- Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland
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Der Text Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland ist eine in essayistischem Stil geschriebene Abhandlung des deutsch-jüdischen Dichters Heinrich Heine (1797-1856). Er entstand 1833/34 zur Zeit des Pariser Exils Heines, wurde zunächst auf französisch veröffentlicht und bildet damit einen Teil seiner Bemühungen um ein besseres Verständnis beider Völker füreinander. Die deutsche Erstausgabe erfolgte in „Der Salon. Zweiter Band“ (1834).
Inhaltsverzeichnis
Allgemeines zum Text
Der Inhalt folgt einigen wiederkehrenden Motiven. Zum einen entwickelt Heine eine teleologische Geschichtskonzeption, nach der in der deutschen Geschichte eine religiöse Revolution zu einer philosophischen und schließlich zu einer politischen Revolution führt. Dies ist vor allem vor dem Eindruck der Französischen Revolution von 1789 zu verstehen, die in Deutschland vor 1848 bisher ausgeblieben ist. Zum anderen ist Heine „Dialektiker“ (Höhn 2004, 347), indem er im Wesentlichen mit Gegensätzen arbeitet. Zentral ist das Begriffspaar Körper/Geist bzw. Sensualismus/Spiritualismus (letzteres in einem heute nicht mehr geläufigen Sinn).
Das Ziel seiner Arbeit an einer populär geschriebenen Geistesgeschichte ist für Heine die Emanzipation, nicht die Wissenschaftlichkeit: „Das Volk hungert nach Wissen und dankt mir für das Stückchen Geistesbrod, das ich ehrlich mit ihm theile“ (HSA, Bd.8, S. 131) Daher sind auch häufig zeitkritische Kommentare zu entdecken, wie z.B. über die staatliche Zensur (HSA, Bd.8, 153f), die Heines Schriften immer wieder verstümmelt hat, oder die Angst der Gelehrten vor einer Verkündigung ihrer Ideen im Volk, was Heine daher als seine Aufgabe ansieht.
Erstes Buch
Die erste Stufe der historischen Entwicklung ist für Heine die Reformation als Entmachtung des katholischen Christentums in Deutschland. Für Heine unterdrückt das Christentum vor Luther die Körperlichkeit des Menschen: „Einst wenn die Menschheit ihre völlige Gesundheit wieder erlangt, wenn der Friede zwischen Leib und Seele wieder hergestellt, und sie wieder in ursprünglicher Harmonie sich durchdringen: dann wird man den künstlichen Hader, den das Christentum zwischen beiden gestiftet, kaum begreifen können.“ (HSA, Bd.8, 134f)
Das Denken und Handeln des „kompletten Menschen“ (HSA, Bd.8, 150) Luther markieren einen entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte, da er erstens die Verteufelung des Körpers, also z.B. das Prinzip des Zölibats, aufhebt und zweitens durch die deutsche Bibelübersetzung die Heilige Schrift für jeden zugänglich macht: „Indem Luther den Satz aussprach, daß man seine Lehre nur durch die Bibel selber, oder durch vernünftige Gründe, widerlegen müsse, war der menschlichen Vernunft das Recht eingeräumt, die Bibel zu erklären und sie, die Vernunft, war als oberste Richterin in allen religiösen Streitfragen anerkannt.“ (HSA, Bd.8, 153) Bedeutung hat Luther für Deutschland ebenso, weil er die deutsche Sprache entscheidend mitgeprägt hat: „Aber dieser Martin Luther gab uns nicht bloß die Freiheit der Bewegung, sondern auch das Mittel der Bewegung, dem Geist gab er nämlich einen Leib. Er gab dem Gedanken auch das Wort. Er schuf die deutsche Sprache.“ (HSA, Bd.8, 155)
Zweites Buch
Die „philosophische Revolution“ ist nach Heine nicht das Produkt eines Mannes wie die religiöse, sondern das Ergebnis der Philosophiegeschichte von René Descartes über Immanuel Kant bis Georg Wilhelm Friedrich Hegel. Die beschriebenen Philosophen, u.a. Locke, Leibniz, Spinoza und Lessing, einen geistige ‚Familienbande’ (z.B.HSA, Bd.8, 169,178); alle arbeiten, teils widersprüchlich, an der Vervollkommnung der Philosophie.
