Winfried Brugger

Winfried Brugger

Winfried Brugger (* 26. Februar 1950 in Tettnang; † 13. November 2010 in Heidelberg) war ein deutscher Rechtswissenschaftler.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Nach seinem Abitur am Graf-Zeppelin-Gymnasium in Friedrichshafen 1968 studierte Brugger von 1968 bis 1973 und von 1976 bis 1979 unter anderem Rechtswissenschaft, Philosophie und Soziologie an den Universitäten München und Tübingen. Seine juristischen Staatsexamina legte er 1973 und 1976 ab. Danach war er von 1976 bis 1983 wissenschaftlicher Assistent an der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen.

1980 wurde er dort mit einer Arbeit zu Max Weber summa cum laude zum Dr. iur. promoviert. In den Jahren 1980 und 1981 studierte er dann Rechtswissenschaft an der University of California in Berkeley und erwarb den Master of Laws. 1986 wurde er nach seiner Habilitation Privatdozent für Öffentliches Recht und Rechtsphilosophie an der Universität Tübingen.

Seit 1992 war er ordentlicher Professor für Öffentliches Recht, Rechtsphilosophie und Allgemeine Staatslehre an der Universität Heidelberg. Daneben war er häufig als Gastprofessor an Rechtsfakultäten der USA tätig, insbesondere an der Georgetown University.

Brugger war Mitherausgeber der Fachzeitschrift Der Staat und seit 2006 Vorsitzender der Deutschen Sektion der Internationalen Vereinigung für Rechts- und Sozialphilosophie (IVR). Ferner war Brugger Mitglied der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung des Politischen Denkens (DGEPD).

Winfried Brugger verstarb völlig überraschend am 13. September 2011. Er fand seine letzte Ruhe auf dem Heidelberger Bergfriedhof, Abteilung D 310/311, dem so genannten Professorenweg, neben dem Deutschen Staatsrechtler Georg Jellinek[1].

Werk

Winfried Brugger forschte und publizierte schwerpunktmäßig in den Bereichen Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Kommunitarismus, Verfassungsvergleichung und Anthropologie, sowie Recht. Im Bereich Menschenrechte analysierte er das „Menschenbild der Menschenrechte“ über die fünf Elemente „eigenständige, sinnhafte, verantwortliche Lebensführung“, die eine Systematisierung der Menschenbildformel des Bundesverfassungsgerichts darstellen. Bei der Meinungsfreiheit stehen vor allem Arbeiten über ihre philosophische Grundlagen bei Kant und Mill im Vordergrund sowie rechtsvergleichende Analysen zum Umgang mit hate speech, in deutscher Terminologie, Volksverhetzung. Kommunitarismus wird oft in Entgegensetzung zu Liberalismus beschrieben, was laut Brugger eine Fehleinschätzung ist, die nur auf den „konservativen Kommunitarismus“, nicht aber auf den interessanteren und intellektuell attraktiveren „liberalen Kommunitarismus“ zutrifft. In der Verfassungsvergleichung stehen die Verfassungen der USA und des Grundgesetzes im Mittelpunkt: Erstere präsentiert das klassische Modell einer demokratisch ausgerichteten Organisationsverfassung mit klar definierten Grenzen (Bill of Rights); letztere steht für deren Anreicherung durch Staatsziele und objektive Grundrechtsfunktionen und eine noch aktivere Verfassungsgerichtsbarkeit. Bruggers Arbeiten zur Anthropologie sind schwerpunktmäßig angesiedelt im „anthropologischen Kreuz der Entscheidung“, das sich bei allen hard cases „schwierigen Fällen“ (Ronald Dworkin) im persönlichen wie politisch-rechtlichen Leben ergibt, wenn unterschiedliche Impulse von unten (Grundbedürfnisse), oben (Ideale), hinten (Biographie) und vorne (Zweckbestimmungen, Mittel-Zweck-Analysen) den Akteur bedrängen und ihm seinen Charakter als Subjekt vor Augen führen. Das Kreuz der Entscheidung kann analytisch und komparativ aus der Beobachterperspektive eingesetzt werden, um Charakterstrukturen von Personen, Institutionen oder Texten zu untersuchen. Es kann aber auch normativ von dem Akteur, der gut beraten ist, eingesetzt werden, jedenfalls strukturell alle vier Perspektiven zu berücksichtigen, bevor er eine Entscheidung fällt; das trifft auch auf institutionelle Akteure zu.

