Wurzacher Altar

Wurzacher Altar

Der Wurzacher Altar ist ein 1437 entstandener Flügelaltar von Hans Multscher. Vom ursprünglichen Altar sind nur noch zwei Flügel (Leinwand auf Tannenholz, je 150 auf 140cm) mit jeweils zwei Bildern auf der Innen- und Außenseite erhalten, also insgesamt acht Bildtafeln. Die Bezeichnung des Altars bezieht sich auf die Kunstsammlung des Grafen Waldburg-Zeil auf der Burg Wurzach, in der sich die Flügel im 18.Jahrhundert befanden. Heute befinden sich beide Flügel in der Berliner Gemäldegalerie.

Sie zeigen je vier Szenen aus dem Marienleben und der Passion Christi und sind chronologisch geordnet und von links nach rechts zu lesen. Multscher hat sie doppelt signiert, um sie als sein eigenes Werk zu betonen, weil er in vielen Schriften nur als Bildhauer bezeichnet wird. In seinem Frühwerk war er dem Weichen Stil verpflichtet. Später suchte er diesen durch einen neuen Realismus zu überwinden, der im Wurzacher Altar ausdrucksstark dargestellt wird.

Die menschliche Figur wird voluminös wiedergegeben, indem Multscher die Körper unter den Gewändern plastisch modelliert. Die Derbheit der Gesichte lässt auf Physiognomien aus dem Volk schließen. Auf schmaler Bildbühne müht er sich um eine realistische Darstellung des Raumes. Die acht Tafeln sind neben dem Tiefenbronner Altar des Lukas Moser und den Werken des Konrad Witz die stärksten Zeugnisse für die realistische Malerei dieser Zeit im Heiligen Römischen Reich.

Die Passionsbilder werden eröffnet durch die "Ölbergszene". Während Christus betet, kauern die Jünger schlafend in der linken unteren Ecke des Bildes. Oben rücken die schwer bewaffneten Schergen an mit Judas an der Spitze.

In der "Pilatusszene" wird der gefesselte Christus von den Soldaten zu Pilatus geführt. Die Darstellung der Hellebarden und Morgensterne erinnerte die damaligen Betrachter an die Bewaffnung der Söldner aus dieser Zeit. Pilatus wäscht seine Hände zum Zeichen dafür, dass er unschuldig ist am Tode Jesu.

Bei der "Kreuztragung Christi" fällt die Monumentalität des das Kreuz tragenden Schmerzensmannes auf. Der Balken des Kreuzes bildet einen optischen Schutzwall gegen den grimassierenden Pöbel. Selbst Kinder bewerfen den Verurteilten mit Steinen. In diesem Bild kommt die realistische Darstellungsweise Multschers besonders stark zum Ausdruck.

Die "Auferstehungsszene" bildet de Abschluss des Passionszyklus. Christus steigt aus dem Grab, das in einer Felsenhöhle liegt. Die rechte Hand ist zur Segensgeste erhoben, in der linken hält er die Kreuzesfahne als Siegeszeichen über den Tod. Vor dem Sarkophag liegen die schlafenden Wächter. Der Künstler möchte das Wunder der Auferstehung darstellen. Der Vorgang des Entsteigens durch den schweren, fest verschlossenen Sarkophagdeckel wird vergegenwärtigt, indem das rechte Bein des Auferstandenen, das wie amputiert wirkt, von einem roten Mantel überdeckt wird. Hans Multscher stellt im Bemühen um eine realistische Darstellungsweise das Wunder der Auferstehung handgreiflich dar.

Die "Geburt Jesu" spielt sich in einem engen Gehöft ab. Der Stall dient als Hintergrund. Das gewickelte Kind ist halb in die Futterkrippe geschoben, wo auch Ochs und Esel eingepfercht zuschauen. Auf dem Feld verkünden Engel den Hirten die Geburt des Erlösers. Die Zuschauer, die durch ihre Kleidung als Zeitgenossen erkennbar sind, werden durch einen Bretterzaun vom Geschehen abgetrennt.

Es folgt die Darstellung der "Anbetung der drei Weisen aus dem Morgenland". Die Könige, wie sie volkstümlich genannt werden, bringen, gefolgt von einer zahlreichen Dienerschaft, dem Jesuskind ihre Geschenke dar: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Die Dreizahl symbolisiert die drei Altersstufen des Menschen und mit dem farbigen König die Anzahl der damals bekannten Erdteile.

Die "Ausgießung des Heiligen Geistes" in Gestalt einer Taube zeigt Maria inmitten der zwölf Apostel in einem kapellenartigen Raum.

