Sudbury-Schulen

Sudbury-Schulen

Sudbury-Schulen sind Demokratische Schulen, die sich am Modell der Sudbury Valley School orientieren indem sie nach dem sogenannten Sudbury-Modell arbeiten. Die Sudbury Valley School wurde 1968 in Framingham (Massachusetts) gegründet. Derzeit existieren weltweit ca. 35 Sudbury-Schulen.

Trotz der Gemeinsamkeiten zwischen den Sudbury-Schulen und anderen demokratischen Schulen, sind die demokratische Selbstverwaltung mittels Schulversammlung, die Behandlung von Problemen durch das Justizkomitee und die Altersmischung in der jeweiligen Schule unterschiedlich. Für die Namensnennung als Sudbury-Schule brauchen keine genauen Vorgaben einer Vereinigung oder Organisation beachtet zu werden. Viele Schulen haben den Titel freiwillig übernommen.

Inhaltsverzeichnis

Individuelle Freiheit

Ein zentraler Bestandteil des Sudbury-Modells ist, dass jeder Schüler über seine Zeit frei verfügen kann. Jeder Schüler kann selbst entscheiden, was, wann, wie und mit wem er lernt. Es gibt niemanden, der einen Lehrplan vorgibt. Die Zweckmäßigkeit eines Lehrplans wird grundsätzlich in Frage gestellt, da es viele verschiedene Wege gibt, ein erfolgreicher Erwachsener zu werden. Die Schüler sind frei, Tag für Tag ihre Entwicklung zu bestimmen. Es gibt keine Bewertung dieser individuellen Entscheidungen seitens der Mitarbeiter, d. h. sofern keine Schulregeln verletzt werden, gelten alle Beschäftigungen als gleichermaßen legitim. Die Schule führt weder Leistungsbewertungen durch noch dokumentiert sie die Tätigkeiten der Schüler.

Unterricht

Unterrichtskurse spielen in Sudbury-Schulen nur eine untergeordnete Rolle. Die meiste Zeit lernen die Kinder und Jugendlichen allein oder von anderen Schülern, indem sie spielen, sich unterhalten, anderen zusehen oder lesen. Unterrichtskurse kommen nur zustande, wenn Schüler dies ausdrücklich verlangen. Kurse können sowohl von Schülern als auch von Mitarbeitern geleitet werden. Wenn Schüler sich entschließen, einen Kurs zu besuchen, kann die Unterrichtsvereinbarung regelmäßige Teilnahme und sogar Hausaufgaben vorsehen.

Häufig gibt es Räume, die speziell für eine Tätigkeit hergerichtet sind. So gibt es Räumlichkeiten für Kunst, Musik oder eine Bibliothek. Die meisten Räume sind immer für alle frei zugänglich. Für einige Tätigkeiten müssen die Schüler nachweisen, dass sie die erforderliche Qualifikation haben, um diese sicher ausführen zu können (Nähmaschine, Bohrmaschine oder Holzwerkzeug). Dies unterscheidet sich von Schule zu Schule.

Altersmischung

An Sudbury-Schulen lernen normalerweise Kinder und Jugendliche im Alter von 4 bis etwa 19 Jahren. Die Schüler werden nicht nach ihrem Alter getrennt. Dadurch können Schüler jeden Alters miteinander kommunizieren, lernen oder spielen. So kann auch die Schulversammlung von einem jüngeren Kind geleitet werden. Unterricht ist organisiert nach den Interessen und Fähigkeiten und nicht nach Altersklassen.

