Improvisation (Musik)

Improvisation (Musik)

Als Improvisation wird die Form musikalischer Darbietung verstanden, in der das ausgeführte Tonmaterial in der Ausführung selbst entsteht und nicht vorher schriftlich fixiert worden ist. Die Anforderungen, die die Improvisation an einen Ausführenden stellt, sind:

  • die (technische) Beherrschung des jeweiligen Instrumentes oder der Stimme
  • die Beherrschung der dem jeweiligen Stil entsprechenden musikalischen Parameter und ihrer Gesetzmäßigkeiten.
  • das Potential, damit kreativ umzugehen.

Inhaltsverzeichnis

Allgemein und Improvisation in verschiedenen Kulturkreisen

Improvisation im Gegensatz zu anderen Quellen musikalischen Materials

Die Musik kennt grundsätzlich drei Quellen für auszuführendes Tonmaterial: Komposition, mündliche Überlieferung und Improvisation. Die Komposition stellt den deutlichsten Gegensatz zur Improvisation dar, da hier der Darbietung die in der Regel in Notenschrift fixierte Ausarbeitung vorausgeht. Die Aufgabe ihrer klanglichen Realisierung liegt dann beim Interpreten. Der Urheber des komponierten Werkes hat Rechte an der Nutzung inne und kann sich auch gegen dessen unerlaubte Aneignung, Veränderung und Abwandlung wehren (siehe Plagiat). Dies ist bei der Improvisation nur insoweit möglich, als sie auf Tonträgern aufgezeichnet wird. Überschneidungen zwischen Komposition und Improvisation bestehen dann, wenn dem kreativen Prozess der Entstehung eines Werkes Improvisation zugrunde liegt. Dann können allerdings in der Regel ständige Korrekturen und Verbesserungen in den Kompositionsprozess einfließen. Im Ergebnis unterscheiden sich Improvisation und Komposition jedoch darin, dass in der Komposition Prozesse realisiert werden, die in der Improvisation noch nicht oder zumindest nicht in so hochkomplexer Form möglich sind (Kontrapunkt, differenziertes Ensemblespiel oder die Verwendung von Systemen wie der Zwölftontechnik). Andererseits lassen sich die Ergebnisse von Improvisation auch kaum in Kompositionen fassen und nachahmen, da hier musikalische Zusammenhänge nicht nur aus der Entwicklung des Materials erklärbar werden - die Interaktion ist ein bedeutender nichtkalkulierbarer Aspekt der Improvisation - und somit auch nicht planbar sind.

Während Komposition weitgehend den Gegensatz zu den beiden anderen Formen der Materialgewinnung darstellt, gehen mündliche Überlieferung und Improvisation in vielen Kulturen eine Verbindung ein. Diese reicht von formelhaften Umspielungen beispielsweise einer überlieferten Melodie durch ein oder mehrere begleitende Instrumente bis hin zu sehr entwickelter Improvisation, die ein überliefertes Grundmuster ausfüllt. Auf diese Weise unterscheiden sich beispielsweise indische Volksmusik und indische Kunstmusik, letztlich aber auch die Stile des New Orleans-Stils und diejenigen seit dem "Bebop" im Jazz. Ob Improvisation auch eine Urform des Musizierens war, ist nicht zu ermitteln, da aber Komposition ein kulturell sehr eng auf die „klassische“ europäische Musiktradition begrenztes Phänomen darstellt, ist höchstwahrscheinlich, dass ein gewisser Anteil improvisierten Materials der Regelfall war.

