André Evard

André Evard

André Evard (* 1. Juni 1876 in Renan bei La Chaux-de-Fonds, Schweiz; † 20. Juli 1972 in Le Locle) war ein Schweizer Maler und Zeichner, der sich stilistisch durch äußerste Vielseitigkeit auszeichnet. Seine besondere Bedeutung liegt im Bereich der konstruktiven Kunst. So zählt er zu den ersten Künstlern, die nicht figurativ gearbeitet haben. Im Laufe seines Lebens entstanden Hunderte von Ölgemälden, eine große Zahl an Zeichnungen sowie circa 2000–3000 Aquarelle und Gouachen.

Inhaltsverzeichnis

Leben

André Evard wurde am 1. Juni 1876 in Renan (Berner Jura) als Sohn von Jean-Félix Evard (1849–1879) und Marie Sagne (1852–1921) geboren. Nach dem frühen Tod des Vaters zogen Mutter und Sohn nach La-Chaux-de-Fonds, einer aufstrebenden und für ihre Uhrenproduktion bekannten Stadt. Dort betrieb Marie Evard eine Konditorei. Zunächst ebenfalls als Konditor tätig, ermöglichte André eine Erbschaft, sich ganz seinem eigentlichen Interesse, der Kunst, zu widmen. So studierte er von 1905–1909 an der Ecole d’Art in La Chaux-de-Fonds und besuchte Kurse in dekorativer Kunst bei Charles l’Éplattenier, einem ehemaligem Schüler von Ferdinand Hodler und wichtigem Vertreter des Schweizer Jugendstils. Hier tat er sich vor allem in der Goldschmiede- und Emaillekunst mit feinsten Arbeiten hervor, weshalb ihn L’Eplattenier auch als ‚Juwelier der Malerei’ bezeichnete und ihm eine Zukunft als Emaillist voraussagte.[1] Künstlerisch war Evard zu dieser Zeit noch stark von der Art nouveau beeinflusst. Zu seinen Studienfreunden zählten u. a. Le Corbusier (Charles-Èduard Jeanneret-Gris), Conrad Meili und Léon Perrin, mit denen er Dekorationen und Ausmalungen von privaten Villen durchführte. Mit Le Corbusier stattete er beispielsweise die Innenräume der Villa La Fallet in La Chaux-de-Fonds aus.

Ab 1907 verlegte Evard sein künstlerisches Interesse fast vollständig auf Malerei und Zeichnung und unternahm im gleichen Jahr eine längere Studienreise nach Italien, wo er sich mit dem Studium alter Meister beschäftigte. Vor allem kleinformatige Porträts sowie stimmungsvolle Landschaftsbilder mit delikaten Farben und feinster Pinselführung prägten die Werke der darauffolgenden Jahre. Bereits 1908 stellte er seine ersten Collagen her, die jedoch auf heftige Ablehnung stießen. Auch die Beteiligung an verschiedenen Ausstellungen, wie z. B. 1909 in München oder 1914 in Neuchâtel, führte zu keinem Erfolg. Seine Arbeiten wurden als nicht zeitgemäß bezeichnet. Eine tiefe Schaffenskrise und eine völlige Neuausrichtung waren die Folge. So unternahm er ab 1913 die ersten ungegenständlichen, kubistischen und konstruktiven Versuche, die ihn schließlich in die erste Reihe nicht nur der Schweizer Avantgarde einreihen sollten.

