Tic

Tic
Klassifikation nach ICD-10
F95 Ticstörungen
F95.0 vorübergehende Ticstörung
F95.1 chronische motorische oder vokale Tics
F95.2 kombinierte vokale und multiple motorische Tics (Tourette-Syndrom)
ICD-10 online (WHO-Version 2011)

Ein Tic (französisch tic „(nervöses) Zucken“[1]) oder Tick ist eine kurze und unwillkürliche, regelmäßig oder unregelmäßig wiederkehrende motorische Kontraktion einzelner Muskeln oder Muskelgruppen. Sie werden zu den extrapyramidalen Hyperkinesien gerechnet. Auffallend werden Tics meist erst, wenn sie in heftigeren körperlichen Bewegungen oder Lautäußerungen bestehen.

Inhaltsverzeichnis

Symptome

Man unterscheidet die primäre, idiopathische Ticstörung (Ursache noch unbekannt) von der sekundären, symptomatischen Ticstörung (Ursache bekannt). Nach Ausprägungs- und Schweregrad werden vier Subgruppen von Tics, die besonders im Kopf- und Schulterbereich auftreten, unterschieden:

  • Einfache motorische Tics (z. B. Stirnrunzeln, Augenblinzeln, ruckartiges Kopfbewegen, Hochziehen der Augenbrauen, Schulterzucken, Grimassieren),
  • Einfache vokale Tics (Räuspern, mit der Zunge schnalzen, Hüsteln, Schmatzen, Grunzen, Schniefen),
  • Komplexe motorische Tics (beispielsweise Springen, Berühren anderer Leute oder Gegenstände, Körperverdrehungen, Kopropraxie (Ausführung obszöner Gesten), selbstverletzendes Verhalten),
  • Komplexe vokale Tics (wie das Herausschleudern von zusammenhangslosen Wörtern und kurzen Sätzen, Koprolalie (das Ausstoßen obszöner Worte), Echolalie (Wiederholung von gehörten Lauten und Wortfetzen), Palilalie (Wiederholung von gerade selbst gesprochenen Worten).

Vokale Tics unterscheiden sich von motorischen Tics dadurch, dass dabei Muskelgruppen beteiligt sind, die zur Vokalisation beitragen (z. B. Zwerchfell, Zunge, Rachenmuskeln usw.). Während einfache motorische und vokale Tics meistens schnell ablaufen und unbeabsichtigt wirken, können komplexe Tics durch ihren teils langsameren, strukturierteren Ablauf oft willkürlich erscheinen. Man kann zwar einen Tic über einen kurzen Zeitraum hinweg unterdrücken, ihn sich aber nicht abgewöhnen. Der Tic-Patient kann sowohl den Zeitpunkt des Auftretens als auch den des Verschwindens eines Tics nicht kontrollieren.

Diagnose nach ICD-10

Im ICD-10 werden Ticstörungen unter den 'Verhaltens- und emotionalen Störungen mit Beginn in der Kindheit oder Jugend' (F9) klassifiziert. D.h. für die Diagnose einer Ticstörung muss der Beginn vor dem 18. Lebensjahr liegen. Es werden drei Hauptformen von Tic-Störungen unterschieden:

Vorübergehende Ticstörung

Einzelne oder multiple motorische oder sprachliche Tics treten viele Male am Tag auf, an den meisten Tagen in einem Zeitraum von mindestens vier Wochen und höchstens 12 Monaten.

Chronische motorische oder vokale Tics

Motorische oder vokale Tics (aber nicht beides) treten viele Male am Tag auf, an den meisten Tagen in einem Zeitraum von mindestens zwölf Monaten. Im gegebenen Jahr gibt es keine Remission, die länger als zwei Monate andauerte.

Kombinierte vokale und multiple motorische Tics (Tourette-Syndrom)

Während der Störung haben multiple motorische Tics und ein oder mehrere vokale Tics eine Zeit lang bestanden, aber nicht notwendigerweise gleichzeitig. Die Tics treten viele Male am Tag auf, fast jeden Tag länger als ein Jahr. Es gab keine Remission im gegebenen Jahr, die länger als zwei Monate dauerte.

