Transzendenz

Transzendenz
„Was das Auge nicht gesehen, noch das Ohr gehört hat“ (Oculus non vidit, nec auris audivit)

Transzendenz (von lat. transcendere „übersteigen“) bedeutet Überschreitung und wird unter anderem auf Menschen und Gegenstände bezogen, welche die empirische Zugänglichkeit überschreiten oder die nicht durch bestimmte Darstellungsweisen repräsentierbar sind. Für viele Verwendungen ist Immanenz ein Gegenbegriff, in populären Redeweisen Jenseits ein Synonym, also auch Diesseits ein Gegenbegriff.

Inhaltsverzeichnis

Transzendenz in der Mathematik

In der Mathematik wird das Attribut transzendent in folgenden Zusammenhängen verwendet:

Transzendenz in der Philosophie

Religiösen und philosophischen Verständnissen vom Transzendenten ist gemeinsam, dass dieser Begriff eine Wirklichkeit bezeichnet, die das üblich Wahrnehmbare überschreitet. Damit transzendentiert das Verstehen des Sinnlichen seine Wahrnehmung auf etwas – ein Drittes, das in seiner Beziehung zum Wahrnehmbaren größer und noch unbegrenzt ist. Diese Bestimmung hat eine erste Perspektive in der Struktur des Seienden, also eine ontologische, und eine zweite in der Struktur menschlicher Erkenntnis, also eine gnoseologische.

Dem folgend kann man die philosophischen Traditionen grob in solche unterteilen, die von einer seinsmäßigen Entsprechung von Seiendem und Erkennendem ausgehen als Voraussetzung und Ziel eines jeden Erkenntnisprozesses. Dies ist beispielsweise die aristotelisch geprägte Metaphysik und ihre Rezeption durch Averroës im Islam und Thomas von Aquin im Christentum, die das Sein, von dem das Seiende kausal abhängt, vom Seienden aus erschließt.[1]

Dies ist philosophiegeschichtlich eine Antwort auf das platonische Konzept, das von einer klaren Zweiteilung der „wirklichen“ Wirklichkeit der Ideen ausgeht, die dem Veränderlichen entzogen sind, und einer davon losgelösten Sinneswelt, aber die Frage nach der Vermittlung beider nicht beantworten kann.

Eine dritte Gruppe versucht im Gefolge Kants die Frage nach den Voraussetzungen der Verstandeserkenntnis unter Ausklammerung von ontologischen Fragestellungen zu klären. Die sinnlich wahrnehmbare Welt gehorcht dem Naturgesetz; damit ist nicht ihre seinsmäßige Verfassung das Problem, sondern die Erkenntnis der über das Sinnliche hinausgehende – dort weniger die Abstraktion vom Sinnlichen als vielmehr die Erkenntnisse, die auf Verknüpfung „reiner“ Begriffe fußen.

In diesem Zusammenhang entsteht der Begriff des Transzendentalen als Frage nach den Voraussetzungen des Denkens, der sich vom Begriff der Transzendenz im Sinne eines „Jenseits der Sinnenwelt“ absetzt. Hier gabelt sich der Weg in die Philosophie, die Gott als Ziel und Voraussetzung des Denkens versteht und eine, die diese Einheit mindestens methodisch negiert.

Der Begriff des Transzendenten, der sich vom Begriff des Transzendentalen unterscheidet, folgt der historischen Abfolge von Weltbildern und deren Problematisieren des In-der-Welt-Seins des Menschen. Bleibt in der antiken Philosophie der Mythos der Horizont menschlichen Verstehens, der Welt und Verstehen gleichermaßen begründet, identifiziert die christliche Philosophie den unbewegten Beweger des Aristoteles als Grenzwert von Kausalität, bzw. den, über den nichts Größeres hinausgehend gedacht werden kann, als Grenzwert intellektualer Dynamik.

Das von dem transzendentalen Vorgehen zu unterscheidende Transzendente taucht bei Kant als Aporie der reinen Vernunft bzw. als Postulat der praktischen Vernunft auf.[2]

Das den Erkennenden mit dem Horizont seiner Erkenntnis Vermittelnde ist in der Geschichte der nachkantischen Philosophie von verschiedenen Seiten angegangen worden. Da ist zunächst im Idealismus Hegels die Geschichte, die in der Dialektik ihrer Entwicklung das Kontinuum schafft, in dem der Verstand über die Gegenstände zu sich kommt und so mit sich und der Welt vermittelt ist. Aufbauend auf Hegels Konzept sieht Heidegger im Verstehen der menschlichen Existenz und ihrem Ringen um Selbstverständnis das Vermittelnde zwischen dem Erkennenden, den Gegenständen seiner Erkenntnis und dem Horizont menschlicher Erkenntnis, der diese erst möglich macht.[3]

