- Steinzeitliche Religionen
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Steinzeitliche Religionen sind die frühesten Formen religiösen Ausdrucks, von denen ausreichend archäologische Spuren existieren. Da es aus jener Zeit keine schriftlichen Überlieferungen gibt, lassen sich Glaubensinhalte der damaligen Menschen nur indirekt erschließen. Dazu gehören insbesondere Kunstwerke, sakrale Bauten oder Gräber und Grabbeigaben.
Inhaltsverzeichnis
Die äußeren Lebensumstände
Auf das, in Europa jedenfalls, mobile Leben der Jäger und Sammler folgte das teilmobile, jahreszeitlich geprägte Leben der mesolithischen Jäger Sammler und Fischer. Mit den frühen Bauern entwickelten sich die permanente Sesshaftigkeit. Mit der veränderten Lebenssituation haben sich auch die metaphysischen Weltbilder gewandelt. Da es keine Schrift gab, konnten sie nur über mündliche Überlieferung, Rituale und symbolhafte Artefakte tradiert werden. Die zeitgleich aufkommenden Viehzüchterkulturen haben entsprechend ihrer "gesellschaftlichen Praxis" (nach Karl Marx) abweichende Vorstellungen entwickelt.
Die religionswissenschaftliche Forschung kann zeigen, dass Schöpfungsmythen in ihrem Kern eine glaubwürdig Wirklichkeit beschreiben, die in doktrinärer Weitergabe einen Wahrheit stiftenden Charakter annahmen. Wenn das Grundmuster steinzeitlicher Religionen erkannt werden soll, muss sich mit der damaligen Lebenssituation und den Mythen auseinandergesetzt werden, die ihre Wirklichkeit be- oder umschrieben.
Mythen, Bilder und Magie der Altsteinzeit
Die Jäger und Sammler der Altsteinzeit lebten wie die zeitnäheren Aborigines Australiens oder die San in der Kalahari und die Inuit im 19. Jahrhundert von der Jagd (auch Fischfang) und dem Sammeln. Es gab weder Vorratshaltung, noch Besitz oder permanente Wohnsitze. Das Leben hing scheinbar davon ab, was das Land – oder der Herr der Tiere ihnen zugestand. Aus dieser Lebensweise entwickelten die Jäger und Altsteinzeit-Menschen eine mythische, existenzielle Beziehung zum Land mit seinen Jagdtieren und gewissen schöpferischen Plätzen. Mit den Tieren waren sie über Totem-Verwandtschaften genauso eng verbunden wie mit allem Lebendigen, (Bäume, Quellen, Berge) das sie umgab. Ihre Welt war angefüllt von magischen, geheimnisvollen Kräften und Schöpfungsenergien, wobei die wichtigsten Jagdtiere zu Symboltieren wurden, obwohl oder gerade weil sie gejagt und getötet wurden und auf diese Weise die Jäger nährten.
In den Mythen aller Jägergesellschaften besitzt der Tod daher eine schöpferische Kraft und es entwickelten sich Vorstellung von einem Jenseits, in dem die Verstorbenen zu Ahnen werden und alles Lebendige ein metaphysisches Ebenbild hat. Mächtige, Leben oder Verderben spendende Geistwesen wirken von dort. Nur Schamanen konnten im Zustand veränderten Bewusstseins mit der Anderswelt Kontakt aufnehmen, mit den Ahnen kommunizieren oder mit Hilfe der Geisthelfer geraubte Seelen zurückholen und damit Kranke heilen. Jägergesellschaften kannten viele Seelenteile. Sie umschrieben damit eine schöpferische Kraft, die in allem Lebendigen gedacht wurde. Bis in die frühen Hochkulturen hinein vermittelten diese Vorstellungen einen Einblick in die Welt vielschichtiger Lebenskräfte.
In den altsteinzeitlichen Jägergesellschaften genossen Tiere eine „religiöse“, also mythische Verehrung, die sich in der prähistorischen Ikonografie ihrer Felsbilder oder Höhlenmalereien widerspiegelt. Sie zeugen von der geistigen Auseinandersetzung mit ihrer Lebenswelt. Diese Bilder und Zeichen sind keine Illustrationen bestimmter Ereignisse, sondern als Symbole mythischer Wirklichkeit zu lesen. In den Felsbildern offenbaren sich ebenso wie in den Mythen die komplexen Zusammenhänge zwischen dem Menschen und seinem Lebenswillen. Geheimnisvolle Kräfte umgaben die Jäger und Sammler, zu denen sie in Trance-Zeremonien Kontakt herzustellen vermochten, um diese gutwillig zu stimmen und sie um Hilfe und Rat zu bitten.
Die zyklische Ordnung jungsteinzeitlicher Religionen
Mit dem Ackerbau und der Vorratshaltung veränderte sich die Lebenssituation der Menschen grundlegend. Auch wenn man noch für einige Zeit von einer Teilmobilität ausgehen muss, so zeichnet sich doch ab, dass mit der Landwirtschaft die neue Nahrungsquelle ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt. Das Leben ist nicht mehr vom Jagdglück abhängig, sondern von der Erde, die zur Ernährerin wird und von der Witterung die zum Feind werden kann. Mythische Bilder von einer Leben gebenden Mutter Erde und einem Wettergott entstehen, die im Rhythmus des Himmels neues Leben hervorbringen. Die zyklische Wiederkehr des Lebens beruht auf einer schöpferischen Verbindung von Himmel und Erde. Die Erde wird zur nährenden Frau, während der Himmel ihr eine Ordnung gibt, die Tod und Leben zu einem Kreis rundet, in dem Werden und Vergehen eine Einheit bilden.
