- Mein Jahrhundert
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Mein Jahrhundert ist ein Werk von Günter Grass, welches auf das 20. Jahrhundert mit hundert Erzählungen auf 382 Seiten einen Rückblick wirft. Dies aus der Sicht von verschiedensten Menschen aus allen Bereichen der deutschen Gesellschaft - von der Fließbandarbeiterin bis zum gefragten Professor der Biologie.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
Allgemeines zu den Erzählungen
Zu jedem Jahr des 20. Jahrhunderts ist eine Kurzgeschichte zu finden, deren jeweiliger Titel die Jahreszahl ist. Darin werden die historisch wichtigen Ereignisse parallel zu den individuellen Umständen des Ich-Erzählers, der in fast jeder Geschichte ein anderer ist, beschrieben oder zumindest angedeutet. Die Geschichten spielen meist in Deutschland und werden zum Teil aus der Sicht von Deutschen und Ausländern erzählt. Einige Geschichten sind autobiographisch geprägt und geben die Perspektive von Günter Grass selbst auf die jeweils beschriebenen bedeutenden Ereignisse des Jahres wieder. Bei näherer Betrachtung spiegeln alle Geschichten eine kritische Sicht auf die beleuchteten Ereignisse wieder. Der jeweilige Ich-Erzähler kritisiert jedoch in der Regel nicht direkt, sondern er offenbart indirekt in einem fließend zu lesenden Plauderton das Unvermögen, Desinteresse oder die Haltung von Menschen, die sich bei näherem Hinsehen als herzlos, latent ausländerfeindlich, egoistisch etc. erweist.
Zusammenfassungen
Als Beispiele sind die folgenden Geschichten zusammengefasst:
1925: Ein quengelnder Knabe kann von den Behinderten nicht ruhiggestellt werden. Da in diesen Jahren Detektorapparate in Umlauf kommen und der Rundfunk populärer wird, wird dem Kinde ein solches Gerät mit Kopfhörer gegeben, worauf es fortan in sich gekehrt und ruhig ist. (Ich-Erzähler: das quengelnde Kind; jedoch hält der Ich-Erzähler als nun erwachsene Person Rückblick)
1935: Hitler lässt vermehrt Autobahnen bauen. Dadurch kriegen viele Arbeit. Aber durch deren ungewohnte Härte tritt eine neue Krankheit auf, die „Schipperkrankheit“ (ein Abriss der Wirbeldornfortsätze). Jedoch darf der Arzt, der sie entdeckt, sie nicht veröffentlichen. (Ich-Erzähler: des Arztes Assistent)
1951: Eine Ostbürgerin schreibt einen Brief an die VW-Werke, die kürzlich ihr 5-millionstes Auto vom Fließband ließen, weil sie, nur weil in der DDR wohnhaft, trotz Vorauszahlung keinen VW bekommt. (Ich-Erzähler: die genannte Ostbürgerin)
1973: Eine Großmutter erzählt von ihren Schwiegersöhnen, die allesamt Autofans sind. Diese regen sich darüber auf, dass eine Oelkrise herrscht. Anschließend machen alle zusammen einen Spaziergang. Die Schwiegersöhne maulen dann wegen des Gelaufes, weil sie Autofahren bevorzugen. (Ich-Erzähler: Großmutter)
1985: Eine Großmutter gibt ihrem Enkel Auskunft über ihren Alltag, da dieser eine Magisterarbeit mit dem Titel "Der Alltag der Senioren" anfertigen muss. Sie erzählt von ihrer Einsamkeit nach dem Tod des Großvaters, in dem die Nachbarin, Frau Scholz, die Rolle der betreuenden Kraft einnimmt. Im Übrigen schauen die alten Damen Unterhaltungssendungen wie "Dallas", die "Schwarzwaldklinik" und "Lindenstraße". Auch mögen sie Sport, insbesondere Tennis mit den zu jener Zeit erfolgreichen Spielern Boris Becker und Steffi Graf. Das Geplauder der alten Dame offenbart, inwiefern "Familie Beimer" und andere Fernsehfamilien die zwischenmenschlichen Beziehungen ersetzen, die offenbar zwischen ihr und ihrem Sohn/Enkel nicht mehr bestehen. Die Aussage der Geschichte besteht in der Darstellung der Vereinsamung alter Menschen in Deutschland.
1991: Zwei Personen schauen zusammen fern und diskutieren über aktuelle Geschehnisse. Sie meinen z.B., dass der Golfkrieg, den CNN gerade ausstrahlt, für Europäer und Amis wie eine gute Show ist und dass der Auslöser von Krieg häufig Öl ist. (ein Dialog)
1993: Ein kleiner Polizeibeamter aus der ehemaligen DDR berichtet über Umstände, die seit der Wiedervereinigung nicht mehr funktionieren, insbesondere über das Aufkommen von Rechtsradikalen, die entstandene Orientierungslosigkeit der Polizei und Probleme mit dem besserwisserischen Westen. Zwischen den Zeilen trauert der Beamte den Verhältnissen in der DDR nach, er erweist sich im Hinblick auf die Übergriffe auf die Ausländerwohnheime in Hoyerswerda und Solingen als latent ausländerfeindlich und er hält nichts von den Solidaritätsbekundungen mit den Schwachen. Letzten Endes zeigt sich der Mann aber selbst als ein Opfer, dem durch die Wiedervereinigung übel mitgespielt wurde.
1995 Ein Radio- oder Fernsehjournalist berichtet live von der erstmals stattfindenden Love Parade in Berlin mit all ihren Auswüchsen: halbnackte gestylte Besucher, Berge von Müll, ohrenbetäubend laute Musik. Die Statements einiger Jugendlicher machen deutlich, dass die Love Parade das Festival einer spaß-süchtigen Gesellschaft ist. Deren einziges Bestreben ist es, sich in Designer-Outfits mit "Tschaka Tschaka Tschaka" in Ekstase zu tanzen. Alle halten sich für Individualisten, obwohl ihre Outfits von der Modebranche genau vorgegeben werden. Niemand interessiert sich für den zu jener Zeit stattfindenden Krieg auf dem Balkan; auch ist den Ravern nicht bewußt, inwiefern sie die so sehr geschichts- und schicksalsträchtige Stadt Berlin zur billigen Partymeile herabwürdigen.
Stil
In die Geschichten wird man hineingeworfen, nicht durch eine sachte Einleitung hineingeführt. Mit einem abwechslungsreichen Schreibstil, welcher häufig von umgangssprachlichen Ausdrücken durchdrungen ist, geht es dann weiter. Letzteres wird gar von wenigen Geschichten auf die Spitze getrieben, indem Grass sich bei ihnen eines abgeschwächten Dialekts bedient. Im großen Ganzen schreibt er amüsant und auch provokant und in erstaunlich fließender Sprache (fast wie gesprochen).
Ausgaben
- Günter Grass: Mein Jahrhundert. Steidl Verlag, Göttingen 1999, ISBN 3-88243-650-6.
- Günter Grass: Mein Jahrhundert. Steidl Verlag, Göttingen 1999, ISBN 3-88243-651-4. (Illustrierte Ausgabe)
- Günter Grass: Mein Jahrhundert. Steidl Verlag, Göttingen 1999, ISBN 3-88243-700-6. (Werksausgabe)
- Günter Grass: Mein Jahrhundert. dtv, München 2001, ISBN 3-423-12880-1.
Danziger Trilogie
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