Wahl mit sofortiger Stichwahl

Wahl mit sofortiger Stichwahl
Beispiel für einen möglichen Stimmzettel

Instant-Runoff Voting (deutsch: Wahl mit sofortiger Stichwahl) ist ursprünglich ein Wahlsystem für die Besetzung eines einzigen Postens. Der Wähler kann Präferenzen vergeben, welchen der Kandidaten er am liebsten im Amt haben möchte, welchen am zweitliebsten – falls der erste nicht gewählt wird – und so weiter. Er benennt also eine Rangfolge der ihm genehmen Kandidaten. Damit kann er seinen Willen viel genauer ausdrücken als bei der bloßen Mehrheitswahl.

Aus den Rangfolgen in allen Wählerstimmen wird dann eine einzige Rangfolge als Wahlergebnis ermittelt. Die Auswertungsverfahren und ihre Ergebnisse unterscheiden sich etwas.

Die ermittelte Rangfolge kann auch zur Besetzung mehrerer Mandate eingesetzt werden, ob für gleichberechtigte Mitglieder eines Gremiums oder etwa für einen Amtsinhaber, seinen ersten und seinen zweiten Vertreter.

Das Verfahren erlaubt, die erste Stimme auch für praktisch aussichtslose Kandidaten abzugeben und trotzdem bei der Wahl zwischen den aussichtsreichsten mitzuwirken.

Dieses Wahlverfahren wird in den USA seit langem als Alternative zu dem dort verwendeten Verfahren diskutiert. Ein aktuelles Beispiel zeigt, dass die heutige Lage unbefriedigend ist: Ein Mitglied der Grünen Partei, das den Kandidaten der Demokraten dem Kandidaten der Republikaner vorzieht, würde am liebsten den Präsidentschaftskandidaten seiner eigenen Partei wählen, aber wenn er dies tut, dann spielt er durch sein Nichtstimmen für den Demokraten dem republikanischen Kandidaten in die Hände. Jeder Wähler in den USA wird also in erster Linie das „kleinere Übel“ wählen anstelle jenes Kandidaten, mit dem er sich am stärksten identifiziert.

Große und kleine Parteien sollten von der Wahl mit sofortiger Stichwahl profitieren,

  • große, weil aussichtslose Kandidaten ihnen keine Stimmen mehr wegnehmen würden (bekanntestes Beispiel: Präsidentschaftswahlen 2000 in Florida, USA, wo die Grüne Partei möglicherweise den Sieg der Demokraten verhindert hat),
  • kleine, weil ihre Wähler für ihre Lieblingskandidaten stimmen und trotzdem mitbestimmen können.

Inhaltsverzeichnis

Anwendung in der Welt

Die Wahl mit sofortiger Stichwahl wird angewendet in Australien, in Irland und in der kalifornischen Stadt San Francisco.

Die Wahl mit sofortiger Stichwahl wird besonders in Ländern und Gebieten populär, wo die Politik von einigen wenigen mächtigen Parteien beherrscht wird (siehe Zweiparteiensystem). Dazu unterstützt das „Versagen“ bisheriger Wahlsysteme die Einführung der Wahl mit sofortiger Stichwahl. Gründe sind wie schon genannt die Präsidentschaftswahl 2000 in Florida sowie eine Gouverneurswahl in Alaska, in der ein Demokrat gewählt wurde – obwohl Alaska streng republikanisch ist. Mehrere republikanische Splitterparteien haben die Stimmen von rechtsgerichteten Wählern auf sich aufgeteilt und so den Demokraten den Sieg beschert.

Das Verfahren

Die Wahl mit sofortiger Stichwahl eignet sich für Wahlen mit drei oder mehr Kandidaten für nur einen Platz. Sie läuft wie folgt ab:

  1. Jeder Wähler kann einen Kandidaten auf Platz 1 setzen, einen auf Platz 2 und so weiter. Er weist also keinem, einigen oder allen Kandidaten Positionen in einer Rangordnung zu.
  2. Bei der Auszählung wird nun bestimmt, welcher Kandidat die wenigsten Platz-1-Stimmen bekommen hatte. Dieser wird aus allen Wahlzetteln gestrichen, und die nachgeordneten Kandidaten rücken auf.
  3. Das Verfahren wird ab Schritt 2 wiederholt, bis nur noch zwei Kandidaten übrig sind. Davon gewinnt der mit der höheren Stimmenzahl.

