Berufsvereinigung (Venedig)

Berufsvereinigung (Venedig)
Scuola grande della misericordia, Bruderschaftsgebäude der battuti (Flagellanten)

Die historischen Berufsvereinigungen in der Republik Venedig, die scuole, waren Berufs- und Interessenvereinigung der nichtadeligen venezianischen Bürger-, Handwerker- und Kaufmannschaft und religiöser Laienvereinigungen. Das Gebäude, in dem eine Bruderschaften ihren Sitz hatte, wird ebenfalls scuola genannt.

Inhaltsverzeichnis

Die großen Bruderschaften (scuole grandi)

Die scuole grandi, "Die großen Schulen", die aus den mittelalterlichen Geißelbruderschaften hervorgegangen sind, waren im Gegensatz zu den scuole piccole, den "Kleinen Schulen", die berufsständisch oder landsmannschaftlich organisiert waren, große, finanzstarke karitative Vereinigungen, mit in der Regel mehr als 500 Mitgliedern. Die Führung der Schulen und die Verwaltung des Vermögens lag in den Händen von Bürgerlichen, Adelige konnten als einfache Mitglieder aufgenommen werden.

Prozession der Bruderschaft San Giovanni Evangelista auf dem Markusplatz. Die Bruderschaftsmitglieder sind weiß gekleidet.

Zweiter Schwerpunkt ihrer Tätigkeit neben der karitativen waren Repräsentation und Prachtentfaltung. Wie der Adel trugen die Mitglieder eine eigene Tracht, organisierten prunkvolle Prozessionen und wetteiferten untereinander in der Prachtentfaltung ihrer Bruderschaftsgebäude.

Im 17. Jahrhundert gab es 6 Scuole Grandi mit jeweils repräsentativen Bruderschaftsgebäuden:

  • Scuola Grande di San Teodoro, gegründet 1258
  • Scuola Grande di Santa Maria della Carità, gegründet 1260, heute Accademia
  • Scuola Grande di San Marco, gegründet 1261
  • Scuola Grande di San Giovanni Evangelista, gegründet 1261
  • Scuola Grande di Santa Maria della Misericordia (oder della Valverde), gegründet 1308
  • Scuola Grande di San Rocco, gegründet 1478

Die kleinen Bruderschaften (scuole piccole)

Aufgaben und Organisation

In Venedig findet man auch heute noch viele Örtlichkeiten, deren Bezeichnung auf die beruflichen Aktivitäten hinweisen, die hier ausgeübt worden sind. Viele dieser Tätigkeiten waren für das Leben der Menschen und somit auch der Stadt von großer Bedeutung. Sie reichten von einfachen Handelsformen wie der Deckung des täglichen Bedarfs, bis hin zu den gefragten, spezialisierten Berufen wie Seidenweber oder Goldschmiede. Von dieser Vielfalt an Berufen sind noch Spuren vorhanden, die man allenthalben an den Hauswänden findet und die heute als Straßenbezeichnungen dienen.

Das Berufsleben war streng arbeitsteilig reglementiert, die einzelnen Berufe waren in den sogenannten Scuole artigianali, das waren die Berufsvereinigungen, ähnlich den gewerblichen Gilden bzw. Zünften, zusammengefasst. Sie beschützten jene die ihr angehörten, kodifizierten das Gewohnheitsrecht wie die Ausbildung der Lehrlinge, die Rechte und Pflichten der Mitglieder, kümmerten sich aber auch um private Belange der Berufsangehörigen wie Beistand in Krankheit und Bedürftigkeit. Um den Scuole angehören zu dürfen musste man ein anständiges Leben führen und umfassende berufliche Kenntnisse aufweisen.

