Versfuß

Versfuß

Unter dem aus der Antike stammenden Begriff Versfuß (lat. 'pes'), oft auch terminologisch unscharf als Metrum bezeichnet, versteht man eine metrische Gliederungseinheit des Verses, die den Umfang von mindestens zwei Silben hat. In seiner kürzesten Form umfasst der Versfuß zwei kurze (bzw. unbetonte) Silben, es gibt aber auch drei- und viersilbige, ausnahmsweise sogar fünfsilbige Versfüße (zu Anordnung bzw. Reihenfolge der Silben siehe unten). Versfüße, die nur aus einer langen und einer kurzen (bzw. betonten und unbetonten) Silbe (Jambus, Trochäus) oder zwei kurzen gefolgt von einer langen (bzw. zwei unbetonten gefolgt von einer betonten) Silbe (Anapäst) bestehen, werden zur Bildung eines Metrum (auch Versmaß] zu je zweien solcher Einheiten zusammengefasst. Dieses Phänomen bezeichnet man als Dipodie. Die übrigen Verfüße bilden je allein ein Metrum. Dies hat zu der oben erwähnten terminologischen Unschärfe beigetragen.

Durch die Aneinanderreihung von Versfüßen nach einem Ordnungprinzip entsteht ein sich wiederholendes rhythmisches Muster im Text, der Vers (terminologisch unscharf auch als Versmaß Metrum eines Textes bezeichnet). Der Vers kann aus gleichen, einander entsprechenden oder verschiedenen Versfüßen bzw. Metra gebaut werden. Die Rhythmik eines Textes als Stilmittel kann die Inhaltsebene der Literatur in vielerlei Hinsicht beeinflussen.

Erst seit Martin Opitz (Von der Deutschen Poeterey) ist die Anwendung der Begriffe der antiken und romanischen Metrik auch in der deutschen Literatur üblich und später insbesondere für die Literatur der Weimarer Klassik maßgebend. Allerdings ist diese Übernahme fragwürdig, funktionieren doch romanische und germanische Sprachen nach anderen Prinzipien (vgl. fester Stammvokal, „weibliche“ Endungen etc.).

In der quantifizierenden (also auf dem Prinzip der Messung der Silbenlänge beruhenden) antiken und romanischen Metrik spricht man von langen und kurzen Silben eines Versfußes, in der akzentuierenden (z.B. germanischen und skandinavischen) Metrik von betonten und unbetonten Silben (bzw. Hebungen und Senkungen) eines Taktes, wobei es hier auch einsilbige Takte (die sog. beschwerte Hebung) gibt.

Die moderne Lyrik verzichtet häufig auf die klassischen poetischen Mittel von Reim und Versmaß und verwendet den freien Vers, der im 19. Jahrhundert in Frankreich als vers libre entwickelt wurde. Durch den völligen Verzicht auf die Regeln der Metrik nähert sich der freie Vers der Prosa an.

Inhaltsverzeichnis

Liste von Versfüßen in der Schreibweise der quantifizierenden Metrik

In der quantifizierenden Metrik unterscheidet man nicht nach betonten und unbetonten, sondern nach langen (–) und kurzen (υ) Silben; sie geht auf die Antike zurück.

Zweigliedrige einfache Füße
υ υ Pyrrhichios
- υ Trochäus (Trochaios)
υ - Jambus (Iambos)
– – Spondeus (Spondeios)
Dreigliedrige einfache Füße
υ υ υ Tribrachys, Choreios
– υ υ Daktylus, Daktylos
υ – υ Amphibrachys
υ υ – Anapäst, Anapaistos
υ – – Bakcheios
– υ – Amphimacer, Kretikus
– – υ Palimbakcheios
– – – Molossos
Viergliedrig zusammengesetzte Füße
υ υ υ υ Prokeleusmatikos
– υ υ υ Paion 1
υ – υ υ Paion 2
υ υ – υ Paion 3
υ υ υ – Paion 4
– – υ υ großer Ionikus
υ – – υ Antispast, Antispastos
υ υ – – kleiner Ionikus
– υ υ – Choriambos
– υ – υ Ditrochaios
υ – υ – Diiambos
υ – – – Epitritos 1
– υ – – Epitritos 2, Karikos
– – υ – Epitritos 3, Podios
– – – υ Epitritos 4, Monogenes
– – – – Dispondeios
Fünfgliedrig zusammengesetzte Füße
υ – – υ – Dochmius
– υ υ – υ Adonius

Die wichtigsten Versfüße der akzentuierenden Metrik

In der akzentuierenden Dichtung heutiger Sprachen wird nicht nach langen (–) und kurzen (υ) Silben unterschieden, sondern nach betonten und unbetonten. An die Stelle der langen (–) Silbe tritt die betonte ('x), an die Stelle der kurzen (υ) die unbetonte (x). Ansonsten werden die Bezeichnungen einfach aus der quantifizierenden Metrik übernommen. Die wichtigsten Versfüße sind:

Antike Bezeichnung Plural Kurzzeichen Kennzeichen Beispiel
Jambus Jamben x 'x unbetont, betont Verbot
Trochäus Trochäen 'x x betont, unbetont Abend
Anapäst Anapäste x x 'x unbetont, unbetont, betont Paradies
Daktylus Daktylen 'x x x betont, unbetont, unbetont Enterich

Auch die übrigen Versfüße der akzentuierenden Metrik sind völlig analog zu denen der quantifizierenden Metrik im vorausgehenden Abschnitt. Versfüße, die zwei lange Silben hintereinander haben, wie etwa der Spondeus (– –), sind aber in akzentuierender Metrik fast nicht rekonstruierbar, da in der Regel keine zwei Silben hintereinander betont werden.

Siehe auch

Literatur

  • August Apel: Metrik. 2 Bände, Weygand, Leipzig 1814-1816 Bd. 1 Bd. 2 )
  • Herbert Bögl: Abriss der mittelhochdeutschen Metrik. Mit einem Übungsteil. Olms, Hildesheim 2006.
  • Ivo Braak: Poetik in Stichworten: Literaturwissenschaftliche Grundbegriffe. Hirt, Kiel 1966.
  • Wolfgang Joseph Emmerig: Anleitung zur lateinischen Verskunst. Vierte viel verbesserte Auflage. J. M. Daisenberger, Regensburg 1825

Weblinks


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