Unter Horizont verstehen wir in diesem Kontext den Vorgriff auf etwas, das den Prozess der Erkenntnis überhaupt erst ermöglicht. Dieses ist eben nicht der Gegenstand der Erkenntnis selbst, sondern das, was als Bedingung der Möglichkeit stets bei jeder Erkenntnis mitgesetzt ist. Die Philosophie, indem sie auf die Vollzugsbedingungen ihrer Erkenntnis reflektiert, macht diesen stets implizit gesetzten Horizont zum Gegenstand ihrer Untersuchung. So ist zum Beispiel Wahrheit als so verstandener Horizont stets mit gesetzt, und zwar unabhängig davon, ob die getroffene Aussage wahr oder falsch, die Wahrheit intendiert war oder nicht, die Tat gut oder böse ist, illustriert an der Lügneraporie, der zufolge niemand behaupten kann, er lüge immer, weil er ja in mindestens diesem einen Fall die Wahrheit sage, und so Wahrheit transzendentale Möglichkeitsbedingung selbst der intendierten Falschheit dieser Aussage ist. „Das subjekthafte, unthematisch und jedem geistigen Erkenntnisakt mitgegebene Mitbewusstsein des erkennenden Subjektes und seiner Entschränktheit auf die unbegrenzte Weite aller möglichen Wirklichkeit nennen wir transzendentale Erfahrung.“ [4] Im Gefolge dieser Philosophie ist von der christlichen Transzendentaltheologie der Versuch unternommen worden, diese Einheit von transzendent und transzendental, die hier nur methodisch differenziert ist, neu zu definieren.

Den Begriff Transzendenz verwendete Karl Jaspers in dreifacher Bedeutung:

  1. die eigentliche Transzendenz, die er auch die Transzendenz aller Transzendenzen nennt. Sie ist für ihn das eigentliche Sein. Sie ist zugleich das Umgreifende schlechthin oder das Umgreifende des Umgreifenden.[5]
  2. die Transzendenz aller immanenten Weisen des Umgreifenden (Dasein, Bewusstsein überhaupt, Geist, Welt): „Wir transzendieren zu jedem [immanenten] Umgreifenden, d.h. wir überschreiten die bestimmte Gegenständlichkeit zum Innewerden des sie Umgreifenden; es wäre daher möglich, jede Weise des [immanenten] Umgreifenden eine Transzendenz zu nennen, nämlich gegenüber jedem in diesem Umgreifenden fassbar Gegenständlichen." (S. 109)
  3. die Transzendenz als Synonym für Gott, [6] so u. a. in Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung (1962) und in Chiffren der Transzendenz (1970, Vorlesung Basel SS 1961).

Die Transzendenz ist bei Jean-Paul Sartre ein grundlegendes Merkmal des Menschen. Das Überschreiten des Egos, in dem der Mensch nicht in sich selbst eingeschlossen, sondern dauernd gegenwärtig in einem menschlichen All ist. In Anlehnung an den griechischen Philosophen Platon und seiner Ideenlehre erdenken wir die Existenz des „Guten an sich“, das sich uns als unbeschreibliche und über die Wege und Mittel der Transzendenz erfassbare Einsicht offenbart.[7]

Transzendenz in der Religion

Christentum

In der christlichen Religion gibt es ein irdisches und ein himmlisches Leben (z. B. Matthäus 22, 1. Korinther 15). Das Überschreiten dieser Grenze, Kontakte der einen Welt zu der anderen, wird als Transzendenz bezeichnet. Dazu gehören z. B. der Heilige Geist als Gottes immanente Gegenwart, das Jüngste Gericht als Ausscheidung alles Bösen (vgl. 1 Kor 3,10-15 LUT, Mt 25,31-46 LUT), die Auferstehung als innerweltlicher Akt der Transzendierung des Christlichen in der Welt (1 Kor 15,42-50 LUT).

Evangelikale sehen diese Transzendenz in der Bibel, die vom Menschen geschrieben, aber von Gottes Geist inspiriert wurde. Zudem glauben Evangelikale auch an Transzendenz in der heutigen Zeit. So sind nach deren Überzeugung auch heute noch übernatürliche Dinge wie prophetische Rede, Krankenheilung, Wunder und ähnliches möglich. So wird z. B. an die Existenz und auch die Erscheinung von Engeln und sogar von Christus selbst geglaubt.

In der Römisch-katholischen Kirche und der Griechisch-orthodoxen Kirche findet dies z.B. Ausdruck in Marienerscheinungen in Lourdes, Fátima oder Međugorje. Die Anerkennung durch die jeweilige Kirchenleitung erfolgt gelegentlich. Papstbesuche an den zuerst genannten Orten unterstreichen ihre Bedeutung für die katholischen Kirchen. Heilungen von Menschen, wie sie von Jesus, später von Mitgliedern der christlichen Urgemeinde (z. B. Paulus) praktiziert wurden, werden durch Gott bewirkt und sind – im Verständnis dieses Glaubens – auch heute möglich.