Grenzen der Freiheit in der Improvisation

In europäischer Musik seit der Zeit der Renaissance oder solcher, die in geschichtlichem Zusammenhang mit europäischer Überlieferung steht, wozu auch der Jazz gehört, liegt der Improvisation meist ein harmonisches Gerüst (zum Beispiel die Akkordfolge eines bestimmten Stückes) oder eine Melodie zugrunde. Über die europäische Musik der Antike konnten bezüglich der Improvisation bisher keine zuverlässigen Quellen erschlossen werden. Die Improvisation in der europäischen Musik des Mittelalters basiert meist auf einer Melodie, Harmonik war damals noch nicht bekannt, die der Melodie zu Grunde liegende Tonleiter liefert eine weitere Basis für die Improvisation. In der Musik anderer Kulturkreise, zum Beispiel arabischer, türkischer sowie indischer Musik, werden Improvisationen häufig durch bestimmte Tonleitermodelle und rhythmische Muster strukturiert. Die Musik des südlich der Sahara gelegenen Afrika zeichnet sich unter anderem durch teilweise hochkomplexe rhythmische Improvisation aus. In den indonesischen Gamelan-Musik umspielen nur einige wenige Instrumente improvisierend die zugrundeliegenden Patterns, wiederkehrender rhythmischer, harmonischer und melodischer Tonfolgen. Umspielt wird dabei eine als "innere Melodie" aufgefasste Kernmelodie.

Im Extremfall wird Improvisation als vollkommen voraussetzungsloses spontanes Spiel versucht, wie in bestimmten Formen des Free Jazz. Für längere Zeit waren diese Versuche nie durchsetzungsfähig, da offenbar die stilistischen Spielregeln für Improvisation von herausragender Bedeutung sind. Wie sich am Jazz und an der indischen Musik zeigen lässt, sind diese Bedingungen tatsächlich so prägend, dass einerseits improvisierende Musiker sehr viel Arbeit in ihr Studium investieren, andererseits die Ergebnisse, wenn das gleiche Material von den gleichen Musikern kurz hintereinander zur Grundlage zweier Improvisationen genommen wird, trotzdem im Höreindruck erstaunlich ähnlich sind. Es zeigt sich auch, dass dort, wo im Kollektiv improvisiert wird, ein sehr striktes System der Arbeitsteilung vorherrscht.

E-Musik

Mittelalter

Vor allem im Bereich weltlicher Musik sind nur einstimmige Melodien überliefert. Den Musikern obliegt nun, daraus ein Musikstück zu gestalten. Vor, Zwischen- und Nachspiele werden ebenso improvisiert wie Formen der Zweistimmigkeit (Bordun, Spiel in Quart- oder Quintparallelen, Organum, freie zweite Stimme), wobei in der heutigen Zeit für eine halbwegs „authentische“ Wiedergabe die mittelalterlichen Musizierpraktiken zu berücksichtigen sind. Aus heutiger Sicht zeigt die Situation (mittlerweile schriftliche Überlieferung der Melodien, z. B. im „Codex verus“) Parallelen zur auf dem Realbook basierenden Jazzimprovisation. So sind in der musikalischen Mittelalterszene mittlerweile etliche Melodien der Art bekannt, dass man von Mittelalterstandards sprechen kann, die man als Musiker im entsprechenden Umfeld kennt.

Renaissance

Diese Epoche ist von mehrstimmiger Ensemblemusik geprägt. Die Musikstücke wurden meist in groben Notenwerten notiert. Je nach Fähigkeiten der Sänger und Instrumentalisten wurden diese auf die unterschiedlichste Weise durch improvisierte Diminuitionen verziert. Pädagogische Lehrwerke wie die Blockflötenschule von Silvestro Ganassi geben zahlreiche Beispiele für geläufige Melodiemodelle. Die Organisten und Cembalisten pflegten neben freieren Improvisationen die Kunst des „Absetzens“ von Vokalkompositionen, die aus dem Stegreif den Möglichkeiten des Instrumentes angepasst wurde.