Epidemiologie, Verbreitung und Altersrelevanz

Tics treten v.a. im Kindesalter auf (bei ca. 4-12% aller Kinder). Häufig sind sie in diesem Alter jedoch vorübergehender Natur, d.h. sie verschwinden innerhalb von 6 Monaten wieder. Tics treten bei Jungen ca. dreimal so häufig auf wie bei Mädchen. Die familiäre Häufung von Tics ist nachgewiesen.[2]

Bei leichteren Verlaufsformen hören die Tics in der Regel zu Beginn des Erwachsenenalters auf. Bei schwereren Verlaufsformen bleiben die Symptome auch im Erwachsenenalter bestehen, oft jedoch in abgeschwächter Form. Die schwerste und deshalb eindrücklichste Verlaufsform wird auch nach dem Erstbeschreiber, dem französischen Neurologen Georges Gilles de la Tourette als sogenanntes Tourette-Syndrom bezeichnet.

Patienten mit chronischen multiplen Tics oder mit Tourette-Störung weisen etwa in der Hälfte der Fälle zusätzlich eine hyperkinetische Störung (ADHS) auf. Bei Patienten mit Tourette-Syndrom werden häufig Zwangsstörungen oder selbstverletzende Verhaltensweisen beobachtet. Fast immer entwickeln sich komplexe Tics nach einfachen Tics.[2]

Differentialdiagnose

Diagnostisch sind die auftretenden Tics abzugrenzen gegen

Ursachen

Die genaue Ursache der Entstehung der häufigsten, primären Ticstörung ist bis heute nicht bekannt. Es wird eine hereditäre Störung in den Basalganglien angenommen. Seltener sind organische Tics als Folge einer generellen Hirnschädigung (z. B. Enzephalitis) oder einer Läsion der Basalganglien (des striato-pallidären Systems). Zunehmend wird die striatofrontale Dysfunktion für die Entstehung von Tics verantwortlich gemacht, was erklären würde, dass die Tic-Störung eine häufige Komorbidität von ADHS darstellt.

Sonderform

Als Sonderformen mit anderer Ursache gilt der Tic douloureux (franz. der schmerzhafte Tic): ein kurzer, heftiger und sich oft wiederholender Schmerzanfall mit Gesichtszuckungen bei Trigeminusneuralgie.

Therapie

Je nach Schweregrad der Tic-Störung stehen verschiedene Therapieansätze zur Verfügung. Neben einer umfassenden Aufklärung und Beratung der Bezugspersonen (bei betroffenen Kindern v. a. Eltern und Lehrpersonal) können durch Verhaltenstherapie gute Erfolge erzielt werden. Hier spielt u.a. eine Verbesserung der Selbstwahrnehmungsfähigkeit des Patienten in Bezug auf die Tics (z.B. durch Protokolle und genaue Beschreibung) und das Erlernen inkompatibler Reaktionen (Habit-Reversal-Training) eine wichtige Rolle. Zudem wird mit Entspannungsverfahren (z.B. Progressive Muskelentspannung) und positiver Verstärkung (z.B. Token-System) gearbeitet.[2] Eine pharmakologische Behandlung ist indiziert bei lang anhaltender Symptomatik (> 12 Monate), vokalen Tics, psychiatrischen Begleiterkrankungen und dem Vollbild des Gilles-de-la-Tourette-Syndroms. Mittel der Wahl sind hochpotente Neuroleptika aus der Klasse der Dopamin-Rezeptor-Blocker (z. B. Tiaprid, Pimozid, Haloperidol) sowie bei entsprechender Begleitsymptomatik Antidepressiva (v. a. selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer)[3]. Auch hier kann eine Kombination mit Verhaltenstherapie hilfreich sein.

Literatur

  • Manfred Döpfner: Tic-Störungen. In: Gerhard W. Lauth, Udo B. Brack, Friedrich Linderkamp (Hrsg.): Verhaltenstherapie mit Kindern und Jugendlichen, 2001, ISBN 3-621-27447-2, S. 339-346.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Harrap's Universal Dictionnaire Français-Allemand/Allemand-Français, 1999, ISBN 0-245-50401-X
  2. a b c d Manfred Döpfner: Tic-Störungen. In: Garhard W. Lauth, Udo B. Brack, Friedrich Linderkamp (Hrsg.): Verhaltenstherapie mit Kindern und Jugendlichen, 2001, ISBN 3-621-27447-2, S. 339-346.
  3. Steinhausen "Psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen", Urban&Fischer, 5.Auflage 2002
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