Buddhismus

Im Buddhismus tritt das Transzendenz-Prinzip in der Darlegung von relativer und absoluter Wirklichkeit auf. Die relative Wirklichkeit bezeichnet dabei die Welt so, wie sie von unerleuchteten Wesen wahrgenommen wird. Die Erfahrung absoluter Wirklichkeit manifestiert sich im Nirvana und wird mit Eintritt der Erleuchtung dauerhaft. Das buddhistische Transzendenzprinzip leitet sich von tranzendieren – über einen Bereich (den der relativen Wirklichkeit) hinaus in einen anderen (die absolute Wirklichkeit) übergehend – ab und darf nicht mit der klassischen philosophischen Transzendenz verwechselt werden. Philosophisch handelt es sich eher um eine transzendentale Erfahrung nach Kant, welche die (subjektive) Bedingtheit aller Gegenständlichkeitserkenntnis und damit ihre Fehler- bzw. Leidhaftigkeit direkt erkennt. Es handelt sich auch nicht um Hinüberwechseln oder Hereinschauen in eine andere (jenseitige) Welt wie z. B. bei der christlichen Transzendenz. Dies wäre ein Austausch einer relativen Wirklichkeit gegen eine andere.

Ikonographisch werden transzendente Bereiche als bildlicher Ausdruck absoluter Wirklichkeit dargestellt. Es finden sich verschiedene Buddha-Formen und verschiedene Buddhabereiche (Reine Länder) wie z. B. das reine Land von Dewachen. Es gibt im Mahayana-Buddhismus darüber hinaus eine klar definierte Strukturierung der Ikonographie transzendenter Buddhas, sog. Adibuddhas, und auch die Lehre von den „drei Buddhakörpern“ (Trikaya), in der sich die transzendente Manifestation Buddhas wiederfindet.

Transzendente Tugenden, die Paramita, spielen in alle buddhistischen Traditionen eine wichtige Rolle. Es sind die Tugenden, die zur "Erleuchtung", zum "Erwachen", führen.

Islam

Im Islam steht der Mensch Gott direkt und unmittelbar gegenüber, ohne Mittler oder Heilige. Gott ist nicht, wie im Christentum, Mensch geworden. Der Mensch muss sich ihm hingeben, um mit guten Taten vor ihm stehen zu können. Das arabische Wort „Islam“ bedeutet „Hingebung“ oder auch „Hingabe an Gott“. In seinem Buch Die unerbittlichen Erlöser. Vom Kampf des Islam gegen die moderne Welt schreibt Jean-Claude Barreau: „Der Islam erhebt sich über den Menschen. Er ist mehr noch als das Judentum eine Religion der Transzendenz... Der Gott des Islam ist ein Herrscher, dem es sich zu ‚unterwerfen‘ gilt... Allah ist der ‚Allerhöchste‘...“

Einzelnachweise

  1. 1 Vergleiche dazu Th.Aq STh I q.44 a3 ff.Corpus Thomisticum http://www.corpusthomisticum.org/sth1044.html
  2. Vergleiche dazu Immanuel Kant: KrV B587 ff./A559 ff. sowie ders., KprV A85. Allgemein zu Kants Redeweise: Nikolaus Knoepffler: Der Begriff „transzendental“ bei Immanuel Kant. Eine Untersuchung zur „Kritik der reinen Vernunft“. 5., überarbeitete Auflage, Herbert Utz Verlag, München 2001. ISBN 3-89675-847-0.
  3. 3 Vergleiche dazu die Ausführungen von Walter Schulz, Philosophie in der veränderten Welt, Pfullingen 1972, ISBN 3-7885-0047-6, insbes. S. 494 ff. sowie die Ausführungen in Wilhelm Weischedel, Der Gott der Philosophen, München 2/1985, Bd. 1, S. 308 ff.. Daselbst Verweise auf Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Religion. Ferner die Auseinandersetzung mit Hegels Zeitbegriff in der Perspektive einer Existenzialphilosophie in Martin Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen 15/1975,ISBN 3-484-70122-6, § 82 ff.
  4. Karl Rahner: Grundkurs des Glaubens. Einführung in den Begriff des Christentums ,Herder, Freiburg, 1976, S. 61
  5. Karl Jaspers: Von der Wahrheit, München, 1947, S. 109. Vgl. zum Ganzen auch: Ders.: Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung. Piper Verlag 1962. Karl Jaspers: Chiffren der Transzendenz. Piper Verlag 1970.
  6. Kurt Salamun: Karl Jaspers, C.H. Beck, 1985, S. 106
  7. Vgl. u.a. Jean-Paul Sartre: Die Transzendenz des Ego. Philosophische Essays 1931–1939. Rowohlt Verlag, Juni 1997. ISBN 978-3-499-22145-3.

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