Nullstelle

Nullstelle
Nullstellen graphisch

Die Nullstelle ist ein Begriff aus dem Bereich der Mathematik, der sich mit Funktionen und ihren Verläufen und Eigenschaften befasst. Dabei versteht man unter Nullstellen jene x-Werte, die eingesetzt in eine Funktion f den Funktionswert null liefern. Der Wortbestandteil „Stelle“ deutet dabei an, dass es sich um Elemente des Definitionsbereiches handelt. Bei reellen Funktionen sind das genau die Stellen der x-Achse, an denen der Graph einer Funktion f(x) die x-Achse berührt oder schneidet. Nullstellen von Polynomen werden auch als Wurzeln bezeichnet.

Inhaltsverzeichnis

Nullstellen reellwertiger Funktionen

Definition

Ein Element x0 der Definitionsmenge D einer Funktion f\colon D\to\mathbb R heißt Nullstelle von f, wenn f\left(x_0\right)=0 gilt. Man sagt dann auch: f hat eine Nullstelle bei x0, oder f verschwindet an der Stelle x0.

Beispiel

f\left(x\right)= x^2 - 9

Die x-Werte 3 und -3 sind Nullstellen der Funktion f, denn f(3) = 32 − 9 = 0 und f( − 3) = ( − 3)2 − 9 = 0.

Der x-Wert 0 ist keine Nullstelle, denn f(0) = 02 − 9 = − 9.

Mehrfache Nullstellen

Polynom mit Nullstellen der Ordnung 1, 2 und 3

Ist f: D \to \R eine Polynomfunktion oder zumindest an der Nullstelle x_0 \in D stetig und differenzierbar, so kann man die Nullstelle x0 „herausteilen“. Genauer: Es gibt eine in x0 stetige Funktion g : D \to \R, so dass f(x) = (x - x_0) \, g(x) für alle x \in D.

Es gibt dann zwei Fälle:

  1. g(x_0) \ne 0. In diesem Fall nennt man x0 eine einfache Nullstelle.
  2. g(x0) = 0, d. h. auch g hat in x0 eine Nullstelle. Oder anders ausgedrückt: Auch nachdem man die Nullstelle x0 aus f herausgeteilt hat, bleibt x0 immer noch eine Nullstelle. In diesem Fall nennt man x0 eine mehrfache Nullstelle von f.

Um zu bestimmen, ob x0 eine einfache oder eine mehrfache Nullstelle ist, benutzt man die Tatsache, dass der Wert g(x0) gleich der Ableitung von f an der Stelle x0 ist. Für eine differenzierbare Funktion f bekommt man also folgendes Kriterium:

Eine Nullstelle x0 von f ist genau dann eine mehrfache Nullstelle, wenn f'(x_0) = 0\, ist.

Falls f öfter differenzierbar ist, dann kann man diesen Prozess wiederholen. Man definiert:

Es sei k eine natürliche Zahl. Eine (k − 1)-mal differenzierbare Funktion f\colon D\to\mathbb R auf einer offenen Teilmenge D\subseteq\mathbb R hat in x_0\in D eine (mindestens) k-fache Nullstelle oder eine Nullstelle der Ordnung (mindestens) k, wenn f selbst und die ersten k − 1 Ableitungen von f an der Stelle x0 den Wert null annehmen:

f(x_0)=0,\quad f'(x_0)=0,\quad f''(x_0)=0,\quad\ldots,\quad f^{(k-1)}(x_0)=0.

Ist x0 eine k-fache Nullstelle aber keine (k + 1)-fache, also

f(x_0)=0,\quad f'(x_0)=0,\quad f''(x_0)=0,\quad\ldots,\quad f^{(k-1)}(x_0)=0, \quad f^k(x_0) \ne 0,

so nennt man k die Ordnung oder Vielfachheit der Nullstelle.

Beispiel

f(x) = x^3 - 3 x^2 + 3x -1 \,

mit den Ableitungen

f'(x) = 3x^2 - 6x + 3, \quad f''(x) = 6x - 6, \quad f'''(x) = 6.

Es gilt f(1) = 1 − 3 + 3 − 1 = 0, also ist x0 = 1 eine Nullstelle von f. Weiter gilt

f'(1) = 3-6+3 = 0, \quad f''(1) = 6 -6 = 0, \quad {} aber {} \quad f'''(1) = 6 \ne 0\,.