Barock

Das professionelle Spiel von Tasteninstrumenten wie Orgel und Cembalo wurde in der Regel improvisatorisch ausgeführt. In Organistenprüfungen war das Spiel von vorbereiteter Literatur („Handstücke“) verpönt und führte zur Disqualifizierung. Gegenstand der Prüfung war u. a. auch die Improvisation von Fugen.[1] Auch das Generalbassspiel auf Cembalo und Orgel wurde aus dem Stegreif ausgeführt. Vorliegen hatte der Spieler einen „bezifferten Bass“, der den Basston und mit Hilfe von Zahlen die darüberliegenden Akkordtöne angab. Wie diese anzuordnen waren, und mit welchen Ornamenten das Spiel auch zu bereichern war, lag in der gegebenenfalls auch spontanen Entscheidung des Ausführenden. In der Kammermusik wurde vor allem beim Spiel der langsamen Sätze die improvisatorische Auszierung durch freie Manieren gefordert.[2]

Klassik und Romantik

Das „Fantasieren“ auf dem Klavier (bzw. auch schon in früheren Zeiten auf dem Cembalo), mit dem viele bedeutende Komponisten von sich reden machten (Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven, Frédéric Chopin) war durchaus Gegenstand höchster Bewunderung. Immerhin gab es in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zahlreiche Versuche, Maschinen zur Aufzeichnung von Improvisationen zu konstruieren, so z.B. die „Fantasiermaschine“ von Johann Friedrich Unger aus dem Jahre 1752 (technisch zuerst realisiert von Johann Hohlfeld 1753); da die Übertragung der Aufzeichnungen in normalen Notentext jedoch sehr mühsam war, haben solche Geräte nie eine große Verbreitung erreicht, und es sind keine derart aufgezeichneten Improvisationen bis auf den heutigen Tag überliefert. Die Bezeichnung Fantasie für ein Klavierstück ist auch nicht so zu verstehen, als wenn eine Improvisation anschließend als Komposition rekonstruiert wurde. Dennoch gibt es Beispiele, in denen tatsächlich der Eindruck entsteht, der Vorgang des „Fantasierens“ würde in der Komposition nachgeahmt. Am nächsten kommt diesem Aspekt die Fantasie op. 77 von Ludwig van Beethoven, in der deutlich das spontane „Losspielen“ zu hören ist, dann das Suchen nach und Verwerfen von Material bereits während des Spiels, bis schließlich ein übersichtliches Thema entsteht, das sich zur Variation eignet.

Ein Mittelding zwischen barocker Praxis des Auszierens und des Fantasierens stellte die Kadenz im klassischen Solokonzert dar, die in der Regel unmittelbar vor dem Ende des ersten Satzes größeren Raum erhielt. Aber auch hier gilt, dass sich sehr schnell die ausgeschriebene Kadenz durchsetzte, da das plötzliche Improvisieren in der Umgebung von komponiertem Material einen Unsicherheitsfaktor darstellte, dem man mit einer entsprechenden Vorbereitung der Kadenz begegnete.

Eine größere Rolle spielte die Improvisation für die Orgel. Bedeutende Organisten wie Anton Bruckner vermochten sogar groß angelegte Doppelfugen zu improvisieren. Da Bruckner die Ergebnisse seiner Improvisationen nie schriftlich fixierte, gibt von dieser Kunst nur noch das "Präludium und Doppelfuge" ein Zeugnis, das sein Schüler Friedrich Klose nach einer Bruckner-Improvisation komponierte. Meist wurden jedoch wie auf dem Klavier freie Fantasien improvisiert. Besonders in Frankreich war diese Praxis verbreitet. Zahlreiche Werke u.a. von César Franck, Charles-Marie Widor und Louis Vierne sind auf Grundlagen solcher Improvisationen entstanden.