Äußerst umstritten sind die Thesen Winfried Bruggers zur sogenannten Rettungsfolter. Brugger vertrat seit 1995 die Ansicht, dass auch der in Art. 1 Grundgesetz uneingeschränkt garantierte Anspruch auf Achtung und Schutz der Menschenwürde einer Abwägung fähig und bedürftig sei (1) und dass es in bestimmten Gefahrensituationen gerechtfertigt sein könne, polizeirechtlich verantwortliche Personen zu foltern (2).

Brugger leitete seine Thesen anhand des folgenden, von Niklas Luhmann inspirierten, als ticking bomb situation „Zeitbombensituation“ allerdings schon seit Jeremy Bentham im englischsprachigen Raum diskutierten Beispiels ein:

Eine Stadt wird von einem Terroristen mittels einer chemischen Bombe erpresst. Der Verdächtige wird gefasst und berichtet glaubhaft, den Zeitzünder der Bombe bereits betätigt zu haben. Sobald die Bombe hochgehe, würden alle Einwohner der Stadt eines grausamen Todes sterben. Die Androhung aller Zwangsmittel nützt nichts, der Verdächtige schweigt. (kurz gefasst nach: Brugger 1996, vgl. Literaturhinweise)

In dieser Situation sei es der Polizei nicht nur erlaubt, sondern sie habe darüber hinaus sogar die Pflicht, den Verdächtigen zwecks Erlangung von Informationen über den Verbleib der Bombe zu foltern. Der Anspruch des Verdächtigen auf Achtung seiner Menschenwürde kollidiere mit der Würde der von der Bombe bedrohten Einwohner der Stadt und habe im vorliegenden Fall zurückzutreten.

Werke (Auswahl)

Monographien

  • Liberalismus, Pluralismus, Kommunitarismus. Studien zur Legitimation des Grundgesetzes, Baden-Baden 1999. ISBN 3-7890-6215-4
  • Das anthropologische Kreuz der Entscheidung in Politik und Recht, Baden-Baden, 2. Aufl. 2008. ISBN 978-3-8329-3697-6
  • Freiheit und Sicherheit. Eine staatstheoretische Skizze mit praktischen Beispielen, Baden-Baden 2004. ISBN 3-8329-0808-0
  • Demokratie, Freiheit, Gleichheit. Studien zum Verfassungsrecht der USA, Berlin 2002. ISBN 3-428-10827-2
  • Einführung in das öffentliche Recht der USA, 2. Aufl., München 2001. ISBN 3-406-47704-6
  • Religion in the Public Sphere: A Comparative Analysis of German, Israeli, American and International Law (zusammen herausgegeben mit Michael Karayanni), Berlin/Heidelberg 2007. ISBN 978-3-540-73355-3
  • Rechtsphilosophie im 21. Jahrhundert. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2008 (co-edited with Ulfrid Neumann and Stephan Kirste). ISBN 978-3-518-29494-9.

Aufsätze

  • Konkretisierung des Rechts und Auslegung der Gesetze, in: AöR 119 (1994), S. 1 ff.
  • Darf der Staat ausnahmsweise foltern?, in: Der Staat 35 (1996), S. 67-97
  • Vom unbedingten Verbot der Folter zum bedingten Recht auf Folter?, in: JZ 55 (2000), S. 165 ff.
  • Kommunitarismus als Verfassungstheorie des Grundgesetzes, in: AöR 123 (1998), S. 337 bis 374.
  • Kampf um die Verfassungsgerichtsbarkeit: 200 Jahre Marbury v. Madison, in: JuS 2003, S. 320 ff.
  • Communitarianism as the social and legal theory behind the German Constitution, in: I-Con 2 (2004), 431-460
  • Das anthropologische Kreuz der Entscheidungen in Politik und Recht, in: ZfP 2005, S: 261 ff.
  • Zur Rationalität des Kommunitarismus und zu seiner Bedeutung für die Verfassung Deutschlands und Europas, in: Ralf Elm (Hrsg.), Vernunft und Freiheit in der Kultur Europas, Freiburg/München 2006, S. 383 ff.
  • Protection or prohibition of aggressive speech? Arguments from the liberal and communitarian perspectives, in: Paul van Seters (Hrsg.), Communitarianism in law and society, 2006, 163-200.
  • Varianten der Unterscheidung von Staat und Kirche. Von strikter Trennung und Distanz über gegenseitiges Entgegenkommen bis zu Nähe, Unterstützung und Kooperation, in: AöR 132 (2007), S. 4 ff.
  • Dignity, Rights, and Philosophy of Law within the Anthropological Cross of Decision-Making, in: 9 German Law Journal No. 10 (1 October 2008), www.germanlawjournal.com.
  • The Treatment of Hate Speech in German Constitutional Law (Parts I and II), [1] und [2].

Einzelnachweise

  1. Bergfriedhof Heidelberg, Friedhofsamt

Weblinks


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