Sortimentsgroßhandel

Sortimentsgroßhandel

Großhandel im funktionellen Sinne liegt vor, wenn Marktteilnehmer Waren, die sie in der Regel nicht selbst be- oder verarbeiten (Handelswaren), von Herstellern oder anderen Lieferanten beschaffen und an Wiederverkäufer, Weiterverarbeiter, gewerbliche Verwender (z. B. Behörden, Bildungsstätten) oder an sonstige Institutionen (z. B. Kantinen, Vereine), soweit es sich nicht um private Haushalte handelt, absetzen. Großhandel im institutionellen Sinne, auch als Großhandelsunternehmung, Großhandelsbetrieb oder Großhandlung bezeichnet, umfasst jene Institutionen, deren wirtschaftliche Tätigkeit ausschließlich oder überwiegend dem Großhandel im funktionellen Sinne zuzurechnen ist. In der amtlichen Statistik wird eine Unternehmung oder ein Betrieb dann dem Großhandel zugeordnet, wenn aus der Großhandelstätigkeit eine größere Wertschöpfung resultiert als aus einer zweiten oder mehreren sonstigen Tätigkeiten.

Der Großhandel versteht sich als Bindeglied zwischen den verschiedenen Vertriebsstufen. Die Abnehmer des Großhandels sind Unternehmen des Einzelhandels, des Handwerks, des Gastgewerbes, regionale Großhändler, industrielle oder sonstige gewerbliche Betriebe. Entscheidungen über die Auswahl einzuschaltender Großhandlungen nach Art und Anzahl zählen im Rahmen des industriellen Marketing-Mix zur Distributionspolitik. Großhandelsunternehmen verfügen jedoch auch über ein breites Spektrum an Instrumenten eines eigenständigen Handelsmarketings (Großhandelsmarketing). Insbesondere wegen der Gefahr der Ausschaltung, d. h. nicht mehr genügend Lieferanten und/oder Kunden zu finden, ist ein professionelles Handelsmarketing existenziell wichtig. Von Großhandlungen initiierte vertragliche vertikale und/oder horizontale Kooperationen wirken Ausschaltungsgefahren wirksam entgegen, z. B. Vertragshandel, Exklusivvertrieb; Einkaufsgenossenschaft als Beschaffungszentrale von Einzelhändlern oder die von einer Großhandlung als Systemzentrale organisierte Einbindung von Einzelhandelsunternehmen in eine Verbundgruppe (Freiwillige Kette, Einkaufsgemeinschaft nicht-genossenschaftlicher Rechtsform).

Inhaltsverzeichnis

Funktionen des Großhandels

Der Großhandel übernimmt als Bindeglied zwischen Erzeugern und Einzelhändlern, Großabnehmern und sonstigen Gewerbetreibenden eine Vielzahl von Funktionen.

Großhändler und Einzelhändler nehmen jedem Hersteller von Konsumgütern die kostenträchtige Aufgabe ab, seine Waren direkt an einzelne Endverbraucher zu verkaufen. Beispielsweise produziert ein Hersteller 10.000 Hosen. Er verkauft sie in kleineren Partien an verschiedene Großhändler, diese wiederum verkaufen die Hosen in nochmals kleineren Partien an viele Einzelhändler und diese verkaufen schließlich Einzelstücke an einzelne Verbraucher. Die durch die Einschaltung von Großhandlungen bewirkten Vorteile sind offenkundig: Markterschließung, Risikoteilung, Senkung der Distributionskosten und Finanzierungserleichterung. Ähnlich dem Einzelhandel erfüllt der Großhandel unter anderem diese Handelsfunktionen:

Zeitüberbrückung (Lagerhaltung und Logistik)

Meist stimmen die Herstellung von Gütern und deren Verwendung zeitlich nicht überein. Die Zeitüberbrückung übernimmt der Großhandel, indem er die Güter lagert (deshalb auch Lagerfunktion genannt). Aber nicht nur die ständige Vorratshaltung, sondern auch die logistischen Leistungen des Großhandels machen es möglich, dass der differenzierte Bedarf der Kunden jederzeit gedeckt werden kann.