Neue Musik

Gelegentlich eine größere aber auch paradoxe Rolle spielte Improvisation in der Neuen Musik. So hatten im Extremfall die Ausführenden eine Grafik als Partitur vorliegen, die keine Hinweise über das enthielten, was konkret zu spielen ist (Konzept der "Offenen Form" z.B. in Earle Browns Komposition Available Forms, 1961 [3]). Es blieb ihnen völlig überlassen, welche Töne, Klänge, Rhythmen zu erzeugen waren, während man den Blick auf die Grafik gerichtet hielt. Die Ausgangsbasis kann aber auch ein Text sein wie im Fall von Karlheinz Stockhausens Aus den sieben Tagen, 1968. Damit wandelte sich zwischenzeitlich der Begriff vom Kunstwerk und ist in einer solchen Aufführungspraxis in der Auflösung begriffen. In einer professionellen Darbietung leisteten gute Interpreten das, was auch gute Improvisatoren in anderen Musikrichtungen vollbrachten, nämlich im Rahmen des Genres "Neue Musik" einen eigenen Stil zu bilden. Dennoch gelten derartige Aufführungen in der Regel weiterhin als Werke eines Komponisten oder des Urhebers der graphischen Partitur, nicht als Werke der oder des Interpreten. Im Gegensatz dazu steht die Freie Improvisation, bei der auf Vorgaben oder Festlegungen weitgehend verzichtet wird und das Ergebnis allein vom musikalischen Horizont und den spielerischen Fähigkeiten der Musiker abhängt.

Die erhöhte Bedeutung, die die Improvisation gelegentlich erhielt, ist dabei auch als Reaktion auf den strengen Serialismus, der alle musikalischen Parameter auf das genaueste festlegte, zu sehen. Ende der 1950er und Anfang der 1960er Jahre begannen etliche Komponisten damit, den Interpreten in ihren Werken unterschiedliche Grade der Freiheit in der Ausführung zuzugestehen. Dies können eher aleatorische Entscheidungen sein, zum Beispiel welchen Teil der Partitur man spielt oder aber auslässt oder die Konstruktion von Situationen, in denen dem Interpreten einer oder mehrere musikalische Parameter vorgegeben sind, er aber über die restlichen Parameter selbstständig entscheiden kann. Solche Anweisungen, wie in Klavierstück XI von Karlheinz Stockhausen („Der Spieler schaut absichtslos auf den Papierbogen und beginnt mit irgendeiner zuerst gesehenen Gruppe; diese spielt er mit beliebiger Geschwindigkeit (die klein gedruckten Noten immer ausgenommen), Grundlautstärke und Anschlagform, schaut absichtslos weiter zu irgend einer der anderen Gruppen und spielt diese, ...“) bemühen sich allerdings gerade darum, Form im Spielprozess entstehen zu lassen, ohne dass der Interpret improvisiert. Selten werden die Interpreten in beigefügten Anweisungen des Komponisten ausdrücklich zur Improvisation ermuntert. So stellt Bernd Alois Zimmermann in tempus loquendi aus dem Jahr 1963 drei untereinander gedruckte Teile zur Auswahl, und ermutigt „...aus dem in den Stücken vorgegebenen Material eigene Versionen zu improvisieren.“ Häufiger sind Grenzfälle, die letztlich aber immer das Primat der Komposition beanspruchen. So ist in Mauricio Kagels Exotica aus dem Jahr 1970 bei Festlegung der Rhythmik und Dynamik die Auswahl der Töne den Interpreten überlassen. Mit Kagels eigenen Worten „...wurden die instrumentalen Parts ausschließlich in Dauerwerten und Lautstärkegraden als fortlaufende rhythmische Monodien aufgezeichnet, die die Ausführenden selbst mit Tonhöhen in beliebiger Lage versehen sollen.“

In den letzten Jahrzehnten sind zwischen der Neuen Musik und dem Free Jazz eigenständige Szenen für freie oder neue Improvisationsmusik am Entstehen.

Kirchenmusik

Im Musikstudium der Gegenwart spielt in den meisten Studiengängen die Improvisation eher eine untergeordnete Rolle und beschränkt sich auf das Spiel von Verzierungen und einfacher Tonsatzübungen. Im Studium der Kirchenmusik hat die Orgelimprovisation den Rang eines Hauptfaches. Das Improvisieren von gottesdienstlicher Musik gehört zu den regelmäßigen Aufgaben eines Kirchenmusikers. Besonders qualifizierte Spieler improvisieren teilweise ganze Konzerte.

