Sülchen

Sülchen

Sülchen ist eine Wüstung im Nordosten der Stadt Rottenburg am Neckar, im Landkreis Tübingen, Baden-Württemberg. Von der Existenz der ehemaligen Siedlung zeugen noch heute eine Kirche in überbauter Form und ein Friedhof. Die Siedlung selbst ist vermutlich im 13. Jahrhundert abgegangen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Die Sülchenkirche

Erstmals erwähnt wird der Ort Sülchen als „Sulichi(n)“ in der von Mönchen des Klosters St. Gallen verfassten Lebensgeschichte des heilig gesprochenen Meinrad von Einsiedeln Anfang des 10. Jahrhundert. Dieser Legende nach soll St. Meinrad aus dem von alters her Sülchgau genannten Landstrich stammen, der nach dem Ort Sülchen benannt worden sei.[1]

Archäologische Untersuchungen weisen auf eine frühere Entstehungszeit von Sülchen. Während der Landnahmezeit der Alemannen im 4. und 5. Jahrhundert wurde in unmittelbarer Nähe zu Sülchen eine Höhensiedlung angelegt.[2] Offenbar wurde die Siedlung nach der Niederlage der Alemannen gegen die Franken in den Schlachten von Zülpich und Straßburg um das Jahr 500 verlassen. Noch im selben Jahrhundert könnte, vielleicht auch durch Rückwanderer, Sülchen entstanden sein. Die jüngst durchgeführte Ausmessung der Ausdehnung dieser zweiten Siedlung führt zu der derzeitigen Einschätzung, dass Sülchen zeitweise um das Vierfache so groß gewesen sein könnte als die 1280 gegründete Stadt Rottenburg.[3]

Im hohen Mittelalter erscheint Sülchen in verschiedenen Urkunden, erstmals in einer Schenkungsurkunde des Königs Heinrich IV. aus dem Jahr 1057, in der die bischöfliche Kirche in Speyer das Gut Sülchen als Eigentum erhält.[4] Auch aufgrund dieser Urkunde lässt sich vermuten, dass Sülchen zuvor fränkisches Königs- bzw. Herzogsgut gewesen sein könnte. Das Bistum Speyer verlieh die neu erworbenen Güter teilweise an das im Sülchgau ansässige Grafengeschlecht der Hessonen. Sülchen wurde im 11. Jahrhundert zu einem Herrschaftszentrum dieser Adelsfamilie. Noch um das Jahr 1075 nennt sich ein Abkömmling dieser Familie „Dominus Ezzo de Sulichin“. (dt.: „Esso, Herr von Sülchen“).

Das Erdbeben von Verona 1117 scheint auch in Sülchen zu Zerstörungen geführt zu haben[5] und könnte eine Rolle bei dem Niedergang des Ortes gespielt haben. Mit der Gründung der Stadt Rottenburg um 1280 durch die Grafen von Hohenberg verlor Sülchen - in weltlicher Hinsicht - ganz an Bedeutung und wurde zur Wüstung. Die alte Gemarkung ging in der heutigen Stadt Rottenburg auf. In einem Totenverzeichnis von 1352 erscheint vielleicht mit dem Namen „Albert aus Sülchen“ ein Hinweis auf einen der letzten, ehemaligen Einwohner von Sülchen.[6]

Der Name Sülchen

Vermutlich weist die Bezeichnung Sülchen nach dem althochdeutschen Wort „sul“ oder „sol“ („Suhle“, „Lache“) auf die geographische Lage der ehemaligen Siedlung „im Sumpfigen“ (ahdt.: „sulika“) hin. Die lange Zeit vorherrschende Meinung, dass sich der Name Sülchen auf die ehemalige römische Siedlung Sumelocenna in der Nähe von Rottenburg am Neckar beziehen könnte, gilt mittlerweile mangels eindeutiger archäologischer Nachweise und aufgrund etymologischer Bedenken als strittig[7]

Sülchenkirche

Sülchenkirche, Innenansicht
Friedhof bei der Sülchenkirche

Die heutige Friedhofskirche war die Mutterkirche der Stadt Rottenburg am Neckar. Sie kann als eine der Urkirchen in der Region gelten. Die derzeitigen, archäologischen Untersuchungen im Umfeld der Kirche bestätigen die Vermutung, dass die Ursprünge der Sülchenkirche bis ins 6. Jahrhundert zurück reichen könnten. Möglicherweise war sie ehemals Bestandteil eines fränkischen Herrenhofs, in dessen Umgebung sich die Siedlung Sülchen entwickelt hatte.

Die Kirche wurde im Jahr 1513 im spätgotischen Stil umgebaut und St. Johann Baptist gewidmet. Dabei wurden Teile einer älteren, romanischen Kirche überbaut, die noch 1293 in einer Urkunde des Bischofs von Konstanz als St. Martinskirche bezeichnet wurde.[8] Teile dieser alten Kirche sind bis heute erhalten geblieben, wie die Nordseite des Langhauses aus dem Jahr 1181, das Treppentürmchen zwischen dem Turm und dem Chor, der ganze Ostgiebel des Langhauses sowie ein großer Teil der Westfassade. Bei dem Umbau wurde die Südwand um etwa 2,5 Meter nach außen versetzt, die Westfassade erneuert, sowie die Fenster im Chor und im Langhaus vergrößert und mit spätgotischen Maßwerkfüllungen versehen. Die Kirche blieb jedoch einschiffig mit einer flachen Holzdecke und eingezogenem Chor. 1761 wurde die Kirche nochmals umfassend renoviert. 1868 erhielt sie eine neue Bedeutung als Grablege der Rottenburger Bischöfe. Es wurde eine Gruft unter dem Chor angelegt und 1885 der Turm mit einem Glockengeschoss aus Tuffstein erhöht. Weitere Renovierungen folgten 1935 und 1977, bei denen die neugotische Ausstattung des 19. Jahrhunderts wieder entfernt wurde. Die Epitaphe der Bischöfe wurden vor allem in Chorraum aufgestellt. Die Grablege der Bischöfe der Diözese Rottenburg-Stuttgart befindet sich in der Gruft unter der Kirche. Das Seligsprechungsverfahren für Joannes Baptista Sproll wurde am 9. Mai 2011 eröffnet.