Beispiele: Kartoffeln werden nur im Sommer bzw. Herbst geerntet. In dieser Zeit kauft der Großhändler sehr viel auf und lagert sie ein. Diesen eingelagerten Vorrat verkauft er dann über das Jahr hinweg, denn die Verbraucher wollen auch im Winter und Frühling Kartoffeln einkaufen und essen. – Ohne den vom Presse-Grosso organisierten Vertrieb von Zeitungen und Zeitschriften (z. T. mit weltweitem Beschaffungsradius) mit schnellstmöglicher „Feinverteilung“ an Tausende von Verkaufsstellen wäre die aktuelle Versorgung der Leser undenkbar.

Mengenumverteilung

Diese Funktion wird entweder als Absatzgroßhandel oder als Ankaufgroßhandel vollzogen, je nachdem auf welcher Marktseite der Schwerpunkt der Marketingaktivitäten liegt.

Absatzgroßhandel

Industriebetriebe produzieren ihre Waren meist in großen Mengen, um ihre Kapazitäten voll auszulasten (Kostensenkungspotential). Der Großhändler kauft von einem oder wenigen Herstellern große Mengen ein und gruppiert sie kundengerecht zu kleineren Mengen um. Die Kunden des Großhändlers können meist die Waren in beliebiger Anzahl beziehen. Daraus folgt: Kauf in großen Mengen, Absatz in kleinen Mengen.

Aufkaufgroßhandel

Der Großhändler kauft von vielen Unternehmen kleine Mengen auf und verkauft die Gesamtmenge an ein oder wenige Unternehmen weiter.

  • Beispiel landwirtschaftliche Erzeugnisse:

Die Molkerei kauft von vielen Bauern kleine Mengen Milch, um aus der großen Menge Milcherzeugnisse herzustellen.

  • Beispiel Recycling:

Der Schrotthändler kauft von vielen Handwerkern Metalle, um die große Menge Schrott an einen Weiterverarbeiter zu verkaufen.

Produktionsverbindungshandel

Der Produktionsverbindungshandel (PVH) kauft Waren von Produzenten und verkauft sie weiter an Produzenten der nachfolgenden Produktionsstufe, ggf. nach eigener Bearbeitung und/oder unter zeitlich genauer Einpassung in Weiterverarbeitungsprozesse (Just-in-time-Prinzip).

  • Beispiel:

Aufkauf und Verkauf von Furnierholz, Gummi, Stahl.

Sortimentsgestaltung

Der Großhändler stellt aus dem häufig engen Produktionsprogramm verschiedener Hersteller sein eigenes Sortiment nach dem Bedarf seiner Kunden zusammen. Die Kunden finden daher im Handel eine mehr oder minder große Auswahl von Waren vor, die sich nach Art, Güte und Ausführung unterscheiden. Ohne Handelsunternehmen müsste ein Kunde seine gewünschten Produkte unter immensem Aufwand selbst bei Herstellern beschaffen, u.U. bei weltweit verstreuten Herstellern.

Veredelung

Bestimmte Produkte benötigen nach ihrer Erzeugung noch eine bestimmte Zeit der Reife, bis sie voll verkaufsfähig sind. Oder sie müssen vor ihrem Weiterverkauf nachbehandelt bzw. aufbereitet oder veredelt werden. Die Veredelungsfunktion umfasst alle Nebenleistungen des Händlers, die das Produkt verkaufsreif machen und das Produkt nicht vollständig verändern. (Im Gegensatz zur Nebenleistung wird bei der wesentlichen Leistung das Produkt produziert bzw. erzeugt.)