Dabei sind vier Definitionen wichtig. Das Begriffspaar (objektiver) Idealismus/Materialismus ist nach Heine rein beschreibend und er meint „mit dem ersteren die Lehre von den angeborenen Ideen, von den Ideen a priori, und mit dem anderen Namen bezeichne ich die Lehre von der Geisteserkenntniß durch die Erfahrung, durch die Sinne, die Lehre von den Ideen a posteriori“ (HSA, Bd.8, 164). Dagegen werden die Begriffe Spiritualismus/Sensualismus hier eher als wertende Kampfbegriffe benutzt: „Den Namen Spiritualismus überlassen wir daher jener frevelhaften Anmaßung des Geistes, der nach alleiniger Verherrlichung strebend, die Materie zu zertreten, wenigstens zu fletriren [verändern, verkehren] sucht: und den Namen Sensualismus überlassen wir jener Opposizion, die, dagegen eifernd, ein Rehabilitiren der Materie bezweckt und den Sinnen ihre Rechte vindiziert [‚einfordert’], ohne die Rechte des Geistes, ja nicht einmal ohne die Supremazie [‚Priorität’, ‚höhere Wichtigkeit’] des Geistes zu läugnen.“ (HSA, Bd.8, 164)
Bei der Schilderung der wichtigen Philosophen geht Heine immer wieder auf deren Leben ein, das mit ihrem Denken tief verwurzelt erscheint. So hat zum Beispiel der sephardisch-niederländische Philosoph Baruch Spinoza (1632-1677) einen makellosen Lebenswandel und kann die zuvor auseinandergetreteten Denkrichtungen des Materialismus und Idealismus wieder zusammenrücken. (HSA, Bd.8, 169ff)
Im Bezug auf die Rolle Gottes bevorzugt Heine den Pantheismus gegenüber einem christlich-personifizierten Gott, aber auch gegenüber atheistischen Vorstellungen wie denen der Französischen Revolution: „Wir kämpfen nicht für die Menschenrechte des Volks, sondern für die Gottesrechte des Menschen“. (HSA, Bd.8, 175) Nach Heine sollte Gott also nicht aufgegeben werden, sondern vielmehr in allem verortet werden, was uns umgibt. Religiöse Dogmen sind mit dieser Einstellung nicht vereinbar: „’Gott ist alles, was da ist’, und Zweifel an ihm ist Zweifel an das Leben selbst, es ist der Tod.“ (HSA, Bd.8, 200)
Drittes Buch
Der besondere Wert von Immanuel Kants Philosophie liegt nach Heine in folgender erkenntnistheoretischer Einsicht: „Kant bewies uns, daß wir von den Dingen, wie sie an und für sich selber sind, nichts wissen, sondern daß wir nur in so fern etwas von ihnen wissen, als sie sich in unserem Geiste reflektiren.“ (HSA, Bd.8, 197)
Georg Wilhelm Friedrich Hegel schließlich beendet die philosophische Revolution. Genauso wie Heine den französischen Revolutionär Robespierre nur als Ausführer der Ideen der französischen Aufklärer versteht, muss nun auch in Deutschland nach dem Wort die Tat folgen.
Das Ende der Abhandlung besteht in einer ironischen Warnung der Franzosen vor einem geeinten Deutschland (HSA, Bd.8, 229ff). Hier zeigt sich die Skepsis Heines vor dem Lauf der Geschichte, den er trotz der grundsätzlichen Tendenz zum Besseren immer als ambivalent beschreibt, da die politische Revolution neben der Befreiung des Volkes auch die Zerstörung der Hochkultur und der Traditionen mit sich bringt. Zur ‚Verspätung’ der Deutschen in der europäischen Geschichte sei ein letztes Zitat genannt: „Der Gedanke geht der That voraus, wie der Blitz dem Donner. Der deutsche Donner ist freilich auch ein Deutscher und ist nicht sehr gelenkig, und kommt etwas langsam herangerollt; aber kommen wird er, und wenn Ihr es einst krachen hört, wie es noch niemals in der Weltgeschichte gekracht hat, so wißt: der deutsche Donner hat endlich sein Ziel erreicht.“ (HSA, Bd.8, 229)
Wirkung
Obwohl sich „Der Salon. Zweiter Band“ nicht besonders gut verkaufen ließ und auch heute nicht zu Heines bekanntesten Werken gehört, folgte auf die Veröffentlichung eine bemerkenswerte Verbotswelle. Der österreichische Politiker und Kopf der Restauration Fürst Metternich schätzte Heines Fähigkeiten und fürchtete zugleich seine „Ich empfehle [...] dieses Werk, weil es die Quintessenz der Absichten und Hoffnungen der Bagage mit der wir uns beschäftigen, enthält. Zugleich ist das Heine’sche Produkt ein wahres Meisterwerk in Beziehung auf Styl und Darstellung.“ (DHA, Bd.8/2, 554) Dem Verbot in Österreich gingen Verbote in Preußen und Hamburg voraus. In der Forschung wird die Bedeutung der Veröffentlichung beim Verbot der ‚Jungdeutschen’ 1835 diskutiert. (DHA, Bd.8/2, 556)
Literatur
- Heinrich Heine: Der Salon. Zweiter Band. Hoffmann und Campe, Hamburg 1834 (online in der Google Buchsuche).
- Heinrich-Heine-Säkularausgabe. Akademie Verlag, Berlin 1970ff., Bd. 8.
- Düsseldorfer Heine-Ausgabe. Hoffmann und Campe, Hamburg 1973–97, Bd. 8/1 (Text) ISBN 3-455-03008-4; Bd. 8/2 (Apparat), ISBN 3-455-03017-3.
- Gerhard Höhn: Heine-Handbuch. Zeit, Person, Werk. 3. Auflage. Metzler, Stuttgart und Weimar 2004, ISBN 3-476-01965-9.
Weblinks
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