Sitzkrieg

Sitzkrieg
Europa 1939/40 während und nach dem Polenfeldzug. Trotz der britisch-französischen Kriegserklärung vom 3. September 1939 folgten an der Westfront keine Kampfhandlungen.
November 1939: Angehörige des britischen Expeditionskorps und der französischen Luftstreitkräfte vor einem Verschlag mit der Bezeichnung „Downing Street No. 10“ (die Adresse des britischen Premierministers)

Als Sitzkrieg, früher auch Seltsamer Krieg (französisch Drôle de guerre – „komischer, drolliger Krieg“; englisch Phoney War) wird der Zustand an der Westfront des Zweiten Weltkrieges zwischen der Kriegserklärung Großbritanniens und Frankreichs an das Deutsche Reich am 3. September 1939 infolge des deutschen Angriffs auf Polen und dem Beginn des deutschen Westfeldzugs am 10. Mai 1940 beschrieben, in dem beide Seiten militärisch weitgehend passiv blieben.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Der Sitzkrieg ist auf verschiedene Ursachen zurückzuführen, nicht zuletzt auf das Fehlen einer gemeinsamen alliierten Strategie. Frankreich verfügte zwar über ein mehrere Millionen Mann starkes Heer, dieses war aber kaum auf das Führen eines Offensivkrieges vorbereitet. Stattdessen sah die französische Militärdoktrin für den Fall eines Krieges mit Deutschland primär eine auf die Maginot-Linie gestützte Verteidigung vor. Ein Übergang zur Offensive war danach frühestens für das Jahr 1941 vorgesehen.[1]

Mit Aussicht auf Erfolg hätte ein Einmarsch in Deutschland ohnehin kaum ohne die Verletzung der Neutralität Belgiens durchgeführt werden können, was aus politischen Gründen nicht in Frage kam. Die Stärke des deutschen Westwalls wurde vom französischen Oberkommando so eingeschätzt, dass die wenigen dort eingesetzten deutschen Divisionen der Heeresgruppe C auch einer deutlichen französischen Übermacht über längere Zeit standhalten konnten. Auch französische Luftangriffe auf Deutschland wurden verworfen, da man mit starken Vergeltungsangriffen der Luftwaffe rechnete, die die im Osten des Landes konzentrierte französische Flugzeugindustrie stark hätten beeinträchtigen können.

Auf deutscher Seite galt ein Führerbefehl Adolf Hitlers vom 31. August 1939:[2]

„Im Westen kommt es darauf an, die Verantwortung für die Eröffnung von Feindseligkeiten eindeutig England und Frankreich zu überlassen. Geringfügigen Grenzverletzungen ist zunächst rein örtlich entgegenzutreten. Die deutsche Westgrenze ist an keiner Stelle ohne meine ausdrückliche Genehmigung zu überschreiten.“

Saar-Offensive

Um den Verpflichtungen des französisch-polnischen Beistandspakts vom Mai 1939 Genüge zu tun, marschierten französische Truppen ab dem 7. September im Rahmen der sogenannten Saar-Offensive bis zu 8 km auf deutsches Gebiet vor, wobei sie zwölf deutsche Ortschaften entlang der geräumten Grenzzone im Saargebiet vor dem Westwall besetzten. Die begrenzte Offensive, die lediglich die Feststellung der Stärke der Verteidigungsanlagen des Westwalls zum Ziel hatte, wurde bereits am 12. September wieder eingestellt, die Truppen wurden bis Mitte Oktober wieder auf ihre Ausgangsstellungen an der Maginot-Linie zurückgezogen.[3][4]

Nach dem Polenfeldzug

Als die französische Mobilmachung Mitte September abgeschlossen war, war der Polenfeldzug bereits so gut wie entschieden und sowjetische Truppen hatten mit der Besetzung Ostpolens begonnen, was die politische Situation noch schwieriger gestaltete. Nicht wenige Politiker begannen nun auf eine politische Lösung des Konflikts zu setzen, insbesondere nach dem Friedensangebot Hitlers an die Westmächte am 6. Oktober. Die Einsatzbereitschaft des anfangs lediglich vier Divisionen umfassenden britischen Expeditionskorps wurde sogar erst Mitte Oktober, nach dem Ende des Polenfeldzugs, hergestellt. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Verlegung der Masse des deutschen Heeres nach Westen längst begonnen. Die Alliierten richteten sich daher an der Maginot-Linie zur Verteidigung ein.

Folgen und Nachwirkungen

Vom 1. September 1939 bis 9. Mai 1940 verlor die Wehrmacht auf dem westlichen Kriegsschauplatz fast 10.000 Mann, davon an die 5.000 Tote und vermisst Gebliebene. Auf das Heer entfielen nur knapp 40 % der Gesamtverlustzahl.[5]

Alfred Jodl sagte bei den Nürnberger Prozessen: „Dass wir nicht bereits im Jahr 1939 gescheitert sind, war nur dem Umstand zu verdanken, dass während des Polenfeldzuges die schätzungsweise 110 französischen und britischen Divisionen im Westen komplett inaktiv gegen die deutschen 23 Divisionen gehalten wurden.“[6]

Der Begriff wurde von der britischen Presse geprägt und als ironisches Antonym von Blitzkrieg gebraucht.

Verwendung in jüngerer Zeit erfuhr der Begriff 1991 während des Zweiten Golfkrieges, als die alliierte Strategie zunächst vor allem auf einen massiven Luftschlag setzte, während die Fronten vor Kuwait noch ruhten.

Weblinks

 Commons: Phony War – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. Jean Doise, Maurice Vaïsse: Diplomatie et outil militaire 1871-1991. Taschenbuchausgabe. Éditions du seuil, Paris 1991, S. 396f und 416f
  2. Zitiert nach: Hans-Walter Herrmann: Saarbrücken unter der NS-Herrschaft. In: Rolf Wittenbrock: Geschichte der Stadt Saarbrücken, Bd. 2. Saarbrücken 1999, S. 256
  3. Chemins de memoire
  4. Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg. Band 2. Stuttgart 1979, S. 272.
  5. Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Band 2, Stuttgart 1979, S. 307.
  6. IMT Vol XV S.350

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