Beispiele:

  • Kaffee rösten (das Mahlen des Kaffees, verändert das ursprüngliche Produkt so stark, dass es sich dabei nicht mehr um Veredelung handelt)
  • Faule Früchte aussortieren
  • Früchte reifen lassen
  • Wein reifen lassen
  • Bier brauen

Servicefunktion

Der Großhandel informiert und berät über Eigenschaften, Anwendungsmöglichkeiten, Bedienung und Wartung der Produkte. Als Maßnahme des Absatzmarketings macht Kundenservice häufig den Verkauf einer Ware erst möglich. Entsprechend kann der Großhandel als Maßnahme des Beschaffungsmarketings seinen Lieferanten speziellen Lieferantenservice bieten, z. B. Marktinformationen, Warentransport oder erleichterte Warenannahme. Es wird zwischen kaufmännischem und technischem Service unterschieden. Unter kaufmännischen Service fallen bspw. verlängerte Garantieleistungen, Zahlungsvereinfachungen, Zustelldienste oder Online-Dienste. Unter technischen Service fallen Installation und Aufbau, Reparaturen und Wartungsarbeiten.

Markterschließung

Der Großhandel wird von vielen Herstellern als Distributionskanal eingesetzt, und zwar als Absatzkanal beim Vertrieb ihrer Produkte oder als Beschaffungskanal bei der Beschaffung von Waren für die Produktion (z. B. Werkstoffe, Betriebsmittel, Halbfertigfabrikate). Letzteres kennzeichnet vor allem den Produktionsverbindungshandel. Da der Großhändler die Wünsche und Vorstellungen seiner Kunden kennt, kann er ihnen helfen, den richtigen Absatz- oder Beschaffungsmarkt zu organisieren. Er unterstützt die Hersteller, indem er sie rechtzeitig über Nachfrage- bzw. Bedarfs- sowie Angebotsverschiebungen informiert. Diese Informationen können bei der Produktentwicklung berücksichtigt werden. Diese Funktion wird mit dem zunehmenden Wunsch der Kunden nach maßgeschneiderten Produkten und nach Just-in-time-Belieferug immer bedeutsamer.

Absatzfinanzierung (Kreditgewährung)

Absatzfinanzierung ist der Verkauf von Waren auf Rechnung. Durch Einräumung eines Zahlungszieles (z. B. zahlbar innerhalb 30 Tagen) gewährt der Händler dem Kunden einen Kredit über den Zeitraum zwischen der Übergabe der Ware und dem auf der Rechnung angegebenen Zahlungszeitpunkt. So können die Kunden des Großhändlers die gekauften Produkte verwenden, ohne dafür sofort finanzielle Mittel bereitstellen zu müssen. Darüber hinaus bieten viele Großhändler ihren Kunden auch langfristige Finanzierungsangebote an, wobei häufig Banken eingeschaltet werden. Bsp.: Großhändler als Leasinggeber

Betriebsformen des Großhandels

Beim Großhandel unterscheidet man folgende Betriebsformen:

  • Spezialgroßhandel, bietet nur eine Warenart an; das Sortiment ist eng und in der Regel (i. d. R.) tief.
  • Sortimentsgroßhandel, bietet mehrere Warenarten an; das Sortiment ist breit und kann tief oder flach sein.
  • Zustellgroßhandel, verkaufte Waren werden den Kunden mit eigenen Fahrzeugen oder durch Frachtführer geliefert.
  • Abholgroßhandel, Waren werden vom Kunden beim Großhändler abgeholt.
  • Cash-and-carry-Großhandel (Selbstbedienungsgroßhandel), der Kunde sucht sich die gewünschten Waren selbst aus (Selbstbedienung), bezahlt den Kaufpreis bar (cash) und nimmt sie selbst mit (carry); die gebräuchlichste Abkürzung für diese Verkaufsform ist C & C.
  • Regalgroßhandel (Rack Jobber), dem Einzelhändler werden vom Großhändler Regale zur Verfügung gestellt, z. B. durch Mietvertrag. Diese Regale füllt der Großhändler mit seinen Waren, außerdem übernimmt er die Betreuung dieser Regale und trägt das alleinige Absatzrisiko. Der Einzelhändler erhält eine Vergütung.