Nach dem Tod der Mutter folgten von 1923 bis 1927 längere Aufenthalte in Paris, bei denen er sich nochmals intensiv mit den alten und modernen Meistern auseinandersetzte und Künstler wie Braque, Delaunay und vanDoesburg kennenlernte, der ihn sogar zur Mitarbeit in der „de-Stijl’-Gruppe zu gewinnen suchte – allerdings vergeblich.[2] Zudem kam er erstmals mit der afrikanischen Plastik in Berührung, wodurch sein Interesse für die außereuropäische Kunst nochmals verstärkt wurde. Vor allem dem Schwarz – für ihn der ‚Aristokrat der Farben’[3] - maß er seitdem eine besondere Bedeutung bei. Einige seiner ungegenständlichen, kubistischen und konstruktiven Arbeiten, die in diesen Pariser Jahren entstanden, waren im Salon des Independents und im Salon d’Automne zu sehen und stießen auf große Zustimmung.

Obwohl André Evard nun im Mittelpunkt der Avantgarde stand, reagierte er auf Anfragen des Kunsthandels ablehnend und überließ Galerien oder Sammlern fast niemals seiner Arbeiten. Anerkennung suchte er fast ausschließlich im Kontext offizieller Institutionen. Die Gründe hierfür bleiben wohl für immer im dunkeln. Dafür arbeitete er wie besessen. Mehr und mehr widmete er sich dabei dem Prinzip der Serie (bedeutendstes Beispiel sind hier die ‚Roses’), da ihn die Variationen eines Grundmotivs und dessen farbliche Variationen faszinierten. Er orientierte sich nach einem genau festgelegten Farbplan und strebte systematisch eine geometrische Malerei an.

Wieder nach La-Chaux de-Fonds zurückgekehrt, heiratete er 1928 Milca Reguin, die Tochter des Malers Louis Reguin. Das folgende Jahr bildete dann einen gewaltigen Einschnitt: Aufgrund des Börsencrashs verlor er sein gesamtes Vermögen. Bis zu seinem Lebensende lebte er von nun an in bescheidenen Verhältnissen. Das Atelier blieb unbeheizt, und gesellschaftliche Abwechslung gab es wenig. Auch die Reisen nach Paris waren nun nicht mehr möglich. Der Wirkungskreis wurde somit auf seine Heimat begrenzt, die er seitdem niemals mehr verließ. Zudem waren seine avantgardistischen Werke beim konservativen Publikum nicht gefragt. Zunächst stellte er seine Produktion resigniert ein, änderte dann aber – womöglich wegen finanzieller Engpässe – ab 1932 seinen Stil, um die Chancen eines Verkaufs zu erhöhen. Es entstand – neben weiteren konkreten Arbeiten – eine Vielzahl an traditionell figurativen Landschaftsbildern und Stillleben, die sich durch kräftige Farben auszeichneten. Auffallend ist, dass sich Menschen in den Landschaften kaum finden – vielleicht ein Hinweis auf seine zunehmende Einsamkeit.

Dennoch beteiligte er sich an verschiedenen Ausstellungen, wie beispielsweise der Ausstellung ‚Zeitprobleme in der Schweizer Malerei und Plastik’ von 1936 im Kunsthaus Zürich. Auch trat er 1937 als Mitglied Nr. 10 der damals neu gegründeten allianz bei, die avantgardistischen Künstlern eine Plattform bot und an der wichtige Vertreter der abstrakten und surrealistischen Kunst teilnahmen. Doch auch hier nutzte er die Vorteile der Gruppe nicht, die zudem in seiner Heimat auf nur geringes Publikumsinteresse stieß. Da sich die offizielle Schweizer Kunst am traditionellen Geschmack orientierte, wurde es nahezu unmöglich, einen öffentlichen Auftrag zu erhalten. So geriet Evard langsam in Vergessenheit, der sich zunehmend in eine selbstgewählte Isolation zurückzog. Beständig wechselte seine Kunst zwischen einem figurativen und einem abstrakten Stil hin und her. Die zahlreichen Landschaftsbilder und Stillleben zeichneten sich dabei durch kräftige Farben aus, bei denen seine pantheistischen Vision der Natur zum Ausdruck kommt. Viele Sonnenuntergänge und farbenfrohe Jura-Landschaften entstanden. Kurz vor seinem Tod im Jahre 1972 vollendete er sein letztes Werk – ein triumphal hell leuchtendes Kreuz.

