- Wahlsystem
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Ein Wahlsystem oder Wahlverfahren ist eine formalisierte Methode, um für eine Wahl festzulegen,
- welche Möglichkeit zur Auswahl den Wahlberechtigten vorgelegt wird und
- wie aus den gültigen Stimmen zu folgern ist, an welche Kandidaten Ämter zu vergeben sind.
Wahlsysteme werden zum Beispiel in der Politik, in Vereinen und bei der Preisvergabe im Sport eingesetzt.
Wichtige Wahlsysteme sind die Mehrheitswahl und die Verhältniswahl. Es gibt sie in zahlreichen Variationen. In der Schweiz und in mancher Fachliteratur spricht man von Majorz und Proporz. − Eine Kombination beider Systeme ist die personalisierte Verhältniswahl zum Deutschen Bundestag.
Inhaltsverzeichnis
Allgemeines
Wahlsysteme können einzelne Parteien begünstigen oder benachteiligen. Wenn es zur Diskussion über Wahlsystemfragen kommt, argumentieren die Parteien daher oftmals entsprechend ihrem eigenen Interesse: „Wahlrecht ist auch Machtrecht“[1]. Als 1948/49 in Westdeutschland über das Wahlsystem für den Bundestag diskutiert wurde, war die CDU/CSU für ein Mehrheitswahlsystem, die FDP hingegen für ein Verhältniswahlsystem, denn als kleine Partei hätte sie in einem Mehrheitswahlsystem vermutlich schwere Nachteile erlitten. Es muss aber immer bedacht werden, dass das Wahlsystem nur ein einziger Faktor bei der Herausbildung von Parteiensystemen ist. Duvergers Gesetz, demzufolge ein Mehrheitswahlsystem nur noch zwei Parteien bestehen lässt, kann allenfalls eine begründete Vermutung sein – die in der Realität oft auch widerlegt wurde.
Ein Wahlsystem wird danach beurteilt, welchen Zielfunktionen es entgegenkommt. Diese Zielfunktionen können sein:
- Proportionalität bzw. Repräsentation: Das Wahlsystem soll den Wählerwillen unverzerrt wiedergeben. Alle Stimmen sollen nicht nur im Zählwert, sondern auch im Erfolgswert gleich sein.
- Konzentration bzw. Stabilität: Das Wahlsystem soll die Bildung einer stabilen Regierung, über die Erzwingung der Mehrheit einer Partei (oder festen Parteiallianz) („manufactured majority“), sicherstellen. Die Wählerschaft soll so direkt über die Bildung der Regierung entscheiden können und nicht die Parteien in ihren Verhandlungen nach der Wahl.
- Einfachheit: Ein System, das von den meisten Wählern nicht verstanden wird, kann zu Stimmabgaben führen, die dem Wählerwillen nicht entsprechen.
Vor allem die ersten beiden Zielfunktionen stehen im Widerspruch zueinander. In der Gesellschaft leben viele politische Ideen nebeneinander, die durch Parteien im Parlament repräsentiert werden wollen; die dadurch entstandene Vielfalt der Parteien erschwert die Regierungsbildung. Die Mehrheitswahl entspricht der Zielfunktion stabiler Regierungsbildung (Konzentration), die Verhältniswahl der Repräsentation.
Traditionell beschreibt man Wahlsysteme entweder als Mehrheitswahl, Verhältniswahl oder gemischtes (oder auch: kombiniertes) System. Spricht man von Mehrheitswahl, meint man gemeinhin die relative Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen, bei der Verhältniswahl die sogenannte reine Verhältniswahl. Man kann sich das als die beiden Pole ein und derselben Achse vorstellen: Bei dieser Form der Mehrheitswahl ist das Land in so viele Wahlkreise aufgeteilt, wie es Sitze im Parlament geben soll. Pro Wahlkreis wird ein Kandidat gewählt. Bei der reinen Verhältniswahl ist das ganze Land ein Wahlkreis; da in diesem mehrere Sitze verteilt werden müssen, bedient man sich dazu Wahllisten der einzelnen Parteien. Zwischen den beiden Polen gibt es Systeme, in denen das Land in mehrere Mehrpersonenwahlkreise eingeteilt ist. Diese Einteilung der Wahlsysteme entspricht nicht zwingend derjenigen nach der Zielfunktion.