Standort des Großhandelsbetriebes

Unter dem Standort versteht man den Platz der gewerblichen Niederlassung eines Betriebs. Die Entscheidung für einen bestimmten Standort ist abhängig von zahlreichen Standortfaktoren. Im Einzelfall muss geprüft werden, inwieweit die Standortfaktoren die Kosten für die Produktionsfaktoren und die Erträge für die betrieblichen Leistungen bestimmen.

Der optimale betriebliche Standort liegt dort, wo mit einer gegebenen Ausstattung mit Betriebsmitteln ein maximaler Gewinn erzielt wird.

Standortfaktoren

  • Absatz, der Standort wird in die Nähe der Abnehmer gelegt, um schnell und kostengünstig liefern zu können.
  • Beschaffung, der Standort orientiert sich an der räumlichen Nähe zu den Lieferern (gilt insbesondere für den Aufkaufgroßhandel).
  • Verkehrslage, der Standort wird in verkehrstechnisch gut erschlossene Gebiete (gut ausgebautes Straßen- und oder Schienennetz) gelegt.
  • Arbeitskräfte, der Standort richtet sich nach Lohnniveau und vorhandenen Arbeitskräften (quantitativ und qualitativ).
  • Bodenpreise, der Standort ist abhängig von den Grundstückspreisen (bzw. der Höhe der Mieten für Betriebsräume)
  • Steuern und öffentliche Abgaben'(politische Standortfaktoren)', bei sonst gleichen Standortfaktoren sind Orte mit niedrigeren Steuern und Abgaben für die Standortwahl ausschlaggebend.
  • Subventionen'(politischer Standortfaktor)', die Standortwahl orientiert sich auch an direkten und indirekten Zuschüssen oder Vergünstigungen, die für eine Betriebsansiedlung gewährt werden.

Wirtschaftliche Bedeutung

Quantitativ wird die Bedeutung des (Binnen-)Großhandels bereits daran sichtbar, dass sein Umsatz jährlich bei rund 120 Milliarden € liegt und er ca. 1,2 Millionen Menschen Arbeitsplätze bietet.

Qualitativ liegt die Bedeutung des Großhandels für die Gesamtwirtschaft (nach Schenk) vor allem darin, dass er durch

  • Organisierung von (Absatz- und Beschaffungs-)Märkten,
  • Übernahme von (Absatz- und Beschaffungs-)Risiken und
  • Generierung von Wettbewerb

zu einer Senkung der Transaktionskosten innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette beiträgt.

Die im Internetzeitalter entstandene zusätzliche Ausschaltungsgefahr durch neue „Intermediäre“ des virtuellen Warengeschäfts (e-commerce) können Großhandelsunternehmen in neue Einschaltungschancen umwandeln, wenn sie a) das Internet selbst für ihre Beschaffungs- und Absatzprozesse nutzen und b) bei profilierender Schwerpunktsetzung für ihre Lieferanten und Kunden eine Nutzensteigerung mittels eigenem Internetauftritt kommunizieren. „Nicht ‚das Internet‘ verschärft die Ausschaltungsgefahren für den Großhandel, sondern der Verzicht auf seine aktive Nutzung!“ (Schenk, a.a.O., S. 403.)

Siehe auch

Literatur

  • Hans-Otto Schenk: Perspektiven des Großhandels im Internetzeitalter, in: Handelsforschung 2005, hrsg. von Volker Trommsdorff, Stuttgart 2005, S. 375–406.
  • Joachim Zentes, Guido Hüffer, Sandra Pocsay, Rick Chavie: Innovative Geschäftsmodelle und Geschäftsprozesse im Großhandel. Deutscher Fachverlag, Frankfurt am Main 2007.

Weblinks


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