Wintergarten (Varieté)

Wintergarten (Varieté)
Plakat: Wintergarten
Das Centralhotel an der Friedrichstraße um 1900
Vorstellung im Wintergarten, 1940

Der Wintergarten war eine von ca. 1887 bis 1944 bestehende Varieté-Bühne am Bahnhof Friedrichstraße in Berlin-Mitte. Unter dem traditionsreichen Namen eröffnete 1992 ein Varietétheater an anderer Stelle an der Potsdamer Straße in Berlin-Tiergarten.

Inhaltsverzeichnis

Der alte Wintergarten und seine Bedeutung für die Entdeckung des Varietés

Um 1880 erhielt Berlin aufgrund seiner geographischen Lage die Stellung eines Zentrums zwischen Ost und West, was zu einem starken Verkehrsaufkommen und anschwellenden Besucherströmen führte. Durch den Ausbau des lokalen Schienennetzes und die Anbindung an das internationale Schienennetz, welches mitten durch den Stadtkern führen sollte, entstand neben dem Potsdamer Bahnhof ein neuer Central-Bahnhof an der Friedrichstr./Ecke Unter den Linden.

Hermann Gebers, Eigentümers des Gartenlokals „Stadtpark“ an der Friedrichstraße kaufte rund um den neuen Central-Bahnhof Grundstücke auf, riss die alten Gebäude ab und begann 1877 mit der Errichtung des „Central-Hotels“. In den Planungen war ein Hotel, welches sich an Umfang, Glanz und Komfort an den großen Hotels in Paris, London und New York messen konnte. Das neue Hotel sah zwei Teile vor, einen Hotelbereich und einen Palmengarten wie sie im wilhelminischen Kaiserreich en vogue waren. Der Wintergarten sollte nicht nur den Gästen als Erholungsstätte, sondern auch für Konzerte und Theatervorstellungen dienen.

Der damalige Wintergarten war ein langgestreckter Raum mit 75 Meter Länge und 23 Meter Breite. Der Wintergarten hatte eine Gesamtfläche von etwa 1.700 Quadratmeter. Der Raum besaß eine gewölbte Kuppel aus Glas und an dem höchsten Punkt maß die Decke 18 Meter. Der Wintergarten wurde durch eine große Zahl von Gasleuchten erhellt, zu denen sich nachts die Vielen durch das Glasdach herein schimmernden Sterne gesellten.

Im Herbst 1881 hatte sich der Wintergarten aufgrund seines luxuriösen Interieurs auch bei dem wohlhabenden und reichen Berliner Publikum, das bis dahin meist in die Philharmonie gegangen war, als musikalisch-unterhaltender Veranstaltungsort durchgesetzt. Der Erfolg des Varietés hatte in diesen musikalischen Programmen seine Wurzeln.

Bis 1886 bestanden die Veranstaltungen vorwiegend aus instrumentalen Konzerten. Es überwogen die bekannten und beliebten Unterhaltungsmelodien. Erst ab der Saison 1886 wurden die Programme erweitert und auch Tänzerinnen und Sängerinnen engagiert. Die Suche nach neuen dramaturgischen Prinzipien begann, gegen die logisch-ordnenden Textvorlagen, für offene Geschichten, wie sie der Circus oder die Revue boten, ohne Anfang, ohne Ende, willkürlich, doch nicht zufällig. Gegen die Vorherrschaft des Wortes wurden Bilder gesetzt, Montagen entwickelt, neue Aufführungsorte erprobt; der Alltag und das theatralische Spiel durchdrangen sich.

Es lässt sich also von einer Umkehrung der Verhältnisse zwischen den einzelnen Programmen sprechen. Die Kapelle füllte nun die Pausen zwischen den Tänzerinnen und Sängerinnen und nicht umgekehrt. Durch die Verbindung von Kapelle, Sängerinnen und Tänzerinnen entstand das erste Varietéprogramm im Wintergarten. Es fanden sich immer neue Künstler, und Geschäftsleute traten an, die mit Formen theatralisch-artistischer Darbietung experimentierten. Der Reiz des Unwahrscheinlichen, die Lust am Staunen, die Sehnsucht nach tosendem Gelächter nahm großen Einfluss auf die Ausrichtung des Programms.

