Ukrainische Weihnachten

Ukrainische Weihnachten

Ukrainische Weihnachten (ukr.: різдво) werden nach dem julianischen Kalender gefeiert, was vor allem mit der Tradition der byzantinischen Kirche zusammenhängt. So feiert man den Heiligabend (святвечір, святий вечір) am 6. Januar (anstatt 24. Dezember), der erste Weihnachtstag fällt auf den 7. Januar. Da Silvester (Новий Рік) jedoch seit 1918 im ehemaligen Russischen Imperium nach dem gregorianischen Kalender gefeiert wird, gibt es ein interessantes Oxymoron: am 14. Januar wird das sog. „alte neue Jahr“ (старий Новий Рік) gefeiert, d. h. das eigentliche Silvester nach dem julianischen Kalender. Dieser Abend wird in der Ukraine oft auch „zweiter Heiligabend“, der „freigiebige Abend“ (schedryj wetschir) oder auch Melanka (Меланка, Маланка) genannt, da dies der kirchliche Tag der Heiligen Melana ist.

Nova radist’ stala, jaka ne buvala (Нова радість стала, яка не бувала... – „Eine neue Freude ist gekommen, die es noch nie davor gab“) – mit diesen Worten eines ukrainischen Weihnachtsliedes (коляда, koljada) wird zu Weihnachten an die immer wiederkehrende, jedoch immer neue Freude über die Geburt Jesu erinnert. Durch die späte Einführung des Christentum (erst 988 durch Fürst Volodymyr den Großen (Володимир Великий) im ostslavischen Reich Kiewer Rus (Київська Русь) ist Weihnachten, wie viele andere christliche Feste auch, in der Ukraine eng mit den Bräuchen und Aberglauben des Heidentums verflochten. Im Lexikon der Weihnachtslieder wird die Geburt Christi oft mit dem Aufstieg einer Sonne verglichen; das Fest selbst wird von vielen Traditionen begleitet, die zeichenhaften Charakter für das kommende Jahr haben.

Inhaltsverzeichnis

Heiligabend

Am Heiligabend vor Weihnachten (6. Januar) versammelt sich am Tisch die „große Familie“, um gemeinsam das große Ereignis zu feiern. Der Begriff der „Familie“ entspricht im Ukrainischen dem deutschen Begriff der Verwandten: Zu Weihnachten versammeln sich die (engen) Verwandten (родина, rodyna) und nicht nur die Familie (сім’я, sim’ja). Dies ist entscheidend für das Verständnis von Weihnachten in der Ukraine als ein „Familienfest“. Diese Gemeinschaft erstreckt sich jedoch nicht nur auf die Anwesenden; Nach dem Glauben nehmen auch verstorbene Familienmitglieder daran teil.

Zwölf Fastenspeisen werden aufgetischt und die Zahl erinnert an die zwölf Apostel Christi. Unter die Tischdecke und auf den Fußboden wird Heu gelegt, dessen Geruch einen Hauch der wirklichen Umstände der Geburt Christi ins feierliche Wohnzimmer bringen soll. Danach wird Diduch (дідух) hereingetragen, eine Weizengarbe, die im mythologisch-religiösen Verständnis des Volkes die Gestalt des Ahnherrn, ein neues, blutloses Opfer an Gott und den Gott selbst darstellt. An den Tischecken werden unter die Tischdecke Knoblauch und Walnüsse gelegt, als Symbol für den Zusammenhalt der Verwandtschaft (wie die Zehen einer Knoblauchzwiebel) und die Gesundheit eines jeden Familienmitglieds (die Gesundheit soll „stark wie die Nuss“ sein).

Auf den Tisch kommen verschiedene Sorten von Wareniki (вареники, warenyky) (Maultaschen mit Füllung) mit Kartoffeln oder gedünstetem Sauerkraut (und/oder einer Mischung aus beiden), außerdem eine Fastenvariante der ukrainischen Nationalspeise Borschtsch (борщ), dieser wird mit einer speziellen Sorte Krapfen (пампушки, Pampushky) gegessen, herzhaft und in eine Knoblauchsoße getaucht. Dazu kommen Heringe, verschiedene Salate ohne Fleisch und Weißbrotschnittchen, die mit Sprotten, Butter und Zitrone belegt sind, sowie Plätzchen und andere Speisen. Am wichtigsten ist Kutja (кутя) – eine nahrhafte süße Speise, ein weiteres Symbol der Weihnacht, das vor allem bei Kindern beliebt ist. Kutja wird vorwiegend aus gekochten Weizenkörnern, mit Zucker gemahlenen und eingeweichten Mohnkörnern und je nach Geschmack mit Walnüssen, Rosinen und Honig zubereitet. In verschiedenen Regionen der Ukraine wird statt Weizen oft Reis oder Gerste als die Basis verwendet.

Wenn alle Speisen auf dem Tisch stehen, eröffnet das älteste anwesende Familienmitglied mit einem Gebet, der Segnung der Kutja und einem ersten Löffel davon das feierliche Abendessen. Nachdem jeder von der Kutja gekostet hat, dürfen auch andere Speisen gegessen werden.