Jazz

Aufgabenteilung im klassischen Jazzquartett (Miles Davis:So What auf Kind of Blue): Paul Chambers begleitet mit einem Walking Bass, Bill Evans auf dem Klavier mit rhythmisch frei schwebenden Akkorden das Solo von John Coltrane (nicht transkribiert ist der Schlagzeugpart von Jimmy Cobb)

Die Improvisation gilt geradezu als das konstituierende Merkmal des Jazz. Zudem zeigt sich hier, wie ein „ausgeklügeltes“ System, das ganz konkrete Aufgaben zuweist, erst das improvisierende Spiel in einer Gruppe zulässt. Dies lässt sich am Beispiel eines Solos im „Standard-Spiel“ eines traditionellen Quartetts erläutern. Schon die Besetzung ist Ausdruck einer strikten Funktionszuweisung: Das Schlagzeug als reines Rhythmus-Instrument, das keine Tonhöhen erzeugen kann, die mit denen der anderen Mitspieler kollidieren können; der (Kontra-)Bass, dem allein die tiefe Lage zugewiesen ist; Klavier (oder Gitarre) als Akkordinstrument; sowie ein einstimmiges Melodieinstrument in dazu relativ hoher Lage (Saxophon, Trompete). Schlagzeug und Bass sind eng miteinander verzahnt, da sie beide den Grundrhythmus spielen. Die Improvisation des Schlagzeugers entsteht in einer Reihe belebender Zutaten wie Breaks, die auch den Formverlauf und die Periodik verdeutlichen (z. B. durch einen Break zu einem neuen Chorus, also einer weiteren Wiederholung der Harmoniefolge des Songs, des Standards, über den improvisiert wird.) Der Bassist spielt in der Regel sehr kontinuierliche Viertel, die durch kürzere Notenwerte gelegentlich ergänzt, aber selten unterbrochen werden. Dabei „spaziert“ er improvisierend die zur jeweiligen Harmonie passenden Töne, verbunden durch chromatische Zwischentöne, ab (Walking Bass). Der Grundpuls ist also schon durch Schlagzeug und noch mehr durch den Bass besetzt. Daher vermeidet der Pianist oder Gitarrist eben diesen und setzt stattdessen seine passend zum harmonischen Grundgerüst improvisierten Akkorde praktisch durchgehend als Synkopen. Dabei werden in der Regel vorhersehbare Muster vermieden, sondern vielmehr immer wieder neue rhythmische Modelle aneinandergefügt. Sein Spiel ist demnach betont unlinear, da für Linien der Bass in tiefer Lage, sowie der Solist auf dem Melodieinstrument in hoher Lage zuständig sind. Die größte Freiheit in der Improvisation hat der Solist, sein Solo ist das Zentrum des Geschehens. Er entwickelt, begleitet von den drei übrigen Instrumenten, eigene melodische und rhythmische Ideen. Dies geschieht allerdings immer unter Verwendung der zu der jeweils gespielten Harmonie gehörigen Tonleiter (Skala) oder Tönen, die zwar nicht zu der entsprechenden Skala gehören, zu ihr aber in einem wirkungsvollen Zusammenhang stehen. Wenn der Pianist ein Solo spielt, übernimmt in der Regel die rechte Hand die Funktion des Melodieinstrumentes, die linke Hand die des Akkordinstrumentes.

In Weiterentwicklungen dieses Konzeptes wird diese Form der Aufgabenteilung undeutlicher, wobei immer ein sicheres Gespür der Mitwirkenden, nicht gegeneinander zu spielen, Voraussetzung ist. So spielte beispielsweise Scott LaFaro am selben Tag im gleichen Stück in zwei verschiedenen Aufnahmen vollkommen unterschiedliche Basslinien, die sich aber beide gleich gut ins Gesamtbild einfügen. Es besteht praktisch keine Übereinstimmung mit der ersten Version. Der stilistische Rahmen sorgt aber für einen erstaunlich ähnlichen Höreindruck. Der vollkommen anders gestaltete Part fügt sich genauso passend ein wie derjenige der ersten Version.


