Bispezifischer Antikörper

Bispezifischer Antikörper

Ein bispezifischer Antikörper (Abkürzung: BsMAb von engl. bispecific monoclonal antibody), auch als Hybrid-Antikörper bezeichnet, ist ein Immunkonjugat, das aus Bestandteilen von zwei unterschiedlichen monoklonalen Antikörpern aufgebaut sind. Bispezifische Antikörper sind ein potenzielles Therapiekonzept in der Krebsimmuntherapie und Gegenstand von klinischen Studien.

Inhaltsverzeichnis

Aufbau und Wirkungsmechanismus

Schematische Darstellung verschiedener Antikörper und Antikörper-Fragmente.
Von den sechs dargestellten Varianten sind Quadroma, chemisch gekoppelte Fab und BiTE bispezifische Antikörper.
Wirkungsmechanismus eines bispezifischen Antikörpers am Beispiel eines BiTE-Antikörpers.

Ein bispezifischer Antikörper der ersten Generation – auch als Quadroma bezeichnet – besteht aus je einer schweren und einer leichten Kette zweier unterschiedlicher monoklonaler Antikörper. Die beiden Arme des Antikörpers sind dabei gegen jeweils andere Antigene gerichtet. Der Fc-Teil (der „Fuß“ des Antikörpers) wird gemeinsam aus den beiden schweren Ketten der Antikörper gebildet und stellt die dritte Bindungsstelle des bispezifischen Antikörpers dar. Durch diesen Aufbau ist es beispielsweise möglich das Paratop eines gegen ein Tumorantigen gerichteten Antikörpers und das Paratop eines anderen gegen ein Lymphozyten-Antigen gerichteten Antikörpers, auf je einem Arm des bispezifischen Antikörpers zu platzieren. Bei diesem Beispiel ist es dann möglich, dass der Antikörper an eine Tumorzelle mit dem entsprechenden Tumorantigen und an einen Lymphozyten bindet. Über den Fc-Abschnitt des bispezifischen Antikörpers können dann noch antigenpräsentierende Zellen wie beispielsweise B-Zellen oder Makrophagen binden und einen Drei-Zell-Komplex bilden. Durch diesen Drei-Zell-Komplex ergibt sich im Regelfall eine verbesserte Aktivierung der körpereigenen Immunzellen gegenüber den Tumorzellen.

Von diesem Aufbau weichen die bispezifischen Antikörper der neueren Generation ab. Sie können aus zwei scFv-Fragmenten (Fragmente monoklonaler Antikörper) aufgebaut sein. Beispielsweise kann so ein auf das Antigen CD3 ausgerichteter Antikörper mit dem zweiten Paratop, mit geringerer Affinität,[1] auch an T-Zellen binden und erst im Fall der Bindung an die Tumorzelle mit dem CD3-Antigen, die T-Zelle aktivieren.[2] Man spricht in diesen Fällen von bispezifischen Antikörpern zur Rekrutierung von Effektorzellen.[3] Dieses Konzept wird „BiTE“ (engl.: bispecific T-cell engager) genannt.[4][5][6]

Vorteile gegenüber monoklonalen Antikörpern

Wird ein Paratop gegen T-Zellen gerichtet, so können auch diese Zellen aktiviert werden. Mit normalen monoklonalen Antikörpern ist dies nicht möglich, da T-Zellen über keine Fc-Rezeptoren verfügen.[7] Bispezifische Antikörper weisen darüber hinaus ein höheres zytotoxisches Potenzial auf. Sie binden auch an Antigene, die relativ schwach exprimiert werden.[8][9] Die notwendige Dosis pro Patient liegt im Bereich von 0,01 mg·m−2·d−1 und ist um mehrere Größenordnungen niedriger als bei monoklonalen Antikörpern.[7]

