer dem anderen zue laid angebotten, das es kein grave von Zollern kaufen kündten, alleß damit sie es in frembde handt, den anderen zue trutz und laid, (wie dann mit Balingen und andern mehr güetern, so von unnß kommen, beschechen) bringen möchten…“.[7]
Graf Karl I. war darauf bedacht, seinen Nachkommen das gemeinsame Erbe ans Herz zu legen. Deswegen ließ er zwischen 1569 und 1576 auf der Basis von Vorarbeiten des Chronikschreibers Johannes Basilius Herold eine Hauschronik erstellen. Die Hauschronik der Zollern besteht aus einer Regentenreihe von 21 ganzseitigen, kolorierten Federzeichnungen mit Regentenabbildungen und einer durchschnittlich zehnzeiligen Legende. Sie ist vor allem in der Darstellung verwandtschaftlicher Verhältnisse sehr ungenau. So verwechselt, im für die Betrachtung der Hirschguldensage relevanten 15. Bild, welches Friedrich Ostertag, genannt Tägli darstellt, die Chronik den Großvater mit dem Enkel und macht diesen, der in Wirklichkeit nur über einen gemeinsamen Ur-Ur-Großvater mit dem Schalksburger verwandt war, zu dessen Bruder.
Die Chronik kehrt, erwartungsgemäß, die Sympathiebewertung um. Der Zollerngraf ist ein fröhlicher, kurzweiliger Mensch, der arglos auf seiner Burg ein Fest feiert, als sein eigenbrötlerischer Balinger Bruder den Leichnam seines Sohnes unterhalb der Burg von Balingen zum Kloster Stetten, dem zollerischen Hausbegräbnis, bringt, ohne aber dem Bruder den Todesfall angesagt zu haben. Wie oben dargelegt, fand ein Leichenzug von Balingen nach Stetten nicht statt. Eher spekulativ ist die Vermutung Bumillers, dass mit dem Leichnam, dem nicht die rechte Reverenz erwiesen wurde, nicht Friedrich VI. gemeint sei, sondern der in der Schlacht bei Reutlingen gefallene Friedrich IV., der Bruder Graf Müllis. Da nicht bekannt ist, auf welcher Seite die von Zollern-Zollern gekämpft haben, wäre dies ein nachvollziehbarer Grund für ein Zerwürfnis.[8] Graf Friedrich Ostertag, genannt Tägli von Zollern-Zollern, war einer der Mitsiegler auf der Verkaufsurkunde; er hat den Verkauf also befürwortet.
Zwei Berichte Jakob Frischlins aus unterschiedlichen Blickwinkeln
Eine Festschrift im Auftrag der Grafen von Zollern
Eine Generation nach der Chronik entstand ein Auftragswerk für Graf Eitelfriedrich von Hohenzollern-Hechingen (1545–1605) zu Ehren der Hochzeit dessen Sohnes Johann Georg mit der Wild- und Rheingräfin Franziska von Salm-Neufville im Jahr 1598. Beauftragt wurde Jakob Frischlin, der Bruder des Dichters Nicodemus Frischlin und wie dieser aus dem Raum Balingen kommend.
Die Drey schöne und lustige Bücher von der Hohen Zollerischen Hochzeyt,[9] die Jakob Frischlin auf der Basis der Hauschronik erstellte, handeln vom ersten Herkommen der Zollern und damit auch vom Verkauf der Herrschaft Schalksburg. Frischlin hatte natürlich die Hauschronik zur Verfügung und folgte dieser. Die angegebenen Verwandtschaftsverhältnisse sind ebenfalls nicht nachvollziehbar. Wieder ist es Graf Friedrich Ostertag, der ein geselliger und umgänglicher Mensch ist. Als neues Motiv taucht auf, dass er auf die Zusammenfassung der ganzen zollerischen Herrschaft pocht. Der schalksburger Friedrich ist wieder ein ungeselliger Mensch, der den Vetter auf der Burg über den Tod des Sohnes uninformiert lässt. Das Trommeln und Pfeifen auf der Wacht, als der Trauerzug vorbeizieht, nimmt auch er als Schmach auf und verkauft deshalb Stadt und Amt Balingen hinterlistig an Württemberg. Bei Frischlin, als Balinger möglicherweise mit Kenntnissen aus seiner Amtsstadt vertraut, taucht nun der Kaufbetrag von 24.000 Pfund Heller auf. Martin Crusius hatte 1595/96 in seinen Annales Suevici 22.000 fl genannt. Von Umrechnungsproblemen zwischen Heller und Gulden einmal abgesehen, erklärte Frischlin aber auch „wurd also umb ein ringes Gelt von Zollern verkaufft“. Frischlin erläuterte auch, dass das württembergische Amt Balingen aus den alten zollerischen Herrschaften Balingen (gemeint ist Schalksburg) und dem ehemals hohenbergischen Ebingen bestand und verwechselt in logischer Konsequenz das Verkaufsdatum mit 1397, als Eberhard der Greiner Ebingen als Pfand empfing.
In einer württembergischen Landesbeschreibung
Jakob Frischlin hatte auf eine Festanstellung bei den Zollern gehofft, die er aber nicht erhielt. Martin Crusius, kein Freund der Frischlins, schrieb in seinem Tagebuch: „Ich höre, Magister Jakob Frischlin hat weder in Hechingen vom papistischen Grafen noch in seiner Heimatstadt Balingen eine Anstellung erhalten. Jetzt beschreibt er eine Genealogie der Späth und hat 30 fl. dafür empfangen!“[10] Nach mehreren Jahren als Präzeptor an mehr als zehn unterschiedlichen Orten fand Frischlin doch eine Anstellung, ebenfalls als Präzeptor in Balingen.
Dort entstand eine zweite Fassung im Rahmen einer Landesbeschreibung Württembergs. Diese wird komplett Jakob Frischlin zugeschrieben und ist vermutlich um 1613 in Balingen entstanden.[11][12] Es wurden hier einerseits die Gedichtstexte aus der Hohenzollerischen Hochzeit übernommen, gekürzt um die Aufzählung der einzelnen veräußerten Orte, da diese bereits an anderem Ort der Landesbeschreibung erwähnt worden waren. Bedeutender sind die Ergänzungen. Das schlechte Verhältnis der beiden Vettern wird noch ausführlicher dargestellt, die Sympathien werden aber vertauscht. Der Wunsch, die Einheit des Landes wiederherzustellen, wie in der zollerischen Fassung erwähnt, erscheint nun als boshafter und landgieriger, öffentlich geäußerter Wunsch auf das Ableben des einzigen Sohnes des Schalksburger Vetters: „Und brach heraus sagt offentlich// Wann mein Vetter bald stürb so wer ich//Ein Herr zu Schalcksburg und Balingen//Oh thet mir einer das Bottenbrodt bringen//Daß sein Sohn Gottfried gestorben wer//Das wer mir guete neue mehr“.[13] Als der Schalksburger davon erfährt, sinnt er auf Rache. Die Beschreibungen des Leichenzugs ähneln sich, aber der Zorn über die nicht gedämpften Trommeln schlägt jetzt in Rache über: „Gantz rachgierig faßet ein Rath//Wie er vergelten mög die Tath“.[13]
Es sind also zwei eindeutig zu unterscheidende Fassungen. Einmal als Hofschreiber für die katholischen Hohenzollern, das andere mal als lutherisch-württembergischer Geschichtsschreiber.
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