Steuersteckbrief

Steuersteckbrief

Die Reichsfluchtsteuer wurde am 8. Dezember 1931 mit der „Vierten [Not-]Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutze des inneren Friedens“ (RGBl. 1931 I, S. 699-745) eingeführt, um Kapitalflucht einzudämmen. Die Reichsfluchtsteuer wurde bei Aufgabe des inländischen Wohnsitzes fällig, sofern das Vermögen 200.000 Reichsmark (RM) überstieg oder das Jahreseinkommen mehr als 20.000 RM betrug. Der Steuersatz wurde auf 25 Prozent festgesetzt.

In der Zeit des Nationalsozialismus diente die Reichsfluchtsteuer nicht mehr dem ursprünglichen Zweck, vermögende Reichsbürger von einer Übersiedlung ins Ausland abzuschrecken. Vielmehr war die Auswanderung jüdischer Bürger gewollt und die Reichsfluchtsteuer bekam damit die „Funktion einer Teilenteignung“[1] der jüdischen Auswanderer, die sich durch den Verfolgungsdruck zur Flucht aus ihrem Heimatland entschlossen hatten.

Inhaltsverzeichnis

Geschichtlicher Rahmen

Die 1929 von den Vereinigten Staaten von Amerika ausgehende Weltwirtschaftskrise führte in Deutschland zu einer Sparpolitik und löste eine starke Kapitalflucht ins Ausland aus. Dem suchte die Regierung durch eine Devisen-Zwangsbewirtschaftung entgegenzuwirken. Zudem sollten vermögende Auswanderungswillige, die als Steuerzahler auszufallen drohten, durch die Reichsfluchtsteuer von ihrem Vorhaben abgehalten werden.

Der Gedanke, die steuersparende Wohnsitzverlegung ins Ausland als eine „unpatriotische Fahnenflucht“ mit einer Abgabe zu belegen, war nicht neu. Bereits 1918 hatte die deutsche Regierung noch unter dem Kaiser ein „Gesetz gegen die Steuerflucht“ erlassen, das jedoch 1925 aufgehoben wurde.[2]

Verordnung vom 8. Dezember 1931

Die Reichsfluchtsteuer war nur eine von vielen anderen Maßnahmen, die in der „Vierten Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutze des inneren Friedens“ gesetzlich geregelt wurden: Es ging dabei auch um Preis- und Zinssenkungen, Wohnungswirtschaft, Sozialversicherung, Arbeitsrechtliche Vorschriften, Haushaltssicherung und Lohnsenkung sowie Uniformverbot und Maßnahmen gegen Waffenmissbrauch.

Als befristete „Maßnahme zur Kapital- und Steuerflucht“ sollten Personen, die am 31. März 1929 Staatsangehörige des Deutschen Reiches waren und von diesem Zeitpunkt an bis zum 1. Januar 1933 ihren Wohnsitz ins Ausland verlegen würden, rückwirkend eine Reichsfluchtsteuer entrichten, sofern sie ein steuerpflichtiges Vermögen von mehr als 200.000 Reichsmark oder ein Jahreseinkommen von über 20.000 RM erreichten. Der Steuersatz wurde auf 25 % des Gesamtvermögens festgesetzt.

Steuerpflichtigen Personen, die sich dieser Abgabe zu entziehen suchten, wurden als Strafen Gefängnis nicht unter drei Monaten sowie Geldstrafe unbegrenzter Höhe angedroht. Sie sollten namentlich mit einem im Reichsanzeiger veröffentlichten „Steuersteckbrief“ zur Festnahme ausgeschrieben und bei einem besuchsweisen Aufenthalt in Deutschland verhaftet werden. Ihre in Inland befindlichen Vermögenswerte wurden beschlagnahmt

1933-1945

Die bestehende Verordnung zur Reichsfluchtsteuer wurde mit dem „Gesetz über Änderung der Vorschriften über die Reichsfluchtsteuer“ vom 18. Mai 1934 (RGBl. 1934 I, S. 392-393) wesentlich geändert, am 19. Dezember 1937 (RGBL I, S. 1385) ergänzt und letztmals am 9. Dezember 1942 (RGBl. I, S. 682) unbefristet fortgeschrieben.

Eine schwerwiegende Veränderung bestand darin, dass 1934 die genannte Vermögensgrenze von vorher 200.000 Reichsmark auf nunmehr 50.000 Reichmark herabgesetzt wurde[3]. Zudem wurden die Bemessungsgrundlagen zu Ungunsten der Emigranten verändert[4]. Damit war ein weit größerer Personenkreis von der Zwangsabgabe betroffen. Die Reichsfluchtsteuer, die ursprünglich auf diejenigen zielte, die freiwillig und um die eigene Steuerlast zu mindern ins Ausland übersiedelten, traf nun hauptsächlich die Juden, die aus berechtigter Furcht vor Gewalt und KZ-Haft ihr Heimatland verlassen wollten.

