Ästhetische Theorie

Ästhetische Theorie

Die Ästhetische Theorie ist ein Werk des Philosophen und Soziologen Theodor W. Adorno. Sie enthält Adornos Philosophie der Kunst mit den Grundkategorien des Schönen und des Erhabenen. Als seine letzte große Arbeit zählt sie zu seinen Hauptwerken. Obwohl als Torso 1970 aus dem Nachlass herausgegeben, stellt sie eine Summa seiner ästhetischen Überlegungen und Einsichten dar. Der Herausgeber Rolf Tiedemann schreibt in seinem editorischen Nachwort:

Der ausstehende letzte Arbeitsgang, den Adorno bis Mitte 1970 abzuschließen gedachte, hätte zahlreiche Umstellungen innerhalb des Textes, auch Kürzungen gebracht; ihm war die Eingliederung jener Fragmente vorbehalten, die jetzt als Paralipomena abgedruckt sind; die frühe Einleitung wäre durch eine neue ersetzt worden.[1]

Adorno schöpft in der Ästhetischen Theorie aus seiner lebenslangen – auch als Komponist aktiven – Beschäftigung mit der Kunst und den Künsten. Ausgehend von den Besonderheiten moderner Kunst entfaltet Adorno eine umfassende kategoriale Analyse der Kunst, ihres nicht-diskursiven Wahrheitsgehaltes bei gleichzeitigem Rätselcharakter und ihres utopischen Kerns: der Versöhnung von Allgemeinem und Besonderem, von Natur und Geist. Er versteht Kunst als die „gesellschaftliche Antithesis zur Gesellschaft“.[2] Besondere Aufmerksamkeit widmet Adorno dem Naturschönen, das seit Schelling in der Philosophie „verdrängt“ worden sei.

Ein wiederkehrendes Thema ist der „Doppelcharakter der Kunst: der von Autonomie und fait social“.[3] Als fait social (einem von Emile Durkheim übernommenen Begriff) ist ein Kunstwerk das Produkt gesellschaftlicher geistiger Arbeit und wird zur Ware, wo es doch in seiner Autonomie gleichzeitig den Warencharakter abstreift. Kunstwerke verkörpern nach Adorno das Gegenteil von Ideologie und Ware, sie stehen für Glücksversprechen und gesellschaftliche Utopie. Kunst lasse das sprechen, „was die Ideologie verbirgt“.[4] Wiederholt zitierte er Stendhals Formel von der promesse du bonheur, für ihn eine auf die Utopie vordeutende Charakterisierung der Kunst.[5] Aber: „Kunst ist nicht nur der Statthalter einer besseren Praxis als der bis heute herrschenden, sondern ebenso Kritik von Praxis als der Herrschaft brutaler Selbsterhaltung“.[6] Authentische Kunstwerke seien „die ihrer selbst unbewußte Geschichtsschreibung ihrer Epoche“,[7] wobei ihnen „der kritische Begriff der Gesellschaft [...] inhärent“ sei. Nicht im manifesten Inhalt, sondern in der Struktur der Werke drückten „gesellschaftliche Kämpfe, Klassenverhältnisse“ sich ab.[8]

Dem Verständnis des komplexen Werkes steht nicht zuletzt die Tatsache im Wege, „dass bei Adorno fast alle Kategorien janusköpfig sind, genauer: sich bald in guter, bald in böser Gestalt zeigen“.[9]


Quellen

  • Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1970

Literatur

  • Burkhardt Lindner, W. Martin Lüdke (Hrsg.): Materialien zur ästhetischen Theorie. Theodor W. Adornos Konstruktion der Moderne. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1980, ISBN 3-518-07722-8 (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 122).
  • Gerhard Kaiser: Theodor W. Adornos 'Ästhetische Theorie'. In: Gerhard Kaiser: Benjamin. Adorno. Zwei Studien. Athenäum, Frankfurt am Main 1974, ISBN 3-8072-2062-3 (Fischer-Athenäum-Taschenbücher 2062).
  • Till R. Kuhnle: Civitas aesthetica – theologische Aspekte der ästhetischen Theorie Adornos. In: Hans Vilmar Geppert, Hubert Zapf (Hrsg.): Theorien der Literatur. Grundlagen und Perspektiven. Band 3. A. Francke, Tübingen u. a. 2007, ISBN 978-3-7720-8222-1, S. 128–158.
  • Günter Figal: Theodor W. Adorno. Das Naturschöne als spekulative Gedankenfigur. Zur Interpretation der „Ästhetischen Theorie“ im Kontext philosophischer Ästhetik. Bouvier, Bonn 1977, ISBN 3-416-01351-4 (Abhandlungen zur Philosophie, Psychologie und Pädagogik 122) (Zugleich: Heidelberg, Univ., Philos.-Histor. Fak., Diss., 1976).
  • Wolfgang Welsch: Adornos Ästhetik. Eine implizite Ästhetik des Erhabenen. In: Christine Pries (Hrsg.) Das Erhabene. Zwischen Grenzerfahrung und Größenwahn. Weinheim 1989, S. 185–213.

Einzelnachweise

  1. Editorisches Nachwort. In: Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften. Band 7: Ästhetische Theorie. 6. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1996, S. 537.
  2. Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften. Band 7: Ästhetische Theorie. 6. Auflage, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1996, S. 19.
  3. Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften. Band 7: Ästhetische Theorie. 6. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1996, S. 340.
  4. Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften. Band 11: Noten zur Literatur. 3. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1990, S. 52.
  5. Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften. Band 7: Ästhetische Theorie. 6. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1996, S. 461.
  6. Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften. Band 7: Ästhetische Theorie. 6. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1996, S. 26.
  7. Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften. Band 7: Ästhetische Theorie. 6. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1996, S. 272.
  8. Theodor W. Adorno: Gesammelte Schriften. Band 7: Ästhetische Theorie. 6. Auflage. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1996, S. 350 und 344.
  9. Karl Markus Michel: Versuch die 'Ästhetische Theorie' zu verstehen. In: Burkhardt Lindner / W. Martin Lüdke: Materialien zur ästhetischen Theorie. Theodor W. Adornos Konstruktion der Moderne. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1979, S. 64.

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