Jeder Beruf war von anderen streng getrennt, hatte in der Ausführung der Arbeiten seine festgelegten und unverletzbaren Grenzen, diese zu überschreiten war von Gesetzes wegen verboten. Innerhalb jeder Gruppe gab es drei Kategorien von Mitgliedschaften, deren unterste jene des garzonato war. Wer sich in einen Beruf einschreiben ließ, musste eine Lehrzeit absolvieren die, je nach Art des Berufs, zwischen fünf und sieben Jahren dauerte. Bei der Aufsichtsbehörde, der Giustizia Vecchia, wurden alle Vereinbarungen oder Verträge zwischen den Lehrlingen, den garzoni, und den Meistern registriert. Diese Verträge stellen heute eine überaus interessante Quelle dar, sie geben uns Auskunft über die einzelnen garzoni, deren Alter, die Eltern, die Herkunft und die Nennung des Meisters, das Zunftzeichen seiner Werkstätte und die Dauer des Vertrages.

Der Brauch, die Verträge zu registrieren, stammt aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, obgleich es bereits mit Datum 1. August 1301 eine Ermahnung der zuständigen Behörde an das Handwerk der Pecher gab, einen Lehrling nicht aufzunehmen, bevor er nicht vom Meister in das quaternum dominorum justiciarum, dem bei der Giustizia Vecchia aufliegenden Register, eingeschrieben war. Das Gesetz vom 10. März 1396 verpflichtete endgültig jedweden Berufszweig alle Ausbildungsverträge bei Gericht registrieren zu lassen.

Im ersten Zeitabschnitt wurde der garzone in die grundlegenden Kenntnissen des gewählten Berufs eingewiesen; das Alter der Mitglieder des garzonato schwankte je nach Art der Berufsvereinigung. Nach dem Stande des garzon erreichte man jenen der lavoranza, welcher zwei bis drei Jahre dauerte und während dieser man mit allen Problemen des Berufs konfrontiert wurde. Am Ende der Lehrzeit, nach Absolvierung einer abzulegenden praktischen Prüfung la Prova d´Arte, mit der man die beruflichen Kenntnisse nachweisen musste, gelangte man in den Stand des Capo Maestro.

Als Scuole wurden in Venedig aber auch die Bruderschaften der einzelnen Orden und der nationalen Gruppierungen benannt.

Mariegola der pellicei

Jeder Berufsstand stand unter dem Schutz eines Heiligen, dessen Festtag sehr feierlich begangen wurde. Die Berufsstatuten, die sogenannten Mariegole (aus madre und regola) geben genaue Einblicke in das Wesen der Scuole, den fürsorglichen Zweck und die Regeln die zur Erhaltung, Weiterentwicklung sowie Durchführung derselben angewendet wurden. Von diesem Regelwerk wurden zwei Ausfertigungen erstellt, eine wurde bei Gericht hinterlegt, die zweite verblieb der Scuola. Die meisten Mariegole sind verschwunden, die bis in unsere Zeit erhaltenen Exemplare sind in der Biblioteca Correr aufbewahrt.

Die Scuole unterstanden der direkten Aufsicht einer Ende des 12. Jahrhunderts hierfür geschaffenen Gerichtsbarkeit. Mit Datum 22. November 1261 schuf der Große Rat eine neue Abteilung, die zur Unterscheidung von der bisherigen als Giustizia Nuova bezeichnet wurde. Erforderlich wurde sie wegen der zunehmend komplizierteren Gefüge der einzelnen Berufe und der Unmöglichkeit einer umfassenden Kontrolle durch nur eine Behörde. Das bisherige Gericht, die Giustizia Vecchia, war für das Großgewerbe zuständig, wohingegen die Giustizia Nuova sich um die Belange der Kleingewerbetreibenden und der „Nahversorger“ kümmerte.

Die Scuole verfügten teilweise über eigene Gebäude, großteils waren sie aber in den verschiedenen Kirchen beheimatet, wo sie gesonderte Räumlichkeiten nutzen konnten. Für die Berufsangehörigen gab es ein Gemeinschaftsgrab und in ihren Archiven bewahrten sie, über verschiedene Dokumente und die laufend erneuerte Mariegola hinaus, noch den penelo, ihre Fahne auf, die bei den Prozessionen vorangetragen wurde. Alle Scuole besaßen ein insegna, ein auf Stoff oder Holztafel gemaltes Emblem, welches das ausgeübte Gewerbe anzeigte. Dieses Emblem wurde im Palazzo dei Camerlenghi bei Rialto aufbewahrt, heute befindet sich der auf unsere Zeit überkommene Stand von ungefähr vierzig Stück im Museo Correr.

