Tyler-Kent-Affäre

Tyler-Kent-Affäre

Die Tyler-Kent-Affäre, auch Kent-Wolkoff-Affäre oder Kent-Fall, war ein Spionagevorgang in Großbritannien während der Zeit des Sitzkrieges 1939/40 und kurz vor Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg. Bei Bekanntwerden hätte sie den US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt belastet.

Die Affäre wurde durch den Mitarbeiter der US-Botschaft in London Tyler Kent ausgelöst, der die Telegramme Winston Churchills an Franklin D. Roosevelt ab Oktober 1939 zu verschlüsseln hatte. Dadurch und nach Einblick in weitere Papiere kam er zu der Überzeugung, „der US-Präsident habe der Tatsache Vorschub geleistet, dass Paris und Warschau“ (im Kriegsfall) „verfassungswidrige Versicherungen in Bezug auf eine amerikanische Unterstützung gegeben wurden.“

Die Papiere Kents, darunter eine geheime Versicherung an Frankreich, falls die deutsche Wehrmacht angreifen würde, belegten, dass Roosevelt bereit war, unter Umgehung der Neutralitätsgesetze die alliierten Kriegsparteien in Europa mit Waffen zu beliefern. Kent befürchtete weiter, dass die US-Regierung gegen NS-Deutschland in den Krieg eintreten würde.

Inhaltsverzeichnis

Verrat

Kent gab am 13. April 1940 über die russische Exilaristrokatin Anna Wolkoff, deren Familie in South Kensington einen Russian Tea Room betrieb, Kopien des Schriftverkehrs an Archibald Maule Ramsay, ein Parlamentsmitglied der Scottish Unionist Party, weiter. Alle drei teilten die Ansicht, dass es sich bei dem Krieg um eine jüdische Verschwörung handle.

Zugriff des MI5

Wolkoff, die dem Rhight Club-Mitglied Joan Miller vertraute, bat diese, einen chiffrierten Brief über die rumänische Diplomatenpost an William Joyce in Berlin weiterzugeben. Miller war allerdings als Agentin vom Leiter der Abteilung B5b (Überwachung politischer Subversion) des MI5, Maxwell Knight, eingesetzt worden. Sie zeigte diesen Brief Knight, der über einen weiteren Spitzel, den früheren Berufsmusiker Guy Liddell (später von Churchill zum Direktor der Abteilung B des MI5 ernannt), den US-Botschafter Joseph P. Kennedy informierte. Kennedy hob daraufhin Kents diplomatische Immunität auf.

Am 20. Mai 1940 durchsuchte der MI5 Kents Haus und beschlagnahmte 1500 als geheim klassifizierte Dokumente, darunter Duplikate der Codierungsschlüssel der Botschaft. Dabei fiel ihm das später als Ramsay's Red Book bekannte Verzeichnis der Mitglieder und Freunde des Right Club, einer antisemitischen Vereinigung von Kriegsgegnern, in die Hände, was Archibald Ramsay, der daraufhin inhaftiert wurde, zur Sicherheit dort deponiert hatte.

Prozess und Urteil

Wegen Verstoßes gegen den Official Secrets Act wurden Wolkow und Kent verhaftet und am 7. November 1940 in einem Geheimprozess zu zehn bzw. sieben Jahren Haft verurteilt. 1941 strebte Kent ein Berufungsverfahren an.

Nach dem 6. Verfassungsartikel der USA sind Geheimprozesse unzulässig, weshalb der Kent-Fall Unruhe im Kongress erzeugte und sich das US-Außenministerium zu einer Stellungnahme genötigt sah. Am 2. September 1944 stellte es Kent als deutschen Spion dar, der Wolkoff die Papiere weitergereicht habe, um sie nach Deutschland zu liefern. Allerdings lag dem Ministerium dabei die Abschrift des britischen Urteils vor, das feststellte, dass Kent kein Wissen über Wolkoffs Absichten bezüglich Deutschland hatte.

Folgen und Bedeutung

Kent wurde 1945 in die USA abgeschoben, wo das Außenministerium nun entschied, ihn nicht als deutschen Spion anzuklagen. Anna Wolkow starb 1969 (oder 1973) durch einen Autounfall in Spanien.

Joseph Kennedy wurde einen Tag vor Beginn des Tyler-Kent-Prozesses und drei Wochen vor der nächsten Präsidentschaftswahl als Botschafter aus London abberufen. Er barg für Roosevelt die Gefahr, dass er als „Friedensretter“ selbst kandidieren und dessen illegale Absprachen mit einer kriegführenden Partei offenlegen könnte. Am Tag seiner Rückkunft nötigte ihn Roosevelt, der ihm ein Presseverbot auferlegt hatte, bei einem Abendessen zusammen mit James F. Byrnes zum Schweigen und Kennedy befürwortete am Folgetag in einer Rundfunkansprache Roosevelts Kandidatur.

Zu dem Zeitpunkt wäre Roosevelt bei Bekanntwerden der Tatsachen mit großer Wahrscheinlichkeit durch den Kongress seines Amtes enthoben und Kennedy möglicher nächster Präsident geworden, was ab 1941 Frieden bedeutet haben könnte. Historiker wie D. Bavendamm halten eine mögliche Verbindung zur späteren Ermordung seiner Söhne Robert und John F. Kennedy für möglich [1] [2].

Die 1972 als Folge der Watergate-Affäre geübte Offenheit führte auch im Kent-Fall zur Veröffentlichung von Dokumenten. Sie bestätigten eine Zusammenarbeit Roosevelts mit den Briten u.a. in Marinefragen. In Telegramm 2727 vom 25. Dezember 1939 informierte Churchill danach den Präsidenten, dass Großbritannien deutsche Schiffe in der 3-Meilen-Zone der USA aufbringen würde, jedoch unauffällig und außerhalb der Küstensicht. Am 28. Februar 1940 wies er darauf hin, dass auch US-Post auf amerikanischen und neutralen Schiffen zensiert werden würde. Das Bekanntwerden der Eingriffe in die Souveränität hätte zu dieser Zeit einen Skandal ausgelöst.

Literatur

  • Joan Miller: One Girl's War. Personal Exploits in MI5's Most Secret Station. St. Martin's Press. 1989. ISBN 0-312-03410-5
  • Nigel West: Mi 5. Stein & Day Pub. 1982. ISBN 0-8128-2859-3
  • A. W. Brian Simpson: In the Highest Degree Odious: Detention Without Trial in Wartime Britain. University of California Press. 1992
  • Bryan Clough: State Secrets. The Kent-Wolkoff Affair. Hideaway Publications. 2005. ISBN 0-9525477-3-2

Quellen

  1. Bavendamm, Dirk: Roosevelts Krieg 1937-45. Herbig. München. 1993. S.68
  2. http://www.spartacus.schoolnet.co.uk/SSmillerJ.htm spartacus.schoolnet Joan Miller

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