Blechtrommel

Blechtrommel

Die Blechtrommel ist ein Roman von Günter Grass. Er erschien 1959 als Teil der Danziger Trilogie und gehört zu den wichtigsten Romanen der deutschen Nachkriegsliteratur.

Inhaltsverzeichnis

Der Erzähler

Der Ich-Erzähler der Blechtrommel ist der Sonderling Oskar Matzerath. Er kommt im Jahr 1924 in Danzig zur Welt. Zu diesem Zeitpunkt ist sein Verstand bereits vollständig entwickelt. Da er seit seinem dritten Geburtstag nicht mehr wächst, kann er somit als scheinbar ewiges Kind aus der Perspektive von unten über die Welt der Erwachsenen berichten. Dank seiner Blechtrommel kann er sich auch Ereignisse, an denen er nicht unmittelbar beteiligt war, vergegenwärtigen und so etwa auch darüber berichten, wie seine Mutter auf einem kaschubischen Kartoffelacker gezeugt wurde. (Ein ähnliches Motiv von einer berichtenden Trommel findet sich bereits in Heinrich Heines „Ideen. Das Buch le Grand.“) Damit wird Oskar zeitweise zu einer Art auktorialem Erzähler, der sich auch häufig in der dritten Person als „Oskar“ anspricht.

Oskar sagt von sich selbst, er habe zu jenen „hellhörigen Säuglingen gehört“, deren „geistige Entwicklung schon bei der Geburt abgeschlossen ist und sich fortan nur bestätigen muss“. Er verweigert sich der Welt der Erwachsenen und beschließt im Alter von drei Jahren, nicht mehr zu wachsen. Gleichwohl fühlt er sich, da „innerlich und äußerlich vollkommen fertig“, den Erwachsenen weit überlegen. An seinem dritten Geburtstag bekommt er von seiner Mutter eine Blechtrommel geschenkt, die zu seinem ständigen Begleiter wird.

Der Wahrheitsgehalt von Oskars Geschichten erscheint oft zweifelhaft. Zunächst ist er zum Zeitpunkt, an dem sein Bericht 1952 beginnt, Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt und als solcher möglicherweise verrückt und demnach nicht sehr vertrauenswürdig. Außerdem bleibt unsicher, ob er nicht mehr wächst, weil er die Kellertreppe hinab fiel, oder ob er aus eigenem Entschluss das Wachstum einstellte und den Kellersturz nur fingierte, um Fragen zu vermeiden. Auch seine Selbstvorwürfe, er sei schuld am Tod seiner Eltern und an dem seines Onkels Jan Bronski, werden durch den Verlauf der Handlung kaum erhärtet. Damit steht aber die Glaubwürdigkeit aller seiner Erzählungen in Frage.

Handlung

Der Roman beginnt mit der Zeugung von Agnes, der Mutter Oskar Matzeraths, auf einem Kartoffelfeld. Oskars Selbstbiographie beginnt 1924 in Danzig, als er das Licht dieser Welt in Gestalt zweier „Sechzig-Watt-Glühbirnen“ erblickt. Die Handlung besteht aus oft nur locker gefügten Episoden, die das Leben der polnischen und deutschen Kleinbürger in Danzig seit der Zwischenkriegszeit schildern und später Oskars Leben als Künstler in der frühen Bundesrepublik Deutschland. Er irrt durch die Wirren des Krieges und sieht alles aus seiner ganz eigenen Sicht. Im Jahre 1954 nähert sich schließlich seine Entlassung aus der Heil- und Pflegeanstalt.

Danzig

Die Stadt Danzig spielt mit ihren teils polnischen, teils deutschen Einwohnern eine wichtige Rolle für den Roman. Oskar stammt mütterlicherseits aus einer kaschubischen Familie, von der gesagt wird, sie sei den Polen nicht polnisch und den Deutschen nicht deutsch genug. Oskar bekennt sich zwar immer wieder zu seinen polnischen Wurzeln – seine Trommel ist nicht zufällig rot-weiß gemustert –, geht aber nach 1945 doch in den Westen.

Immer wieder kommt Grass auf die Geschichte der Stadt Danzig und ihre wechselnden Herren zu sprechen, ausführlich etwa in einem Kapitel, das im Stadtmuseum spielt.