Obwohl der Kunsthistoriker Charles Garibaldi bereits 1972 schrieb, dass man „Evard unbedingt … den Platz zukommen lassen (sollte), der ihm gebührt“ und diesen als „bedeutend“ bezeichnet4, ist der Name André Evard bis heute weitgehend vergessen. Erst in den vergangenen Jahren gab es vereinzelte Bemühungen, die äußerst vielseitige Kunst wieder bekannt zu machen.

Werk

Nach Abschluss seiner Studien malte Evard zunächst im Sinne der französischen Tradition des ausgehenden 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts. Einflüsse der Salonmalerei (Prud’hon, Carrière und Fantin Latour), des Impressionismus (Renoir) und des Symbolismus (Redon) werden mit Einflüssen van Goghs, aber auch denen der fernöstlichen Kunst vermischt. Niemals entstehen jedoch bloße Kopien oder epigonale Arbeiten. Immer wird Eigenes erreicht, und die verschiedenen Künstlerhandschriften scheinen zu einem ganz eigenen Stil zu verschmelzen. In seinen Farbkompositionen verstand es Evard, völlig gegensätzlichliche Farben einer absoluten Harmonie zu unterwerfen. Äußerste Freiheit der Empfindung, große Vielfalt an Stimmungen, subtile Farbmodulationen und chromatische Lebhaftigkeit kennzeichnen seine Werke, da Evard der Farbe ihren ‚Geist’ geben will.[4]

Schrittweise löst er sich schließlich von den vorgegebenen, ornamentalen oder symbolisierenden Formen und gelangt über das Ornament zur Struktur. Bei Werken wie ‚Crocus’, ‚Roses’, ‚Roses noir’, ‚Chardon’, ‚Nocturne’ oder ‚Pyramide’ stehen beispielsweise eine sparsame plastisch-körperliche oder flächenhaft geometrische Zeichnung im Vordergrund. Die Bilder der 20er Jahre erinnern dann an Kandinsky, Gris und Braque. Wiederum scheint er jedoch alle Einflüsse in einem ganz eigenen Stil zu vereinen, so dass er mit zur Spitze der zeitgenössischen Kunst gezählt werden muss.

Ein Musterbeispiel für die Entwicklung von der gegenständlichen zur konstruktiven Malerei sind die ‚Roses’. So entsteht 1917 mit den ‚Trois roses’ die erste Ausführung eines Motivs, dem er sich über ein Jahrzehnt lang widmen wird. Erstmals wird hier der Hang zur Variation und einer fast besessen zu nennenden Arbeitsweise sichtbar: Einmal verändert er kaum merklich bloß die Farben, ein anderes Mal hingegen die ganze Komposition. Die zunehmende Abstrahierung des naturhaften Gegenstandes vollzieht sich hier exemplarisch – über den Kubismus hin zum Konstruktivismus. Während ihm anfangs noch eine gewisse Farbtreue wichtig ist, gibt er diese schrittweise auf, löst sich von den Farben und fügt vertikale und horizontale Linien in das Bild ein, wodurch der dargestellte Gegenstand fast zur reinen Geometrie werden kann. Evard reduziert die Gegenständlichkeit durch die Raum-und- Flächenspannungen – erreicht durch die Farbwahl jedoch Gefühlswerte wie warm und kalt, hell und dunkel, spielerisch und streng.

André Evards Bekanntheitsgrad und seine Vertretung in Sammlungen und Museen werden seiner immensen Bedeutung nicht gerecht. Vielleicht liegt es daran, dass seine Kunst sich nicht festlegen lässt – fast unmöglich scheint es, ihn in die Kunstgeschichte einzuordnen: Denn nie war er einer Stilrichtung verpflichtet, sondern griff auf Vergangenes zurück, vermischte die Stile und erfand stets Neues. Dabei besaß er eine außerordentliche Sensibilität und eigene Formensprache. So verwirklichte er sich im Jugendstil, im Kubismus und schuf geometrische und konstruktive Abstraktionen. Zählte er in Paris noch zu den Speerspitzen der Avantgarde, zog es ihn anschließend immer wieder zur gegenständlichen Malerei zurück.