Scott LaFaros Basspart an derselben Stelle in der zweiten Version desselben Stückes

In anderen Stilen des Jazz ist die Aufgabenverteilung anders, jedoch ebenso strikt. Dem New Orleans-Jazz gelang es durch klare Funktionszuweisung mindestens sechs Musiker gleichzeitig improvisieren zu lassen, allerdings nicht alle mit dem gleichen Maß an Freiheit.

Scat

Im Jazz wird auch oft vokal improvisiert. Im Scat (auch scat-singing genannt) werden allerdings keine sprachlichen Inhalte übermittelt, sondern mittels lautmalerischen Elementen existierende Instrumente nachgeahmt. Dementsprechend wird die Vokalimprovisation funktional auch eher wie ein Instrument eingesetzt und behandelt. Von technischer Seite werden oft spezielle Gesangstechniken wie Belting oder Crooning angewendet; ungewöhnlichere Techniken wie z.B. Obertongesang sind nicht verbreitet.

Realbook

Die schriftliche Notierung von Jazzimprovisationen war lange Zeit nicht üblich. Erst in den 1970er Jahren entstand mit dem Realbook die erste größere Sammlung von Jazzstandards, die sich aber in der Notierung in der Form eines Leadsheets lediglich auf die Fixierung von Melodie, Akkordwechseln und Tempo beschränkt. Dementsprechend wird das Realbook (mit seinen Nachfolgern) auch nur als "Improvisationsvorlage" verwendet, ist aber unter Jazzmusikern weit verbreitet.

Rock

In der Rockmusik wurde Improvisation um 1967 kurzzeitig im Bereich der psychedelischen Musik und dem sogenannten Progressive Rock sehr bedeutend. Die frühen Pink Floyd, Soft Machine, Grateful Dead und die deutsche Band Can verwandten häufig Improvisationstechniken, welche die Spielweisen aus dem Blues mit Klangexperimenten und Live-Elektronik verbanden. Diese Form hatte allerdings oft etwas "sehr Suchendes" an sich und wurde von den meisten dieser Gruppen nach 1970 wieder abgelegt. Bei näher am Blues orientierten Bands, wie Deep Purple und Cream, bekam die Improvisation einen vergleichbaren Stellenwert wie im Jazz zugewiesen, indem sich der begleitete Solist mit langen Soli profilierte. Jimi Hendrix kann als Pionier für beide Entwicklungen im Rock der Sechziger Jahre angesehen werden, der auch in beiden Formen mit seinem Album Electric Ladyland sicher zu den überzeugendsten Ergebnissen gelangte.

Einen entsprechenden Rang hat die Improvisation in der Rockmusik allerdings nicht behalten. Der Bluesrock mit Schwerpunkt Improvisation auf der E-Gitarre verband sich kulturell mehr dem Jazz (Scott Henderson). Die Entwicklung des Hardrock nahm der Improvisation das individuelle Profil, da im Metal-Bereich die Realisation atemberaubender Geschwindigkeiten einerseits zu einer eindimensionalen Entwicklung führte, andererseits wiederum die Vorbereitung von Solopassagen notwendig machte. Auch in anderen Bereichen des Rock wurde auf Kosten der Improvisation ausgefeilt durcharrangiert (Yes, Genesis), auch da, wo außerordentlich profilierte und stilbildende Instrumentalisten mitwirkten wie Brian May in der Gruppe Queen.

Neuere Stile des Rock, die sich wie der Punk vom „Bombast“ der 1970er absetzten, kennen in der Regel keine Improvisation. Entweder werden die entsprechenden Fähigkeiten von den Musikern nicht mitgebracht und auch nicht angestrebt, oder es bleibt bei der Vorherrschaft des Arrangements.

Literatur

Siehe auch

Anmerkungen und Einzelnachweise

  1. Friedrich Erhard Niedt: Musicalische Handleitung. 1710
  2. Johann Joachim Quantz: Versuch einer Anweisung die Flöte traversière zu spielen. S. 136
  3. Mikesch W. Muecke, Miriam S. Zach: Essays on the intersection of music and architecture, Culicidae Architectural Press, 2007, S 89 ff.

Weblinks


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