Die Blechtrommel in der Literaturkritik

Der Stil von Günter Grass unterscheidet sich von zeitgenössischer Nachkriegsliteratur hauptsächlich durch seine lebensnahe, von überbordender Fabulierlust gekennzeichnete Erzählweise von der sonst betont rationalen Reflexion der deutschen Vergangenheit. Er löste in der Kritik kontroverse Diskussionen hervor. Während Walter Widmer in den Basler Nachrichten vom 18. Dezember 1959 das Werk „als Prototyp des neuen Romans“ neben Goethes Wilhelm Meister stellte, verweigerte Bremens Senat dem Autor den von einer unabhängigen Jury zugesprochenen Bremer Literaturpreis.

Hans Magnus Enzensberger prophezeite in seiner Besprechung im Süddeutschen Rundfunk vom 18. November 1959 „Schreie der Freude und der Empörung“. Mit Bezug auf die lebensnahe Schilderung der Lebenswirklichkeit des Kleinbürgertums während des Zweiten Weltkrieges in der Blechtrommel kommentierte er: „Der Skandal, der darin liegt, ist letzten Endes an keinen Stoff gebunden: er ist der Skandal der realistischen Erzählweise überhaupt.

Von Enzensberger stammen auch die vielzitierten Worte, Grass habe eine „Aura des Miefs“ gezeichnet. Diese Worte sind später Leitmotiv vieler Interpretationen geworden, die in der Blechtrommel ein Sittenbild des Einzelnen sehen, der im Nationalsozialismus seinen Teil dazu beiträgt, der NSDAP zu ihrer Macht zu verhelfen. So ist etwa die Person des Alfred Matzerath ein typischer Parteigänger, der im Mief seiner kleinbürgerlichen Welt nicht die Auswirkung des eigenen Handelns überblickt, aber individuelle Schuld auf sich lädt.

Weiter sieht Enzensberger in dem Werk einen Bildungsroman, der von „den besten Traditionen deutscher Erzählprosa“ zehrt.

Marcel Reich-Ranickis Kritik in der Zeit vom 1. Januar 1960 ist mit den vielsagenden Worten „Auf gut Glück getrommelt“ überschrieben. Ranicki wirft dem Roman vor, dass „seine große stilistische Kraft Begabung dem Grass zum Verhängnis wird“. Er sah damals in dem Roman eine Vielzahl vielversprechender Motive, die allerdings inkonsequent ausgeführt und nicht in das übergeordnete Gesamtgefüge einmontiert würden:

Nichts Menschliches und Allzumenschliches braucht der Schriftsteller zu umgehen. Aber er muß uns durch sein Werk überzeugen, daß die Berücksichtigung dieser Vorgänge notwendig oder zumindest nützlich war. Das vermag Grass nicht.

Ranicki widerrief die oben zitierte Kritik drei Jahre später im Westdeutschen Rundfunk. In dem Essay „Selbstkritik eines Kritikers“ – in dem er auch einige bemerkenswerte Gedanken zur Aufgabe des Kritikers allgemein äußert – nimmt er Teile seiner damaligen Meinung zurück und gibt an, dass er „heute die Akzente anders setzen“ und sich „insbesondere mit dem Neuartigen in der Prosa von Grass viel eingehender befassen“ würde.

Neben einer vielschichtigen Analyse der Grass'schen Erzählweise bemerkt er über die Intention des Buches:

Oskar protestiert physiologisch und psychisch gegen die Existenz schlechthin. Er beschuldigt den Menschen unserer Zeit, indem er sich zu einer Karikatur macht. Der totale Infantilismus ist sein Programm.

Eckhard Henscheid bezeichnete den Roman 1984 im Merkur als „Riesenschmonsus, bei dem vor lauter Barock und Allegorie und Realismus und Vergangenheitsbewältigung und Großmannssucht nichts, aber auch gar nichts stimmt“, das Buch sei „ein Synthetikprodukt des wäßrigsten Zeitgeistes, das zu allem Überfluß sich auch noch genialisch gibt“.

Heute gilt die Blechtrommel neben anderen großen Werken wie etwa Der Zauberberg als Jahrhundertwerk, das den Roman in eine neue Generation transportiert hat. Der Erfolg der Blechtrommel verhalf der bis dahin im Ausland wenig beachteten deutschen Nachkriegsliteratur auch über die Grenzen hinweg zu Aufmerksamkeit.

Sekundärliteratur

  • Marco Fuhrländer: Die Blechtrommel, in: Harenbergs Kulturführer Roman und Novelle, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim 2007, ISBN 978-3-411-76163-0, S. 293 ff.

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