Sexueller Reaktionszyklus

Sexueller Reaktionszyklus

Der sexuelle Reaktionszyklus ist eine Einteilung der sexuellen Reaktion beim Menschen in vier Phasen, die in den 1960er-Jahren von Masters und Johnson vorgenommen wurde. Von den klinischen Psychologen Kaplan und Lief wurde 1977 darauf hingewiesen, dass dem linearen Modell von Masters und Johnson eine länger vorangehende Phase von Verlangen fehlt. Viele ihrer Patienten konnten sexuell erregt werden, ohne ein Verlangen nach Sex zu haben. An diesem erweiterten Modell wiederum wurde angemerkt, dass Erregung auch Verlangen verursachen kann. Nach einem Experiment von Geer und Fuhr 1976, das zeigt, dass die sexuelle Erregung von Männern durch gleichzeitiges Ausführen schwieriger, kognitiver Aufgaben abnimmt, haben Informationsverarbeitungsmodelle für die Sexualwissenschaft stark an Bedeutung gewonnen. (Neuro)kognitive Modelle von Gedächtnis, Bewusstsein, Motivation und Emotion wurden verarbeitet. Dadurch kann argumentiert werden, dass jede sexuelle Reaktion ein Produkt eines komplexeren unterliegenden sexuellen Systems ist (Janssen), welches mit allgemeinen psychologischen Modellen untersucht werden kann.

Inhaltsverzeichnis

Erregungsphase

Während der Erregungsphase, die einige Minuten bis zu einer Stunde oder länger anhalten kann, gibt es vaskuläre (die Blutgefäße betreffende) Veränderungen in der Beckenregion. Es steigen Puls und Blutdruck an. Eine Vasocongestion, auch englisch Sex flush genannt, kann einsetzen. Bei Frauen schwellen Klitoris, Schamlippen und Brustwarzen an und die Geschlechtsteile werden feucht. Männer bekommen eine Erektion des Penis.

Plateauphase

Während der darauffolgenden Plateauphase wird ein individuell verschiedenes Ausmaß an Erregung erreicht. Dabei wird die Muskelanspannung gesteigert. Puls und Blutdruck steigen weiter an. Frauen erleben eine Weitung der äußeren Schamlippen, eine Schwellung des äußeren Drittels der Vagina sowie die Absonderung von sogenanntem vaginalen Transsudat. Dagegen sondern die Bartholinschen Drüsen ihr klares Sekret erst spät in dieser Phase ab, während homolog dazu Männer ein Sekret aus den Cowperschen Drüsen (Präejakulat) abgeben.

Orgasmusphase

Die Orgasmusphase markiert die größte Intensität der Lustempfindung; der Orgasmus dauert bei Männern und Frauen durchschnittlich einige Sekunden.

Der sex flush, die Durchblutung der obersten Hautschichten, erhöht sich auf ein Maximum.

Es kommt zu unwillkürlichen, rhythmischen Muskelkontraktionen in der Genital- und Analregion mit einem Intervall von ungefähr 0,8 Sekunden.

Der Orgasmus einer Frau ist begleitet von rhythmischen Muskelkontraktionen der orgastischen Manschette (Muskeln im unteren Scheidendrittel der Vagina, der Gebärmutter und der Analregion). Ein durchschnittlicher Orgasmus besteht aus etwa 5, ein intensiver Orgasmus aus 10 bis 15 Kontraktionen.

Während des Orgasmus stößt der Mann in der Regel das Sperma aus. Diese Ejakulation geht immer mit einem Orgasmus einher [1], der jedoch gegebenenfalls unter krankhaften Bedingungen nicht als solcher empfunden wird. Männer können aber einen Orgasmus ohne Spermaausstoß bekommen. Auch Frauen können beim Orgasmus eine klare Flüssigkeit aus den Paraurethraldrüsen absondern.

Das alles geht einher mit der nochmaligen Steigerung der Frequenz des Herzschlags bis zum Doppelten, einem Anstieg des Blutdrucks sowie einer Beschleunigung der Atmung. Es mündet in einem Höhepunkt der Herz-, Kreislauf- und Atmungstätigkeit, teilweise auch in einem kurzen Bewusstseinsverlust.

Neueren neurophysiologischen Erkenntnissen zufolge werden beim weiblichen Orgasmus bestimmte Hirnregionen für bis über zwei Minuten deaktiviert, was mit dem psychischen Erlebnis korreliert sein dürfte. Bei Männern konnte dieses relativ lang andauernde Geschehen nicht nachgewiesen werden, die Messauflösung lag im Bereich von zwei Minuten.

Die Gehirnströme verändern sich deutlich.