Wahrscheinlich im Jahr 1886 übernahmen Franz Dorn und Julius Baron den Wintergarten und nach Umbauarbeiten im Sommer 1887 kündigten sie das Premierenprogramm „Großes Konzert und Vorstellung“ an. Im Herbst 1887 fand also die Eröffnung des Wintergartens als Varieté statt. Und mit der Premierenveranstaltung begann eine nicht mehr abreißende Reihe von Varietéaufführungen, die den Wintergarten zum berühmtesten Nummerntheater Berlins und des Kaiserreichs machen sollte.

Durch den, für ein Varieté typischen, häufigen Programmwechsel sah man sich gezwungen, mit immer neuen noch größeren Sensationen aufzuwarten. Am 1. November 1895 fand somit die erste öffentliche und kommerzielle Filmvorführung im Wintergarten statt, wo die Brüder Max und Emil Skladanowsky ihren Bioscop im Rahmen des Varietéprogramms zeigten.

Im Jahre 1900 wurde der Wintergarten abermals umgebaut, wodurch er sein spezifisches Gesicht erhielt, welches bis zur Zerstörung im Kriegsjahr 1944 beibehalten wurde. Die Pläne für den Umbau lieferte der durch den Bau des Theater des Westens bekannt gewordene Bauherr Bernhard Sehring. Unter anderem wurde die Glaskuppel von außen mit flexiblen Platten abgedeckt und der Raum erhielt einen theatralischen Innenraum. Bernhard Sehring verfiel auch auf die Idee, künstliche Sterne an den Wintergarten-Himmel zu hängen. Viele Glühbirnen wurden an die Decke angebracht und somit eine schöne Atmosphäre schafften.

Der Berliner Lokalanzeiger berichtete damals: „Im Wintergarten wurde gestern […] der neue Sternenhimmel eröffnet. Im Glanze unzähliger funkelnder Sterne, >goldener Lügen im himmelblauen Nichts<, erstrahlte der neue alte Saal, zu dessen Wiedertaufe sich alles eingefunden hatte, was in Berlin zu jenen gehört, die überall zu finden sind, wo was los ist.“ Diesen Sternenhimmel kann man auch heute wieder im neuen Wintergarten Varieté an der Potsdamer Straße bewundern.

1928 übernimmt Ludwig Schuch als Direktor das Haus. Unter seiner Regie wird es abermals umgebaut und ist mit fast 3.000 Sitzplätzen das größte und modernste Theater Europas. Während der "wilden" Zwanziger zeigte man exzentrische Mode im Parkett und originelle Talente wie die schnodderige Diseuse Claire Waldoff und den Coupletsänger Otto Reutter. Das Orchester war vor der breiten Bühne in einem Graben versenkt. Der Platz auf der Terrasse, wo man während der Vorstellung auch speisen konnte, kostete sechs Mark, im Entree konnte man für eine Mark stehen. Berlin zeigte sich als internationale Hauptstadt des Vergnügens und der Wintergarten war der angesagte Treffpunkt.

Nach 56 Jahren Spielbetrieb und einer letzten Vorstellung am 21. Juni 1944 wird der Wintergarten durch einen Bombenangriff zerstört. Damit liegt die spektakulärste Schaubühne der Artistik, die Deutschland bis dahin gekannt hat, in Schutt und Asche. Mit Ende der Kriegshandlungen 1945 waren die ehemaligen Spielstätten in Berlin fast alle vollständig zerstört. Die Ruine des Wintergartens wurde 1950 gesprengt.

Bereits im Dezember 1945 berichteten Berliner Zeitungen über die Eröffnung eines neuen Wintergartens in der "Neuen Welt" an der Hasenheide. Der Initiator war Ludwig Goebel von der Wintergarten G.m.b.H. Im September 1946 wurde der Spielbetrieb aufgenommen, allerdings wurden in dem fast 1.600 Zuschauer fassenden Saal vorwiegend Filme mit einer vorgeschalteten Bühnenschau gezeigt. Bereits nach wenigen Monaten schloss das Kino-Varieté wieder.

Der zweite „Wintergarten“

Varieté Wintergarten an der Potsdamer Straße, 2010.