Die Klause von Sülchen

1323 wurde der leerstehende Pfarrhof von einer Beginen-Niederlassung besiedelt. Der Konvent schloss sich 1384 dem Dritten Orden des hl. Franziskus an und wurde später in die Straßburger Provinz aufgenommen. Trotz zahlreicher Schenkungen im 15. und 16. Jahrhundert blieb die Klause in Sülchen klein. In der Zeit der Reformation um 1525/40 verließen mehrere Schwestern das Kloster, heirateten und ließen sich in Rottenburg nieder. Im Laufe des 16. Jahrhunderts verschlechterte sich die finanzielle Situation immer mehr, weshalb die Stadt dem Kloster 1627 und 1630 Almosen und Brennholz bewilligte. Durch kriegerische Überfälle 1631 und 1643 wurde die Klause völlig zerstört, aufgehoben und mit dem Konvent der Oberen Klause in Rottenburg vereinigt. Die alte Kirche diente allerdings weiter als Friedhofskirche und noch bis Ende des 18. Jahrhunderts als Pfarrkirche für Seebronn, Wendelsheim und Kiebingen. Sie wurde von Geistlichen der St. Martinsgemeinde in Rottenburg betreut.

Der Friedhof

Auf dem Friedhof bei der Sülchen wurden folgende bekannte Persönlichkeiten bestattet:

  • Kurt Frank (* 1926 in Tübingen; † 1995 ebenda), deutscher Maler

Literatur

  • Dieter Manz: Aus den Veranstaltungskalendern 1999 - 2003. Stadt Rottenburg, Rottenburg am Neckar 2004, ISBN 3-89570-922-0, (Rottenburger Miniaturen 4).
  • Dieter Manz: Klöster in Rottenburg am Neckar. Stadt Rottenburg am Neckar - Kulturamt, Rottenburg am Neckar 1990.
  • Erhard Schmidt: Archäologische Untersuchungen im Siedlungsgebiet des abgegangenen Dorfes Sülchen auf Gemarkung Rottenburg. In: Der Sülchgau Jg. 33, 1989, ISSN 0940-4325, S. 13–21.
  • Uwe Gross, Erhard Schmidt: Archäologische Untersuchungen im Randbereich des abgegangenen Dorfes Sülchen bei Rottenburg, in „Der Sülchgau“, 47./48. Band, Rottenburg am Neckar 2003/2004 (Online-Version, PDF 5 MB)

Weblink

Einzelnachweise

  1. Vgl.: Vita Meginrati, ed. v. O. Holder-Egger. In: Monumenta Germaniae Historica (MGH), Scriptorum Tomi XV, Pars I, 1887, S. 444f: „praedictus vir (Meginratus) in Alemannia pago natus est, quem ex villa Sulichi Sulichkewe vocavit antiquitas.“ Mögliche Übersetzung: „Vorgenannter Mann (Meinrat) ist in einem alemannischen Landstrich geboren worden, der in alten Zeiten nach dem Ort Sülchen Sülchgau genannt wurde.“
  2. Vgl.: Uwe Gross, Erhardt Schmidt: Archäologische Untersuchungen im Randbereich des abgegangenen Dorfes Sülchen bei Rottenburg. In: Der Sülchgau, Bd. 47/48 2003/2004, Rottenburg Neckar 2004, S. 1-14
  3. Vgl.: Willibald Ruschenski: Sondierungsgrabung stößt auch auf Unerwartetes. In: Schwäbisches Tagblatt, Ausgabe vom 6. November 2009
  4. Württembergisches Urkundenbuch, Band I., Nr. 230, Seite 273-274: „…predium, Svlicha nominatum, in pago Svlichgovve, in comitatu Hessonis comitis situm…“ (mögliche Übersetzung: „Das Gut, mit dem Namen Sülchen, im Landstrich Sülchgau, gelegen in der Grafschaft des Hesso“)
  5. Thomas Glade, Malcolm Anderson, Michael J. Crozier: Landslide Hazard and Risk. John Wiley and Sons, 2005. ISBN 0471486639, S. 261 (Seite 261 in der Google Buchsuche)
  6. Ludwig Schmid: Geschichte der Grafen von Zollern-Hohenberg und ihrer Grafschaft. Bd 1 Stuttgart 1862, S. 528, Anm.2 2: „Albertus de Sülchen“.‬
  7. Vgl.: Franz Quarthal: Der heilige Meinrad und der Sülchgau. In: Ulrich Sieber (Hrsg.) Ortsnamenforschung in Südwestdeutschland. Eine Bilanz. Stuttgart 2000, S. 76, ISBN 3-926269-31-6. Siehe auch: Lutz Reichhardt: Ortsnamenbuch des Ostalbkreises Tl. 2. Stuttgart 1999, S. 331.
  8. Württembergisches Urkundenbuch, Band X., Nr. 4386, Seite 143
48.4855555555568.9488888888889

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