Einerseits führt das Spiel der Formen und Farben zu höchst expressiven gegenständlichen Landschaften, andererseits gehen aus der klaren Reduktion faszinierende Stillleben hervor, die ungewohnte Farbkombinationen und völlig neue Objekt-Raumbeziehungen aufweisen. Dieser Wechsel mag einem inneren Bedürfnis entspringen, war vielleicht aber auch zu einem gewissen Teil wirtschaftlichen Gründen geschuldet. Eine befriedigende Antwort wird wohl nicht gefunden werden können. Stets setzte er sich dabei dem Wagnis des Stilbruchs aus, was aber die Besonderheit seines künstlerischen Oeuvres ausmacht. Seine Leistung oder sein Fehler war, dass er abstrakt malte, als kaum jemand eine Vorstellung von Abstraktion hatte und dass er zur gegenständlichem Malerei zurückkehrte, als das Abstrakte Mode wurde. So bringt Evard in fast völliger Isolierung vom Kunstbetrieb und mit der vehementen Abneigung, sich selbst zu vermarkten, „während eines halben Jahrhunderts ein außerordentlich durchkomponiertes, geistig durchwachsenes Werk hervor“, das ihn laut dem Kunsthistoriker Jean-Marie Nussbaum, einem stetigen Förderer der Evardschen Kunst, zu einem „Phänomen malerischer Kultur“ macht.[5]

Literatur

  • Denis de Rougement, Jeunes artistes neuchâtelois, in: Das Werk, Bd. XIV, 1927, 123-129 +
  • Georges Droz, André Evard, in: Pro Arte, 1943, Bd. II, 71f
  • Jean-Marie Nussbaum, André Evard, in: Images du Monde vom 25. März 1950
  • Ders., Evard. Ausstellungskatalog, Musée des beaux-art, La-Chaux-de Fonds,1951
  • Künstler-Lexikon der Schweiz, XX Jhd., Bd. 1, Frauenfeld, 1958–1961
  • Schlegel, André Evard, Redemanuskript (unveröffentlicht), Stuttgart 1981
  • Renate Bronner, André Evard – Person und Werk, Manuskript (unveröffentlicht), Flehingen 1983
  • Dies., André Evard: Der Maler, Manuskript (unveröffentlicht), Flehingen 1983
  • Dies., André Evard: Der Mensch, Manuskript (unveröffentlicht), Flehingen 1983
  • André Evard 1876–1972. Ausstellungskatalog, 2 Bde, hrsg. v. Galerie M, Emmendingen 2003 André Evard 1876–1972. De L’Art nouveau à l’abstraction, Ausstellungskatalog Musée des beaux-arts, La Chaux-de-Fonds, 2005

Einzelnachweise

  1. Galerie M: André Evard 1876–1972. Ausstellungskatalog, 2 Bde., Bd. 2, Emmendingen 2003, S. 5.
  2. Galerie M: André Evard 1876–1972. Ausstellungskatalog, 2 Bde., Bd. 2, Emmendingen 2003, S. 6.
  3. Galerie M: André Evard 1876–1972. Ausstellungskatalog, 2 Bde., Bd. 2, Emmendingen 2003, S. 5.
  4. Galerie M: André Evard 1876–1972. Ausstellungskatalog, 2 Bde., Bd. 1, Emmendingen 2003, S. 5.
  5. Galerie M: André Evard 1876–1972. Ausstellungskatalog, 2 Bde., Bd. 2, Emmendingen 2003, S. 119.

Weblinks


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