Alternativ kann das Verfahren beendet werden, sobald ein Kandidat mehr als die Hälfte der Platz-1-Stimmen hat. Dann bleiben jedoch die Stimmen zweiten, dritten, vierten usw. Ranges der übrigen Wähler unbeachtet, und das kann knapp die Hälfte sein. Die weiteren Schritte können das vorläufige Ergebnis umstürzen.

Beispiel

Nehmen wir an, in einer kleinen Klasse mit 12 Schülern soll der Klassensprecher gewählt werden. Es werden vier Kandidaten nominiert: Alex, Berta, Christoph und Doris. Um Alex gibt es eine Gruppe, die ihn unterstützt, im Rest der Klasse ist er jedoch eher unbeliebt. Jeder Schüler schreibt nun die Anfangsbuchstaben (A, B, C und D) in der Reihenfolge auf einen Zettel, die angibt, wie gut er einen Kandidaten findet. Die Wahl fällt nun folgendermaßen aus:

1. Runde

Zettel 1. Platz 2. Platz 3. Platz 4. Platz
1 C D B A
2 A D B C
3 A B C D
4 D B A C
5 A D B C
6 C D B A
7 B A C D
8 B D C A
9 C D A B
10 D A B C
11 A B D C
12 D C A B

„Platz 1“-Stimmen:

Alex: 4
Berta: 2
Christoph: 3
Doris: 3

Bei einer einfachen Mehrheitswahl hätte Alex nun die Wahl gewonnen. Weil Berta am wenigsten Stimmen erhalten hat, wird sie gestrichen und die Zweitstimmen auf die jeweiligen Kandidaten verteilt: Der Wähler mit dem Wahlzettel 7 würde Alex wählen, falls Berta nicht gewählt wird; und der Wahlzettel 8 bevorzugt Doris, falls Berta nicht gewählt wird. So erhalten Alex und Doris je eine Stimme mehr.

2. Runde

Zettel 1. Platz 2. Platz 3. Platz 4. Platz
1 C D A
2 A D C
3 A C D
4 D A C
5 A D C
6 C D A
7 A C D
8 D C A
9 C D A
10 D A C
11 A D C
12 D C A

„Platz 1“-Stimmen:

Alex: 5
Christoph: 3
Doris: 4

Christoph wird also gestrichen und das Verfahren fortgesetzt: Jeder, der gerne Christoph als Sieger gesehen hätte, bevorzugt nun Doris als zweitbeste Klassensprecherin. Doris erhält drei zusätzliche Stimmen.

3. Runde

Zettel 1. Platz 2. Platz 3. Platz 4. Platz
1 D A
2 A D
3 A D
4 D A
5 A D
6 D A
7 A D
8 D A
9 D A
10 D A
11 A D
12 D A

„Platz 1“-Stimmen:

Alex: 5
Doris: 7

Doris gewinnt die Wahl, weil sie nun die größte Stimmenzahl erhalten hat – obwohl Alex bei den Erststimmen der populärste Kandidat war.

Vorteile

Da die niedrigere Rang-Information eines Wahlzettels nur abgefragt wird, wenn ein Kandidat höheren Ranges ausgeschieden ist, ändert das Ausfüllen von niedrigeren Rängen nicht die Chancen der höheren Ränge. Weder zum Positiven – diese Immunität wird Later-No-Help genannt – noch zum Negativen – diese Immunität wird Later-No-Harm genannt. Daraus folgt, dass es keinen taktischen Vorteil bringt, Konkurrenz übertrieben tief zu platzieren (zu „begraben“), eine Taktik, unter der besonders Rang-Wahl und Borda-Wahl leiden und zu einem gewissen Grad auch Condorcet-Methoden.