Somit ist 1 eine dreifache aber keine vierfache Nullstelle von f, also eine Nullstelle der Vielfachheit 3.

Weitere Eigenschaften

  • Eine Funktion f hat genau dann eine k-fache Nullstelle bei x0, wenn f eine Nullstelle und f^\prime eine (k − 1)-fache Nullstelle bei x0 hat.
  • Eine (k − 1)-mal stetig differenzierbare Funktion f hat genau dann eine mindestens k-fache Nullstelle bei x0, wenn es eine stetige Funktion g gibt, so dass
f(x) = (xx0)k − 1g(x) und g(x0) = 0
gilt.
  • Eine k-mal stetig differenzierbare Funktion f hat genau dann bei x0 eine Nullstelle der Vielfachheit k, wenn es eine stetige Funktion g gibt, so dass
f(x) = (xx0)kg(x) und g(x_0) \ne 0
gilt.
  • Die Funktion
f(x)=\begin{cases}\exp(-1/x^2) & \mbox{wenn}\ x\neq 0 \\ 0 & \mbox{wenn}\ x=0,\end{cases}

hat bei 0 eine Nullstelle der Ordnung unendlich, siehe auch Analytische Funktion.

Existenz und Berechnung von Nullstellen

Aus dem Zwischenwertsatz kann man oft indirekt die Existenz einer Nullstelle erschließen: Ist von zwei Funktionswerten f(a), f(b) einer stetigen Funktion einer positiv und einer negativ, so hat f mindestens eine Nullstelle zwischen a und b. (Anschaulich gesprochen muss der Funktionsgraph, der die beiden Punkte (a,f(a)) und (b,f(b)) verbindet, die x-Achse schneiden.)

Je nach Funktion kann es schwer oder unmöglich sein, die Nullstellen explizit zu bestimmen, d. h. die Gleichung

f(x) = 0

nach x aufzulösen. In diesem Fall kann man Näherungswerte für Nullstellen mithilfe verschiedener numerischer Verfahren, beispielsweise der Bisektion (Intervallhalbierungsverfahren), Regula Falsi oder einer geeigneten Fixpunktiteration für stetige Funktionen, des Newton-Verfahrens oder Halley-Verfahrens für differenzierbare Funktionen, des Weierstraß-(Durand-Kerner)-Verfahrens oder des Bairstow-Verfahrens für Polynome bestimmen.

In der Liste numerischer Verfahren findet man die Nullstellensuche unter dem Kapitel Nichtlineare Gleichungssysteme.

Nullstellen von Polynomen

Ist R ein Ring und f\in R[X] ein Polynom über R, so heißt ein Element x\in R Nullstelle von f, wenn die Einsetzung von x in f Null ergibt:

f(x) = 0.

Ist R\to S ein Ringhomomorphismus, so können analog Nullstellen von f in S definiert werden.

Mithilfe der Polynomdivision kann man zeigen, dass x\in R genau dann eine Nullstelle von f ist, wenn f durch Xx teilbar ist, d. h. wenn es ein Polynom g gibt, so dass

f(X) = (Xx)g(X)

gilt. Diese Aussage wird manchmal auch Nullstellensatz genannt; es besteht jedoch Verwechslungsgefahr mit dem hilbertschen Nullstellensatz.

Eine k-fache Nullstelle oder Nullstelle der Ordnung k ist ein Element x\in R, so dass f durch (Xx)k teilbar ist. Man nennt k auch die Vielfachheit oder Multiplizität der Nullstelle.

Bestimmung der Nullstellen von Polynomen kleinen Grades

Für Polynome über einem Körper, deren Grad höchstens vier ist, gibt es allgemeine Lösungsformeln mit Radikalen, um die Nullstellen direkt zu bestimmen:

Polynome mit ganzzahligen Koeffizienten

Ist a_nx^n+a_{n-1}x^{n-1}+\ldots+a_1x+a_0 ein Polynom mit ganzzahligen Koeffizienten, so ist jede ganzzahlige Nullstelle ein Teiler von a0.