Koljaduvaty (колядувати) (Weihnachtslieder – koljady, коляди – singen) ist eine der wichtigsten Beschäftigungen während der Weihnachtszeit, da dadurch nicht nur Gott gepriesen wird, sondern auch Glück, Erfolg und Wohlstand der ganzen Verwandtschaft im neuen Jahr heraufbeschworen werden. Während viele Weihnachtslieder sichtbare heidnische Spuren in sich tragen (Gott als eine Sonnengestalt; der Begriff Gottes als einer physisch anwesenden Person, die am feierlichen Abendessen der Familie teilnimmt und sie dadurch segnet; Gestalt Marias als ein Symbol der Fruchtbarkeit, usw.), gibt es einen großen Teil der Lieder, die einen politischen Nationalgedanken äußern: So wie Gott seinen Sohn in der Nacht vom Heiligabend als einen Menschen auf die Welt kommen ließ, sollte er auch den Ukrainern nach Jahrhunderten der Unterdrückung durch verschiedene Imperien wieder einen eigenen Nationalstaat schenken. Seit der Unabhängigkeit von 1991 hat dies jedoch deutlich an Aktualität verloren.

Auch Kinderspiele haben an diesem Abend eine besondere Bedeutung: sie sind Zeichen für den Wohlstand der Familie im neuen Jahr. Falls man z. B. beim Spiel „Hühner und Hähne“ mehr Hühner als Hähne heraushört, wird es ein gutes Jahr sein, denn sie stehen für Fruchtbarkeit.

Wenn das Abendessen vorbei ist und der Tisch aufgeräumt wurde, wird eine Schüssel mit Kutja auf den Tisch gestellt mit einer passenden Anzahl von Löffeln: für die Seelen der Verstorbenen, die am Heiligabend die Familie besuchen, um am feierlichen Abendessen teilzunehmen und damit ihre Hinterbliebenen zu unterstützen.

Erster Weihnachtstag

Der erste Weihnachtstag (7. Januar) stellt ebenfalls eine komplexe Mischung aus heidnischen und christlichen Elementen dar: man geht als Erstes in die Kirche zur Messe (die in der byzantinischen Tradition bis zu vier Stunden an diesem Tag dauern kann), jedoch darf die Familie am Vormittag nicht von weiblichen Personen besucht werden. Diese würden Unglück und Probleme im kommenden Jahr bringen und, um dies zu vermeiden, scheuen viele Hausherrinnen nicht davor zurück, die Tür gar nicht aufzumachen. Falls jedoch ein Mann oder ein Junge kommt, bittet man ihn hinein und bewirtet ihn.

Nach der Messe versammelt man sich wieder am Tisch zum Mittagessen, diesmal allerdings mit Fleischspeisen: gebratenem Geflügel, verschiedenen Sorten von hausgemachtem Schinken und geräucherter Wurst (meist vom eigenen geschlachteten Schwein), Fleischsalaten und anderen Leckerbissen. Auch Alkoholgetränke dürfen nun getrunken werden, da die Fastenzeit am ersten Weihnachtstag vorbei ist. Am ersten Weihnachtstag gibt es keine Geschenke. Da das Fest eine sakrale Bedeutung für die Familie hat, rückt die Gemeinschaft der Familie in den Vordergrund.

Nach dem Mittagessen versammelt man sich wieder. In vielen Regionen erwartet man Sternensängergruppen bereits am Nachmittag des ersten Weihnachtstages. Abends spielen Kinder die Weihnachtsgeschichte nach, lesen Gedichte vor und singen Weihnachtslieder. Dafür bekommen sie als Belohnung Geld und Süßigkeiten von den Erwachsenen.

Zweiter Weihnachtstag

Der zweite Weihnachtstag (8. Januar) ist der Tag der „Sternensänger“ (колядники). An diesem Tag besucht man auch entfernte Verwandtschaft und erwartet ab dem späten Nachmittag die ersten Sterngruppen. Diese haben eine lange Tradition in der Ukraine und werden auf eine ähnliche, karnevaleske Art in Melanka-Bräuchen zum „alten neuen Jahr“ wiederholt. Zu Weihnachten aber werden die Gruppen aus (oft verkleideten) Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen ähnlichen Alters und manchmal nur gleichen Geschlechts gebildet. An einem Abend wird jede Familie von bis zu zehn verschiedenen Gruppen besucht. Diese gratulieren ihr zur Geburt Christi und wünschen Wohlstand und Gesundheit im neuen Jahr, stellen die Weihnachtsgeschichte nach, machen Witze und singen Weihnachtslieder.

Dafür bedanken sich die Hausherren und Gäste mit Geld und Süßigkeiten oder anderen Speisen (früher insbesondere mit Wurst und Schinken). Während die Verkleidung optional ist (wichtig sind allerdings zumindest trachtenähnliche Kleider), ist der Weihnachtsstern und eine Glocke für die Sternensänger unabdingbar. Damit verbunden gibt es ebenfalls viele Bräuche: z. B. einem Kind, das lange nicht anfängt zu sprechen, gibt man aus der Glocke zu trinken, um seine Zunge zu „entbinden“. Jugendliche koljadnyky (Sternensänger) bilden oft Gruppen nach Geschlecht und gehen mit ihren Liedern und Weihnachtsgeschichten von Haus zu Haus um die Wette: falls Mädchen mehr Geld und Süßigkeiten dabei verdienen, müssen Jungs ihren Wunsch oder eine Aufgabe erfüllen und umgekehrt. Das gesammelte Geld und Essen legt man am Ende zusammen für vecornyci (ein Tanz- und Spieleabend).

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