- Bektashi
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Die Bektaschi-Tariqa ist einer der größten und einflussreichsten islamischen Derwisch-Orden in Anatolien und auf dem Balkan. Als Gründer gilt traditionell der in Persien geborene Turkmene Hadschi Baktasch Wali (türkische Schreibweise Hünkar Hacı Bektaş Veli; † 1270?).
Inhaltsverzeichnis
Struktur
Die Bektaschi betreiben Konvente (Tekken), in denen Derwische leben. Das Oberhaupt der Bektaschi-Tariqa ist der (Groß)-Dede (Dedebaba), Dede bedeutet soviel wie Großvater. Der nächste Rang ist der Halifebaba, anschließend der des Baba (Vater). Dieser Rang hat die Aufgaben inne, zu predigen und sich um die Seelsorge zu kümmern. Die mittlere Station ist die des Derwisch, der wie der Baba verheiratet sein oder ein zölibatäres Leben führen kann. Am Ende der Hierarchie steht das normal initiierte Mitglied, der Talib oder Muhibb (Liebender). Derzeit werden die Bektaschi von Dedebaba Reshat Bardhi geleitet.
In Albanien sind die Bektaschi neben den christlichen Kirchen und dem sunnitischen Islam eine vom Staat offiziell anerkannte Religionsgemeinschaft. In der Türkei sind sie seit einem Verbot in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts nicht wieder zugelassen worden, werden aber von den Behörden mehr oder minder geduldet.
Religiöse Praxis
Der Bektaschiorden bot der ländlichen Bevölkerung eine undogmatische, unorthodoxe und unkonventionelle Religionsausübung an. In Anatolien wurde die strikte und systematische Form des orthodoxen Islams zugunsten einer der anatolischen Bevölkerung angepassten Form evolutioniert.
Der Bektaschiorden ist ausserdem der heterodoxeste aller muslimischen Orden und war der offizielle Orden der Janitscharen. Soldaten, die im christlichen Glauben erzogen wurden, waren diesem Orden gegenüber sehr empfänglich. Dies lag einerseits daran, dass sie üblicherweise Wein tranken und den Fastenmonat Ramadan ignorierten, andererseits, dass die Bektaschi-Version der muslimischen Theologie eine der christlichen Dreifaltigkeit ähnliche Doktrin beinhaltet.[1]
Das Gebet ist nicht an gewisse Tageszeiten gebunden, sondern konzentriert sich auf bestimmte Abendstunden, in denen die Arbeit ruht und die Gläubigen sich in kontemplativer Hingabe den Zeremonien des Cem geistig öffnen können. In diesem Ritus werden die Gläubigen - Frauen und Männer, Junge und Alte, Arme und Reiche – durch Gesang, Musik und die Rezitation von Hymnen und Heldensagen in Begleitung des Sazinstruments in eine mystische Stimmung des Eins-Seins (El ele ve el hakka) versetzt, in der alle unterschiedslos und gemeinsam ihre Hände dem Schöpfer (Hak-Tanri-Allah) entgegenstrecken.
Der Semah-Tanz ist der rituelle Tanz der Aleviten und Bektaschiten, der innerhalb der Cem-Zeremonie stattfindet. Er ist der physisch-geistigen Ausdruck der ewigen Wiederkehr aller Schöpfungen, denn im Semah-Tanz drehen sich Frauen und Männer (als Sinnbild der antagonistischen und sich dennoch bedingender Gegensätze) im Kreis und bilden symbolisch den Umlauf der Planenten um die Sonne nach.
Ihr höchstes Fest begehen die Bektaschi alljährlich eine Woche lang am Berg Tomorr bei Berat (heutiges Albanien).