Lernen durch Lehren

Da die Schülergruppen ohne Berücksichtigung des Alters gebildet werden, erfolgen die lernbezogenen Interaktionen über die Altersgrenzen hinaus. Ein wichtiger Effekt dieses Verfahrens ist, dass ein Großteil der Lehraktivitäten von Schülern übernommen wird. Hier ein Kommentar bezüglich des Lernen durch Lehren-Effektes in den Sudbury-Schulen[1]:

„Kinder lernen gerne von anderen Kindern. Vor allem, es fällt ihnen oft leichter. Der unterrichtende Schüler ist näher an den Schwierigkeiten als ein Erwachsener, denn er ist denselben Problemen begegnet. Die Erklärungen sind oft einfacher, besser. Es wird weniger Druck ausgeübt, es wird weniger bewertet. Und die Motivation ist hoch, schnell und gut zu lernen, um Schritt zu halten mit dem lehrenden Schüler.
Kinder lehren gerne. Es gibt ihnen das Gefühl, dass sie wertvoll sind und sich selbst verwirklichen können. Noch wichtiger ist, dass es ihnen hilft, den Stoff besser zu beherrschen, wenn sie ihn lehren; sie müssen ihn ordnen, ihn straffen. Sie setzen sich mit dem Stoff auseinander bis es absolut klar ist in ihrem eigenen Kopf, damit es klar genug ist, um ihn den anderen zu vermitteln.“

Daniel Greenberg

Schulversammlung

Jede Sudbury-Schule hält eine wöchentliche Schulversammlung ab. Es gibt einen gewählten Vorsitzenden, der die Versammlung leitet.

Alle Aspekte der Verwaltung einer Sudbury-Schule werden durch die Schulversammlung bestimmt. Die Agenda kann z. B. das Beschließen von Gesetzen (Schulregeln), die Verteilung von Finanzmitteln innerhalb des Budgets, die Anstellung oder auch die Entlassung von Mitarbeitern umfassen. Die (anwesenden) Schüler und Mitarbeiter haben jeder eine gleiche Stimme. In einigen Sudbury-Schulen zählt die Stimme des Vorsitzenden nur bei Stimmengleichheit. Die meisten Entscheidungen werden mit Mehrheit beschlossen.

Aufgrund der klaren Geschäftsordnung arbeitet die Schulversammlung meist schnell und effektiv. Verschiedene Aufgaben können an andere Personen oder Gruppen delegiert werden. Es können z. B. bestimmte Verantwortliche gewählt werden oder Arbeitsgemeinschaften für spezielle Aktivitäten (corporations) durch die Schulversammlung gebildet werden.

Die SV benötigt mindestens 5 Mitglieder und einen Vorsitz um beschlussfähig zu sein.

Schulregeln

Die meisten Sudbury-Schulen haben ein Gesetzbuch, das typischerweise Regeln über Sicherheit, persönliches Verhalten, Nutzungsmodalitäten von Räumen und bestimmten Ausstattungsgegenständen sowie Regeln über die Schulverwaltung beinhaltet.

Die neue Schule Hamburg hat ein umfangreiches und ganz eigenes, von Schülern zusammengetragenes Regelbuch.

Justizkomitee

In den meisten Sudbury-Schulen gibt es ein Justizkomitee, das sich mit Beschwerden über Verstöße gegen Schulregeln befasst. Dieses Komitee besteht normalerweise aus von der Schulversammlung gewählten Zuständigen für die Verwaltungsaufgaben und aus per Los bestimmten Schülern unterschiedlichen Alters sowie einem Mitarbeiter. In kleineren Schulen können die Aufgaben des Justizkomitees auch von der Schulversammlung übernommen werden.

Das Justizkomitee arbeitet nach rechtsstaatlichen Grundsätzen. Das beinhaltet insbesondere die Unschuldsvermutung. Behandelt werden nur schriftliche Beschwerden, die sich auf bestehende Schulregeln beziehen. Die Prozedur für die Behandlung einer Beschwerde besteht - in Anlehnung an die Prozessregeln im Strafprozess - aus mehreren voneinander getrennten Schritten: Beschwerde/Anzeige, Ermittlung, Anklage, Prozess, Urteil, ggf. Berufung.

Absolventen

Die Sudbury Valley School hat zwei Studien über ihre Absolventen in den letzten fast vierzig Jahren veröffentlicht. Danach gehen etwa 80% der früheren Schüler auf eine Universität oder ein College, davon werden 90 % am College ihrer Wahl aufgenommen. Die überragende Mehrheit der Sudbury-Valley-Absolventen arbeitet in ihrem Wunschberuf. Etwa 45 % waren zumindest zeitweilig unternehmerisch selbständig.

