Antonei Sergejvitch Tartarov

Antonei Sergejvitch Tartarov

Antonei Sergejvitch Tartarov (alias Jean-Jacques Hauser, 30. Juni 1932–22. Februar 2009) war ein fiktiver russischer Pianist, der im Rahmen eines Experiments am 16. April 1968 ein Konzert im Grossen Tonhallesaal Zürich vor etwa 2000 Zuhörern gab.

Das Konzert bestand zu einem kleinen Anteil aus Originalwerken von Alexander Nikolajewitsch Skrjabin, Béla Bartók und Maurice Ravel, den Hauptteil des Abends bestritt der Schweizer Hauser mit Improvisationen im Stil bedeutender Komponisten, was seine Spezialität gewesen ist. So präsentierte er ein angebliches Fragment einer 33. Klaviersonate Beethovens, des Weiteren ein angebliches Rondo von Mozart über ein «Schweizer Lied» (den Sechseläutenmarsch), eine «Zweite Toccata» von Sergei Sergejewitsch Prokofjew und eine «Grosse Fantasie» von Franz Liszt. Des Weiteren waren Improvisationen über die Melodien mehrerer Volkslieder Teil des Konzertprogramms.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund

Der Schweizer Tiefseetaucher, Computerpionier und Unternehmer Hannes Keller war der Organisator dieses Konzert, der im Vorfeld mit einer zehntägigen Medienkampagne die geheimnisvolle Figur Tartarov erfand und aufbaute, sodass der Konzertabend ausverkauft war. Die vollständige Aufnahme dieses Konzert und vollständige Informationen sind auf der Website des Organisators verfügbar. Sämtliche Einnahmen des Konzerts seien an Unicef gespendet worden.

Der stumme Tartarov sei ursprünglich Stallbursche auf einem Bauernhof in der Ukraine gewesen, der dort auf einem alten Flügel besonders authentische Ausdrucksformen aufgrund seiner Stummheit entwickelt hätte. Der Grund für die Stummheit der Figur ist naheliegend, denn der beinahe absurd verkleidete Pianist Hauser hätte keine auf russisch gestellte Frage verstehen können. Ein besonders aufschlussreiches Ereignis war, dass eine Eingeweihte vorab versuchte, den Schwindel aufzuklären, sich an den Betreiber des Konzertsaals und an die Presse wendete. Da ihr aufgrund der überzeugenden Medienkampagne und der Seriosität Kellers niemand glaubte, konnte das Konzert dennoch stattfinden.

Bedeutung

Das Konzert räumte mit der beinahe metaphysischen Verehrung der Komponisten auf, indem bewiesen wurde, dass auch im 20. Jahrhundert diese Stile noch überzeugend improvisiert werden konnten. Diese Art der Musikausübung ist im klassischen Konzertbetrieb undenkbar, obwohl sie z.B. bei Franz Liszt und anderen Komponisten und Virtuosen des 19. Jahrhunderts üblich und beliebt war. Keller hielt am Ende des Konzerts eine kurze Ansprache, die den Sachverhalt aufklärte und dem betrogenen Publikum Rückzahlung des Eintritts und Entschädigung anbot. Zitat aus dieser Ansprache: «Ich habe also (…) mir erlaubt, für die Dauer dieses Konzerts die negative Voreingenommenheit des Publikums in eine positive zu verwandeln (…)» Diese Erklärung kann genauso wie die Gesamtaufnahme des Konzerts auf der Website Kellers angehört werden, siehe unter Weblinks. Daraus wird deutlich, dass das Publikum nicht bereit gewesen wäre, ein Konzert mit Improvisationen eines Jean-Jacques Hauser zu besuchen, während es einen bis dato unbekannten russischen «Wunderpianisten» mit entsprechend dramatischem Lebenslauf, der angebliche wenig bekannte Originalwerke spielte, begeistert angenommen hatte. Das Programmheft stellt ebenfalls eine Parodie dieses damals noch häufig romantisch-verklärt geschriebenen Genres dar.

Kritik

Zahlreiche Zeitungen berichteten über dieses eigenartige Konzert, mit unterschiedlichen Urteilen, teils wohlwollend, teils verständnislos bis feindselig. Da Keller die Wahrheit über dieses Konzert am Schluss in einer kurzen Ansprache erklärte, wurden keine falschen Tatsachen über die Musik vermittelt. Auch habe niemand den Eintrittspreis zurückgefordert. Das Experiment hatte aber keine Elemente einer wissenschaftlichen Studie.

Literatur

  • Dieter Kühn: Löwenmusik. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1979, S.35–50.

Weblinks


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