Aus dem Lemma von Gauß folgt: Ist x^n+a_{n-1}x^{n-1}+\ldots+a_1x+a_0 ein normiertes Polynom mit ganzzahligen Koeffizienten, so ist jede rationale Nullstelle ganzzahlig und damit ein Teiler von a0.

Beispiel:

Die Teiler − 2, − 1,1,2 des Absolutglieds von p(X) = X3X − 2 sind keine Nullstellen, also hat p keine rationalen Nullstellen. Da jede Faktorisierung von p einen Linearfaktor enthalten müsste, folgt daraus, dass p über \mathbb Q irreduzibel ist.

Polynome mit reellen Koeffizienten

Polynome ungeraden Grades über den reellen Zahlen haben stets mindestens eine reelle Nullstelle; das folgt aus dem Zwischenwertsatz. Eine andere Begründung (sofern man den Fundamentalsatz der Algebra bereits zur Verfügung hat) ist die folgende: Echt komplexe Nullstellen reeller Polynome treten stets als Paare komplex konjugierter Zahlen auf. Polynome geraden bzw. ungeraden Grades haben also stets gerade bzw. ungerade viele reelle Nullstellen, wenn man jede Nullstelle entsprechend ihrer Vielfachheit zählt. Eine Anwendung des letzteren Prinzips stellt das numerische Bairstow-Verfahren dar.

Beispiel:

Das Polynom X3 − 2X + 4 hat die Nullstelle − 2, die sich als Teiler des Absolutgliedes leicht erraten lässt. Damit erhält man durch Polynomdivision

X3 − 2X + 4 = (X + 2)(X2 − 2X + 2),

woraus sich noch die beiden zueinander komplex konjugierten Nullstellen 1 + i und 1 − i ergeben.

Polynome mit ausschließlich reellen Nullstellen

Ist x^n+a_{n-1}x^{n-1}+\ldots+a_1x+a_0 ein Polynom, dessen Nullstellen alle reell sind, so liegen diese in dem Intervall mit den Endpunkten

x_{1,2}=-\frac{a_{n-1}}{n} \pm \frac{n-1}{n}\sqrt{a^2_{n-1} - \frac{2n}{n-1}a_{n-2}}.

Beispiel:

Das Polynom x4 + 5x3 + 5x2 − 5x − 6 hat die vier reellen Nullstellen -3, -2, -1 und 1. Nutzung der Intervallsformel ergibt

x_{1,2}=-\frac{5}{4} \pm \frac{3}{4}\sqrt{\frac{35}{3}}.

Gerundet ergibt sich das Intervall

I = [-3,812 ; 1,312].

Die Nullstellen befinden sich also im gefundenem Intervall.

Polynome mit komplexen Koeffizienten

Der Fundamentalsatz der Algebra besagt: Jedes nichtkonstante Polynom über den komplexen Zahlen hat mindestens eine Nullstelle. Indem man wiederholt Linearfaktoren zu Nullstellen abspaltet, erhält man die Aussage, dass sich jedes Polynom

p(X)=a_nX^n+a_{n-1}X^{n-1}+\ldots+a_1X+a_0\quad(a_n\ne0)

über den komplexen Zahlen in der Form

p(X)=a_n(X-x_1)^{m_1}\cdots(X-x_k)^{m_k}

schreiben lässt. Dabei sind x_1,\ldots,x_k die verschiedenen Nullstellen von p und m_1,\ldots,m_k ihre jeweiligen Vielfachheiten.

Polynome über vollständig bewerteten Körpern

Es sei K ein vollständig bewerteter Körper mit Bewertungsring A und Restklassenkörper k, und es sei p\in A[X] ein normiertes Polynom. Aus dem henselschen Lemma folgt: Hat die Reduktion \bar p\in k[X] eine einfache Nullstelle in k, so hat p eine Nullstelle in A.

Beispiel:

Es sei K=\mathbb Q_p der Körper der p-adischen Zahlen für eine Primzahl p. Dann ist A=\mathbb Z_p und k=\mathbb F_p. Das Polynom X^{p-1}-1\in\mathbb Z_p[X] zerfällt über \mathbb F_p in verschiedene Linearfaktoren, also hat es auch über \mathbb Z_p genau p − 1 Nullstellen, d. h. \mathbb Z_p enthält (p − 1)-te Einheitswurzeln.


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