Technikfeindlichkeit

Technikfeindlichkeit

Als Technikskepsis (bzw. Technikfeindlichkeit oder Technikkritik) bezeichnet man eine Sichtweise, welche den gegenwärtigen Zustand oder die Zukunft der Menschheit durch Fortschritte in Wissenschaft, Technik und Forschung gefährdet oder bedroht sieht.

Inhaltsverzeichnis

Entwicklung

Eine geschichtlich ausgerichtete Technikkritik kann als Variante der Fortschrittskritik angesehen werden. Letztere lässt sich in Europa wenigstens bis Rousseau zurück verfolgen.

Prominente Vertreter der Technikkritik sind u. a. Günther Anders, Jacques Ellul, und Lewis Mumford. In einem weiteren Sinn kann man auch Teile des Werks von Martin Heidegger und die kritische Technikgeschichte (David F. Noble) der Technikkritik zurechnen.

Die Technikkritik überschneidet sich teilweise mit der Technikphilosophie. Aber während die Technikphilosophie sich als akademische Disziplin zu etablieren versucht, ist die Technikkritik vor allem ein politisches Projekt. Sie nimmt u.a. im Neomarxismus (Herbert Marcuse), Ökofeminismus (Vandana Shiva) und im Postdevelopment (Ivan Illich) eine zentrale Stellung ein.

Als gesellschaftliche Bewegung

Die Technikskepsis löste in Europa den mit dem Boom der Nachkriegszeit bis etwa 1975 herrschenden euphorischen Fortschrittsglauben ab und mobilisierte zahlreiche Entwicklungen wie die Friedens- und Ökologiebewegung der 1980er-Jahre. Sie rief dabei zahlreiche Ängste hervor und zerstörte manche Hoffnungen in Politik und Gesellschaft. Allergien, Gesundheit, Kernenergie, Medizin, Technik im Krankenhaus und Umwelt waren Felder, denen sich die Technikskepsis bevorzugt widmete.

Bis vor einigen Jahren hatte auch die Umweltbewegung stark technikfeindliche Elemente, die jedoch durch „sanfte Technik“, elektronisches Monitoring von Gefahren, Geotechnik und Entwicklungen in der Biologie (z.B. Abfallbeseitigung durch Bakterien) in eine positivere Sicht wandelten. Ähnliches ist in vielen Bereichen des Sport- und Freizeit-Verhaltens zu bemerken.

Im Zuge der Interneteuphorie der 90er Jahre war die Technikskepsis, die sich noch in den 80er Jahren (z.B. im Kontext der geplanten Volkszählung) besonders an Computern festmachte, in Deutschland aus der öffentlichen Wahrnehmung weitgehend verschwunden. Sie wird jedoch seit Anfang des 21. Jh. verstärkt genährt durch die Sorge um die gewachsenen Möglichkeiten technischer Überwachung, sowie die Klimafolgen des technischen Handelns.

Literatur

  • Michael Adas, Machines as the Measure of Men: Science, Technology, and Ideologies of Western Dominance, Cornell University Press 1990
  • Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, 2 Bände, München 1956
  • Harry Braverman, Die Arbeit im modernen Produktionsprozess, Frankfurt [Main] ; New York : Campus-Verlag, 1980
  • Buntzel, Rudolf /Sahai, Suman, Risiko: Grüne Gentechnik. Wem nützt die weltweite Verbreitung gen-manipulierter Nahrung?, Brandes & Apsel 2005, ISBN 3-86099-814-5
  • Cynthia Cockburn, Die Herrschaftsmaschine: Geschlechterverhältnisse und technisches Know-how, Hamburg: Argument Verlag, 1988
  • Jacques Ellul, Le bluff technologique, Paris: Hachette, 2004
  • Andrew Feenberg, Transforming Technology. A Critical Theory Revisited, Oxford University Press, 2. Auflage 2002, ISBN 0195146158 - Feenberg gibt einen „coherent starting point for anticapitalist technical politics“ [1].
  • Sigfried Giedion, Mechanization Takes Command, 1948, dt. Die Herrschaft der Mechanisierung. Ein Beitrag zur anonymen Geschichte, Frankfurt am Main: Athenäum 1987
  • Ivan Illich, Selbstbegrenzung. Eine politische Kritik der Technik, Rowohlt: Reinbek, 1980
  • Wolfgang Klems, Die unbewältigte Moderne: Geschichte und Kontinuität der Technikkritik, Frankfurt/Main, 1988
  • David Noble, Maschinenstürmer oder die komplizierten Beziehungen der Menschen zu ihren Maschinen, Berlin: Wechselwirkung-Verlag 1986
  • Wolfgang Sachs, Die Liebe zum Automobil. Ein Rückblick in die Geschichte unserer Wünsche, Rowohlt, Reinbek 1984
  • Joseph Weizenbaum, Computer Power and Human Reason. From Judgement to Calculation. W. H. Freeman and Company. Deutsch als Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1977. ISBN 3518278746 (auch: Frankfurt am Main: Suhrkamp 1977. ISBN 3518574566 - gebundene Ausgabe)

Quellen

  1. Neil Turbull, At Modernity's Limit. Technology as World and Idea. In: Theory, Culture & Society, vol 23, nr. 7-8, Dezember 2006, S. 135-150, Zitat S. 40

Siehe auch


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