Das letzte Bild des Marienzyklus zeigt den "Tod der Gottesmutter". Um ihr Sterbebett herum stehen die Apostel. Christus nimmt die Seele der Gottesmutter in Gestalt eines kleinen Kindes zu sich in sein Reich.

Litaratur

  • Hans H.Hofstätter,Spätes Mittelalter, Naturalis-Verlag München.
  • Manfred Wundram, Frührenaissance, europäische Malerei im 15. Jahrhundert in: Malerei der Welt, hrsg. von Ingo F. Walther, Köln 1999.
  • Katalog Gemäldegalerie Berlin,Prestel-Verlag, München London New York 2. Auflage 2002.
  • Jutta Held, Sozialgeschichte der Malerei vom Spätmittelalter bis ins 20. Jahrhundert/Jutta Held, Norbert Schneider, Köln Dumont 1993.
  • Das große Lexikon der Malerei, Georg Westermann Verlag, Braunschweig 1982.
  • Johannes Jahn - W. Haubenreißer, Wörterbuch der Kunst, 12. Auflage, Stuttgart Kröner 1995.
  • Wilckens/Naredi - Rainer, Grundriß der abendländischen Kunstgeschichte,3.Auflage Stuttgart 2000

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем решить контрольную работу

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Meister der Wurzacher Tafeln — Meister der Wurzacher Tafeln: Anbetung der Könige (Wurzacher Passionsaltar, rechter Außenflügel), Ulm, um 1437 Als Meister der Wurzacher Tafeln wird der namentlich nicht sicher bekannte schwäbische Maler bezeichnet, der die Bilder des 1437… …   Deutsch Wikipedia

  • Hans Multscher — (* um 1400 in Reichenhofen, heute zu Leutkirch im Allgäu; † 1467 in Ulm) war ein deutscher Bildhauer und Maler. Die Auferstehung Christi, Gemäldegalerie Berlin …   Deutsch Wikipedia

  • deutsche Kunst. — deutsche Kunst.   Die Geschichte der deutschen Kunst beginnt zur Zeit Karls des Großen, andererseits wird die karolingische Kunst als Kunst des Fränkischen Reiches ausgegrenzt. Das Gebiet der deutschen Kunst grenzt sich im Süden und Westen… …   Universal-Lexikon

  • Berliner Gemäldegalerie — Blick auf den Haupteingang zum Kulturforum Berlin Die Berliner Gemäldegalerie am Kulturforum Berlin ist eine Spezialsammlung der Staatlichen Museen zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), und beherbergt einen der bedeutendsten… …   Deutsch Wikipedia

  • Gemäldegalerie (Berlin) — Blick auf den Haupteingang zum Kulturforum Berlin Die Berliner Gemäldegalerie am Kulturforum Berlin ist eine Spezialsammlung der Staatlichen Museen zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), und beherbergt einen der bedeutendsten… …   Deutsch Wikipedia

  • Gemäldegalerie Berlin — Blick auf den Haupteingang zum Kulturforum Berlin Die Berliner Gemäldegalerie am Kulturforum Berlin ist eine Spezialsammlung der Staatlichen Museen zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), und beherbergt einen der bedeutendsten… …   Deutsch Wikipedia

  • gotische Malerei in Deutschland und Frankreich —   Im Gefolge der altniederländischen Kunst löste sich gegen Ende der 1420 er Jahre teilweise ziemlich abrupt auch die deutsche spätgotische Malerei von der höfisch geprägten Stilauffassung um 1400. Wie bei dem in Hamburg tätigen Meister Francke,… …   Universal-Lexikon

  • Mohr — Der Begriff Mohr ist eine seit dem Mittelalter verwendete deutschsprachige Bezeichnung für Menschen mit dunkler Hautfarbe, zum Beispiel historisch in Bezug auf Kuschiter und Mauren oder später allgemeiner für Schwarzafrikaner. Er wird nur noch… …   Deutsch Wikipedia

  • Multscher — Mụltscher,   Hans, Bildhauer, Bildschnitzer und Maler, * Reichenhofen (heute zu Leutkirch im Allgäu) um 1400, ✝ Ulm vor dem 13. 3. 1467; ließ sich nach der Gesellenwanderung (vermutlich Nordfrankreich, Niederlande und Burgund) 1427 in Ulm nieder …   Universal-Lexikon

  • Andreas Brugger — (* 16. November 1737 in Kressbronn am Bodensee; † 8. Februar 1812 in Langenargen) war ein deutscher Maler des Rokoko und Klassizismus. Inhaltsverzeichnis 1 Leben und Ausbildung 2 Werke 2.1 …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”