Peter Schwenkow, der Künstler André Heller und Circus Roncalli-Chef Bernhard Paul mieteten die Räumlichkeiten des früheren „Quartier Latin“ an der Potsdamer Straße und ließen diese aufwendig umgestalten. Am 25. September 1992 wurde dann, in Anwesenheit von Siegfried & Roy, der zweite Wintergarten mit einer festlichen Gala-Premiere eröffnet.

Im April des darauffolgenden Jahres fand die erste große Gala anlässlich der Verleihung des Schallplattenpreises Echo statt. Internationale Stars wie Phil Collins traten auf. Im gleichen Jahr erhielt das Wintergarten Varieté den Kulturpreis der Berliner Boulevardzeitung B.Z. 1994 entstand eine Folge der TV-Krimiserie „Tatort“ vom SFB im Wintergarten, auch RTL drehte hier („Die Traumhochzeit“ mit Linda de Mol) 1998 wurden Foyer und Restaurant umgebaut. Die Millennium-Show „As Time Goes By“ (Regie: Bernhard Paul) wurde 2000 mit gleich zwei glanzvollen Galavorstellungen gefeiert. Das Programm begleiteten jeweils Robin Merrill & The Savoy Dance Orchestra und Max Raabe mit dem Palast Orchester. Im zehnten Jahr des Bestehens wurden insgesamt vier Programme aufgelegt, die ein Wiedersehen mit den herausragenden Künstlern der letzten Dekade boten.

Die drei visionären Neugründer knüpften damit an die große Wintergarten-Tradition im Vorkriegs-Berlin an. In den ersten Jahren kamen mehr als eine Million Besucher, und es gab Nachahmer in anderen Städten. Doch bereits 1995 verließ André Heller das Haus wieder, und auch Bernhard Paul zog sich 2007 zurück. 2007 verkaufte Peter Schwenkow den Wintergarten an eine Investorengruppe um den langjährigen Geschäftsführer Georg Strecker und dessen Partner Frank Reinhardt. 2008 verließ Strecker das Haus, und Frank Reinhardt führte alleine die Geschäfte weiter. Im Sommer 2008 musste der Wintergarten Insolvenz anmelden; es wurde aber zunächst noch weitergespielt. Am 31. Januar 2009 fiel dann der letzte Vorhang der letzten Show „Orientalis“.

Mitte 2009 fand sich ein neuer Betreiber für den Wintergarten mit seinen knapp 500 Plätzen: die Arnold Kuthe Entertainment GmbH. Deren Gesellschafter waren bereits seit Neugründung des Wintergartens Vermieter der Räumlichkeiten und hatten sich im Frühjahr 2009 entschlossen, in einem ersten Schritt das Inventar und die Namensrechte zu erwerben, um das Theater als solches spielfertig und die Marke Wintergarten am Markt zu erhalten. Später wurde das Haus zunächst für ein 3-monatiges Gastspiel der New-Burlesque-Show „Black Flamingo“ an die Deutsche Entertainment AG vermietet. Es schlossen sich die Vorbereitungen für eine eigene ganzjährige Bespielung an. Ein Vertreter der Gesellschaft: „Mehr als eine echte Chance kann und soll dieses Engagement nicht sein. Einen Dauersubventionierungsbetrieb als schönes Aushängeschild wollen wir uns nicht leisten.“ Nachdem man ihn auf die Füße gestellt habe, werde der Wintergarten selbständig im harten Wettbewerb bestehen müssen. „Nur wenn er dieses auch tut, ist er gut genug.“

„Die Fabelhafte Varieté Show“ mit Varietésängerin und Conférencière Meret Becker bildete am 5. Februar 2010 mit einer glanzvollen Premiere den festlichen Auftakt zur Wiedereröffnung des Berliner Wintergarten Varietés an der Potsdamer Straße. Fast genau ein Jahr nach der Schließung wird das Theater seither wieder ganzjährig mit drei eigenproduzierten Varieté-Shows bespielt.

Literatur

  • Wolfgang Jansen, Erich Leif: Festschrift 50 Jahre Wintergarten 1888-1938. Olms, Auflage: 2. A. (1994), ISBN 3487080982
  • Wolfgang Jansen: Das Varieté: die glanzvolle Geschichte einer unterhaltenden Kunst. Berlin : Ed. Hentrich, 1990

Weblinks

 Commons: Wintergarten (Varieté) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
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