Typologie nach Nohlen
Dieter Nohlen teilt die Wahlsysteme in fünf Mehrheits- und fünf Verhältniswahlsysteme ein, wobei er betont, dass sich noch weitere Systeme finden lassen, die nicht ohne weiteres diesen zehn Typen zugeordnet werden können.[2]
Mehrheitswahlsysteme:
- Relative Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen, zum Beispiel in Großbritannien
- Absolute Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen, zum Beispiel in Frankreich
- Mehrheitswahl mit Minderheitenvertretung, wie Single Nontransferable Vote (SNTV)
- Mehrheitswahl in kleinen Mehrpersonenwahlkreisen
- Mehrheitswahl mit proportionaler Zusatzliste, darunter auch ein segmentiertes Wahlsystem wie das Grabenwahlsystem
Verhältniswahlsysteme, ebenfalls nach Nohlen:
- Reine Verhältniswahl, zum Beispiel in den Niederlanden
- Verhältniswahl in (relativ großen) Mehrpersonenwahlkreisen, zum Beispiel in Spanien
- Kompensatorische Verhältniswahl mit Sperrklausel
- Personalisierte Verhältniswahl mit Sperrklausel, zum Beispiel in Deutschland
- Übertragbare Einzelstimmgebung, Single Transferable Vote (STV)
Wahlverfahren
Diese Verfahren können auch zur gleichzeitigen Wahl mehrerer gleichberechtigter Mandatsinhaber dienen; dies ist der Sonderfall, bei dem der Rang ungenutzt bleibt. Die Besetzung eines einzigen Amtes ist ein anderer Sonderfall; dieser ist anwendbar zum Beispiel bei der Mehrheitswahl und für die Wahl eines Bürgermeisters. (Auch wo die Beschreibung eines Wahlverfahrens sagt, das Verfahren diene zur Bestimmung eines einzigen Siegers, kann man den als vorletzten Ausscheidenden auf Platz 2 sehen.)
- Abstimmung durch bloße Bezeichnung von Kandidaten:
- Wahl durch relative Mehrheit: die Anzahl der Stimmen bestimmt den Rang;
- Wahl mit Quorum (oft „mehr als die Hälfte der Stimmen“), meist mit Stichwahl bei Nichterreichen;
- Wahl durch Zustimmung (Approval Voting);
- Abstimmung durch Angabe einer Rangfolge einiger oder aller Kandidaten, wobei alle Rangzuweisungen verschieden sein müssen:
- Abstimmung durch Angabe von Rang oder Benotung einiger oder aller Kandidaten, wobei Rang oder Note für mehrere Kandidaten gleich sein dürfen:
- Hare-Niemeyer-Verfahren
- D'Hondt-Verfahren, äquivalent mit dem Hagenbach-Bischoff-Verfahren
- Sainte-Laguë-Verfahren
- Hill-Huntington-Verfahren
- Dean-Verfahren
- Adams-Verfahren
Siehe auch
- Abstimmung (Stellungnahme)
- Condorcet-Sieger
- Mehrheitswahl
- Kumulieren und Panaschieren sind besondere Begriffe bei Personen-Mehrstimmwahlsystemen
Belege
- ↑ http://www.faz.net/artikel/C30351/ungerechte-ueberhangmandate-alle-waehler-sind-gleich-einige-bleiben-gleicher-30337372.html
- ↑ Dieter Nohlen: Wahlrecht und Parteiensystem, 3. Auflage, Opladen Leske und Budrich 2000.
Literatur
- Wolfgang Ernst: Kleine Abstimmungsfibel. Leitfaden für die Versammlung, Buchverlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich, 2011, ISBN 978-3-03823-717-4
- Dieter Nohlen: Wahlrecht und Parteiensystem, 4. Auflage, Opladen Leske und Budrich 2004.
Weblinks
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