Bis jetzt gibt es keine Studien über Absolventen anderer Sudbury-Schulen. Berichte von deren Absolventen deuten jedoch in die gleiche Richtung.

Weltweite Verbreitung

In der Anfangszeit glaubten die Schüler und Mitarbeiter an Sudbury Valley, dass die Schule sehr schnell Hunderte von Nachahmern finden würde. Doch erst seit den 90er Jahren haben sich Schulen gegründet, die sich explizit auf die Sudbury Valley School beziehen. In einigen Fällen haben sich auch bestehende Alternativschulen in Sudbury-Schulen umgewandelt. Inzwischen gibt es in etwa 35 Sudbury-Schulen in verschiedenen Ländern.

Die Sudbury Valley School hat zahlreiche Bücher und andere Materialien über ihr Schulmodell veröffentlicht und für Gründungsgruppen ein „Starter Kit“ zusammengestellt.

Seitdem 1998 die Næstved Fri Skole in Dänemark gegründet wurde, haben sich Sudbury-Schulen auch in Europa verbreitet. Die erste Sudbury-Schule in Deutschland wurde im April 2004 in Überlingen eröffnet, die zweite im August 2005 in Leipzig; hier kam es allerdings zu Schwierigkeiten im Genehmigungsverfahren. Weitere Gründungsgruppen gibt bzw. gab es in Berlin, Lüneburg, Hamburg, München, Nürnberg, Bonn, Oldenburg, Dresden und Düsseldorf. In Hamburg wurde zum Schuljahr 2007/08 die „Neue Schule Hamburg“ eröffnet.

Die Schulgründer nennen in der Beckmann-Talkshow (vgl. Link auf Schulhomepage) einige zentrale Fakten zur „Neuen Schule Hamburg“: Eröffnet im September 2007 mit behördlicher Genehmigung, 5 Ganztagskräften und 85 Schülern von 5-17 Jahren, d.h. 1-10. Schuljahr. Vorbereitung auf eine externe Realschul-Abschlussprüfung ist möglich. Schulgeld monatlich 150 Euro. Die Schule verfügt über diverse Fach- oder Themenräume.

Während es an der Sudbury Valley School etwa 200 Schüler gibt, haben die anderen Sudbury-Schulen deutlich weniger Schüler, oftmals nur zwischen 15 und 30, teilweise noch weniger. Auf mehr als 50 Schüler kommen die Fairhaven School (USA), die Clearwater School (USA), die Kanaf School (Israel) und die Jerusalem Sudbury School (Israel).

Kritik

Neben einer generellen Kritik am Lern- und Erziehungskonzept steht vor allem die Frage der staatlichen Genehmigung im Vordergrund. So betonte 2004 die Sprecherin des Oberschulamtes in Tübingen, dass Privatschulen vergleichbare Leistungen wie staatliche Schulen anbieten müssten, was „bei Sudbury-Schulen erkennbar nicht der Fall“ sei. Allerdings wurde bislang kein Antrag auf Genehmigung abgelehnt. So wurde die Neue Schule Hamburg genehmigt; in Berlin läuft das Genehmigungsverfahren noch und in Überlingen und Leipzig wurden entsprechende Anträge nicht gestellt.

Einzelnachweise

  1. Daniel Greenberg: Age Mixing, Free at Last - The Sudbury Valley School, 1995 ISBN 1-888947-00-4, (quoted pages?)

Literatur

  • Daniel Greenberg: Endlich frei! Leben und Lernen an der Sudbury-Valley-Schule, Arbor-Verlag, Freiburg 2004, ISBN 3-936855-14-5
  • Sudbury Valley School Press: Die Sudbury Valley School. Eine neue Sicht auf das Lernen. tologo verlag, Leipzig 2005, ISBN 3-9810444-0-1
  • Daniel Greenberg: Ein klarer Blick, tologo verlag, Leipzig 2006, ISBN 3-9810444-1-X

Siehe auch

Weblinks


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