Liste der Berufsgruppen (Auswahl)

Scuola di Beruf oder Tätigkeit Sitz in
Acquaroli Trinkwassertransport aus der Brenta nach der Stadt Campo San Basilio
Acquavitieri Branntweinverkäufer Kirche San Stin (ab 1601)
Barbieri Bartscherer, aber auch chirurgische Eingriffe ab 1465 am Campo Santa Maria dei Servi, Gebäude demoliert
Barcaroli Fährverkehr mit Gondel über den Canal Grande bei verschiedenen Kirchen, je nach Ausübungsort
Barileri e Mastelleri Kübel und Faßerzeuger
Bastazi della Dogana da Terra Lastenträger für die Zollstationen Kirche Sant´Aponal
Batti e Tiro Oro Gold- und Silberschläger Gebäude neben der Kirche San Stae
Beccheri Schlachter Cà Grande Querini, Altar in der Kirche San Matteo
Beretteri Kappen- und Hutmacher Kirche San Biagio
Boccaleri Erzeuger von Töpfen, Pfannen, Bechern Kirche Santa Maria Gloriosa dei Frari
Burchieri da Legna Transporte auf Holzbooten
Burchieri da Cavafanghi Müllabfuhr auf Booten Kirche Sant´Andrea della Zirada
Calafatti Schiffszimmerleute Kirche Santo Stefano
Caldereri Gießereiarbeiter, Glockenguß, Herdguß ab 1294 Kirche San Marcuola, danach San Luca
Calegheri Schuhmacher, Verarbeitung von neuem Leder
Zavateri Schuhmacher, Verarbeitung von gebrauchtem Leder
Calzeri Erzeuger und Handel von und mit Seidenstrümpfen Kirche di San Fantin
Carboneri Kohlenhändler, Kohlenträger Kirche San Salvador
Carteri Spielkartenerzeuger
Casaroli Käseerzeuger
Casselleri Truhenerzeuger
Castelletti Bedienstete in Lottokollekturen
Cerchieri da botte Fassreifenhersteller, Küfer ab 1259 San Trovaso
Cesterei Korbflechter Kirche di San Biagio
Filacanevi alla tana Hanfseilbearbeitung für das Arsenal ab 1488 San Giovanni in Bragora
Medici fisici Ärzte ab 1671 Teatro Anatomico am Campo San Giacomo dall’Orio
Sabioneri Sand- und Steinträger
Saoneri Seifensieder
Sartori Schneider
Squeraroli Gondelwerftarbeiter, früher alle privaten Schiffsbauarbeiter
Tagiapiera Steinschneider, Steinmetze Gebäude neben der Kirche Sant' Aponal, 2. Stock
Strazzarolli Wiederverkäufer gebrauchter Stoffe, Fetzenhändler
Travasadori de ogio Umfüller von Öl in Flaschen San Giacomo di Rialto
Luganegheri Wurstwarenverkäufer Altar in San Salvador
Salumieri Verkäufer von gesalzenem Fleisch und Fisch
Mercanti di vino Weinhändler Altar in Madonna dell'Orto
Naranzieri Verkäufer von Agrumen
Osti e Locandai Osterienwirte (begrenzt auf 20 in der ganzen Stadt) Kirche SS. Filippo e Giacomo (aber auch andere)
Pistori Bäcker, nur Feinbäcker, keine Lohnbäcker
Tintori Färber, Wolle, Seide ab 1581 Kirche Santa Maria dei Servi

Siehe auch

Literatur

  • Silvia Gramigna, Annalisa Parissa: Scuole grandi e piccole a Venezia tra arte e storia. Venezia 2008
  • Gabriele Köster: Künstler und ihre Brüder. Maler, Bildhauer und Architekten in den venezianischen Scuole Grandi. Berlin 2008
  • Giovanni Zangirolami: Storia delle chiese, dei monasteri e delle scuole di venezia rapinate o distributte da Bonaparte. Venezia 1962

Weblinks

 Commons: Venezianische Scuole – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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