Staatsfeindliche Hetze

Staatsfeindliche Hetze

Kriegs- und Boykotthetze war ein in Art. 6 der Verfassung von 1949 der Deutschen Demokratischen Republik[1] niedergelegter Straftatbestand, der insbesondere in den 1950-er Jahren gegen Dissidenten angewendet und hierbei durch die DDR-Justiz weit ausgelegt wurde.

Inhaltsverzeichnis

Anwendung während des Bestehens der DDR

Politische Straftaten in der DDR wurden in den 50er Jahren im Wesentlichen unter Art. 6 Abs. 2 der Verfassung von 1949 subsumiert. Dort hieß es:

  • "Boykotthetze gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegen demokratische Politiker, Bekundung von Glaubens-, Rassen-, Völkerhaß, militärischer Propaganda sowie Kriegshetze und alle sonstigen Handlungen, die sich gegen die Gleichberechtigung richten, sind Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches. Ausübung demokratischer Rechte im Sinne der Verfassung ist keine Boykotthetze."

Der Straftatbestand war im Sinne einer Generalklausel so formuliert, dass sich alles darunter subsumieren ließ, was sich im politischen Tagesgeschehen gegen die Interessen der SED richtete.

Mit dem Strafrechtsergänzungsgesetz vom 11. Dezember 1957 wurden die Tatbestände "Staatsgefährdende Propaganda und Hetze" (§ 19) und "Staatsverleumdung" (§ 20) eingeführt. Diese Tatbestände wurden mit Einführung des Strafgesetzbuches der DDR vom 12. Januar 1968 übernommen. "Staatsfeindliche Hetze" (§ 106) wurde fortan mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren, in schweren Fällen von zwei bis zu 10 Jahren, bestraft. In das Kapitel "Straftaten gegen die staatliche Ordnung" wurden neben den Tatbestand der "Staatsverleumdung" (§ 220) unter anderem die "Beeinträchtigung staatlicher oder gesellschaftlicher Tätigkeit" (§ 214), Rowdytum (§ 215), die "Vereinsbildung zur Verfolgung gesetzwidriger Ziele" (§ 218) und die "Ungesetzliche Verbindungsaufnahme" (§ 219) eingestellt. Im Zuge des 2. und 3. Strafrechtsänderungsgesetz wurde der Strafrahmen dieser Tatbestände sukzessive erhöht.

Behandlung der Verurteilungen wegen Kriegs- und Boykotthetze nach der Wiedervereinigung

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann die sehr weite Auslegung des Tatbestandes der Kriegs- und Boykotthetze durch die Staatsanwaltschaft der DDR unter Umständen keine vorsätzliche Rechtsbeugung darstellen. Nach der Rechtsprechung des BGH handelte es sich hierbei um eine nach rechtsstaatlichen Gesichtspunkten untragbare Interpretation, welche auch objektiv den Tatbestand der Rechtsbeugung erfülle. Auf der inneren Tatseite handele es sich aber um eine vom Standpunkt der DDR-Justiz zulässige, vom Obersten Gericht der DDR gebilligte Rechtsauffassung, an die die Staatsanwaltschaft in der DDR durch die enge Weisungsgebundenheit auch gebunden war.[2]

Anders kann es sich bei Richtern verhalten, wenn diese den Tatbestand der Kriegs- und Boykotthetze unangemessen überdehnt hatten oder aber die verhängte Strafe in einem unerträglichen Missverhältnis zu der abgeurteilten Handlung gestanden hat, etwa die Todesstrafe wegen Kriegs- und Boykotthetze ausgesprochen wurde.[3]

Quellen

  1. Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Oktober 1949
  2. BGH Urteil vom 26.07.1999, Az. 5 StR 94/99, NStZ 1999, 361
  3. BGH, Urteil vom 16. November 1995, Az. 5 StR 747/94, BGHSt 41, 317

Literatur

Uwe Wesel: Geschichte des Rechts. Von den Frühformen bis zur Gegenwart. München 2001.

Bitte beachte den Hinweis zu Rechtsthemen!

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужно сделать НИР?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • staatsfeindliche Hetze — staatsfeindliche Hetze,   in der DDR als Staatsverbrechen eingestuftes Delikt (§ 106 StGB, ursprünglich »Boykotthetze«), das in weit gefassten Rechtsbegriffen u. a. den Angriff oder die Aufwiegelung gegen die Gesellschaftsordnung der DDR durch… …   Universal-Lexikon

  • DDR-StGB — Das Strafgesetzbuch (StGB, zur Abgrenzung auch StGB DDR) der DDR regelte die Kernmaterie des Strafrechts in der DDR. Während es dazu die Voraussetzungen und Rechtsfolgen strafbaren Handelns bestimmte, war das Verfahren zur Durchsetzung seiner… …   Deutsch Wikipedia

  • StGB-DDR — Das Strafgesetzbuch (StGB, zur Abgrenzung auch StGB DDR) der DDR regelte die Kernmaterie des Strafrechts in der DDR. Während es dazu die Voraussetzungen und Rechtsfolgen strafbaren Handelns bestimmte, war das Verfahren zur Durchsetzung seiner… …   Deutsch Wikipedia

  • Strafgesetzbuch (DDR) — Das Strafgesetzbuch (StGB, zur Abgrenzung auch StGB DDR) der DDR regelte die Kernmaterie des Strafrechts in der DDR. Während es dazu die Voraussetzungen und Rechtsfolgen strafbaren Handelns bestimmte, war das Verfahren zur Durchsetzung seiner… …   Deutsch Wikipedia

  • DDR — Deutsche Demokratische Republik …   Deutsch Wikipedia

  • German Democratic Republic — Deutsche Demokratische Republik …   Deutsch Wikipedia

  • SED-Diktatur — Deutsche Demokratische Republik …   Deutsch Wikipedia

  • SED-Staat — Deutsche Demokratische Republik …   Deutsch Wikipedia

  • Deutsche Demokratische Republik — Deutsche Demokratische Republik …   Deutsch Wikipedia

  • Politische Haft (DDR) — Haftbeschluss aus dem Jahr 1955 gegen Karl Wilhelm Fricke, unterzeichnet durch Erich Mielke Mit Politische Haft (DDR) werden politisch motivierte Inhaftierungen in der DDR bezeichnet. Die DDR Behörden selbst haben den Begriff Politische Haft… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”