Vor 1933 war das Steueraufkommen aus der Reichsfluchtsteuer wenig bedeutsam gewesen und betrug im zweiten Rechnungsjahr nur knapp 1 Millionen Reichsmark.[5] Mit Beginn der durch Terror eingeleiteten Fluchtbewegung wurde die Reichsfluchtsteuer zu einem bedeutenden Teil im Reichshaushalt. 1933 stieg das Aufkommen auf 17 Millionen Reichsmark und erreichte 1938 einen Höhepunkt mit 342 Millionen Reichsmark. Insgesamt zog der nationalsozialistische Staat durch die Fluchtsteuer 941 Millionen Reichmark ein. Nach Schätzungen stammt diese Summe zu über 90% von rassisch verfolgten Emigranten.[6] .

Durchführung

Eine „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ des Finanzamts, mit der die Zahlung der Reichsfluchtsteuer und anderen Steuern bestätigt wurde, war die Voraussetzung zur legalen ständigen Ausreise. Bei Verdacht einer Ausreiseabsicht konnten die Finanzämter ab 1934 eine Sicherheitsleistung in Höhe der geschätzten Reichsfluchtsteuer fordern. Ein engmaschiges Netz entstand, um Fluchtabsichten aufdecken zu können: Die Reichspost meldete Nachsendeaufträge von Juden, Spediteure sollten Umzüge melden, Notare Immobilienverkäufe anzeigen und Lebensersicherungen erbetene Rückkäufe melden. Mit der Gestapo wurden Post- und Telefonüberwachung einzelner Verdächtigter vereinbart.[7]

Mit der Zahlung der Reichsfluchtsteuer war jedoch nicht verbunden, dass das weitere Vermögen und Hab und Gut ins Exil mitgenommen werden konnte. Die Freigrenze für Devisen wurde 1934 auf 10 Reichsmark festgesetzt. Bank- und Wertpapierguthaben wurden auf Sperrkonten übertragen und konnten nur gegen hohe Abschläge ins Ausland transferiert werden. Für Umzugsgut, das nach dem 1. Januar 1933 angeschafft worden war, musste eine so genannte Dego-Abgabe bei der Deutschen Golddiskontbank entrichtet werden.

Aufhebung

Die Vorschriften über die Reichsfluchtsteuer wurden durch das „Gesetz zur Aufhebung überholter steuerrechtlicher Vorschriften“ vom 23. Juli 1953 (BStBl. 1953 I S. 276) aufgehoben. Ein im Kabinett umstrittener ersatzweiser Gesetzentwurf gegen die Kapitalflucht wurde nicht im Bundestag eingebracht, da sämtliche Maßnahmen, die gegen die Kapitalflucht getroffen werden konnten, bereits im Gesetz Nr. 53 der britischen und amerikanischen Militärregierung, anderen Verordnungen sowie in zahlreichen Einzelbestimmungen über die Devisenbewirtschaftung enthalten waren. [8]

Siehe auch

Literatur

  • Martin Friedenberger et. al. (Hrsg.): Die Reichsfinanzverwaltung im Nationalsozialismus. Bremen 2002, ISBN 3-86108-277-9
  • Martin Friedenberger: Fiskalische Ausplünderung, Berlin 2008, S.67-128 (nicht eingesehen)
  • Dorothee Mußgnug: Die Reichsfluchtsteuer 1931-1953, Berlin 1993 (nicht eingesehen)

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Martin Friedenberger et. al. (Hrsg.): Die Reichsfinanzverwaltung im Nationalsozialismus. Bremen 2002, ISBN 3-86108-277-9, S. 12
  2. Susanne Meinl, Jutta Zwilling:Legalisierter Raub - Die Ausplünderung der Juden im Nationalsozialismus durch die Reichsfinanzverwaltung in Hessen. Frankfurt/M 2004, ISBN 3-593-37612-1, S. 40
  3. zur Kaufkraft siehe Reichsmark
  4. Einzelheiten bei Susanne Meinl, Jutta Zwilling: „Legalisierter Raub“..., S. 299
  5. Martin Friedenberger et. al. (Hrsg.): Die Reichsfinanzverwaltung im Nationalsozialismus... S. 13 und Dok. S. 30
  6. Martin Friedenberger et. al. (Hrsg.): Die Reichsfinanzverwaltung im Nationalsozialismus... S. 13
  7. Martin Friedenberger et. al. (Hrsg.): Die Reichsfinanzverwaltung im Nationalsozialismus... S. 14
  8. Bundesarchiv und Bundesarchiv 249. Kabinettssitzung am 23. September 1952

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