- Variation der Konstanten
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Die Variation der Konstanten ist ein Verfahren aus der Theorie linearer gewöhnlicher Differentialgleichungen zur Bestimmung einer speziellen Lösung eines inhomogenen linearen Differentialgleichungssystems erster Ordnung bzw. einer inhomogenen linearen Differentialgleichung beliebiger Ordnung. Vorausgesetzt wird hierfür eine vollständige Lösung (Fundamentalsystem) der zugehörigen homogenen Differentialgleichung.
Das Verfahren wurde vom Mathematiker Joseph-Louis Lagrange entwickelt.
Inhaltsverzeichnis
Motivation
Lineare Differentialgleichung erster Ordnung
Man betrachte die skalare lineare Differentialgleichung erster Ordnung[1]
Weiter sei F eine Stammfunktion von A, z. B.
Dann ist
die Menge aller Lösungen der homogenen Differentialgleichung y'(x) = A(x)y(x). Als Ansatz für die Lösung des inhomogenen Problems setze man
d. h., man lässt die Konstante C variieren. Dies ergibt eine eindeutige Zuordnung zwischen den Funktionen y und C, denn exp(F(x)) ist eine stets positive, stetig differenzierbare Funktion. Die Ableitung dieser Ansatzfunktion ist
Also löst y die inhomogene Differentialgleichung
genau dann, wenn
gilt. Beispielsweise ist
eine solche Funktion und somit
die spezielle Lösung mit ysp(x0) = 0. Also ist
die Menge aller Lösungen der inhomogenen Differentialgleichung y'(x) = A(x)y(x) + b(x).
Beispiel
Liegt an einer Spule mit der Induktivität L und dem elektrischen Widerstand R eine Gleichspannung U0 an, so gilt für die Spannung an der Spule
Nach dem ohmschen Gesetz gilt daher
Es handelt sich also um eine gewöhnliche, inhomogene, lineare Differentialgleichung erster Ordnung mit konstanten Koeffizienten, die nun mithilfe des Verfahrens der Variation der Konstanten gelöst werden soll.
Die zugehörige homogene Gleichung lautet
Daraus folgt, dass
für jede Konstante c eine Lösung des homogenen Problems ist.
Als Ansatz für die Lösung der inhomogenen Gleichung ersetze man die Konstante c durch einen variablen Ausdruck c(t). Man setzt also
und versucht, eine differenzierbare Funktion c so zu bestimmen, dass I die inhomogene Differentialgleichung erfüllt. Es folgt
Also ist die Differentialgleichung genau dann erfüllt, wenn
ist, also gleichbedeutend mit
, woraus man mittels Integration
erhält. Somit wird die inhomogene Differentialgleichung durch
gelöst. Die Konstante d kann man noch aus Anfangsbedingungen bestimmen. Beispielsweise ergibt sich für I(0) = 0 die Lösung
Inhomogene lineare Differentialgleichungssysteme erster Ordnung
Das obige Verfahren lässt sich auf folgende Weise verallgemeinern[2]:
Formulierung
Seien
und
stetige Funktionen und
eine Fundamentalmatrix des homogenen Problems y'(x) = A(x)y(x) sowie Φk(x) diejenige Matrix, die aus Φ(x) entsteht, indem man die k-te Spalte durch b(x) ersetzt. Dann ist
mit
die Lösung des inhomogenen Anfangswertproblems y'(x) = A(x)y(x) + b(x), y(x0) = 0.
Beweis
Setze
Es ist ysp(x0) = 0, und wegen Φ'(x) = A(x)Φ(x) sieht man durch Differenzieren, dass ysp die Differentialgleichung ysp'(x) = A(x)ysp(x) + b(x) erfüllt. Nun löst
für festes s das lineare Gleichungssystem
Nach der cramerschen Regel ist somit
Also gilt
Spezialfall: Resonanzfall
Falls die Inhomogenität b selber Lösung des homogenen Problems ist, d. h. b'(x) = A(x)b(x), so bezeichnet man dies als Resonanzfall. In diesem Fall ist
die Lösung des inhomogenen Anfangswertproblems y'(x) = A(x)y(x) + b(x), y(x0) = 0.
Inhomogene lineare Differentialgleichungen höherer Ordnung
Das Lösen einer Differentialgleichung höherer Ordnung ist äquivalent zum Lösen eines geeigneten Differentialgleichungssystems erster Ordnung. Auf diese Weise kann man obiges Verfahren nutzen, um eine spezielle Lösung für eine Differentialgleichung höherer Ordnung zu konstruieren.[3]
Formulierung
Seien
stetige Funktionen und Φ(x) eine Fundamentalmatrix des homogenen Problems
, deren erste Zeile
lautet, sowie Φk(x) diejenige Matrix, die aus Φ(x) entsteht, indem man die k-te Spalte durch
ersetzt. Dann ist
mit
die Lösung des inhomogenen Anfangswertproblems
, y(x0) = 0.
Beweis
Man betrachte zunächst das hierzu korrespondierende Differentialgleichungssystem erster Ordnung, bestehend aus n Gleichungen
mit
Es gilt: y(x) löst die skalare Gleichung n-ter Ordnung genau dann, wenn
Lösung obigen Systems erster Ordnung ist. Per definitionem ist Φ eine Fundamentalmatrix für dieses System erster Ordnung. Darauf wende man schließlich das oben bewiesene Verfahren der Variation der Konstanten an.
Alternative: Grundlösungsverfahren
Im Fall konstanter Koeffizienten ist es gelegentlich von Vorteil, das Grundlösungsverfahren zur Konstruktion einer speziellen Lösung zu verwenden: Ist yh diejenige homogene Lösung von
, welche
erfüllt, dann ist
diejenige spezielle Lösung von
mit ysp(x0) = 0.
Beweis
Durch Differenzieren überprüft man
und
Es ergibt sich
Einzelnachweise
- ↑ Wolfgang Walter: Gewöhnliche Differentialgleichungen. 3. Auflage. Springer Verlag, 1986, ISBN 3-540-16143-0, §2, Abschnitt II
- ↑ Wolfgang Walter: Gewöhnliche Differentialgleichungen. 3. Auflage. Springer Verlag, 1986, ISBN 3-540-16143-0, §16
- ↑ Differentialgleichungen n-ter Ordnung. In: Otto Forster: Analysis II. Vieweg Verlag, 1977, ISBN 3-499-27031-5, Kapitel II, §12.
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