Rückbildungsphase

In der finalen Rückbildungsphase kehrt der Körper zur normalen Herz-Kreislauf-Funktion zurück; Blutdruck und die Atmung werden wieder auf Normalwerte reguliert; es kommt zu Müdigkeitsgefühlen. Der Penis bei Männern sowie Schamlippen, Klitoris und Brustwarzen bei Frauen schwellen ab. Beim männlichen Geschlecht beginnt unmittelbar nach dem Orgasmus eine Phase sexueller Reizunempfindlichkeit (Refraktärphase), deren Dauer proportional zur Dauer der Erregungsphase ist. Während dieser Refraktärperiode ist eine Reaktion auf sexuelle Reize nicht möglich, und es kann daher zu keiner neuen Erektion und keinem weiteren Orgasmus kommen.

Vor allem in jungen Jahren kann die Refraktärphase sehr kurz sein. Sie nimmt jedoch in der Regel mit dem Alter deutlich zu.[2]

Unterschiede

Nach Masters und Johnson wurde davon ausgegangen, dass Frauen eine langsamere und flachere Erregungskurve als Männer haben und daher länger benötigen, bis der sexuelle Höhepunkt erreicht ist. Sie werden vor allem durch Körperkontakt erregt, während Männer die Erregung insbesondere durch visuelle Stimulation erhalten. Neuere Studien haben Zweifel an dieser Annahme aufkommen lassen.

Der Orgasmus der Frau kann länger und heftiger als beim Mann ausfallen, ist multipel möglich, wird aber nicht regelmäßig beim Geschlechtsverkehr erreicht.[3] Demgegenüber kann die Dauer des männlichen Orgasmus kürzer ausfallen, ist dafür aber in der Regel bei ausreichender sexueller Stimulation bei jedem Geschlechtsverkehr schneller als bei der Frau erreichbar.[4]

Siehe auch

Literatur

  • Volkmar Sigusch: Exzitation und Orgasmus bei der Frau. Physiologie der sexuellen Reaktion. Beiträge zur Sexualforschung. Bd 48. Enke, Stuttgart 1970.
  • Volkmar Sigusch: Sexualphysiologie: Einmaleins der Lust. In: W. H. Masters, V. E. Johnson: Die sexuelle Reaktion. rowohlts sexologie. Bd 8032/8033. Reinbek bei Hamburg 1970 (durchgesehener Nachdruck: rororo sachbuch, Nr. 7814. Reinbek bei Hamburg 1984)
  • Erwin J. Haeberle: Die Sexualität des Menschen. Handbuch und Atlas. Magnus-Hirschfeld-Archiv für Sexualwissenschaft. 2. erw. Auflage. Walter de Gruyter, Berlin 1985. ISBN 3-11-010694-9 (Index online)
  • C. S. Ford, F. H. Beach: Das Sexualverhalten von Mensch und Tier (Patterns of sexual behavior, dt.). Rowohlt, Reinbek b. Hamburg 1971.
  • A. C. Kinsey u. a.: Das sexuelle Verhalten des Mannes (Sexual behavior in the human male, dt.). Fischer, Frankfurt/M. 1970.
  • W. H. Masters, V. E. Johnson: Die sexuelle Reaktion (Human sexual response, dt.). Rowohlt, Reinbek b. Hamburg 1980.
  • Klaus M. Beier, Hartmut A. G. Bosinski, Kurt Loewit, Klaus M. Beier (Hrsg): Sexualmedizin. Elsevier/Urban&Fischer, München/Jena 2005. ISBN 3-437-22850-1
  • Erwin-Josef Speckmann: Physiologie. Elsevier/Urban&Fischer, München/Jena 2008. ISBN 3-437-41318-X
  • Robert F. Schmidt: Physiologie des Menschen. Mit Pathophysiologie. Springer, Heidelberg 2007. ISBN 3-540-32908-0
  • Jan Hartmann, Christian Hick, Friedrich Jockenhövel: Intensivkurs Physiologie. Elsevier/Urban&Fischer, München/Jena 2006. ISBN 3-437-41892-0

Weblinks

Einzelnachweise

  1. 8.1.2 Mängel der heutigen Fachsprache. In: Erwin J. Haeberle: Die Sexualität des Menschen. Magnus-Hirschfeld-Archiv für Sexualwissenschaft.
  2. 2.2.1 Die vier Phasen der sexuellen Reaktion. 4. Rückbildungsphase. In: Erwin J. Haeberle: Die Sexualität des Menschen. Magnus-Hirschfeld-Archiv für Sexualwissenschaft.
  3. 3.2.1 Die vier Phasen der sexuellen Reaktion. 3. Orgasmusphase. In: Erwin J. Haeberle: Die Sexualität des Menschen. Magnus-Hirschfeld-Archiv für Sexualwissenschaft.
  4. 2.2.1 Die vier Phasen der sexuellen Reaktion. 3. Orgasmusphase. In: Erwin J. Haeberle: Die Sexualität des Menschen. Magnus-Hirschfeld-Archiv für Sexualwissenschaft.

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