Die Rättin

Die Rättin

Die Rättin ist ein Roman des deutschen Schriftstellers Günter Grass, der 1986 veröffentlicht wurde. Seine Handlung ist aus vielen Erzählsträngen zusammengesetzt. Als roter Faden ziehen sich die Dialoge zwischen dem namenlosen Ich-Erzähler und einer weiblichen Ratte, von ihm als Rättin bezeichnet, durch das Werk. Grass führt in Die Rättin seinen Erfolgsroman Die Blechtrommel fort.

Inhalt

Die gesamte Menschheit ist ausgelöscht. Der Erzähler, der in einem Raumschiff die verwüstete Erde umkreist, durchlebt den Untergang der Menschheit noch einmal anhand der Schicksale verschiedener Menschen.

Einer davon ist der Maler Lothar Malskat, der unter anderem als Fälscher gotischer Fresken beschrieben wird. Er dreht zusammen mit dem inzwischen sechzigjährigen Oskar Matzerath, der nicht mehr durch seine Blechtrommel auf gesellschaftliche und politische Missstände aufmerksam macht, sondern diese durch die zeitgemäßere Videoproduktion ersetzt hat, einen Film. Zudem kehrt Oskar an die Orte seiner Kindheit zurück, nach Danzig (poln. Gdansk) und in die Kaschubei, um dort den Geburtstag seiner uralten Großmutter zu feiern.

Zur selben Zeit ist eine fünfköpfige Frauencrew auf der Ostsee unterwegs, angeblich um die Quallendichte, die einen Indikator für ein gestörtes ökologisches Gleichgewicht darstellt, zu messen. In Wahrheit sind sie unterwegs zur sagenhaften Stadt Vineta, einem im Meer versunkenen, matriarchalischen Utopia. Im Laufe der Handlung wird klar, dass es sich bei allen fünf Frauen um ehemalige Freundinnen des Erzählers handelt, ein Anzeichen dafür, dass zumindest Teile der Geschichte höchstwahrscheinlich dessen Fantasie entsprungen sind.

Die verschiedenen Erzählebenen werden immer verwirrender, es wird zunehmend schwieriger, zu verstehen, welche Fiktion jeweils gerade die Realität zu sein beansprucht. Klar ist nur, dass alle Personen unaufhaltsam auf den „großen Knall“, einer Umschreibung für den Weltuntergang, zusteuern. Diese Tatsache findet auf besonders berührende Weise in dem stets wiederkehrenden Motiv des „Abschiednehmens“ Ausdruck.

Die Ratten versuchen die Menschen vor dem drohenden Unheil zu warnen und kommen aus ihren Löchern. Sie werden jedoch missverstanden. Die Menschen setzen alle Mittel ein, um der vermeintlichen Rattenplage Herr zu werden. Die allgemeine Hysterie gipfelt schließlich in der Zündung einer Atombombe, die die gesamte Menschheit, abgesehen von der noch einige Zeit überlebenden Großmutter Oskars und dem Erzähler im Raumschiff, auslöscht.

Nun beginnt das Zeitalter der Ratten. Der Erzähler will diese Tatsache jedoch nicht wahrhaben und klammert sich verzweifelt an seine Träume, in denen das Leben der Menschen weitergeht. Ab diesem Zeitpunkt beginnt sich die Realität endgültig aufzulösen.

Die Ratten haben die einmalige Gelegenheit, noch einmal „bei Null anzufangen“, also von keiner verbrecherischen Vergangenheit belastet zu werden. Obwohl die Rättin dem Erzähler gegenüber lautstark das Gegenteil behauptet, scheinen sie die gesamte Geschichte der Menschheit erneut zu durchleben und ihre Chance somit zu verspielen. Zu allem Überfluss legen auch noch gentechnisch veränderte Rattenmenschen an der Küste an, die, als sie noch schwach sind, von den Ratten aus einer gewissen Sehnsucht nach der ausgestorbenen Menschheit geduldet werden. Aber schon bald versklaven die Rattenmenschen die Ratten, werden jedoch nach einiger Zeit besiegt.

In einem abschließenden Gespräch zwischen Rättin und Erzähler wird definitiv alles Vorhergehende in Frage gestellt. Die beiden können sich nämlich nicht einigen, ob nun die Rättin nur ein Traum des Erzählers ist oder ob dieser – zusammen mit der restlichen Menschheit – lediglich eine Ausgeburt der Fantasie der auf der Erde verbliebenen Ratten darstellt. Am Schluss stehen zaghaftes Hoffen und entschiedener Zukunftspessimismus des Erzählers in einem unentscheidbaren Schwebezustand.

In dem Roman entwirft Günter Grass ausdrücklich ein Gegenbild zu Gotthold Ephraim Lessings Bild von der Erziehung des Menschengeschlechts: Die Menschheit (Grass benutzt absichtlich das altmodische Wort „Menschengeschlecht“) habe zwar gelernt, „die Tugend mit Löffeln zu essen, fleißig den Konjunktiv und die Toleranz zu üben“, alle Aufklärung habe aber nicht bewirkt, dass sie ihre Neigung zur Gewalttätigkeit in den Griff bekommen habe. Dieses Versagen sei dem „Menschengeschlecht“ schließlich zum Verhängnis geworden („Große Helligkeit leuchtete jeden Winkel aus. Schade, daß es danach so duster wurde und niemand mehr seine Schule fand“).

Literatur

  • Günter Grass: Werkausgabe Band 11 Die Rättin. Steidl Verlag, Göttingen 1997, 493 Seiten, ISBN 3-88243-492-9.

Film

1997 Regie Martin Buchhorn, Drehbuch: Renate Fräßdorf nach Günter Grass, Kamera: Klaus Peter Weber mit Matthias Habich, Sunnyi Melles, Peter Radtke, Dieter Laser, Helene Grass, Angelika Bartsch, Edda Leesch, Carola Regnier, Stephan Schwarz, Katharina Thalbach, und Michael Boyer in eine Cameorolle als der Rattenfänger von Hameln, Ufa Video als VHS-Ausgabe 2. Juni 1998, 91 Minuten, ASIN: B00004RW22


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