Paradoxes und Mängel

Wenn ein Wähler einen Kandidaten auf dem Wahlzettel besser platziert, kann das dazu führen, dass er die Wahl nicht gewinnt. Auch der umgekehrte Fall ist möglich. Wahlsysteme, bei denen dieses Paradoxon nicht vorkommt, erfüllen das sogenannte Monotonie-Kriterium. Wähler können unter Umständen davon profitieren, dass sie einen populäreren Kandidaten auf dem Wahlzettel besser platzieren als jenen Kandidaten, mit dem sie sich am besten identifizieren.

Wieder ein amerikanisches Beispiel zu diesem strategischen Wählen:

Angenommen, ich sei ein Anhänger der Grünen Partei, meine zweite Wahl wären die Demokraten, während ich die Republikaner gar nicht mag. Weiter nehmen wir an, die Grünen wären die stärkste „kleinere“ Partei. Irgendwann im Auszählprozedere werden alle Parteien außer die Republikaner, die Demokraten und die Grünen eliminiert. Wenn dann die Grünen die wenigsten 1.-Rang-Stimmen haben, werden die Kandidaten der Grünen ausgeschlossen und ihre Stimmen den Demokraten angerechnet (was auch mein Wunsch ist). Aber was ist, wenn die Demokraten vor den Grünen eliminiert werden? Bevor alle demokratischen Stimmen zu den Grünen transferiert werden (was extrem unwahrscheinlich ist bei den heutigen Stimmenverhältnissen), könnten die Republikaner die Demokraten schlagen. Man kann vermuten, dass viele demokratische Wähler an zweiter Stelle die Republikaner haben. So könnte ich den Republikanern helfen, zu gewinnen, indem ich die Demokraten nicht an erste Stelle setze.
32,1 % der Bürger 5,9 % der Bürger 26 % der Bürger 36 % der Bürger
1. grün 1. demokratisch 1. demokratisch 1. republikanisch
2. demokratisch 2. grün 2. republikanisch 2. demokratisch
3. republikanisch 3. republikanisch 3. grün 3. grün
Hier werden als erstes die Demokraten gestrichen. Nun haben die Republikaner mehr Stimmen und gewinnen mit 62 % gegenüber 38 %.
31,9 % der Bürger 6,1 % der Bürger 26 % der Bürger 36 % der Bürger
1. grün 1. demokratisch 1. demokratisch 1. republikanisch
2. demokratisch 2. grün 2. republikanisch 2. demokratisch
3. republikanisch 3. republikanisch 3. grün 3. grün
Hier werden als erstes die Grünen gestrichen. Das wollte ich eigentlich nicht, aber so kommen die Zweitstimmen der Grünen-Wähler zum Einsatz und die Demokraten gewinnen die Wahl mit 64 % zu 36 %. Das Ergebnis entspricht also eher meinem angenommenen Wählerwillen als das erste Szenario.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass sich Extrempositionen durchsetzen könnten. Als Beispiel das Europa des 17. Jahrhunderts: Etwa gleich große Blöcke sind für den staatlich durchgesetzten Katholizismus (A) wie für den staatlich durchgesetzten Protestantismus (B), aber beide könnten mit einem Kompromiss leben („Freie Wahl der Konfession“, C). Das Abstimmungsergebnis wäre wie folgt:

38 % der Bürger 38 % der Bürger 11 % der Bürger 13 % der Bürger
1. A 1. B 1. C 1. C
2. C 2. C 2. A 2. B
3. B 3. A 3. B 3. A

Obwohl der Kompromiss C von einem recht deutlichen Teil der Menschen (24 %) gewünscht wird, scheidet er bei der ersten Runde aus; und weil minimal mehr Stimmen B zugeteilt werden als A, gewinnt Vorschlag B. Das Instant-Runoff-Voting kann also dazu beitragen, dass Abstimmungen polarisierend wirken.

Siehe auch

Weblinks


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