Der jungneolithische Mensch lebt im Zyklus der Jahreszeiten und bleibt abhängig vom Rhythmus des Werden und Vergehens, das den Vegetationskreislauf charakterisiert. Das zyklische Verständnis prägt das Bäuerliche Weltbild nicht nur in der Lebenswelt, sondern auch in der mythischen Ordnung. Das Sein bestimmt nicht nur das Bewusstsein sondern auch das Unterbewusstsein.
Der Vegetationskreislauf war aber nicht die existenzielle Erfahrung dieser Menschen. Er galt auch schon für die Ordnung der Jäger. Jetzt war aber ein kalendarisches System erforderlich und es fand seine Entsprechung im Mond, der zyklisch schwindet und wiederkehrt. Prähistorische Vegetationsgottheiten, die als sterbende und wieder auferstehende Gottheiten (Attis, Baal, Marduk, Osiris) verehrt wurden, symbolisierten den Lebenskreislauf, der seine schöpferische Kraft in Tod und Auferstehung erneuert. Das Leben auch und gerade des massgeblichen Gottes läuft auf sein Vergehen zu, während es nach seinem Tod erneuert wieder heraufsteigt. Leben und Tod bedingen einander.
Die Erfahrung rhythmischer Wiederkehr prägt die Mythen aller bäuerlicher Gesellschaften. Mythen sind gleichnishafte Geschichten, die mit unterschiedlichen Worten dasselbe aussagen. Das mit der Zeugung (der göttlichen Hierogamie) beginnende Leben beschränkte sich nicht auf die Daseinsspanne des Individuums, sondern wurde als Phänomen wahrgenommen, dessen Erhaltung und Würdigung, dessen kultische Verehrung höchste religiöse Bedeutung hatte.
In frühen Kulturen symbolisieren sich die Schöpfungskräfte auch in Bildern von Tieren, die den Tod bringen, in Löwen, Adlern, Krokodilen, Leoparden oder Jaguaren. Da diese Tiere töten, führten sie zum Tod und werden als Herren des schöpferischen Nicht-Seins gedacht, das die Dynamik des Lebens umreißt. Sie sind Symbole der Lebenswelt, die von Geburt und Tod charakterisiert wird. Der Mythos des ägyptischen Korn- und Vegetationsgottes Osiris ist ein Beispiel für die Vorstellung der Schöpfungskraft des Todes, denn der Gott zeugt seinen Nachfolger (Horus) im Tod. Im Mythos muss der Gott wie das Saatkorn erst sterben (mit Erde bedeckt werden - wie der Tote Mensch), bevor er aus dem Nicht-Sein den neuen Keim hervor treiben kann. Osiris manifestiert die Schöpfungskraft des Nicht-Seins.
Dieses zyklische und dynamische Modell der Welt führte zu der Vorstellung, dass das Leben seinen Ursprung im Tod, vielleicht besser im Nicht-Sein hat. Man kannte keine von außen wirkenden Schöpfungskräfte, sondern war sich der allem Sein innewohnenden Schöpfungsenergien bewusst, die in rhythmischer Dynamik Lebensformen zur Gestalt bringen und auflösen. Wie auch immer man sich diese geheimnisvollen Wirkungskräfte des Seins vorstellte, sie wurden ehrfürchtig wahrgenommen. Sie personifizierten sich zu Gottheiten. Sie konnten, wie im atlantischen Europa, als in jahreszeitlicher Ordnung sich manifestierende Kräfte verehrt werden, oder wie in Amerika im Bild der alles Sein umfassenden Pachamama Verehrung finden.
Literatur
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- G. Daniel Brinton: Myths of the Americas, Symbolism and Mythology of the Indians of the Americas. New York 1976
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- Ad. E. Jensen: Mythos und Kult bei den Naturvölkern. Wiesbaden 1951
- Ad. E. Jensen: Die getötete Gottheit. Weltbild einer frühen Kultur. Stuttgart 1966
- B. M. Linke (Hrsg.): Schöpfungsmythologie in den Religionen. Frankfurt 2001
- I. Mahlstedt: Die religiöse Welt der Jungsteinzeit. Darmstadt/Stuttgart 2004
- Makilam: Die Magie kabylischer Frauen und die Einheit einer traditionellen Berbergesellschaft. Kleio Humanities, Bremen 2007, ISBN 978-3-9811211-3-1
- Ch. P. Mountford: Nomads of the Australian Desert. Sydney 1976
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- F. Schlette und D. Kaufmann (Hrsg.): Religion und Kult in ur- und frühgeschichtlicher Zeit. Berlin 1989
- G. Stephenson (Hrsg.): Leben und Tod in den Religionen. Darmstadt 1997
- S. Vierzig: Mythen der Steinzeit. Oldenburg 2009 (auch im Volltext online)
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