Geschichte
Der Orden der Bektaschi entstand in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts im seldschukisch beherrschten Kleinasien. Die Lehre und Gebetspraxis der Gemeinschaft geht auf Haddschi Bektasch Veli zurück. Er wanderte ursprünglich als Yesevi-Derwisch aus Chorasan nach Anatolien aus. Die Angehörigen des nach ihm benannten Ordens verehren ihn als Gründer der Gemeinschaft; wahrscheinlicher ist, dass sich erst frühe Anhänger von Hadschi Bektasch Veli zu einem Orden formten. Das Bektaschitentum verbreitete sich in Mazedonien und Kosovo ab dem 14 Jahrhundert. Es ist im ganzen Balkan, Rumänien und Ungarn verbreitet. Die aus Anatolien stammenden Derwische Sarı Saltık Baba, Hıdır Baba und Sersem Ali Dede zählen zu den ersten Missionaren.
Orhan I. gilt als Gründer der Janitscharen und soll Hadji Bektasch Veli um seine Segnung und um einen Namen für seine Elitesoldaten gebeten haben. Vom 16. Jahrhundert an lebten Bektaschi-Derwische in der Nähe der Janitscharen-Garnisonen, um dort die Soldaten geistig zu leiten. Im Jahre 1826 erlitten die Bektaschi sowohl in Albanien wie auch in Anatolien einen herben Rückschlag, als Sultan Mahmud II. die Janitscharen-Truppe auflöste und die Schließung aller Bektaschi-Tekes im Reich anordnete. In Albanien lebte der Orden nach dem Tod dieses Sultans aber schnell wieder auf und erreichte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts seine höchste Blüte. 15 Prozent der albanischen Bevölkerung bekannten sich zu den Bektaschi. In den Balkankriegen (1912/13) wurden 80 Prozent der Tekkes in Epirus und Südalbanien von den Griechen zerstört. Von diesem Schlag konnte sich der Orden nur schwer wieder erholen.
Bis zum Verbot aller Derwisch-Orden in der Türkei durch den Staatsgründer Atatürk im Jahr 1925 hatte der Orden sein Zentrum in Anatolien, danach in Albanien (Tirana). Seitdem sind die meisten Bektaschi Albaner. Mitte der 1940er Jahre gab es in Albanien etwa 280 Babas und einfache Derwische und in den 60er Jahren immer noch fünfzig Bektaschi-Tekkes mit ungefähr achtzig Derwischen. Nach der Erklärung Albaniens zum ersten atheistischen Staat der Welt im Jahr 1967 wurden die meisten heiligen Stätten der Bektaschi zerstört. Viele Mitglieder wurden ins Gefängnis geworfen. Bis zum Zusammenbruch der kommunistischen Diktatur hatten nur fünf Babas und ein Derwisch überlebt. Es gab lediglich sechs Tekkes, die noch als Kultgebäude erkennbar waren.
Vor dem Zweiten Weltkrieg emigrierte Bektaschi führten die Tradition des Ordens in den USA fort. Die amerikanische Tekke ist 1954 in Detroit eingerichtet worden. Nach der Aufhebung des Religionsverbots in Albanien (1990) wurde das internationale Zentrum des Bektaschi-Ordens in Tirana eingerichtet. In Vlora haben die Bektaschi 2005/6 ein großes Studienzentrum erbaut.
Literatur
- Statuti i komunitetit Bektashian shqiptar. (Statuten der albanischen Bektashi). Vlora 1924.
- Robert Elsie: Der Islam und die Derwisch-Sekten Albaniens. Anmerkungen zu ihrer Geschichte, Verbreitung und zur derzeitigen Lage. (2004 veröffentlicht bei "Kakanien revisited") Zugehörige Bibliographie hier
- John Kingsley Birge: The Bektashi Order of Derwishes. London 1994.
- Abdülkadir Haas: "Die Bektaşi" Riten und Mysterien eines islamischen Ordens. Reihe Religion und Mystik, EXpress Edition, Berlin 1987
- Birge J. K. The Bektashi Order of Dervishes (London, 1937)
- Hasluck, F. W. Christianity and Islam under the Sultans, ed. M. M. Hasluck. vol. 2 (Oxford, 1929). S. 483-596
Weblinks
- Website des Bektashi-Ordens (Englisch, Albanisch, Türkisch & Bosnisch)
- Die Bektashi in den USA
- Anthony Weir: The Bektashi Order of Dervishes
Einzelnachweise
- ↑ Malcolm, Noel (1998). Kosovo. A Short History. S. 134-135
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