Herstellung

Bispezifische Antikörper kommen in normalen Lebewesen nicht vor, weshalb sie künstlich hergestellt werden müssen. Die ersten Konzepte für bispezifische Antikörper stammen aus der Mitte der 1980er Jahre.[10] In der Folge wurden die ersten bispezifischen Antikörper in extrem aufwändiger Weise hergestellt, was die Weiterentwicklung dieses Konzeptes für viele Jahre erheblich einschränkte. Eines der Verfahren ist die Fusion von zwei Hybdridome mit der Hybridom-Technik (Quadroma-Technik).[11] Eine andere Variante ist die chemische Kopplung zweier Antikörper oder Antikörper-Fragmente.[3][12][13][14][15][16]

Mit Hilfe gentechnischer Verfahren ist die Synthese auch von größeren Mengen bispezifischer Antikörper für therapeutische Anwendungen mittlerweile möglich. Insbesondere die rekombinante Herstellung bispezifischer Antikörper aus Antikörperfragmenten ist das gegenwärtig etablierte Herstellungsverfahren. Ein BiTE-Antikörper kann über vier kodierende Gene zu einem einzelnen Protein mit ungefähr 55 kDa molarer Masse rekombinant hergestellt werden.[17]

Entwicklungsstatus

Die klinischen Ergebnisse mit der ersten Generation bispezifischer Antikörper konnten die anfänglichen Erwartungen nicht erfüllen.[18] Ursache hierfür waren die geringe Wirksamkeit – unter anderem wegen einer sehr kurzen Plasmahalbwertszeit der Hybrid-Antikörper[8] – und deren Immunogenität. Die Quadroma-Antikörper zeigten in ersten klinischen Studien bei einem Teil der Patienten einen therapeutischen Effekt.[19][20][21] Die Immunogenität – bedingt durch die murinen Bestandteile des bispezifischen Antikörpers – führte allerdings zu einer Humanen-Anti-Maus-Antikörper-Antwort, mit der Ausschüttung von HABA (human-anti-bispecific antibodies). Dies schloss eine längere Behandlung mit bispezifischen Antikörpern aus.[3][22] Außerdem bewirkte der Fc-Teil der Quadroma-Antikörper eine Kreuzvernetzung mit verschiedenen Fc-Rezeptoren, wodurch es zu einer stark erhöhten Freisetzung von Zytokinen und dadurch bedingt zu heftigen Nebenwirkungen kam.[9][23][24]

Bessere Ergebnisse – mit weniger Nebenwirkungen – konnten bei chemisch miteinander verbundenen bispezifischen Fab-Fragmenten erzielt werden. Die klinischen Studien verliefen recht vielversprechend.[18] [25][26] [27][28] Das aufwändige und dadurch sehr kostspielige Herstellungsverfahren führte letztlich dazu, dass keine umfangreicheren klinischen Studien (Phase III) durchgeführt wurden.[3] Das Interesse am Konzept der bispezifischen Antikörper ließ in der Folgezeit merklich nach. 2009 jedoch wurde der erste in Hybidom-Technik hergestellte bispezifische Antikörper für die Anwendung beim Menschen zugelassen, und zwar Catumaxomab für die Behandlung der bösartigen Bauchwassersucht.[29]

Durch die Entwicklung des BiTE-Konzeptes ist das Interesse an bispezifischen Antikörpern in den letzten Jahren wieder erheblich gestiegen. Gegenwärtig (Stand 2010) sind zwei BiTE-Antikörper in klinischen Studien. Blinatumomab, ein Antikörper der gegen CD3 und CD19 gerichtet ist, wird bei Patienten in späten Phasen des Non-Hodgkin-Lymphoms[7] und bei Patienten mit akuter lymphoblastische Leukämie der B-Zellreihe (B-ALL) getestet. Der zweite BiTE-Antikörper in klinischer Erprobung ist MT110.[30] Er ist gegen die Antigene CD3 und EpCAM (engl.:epithelial cell adhesion molecule) gerichtet und soll gegen das Bronchialkarzinom und gastrointestinale Krebserkrankungen wirksam sein.[6]

Siehe auch

Literatur

Fachbücher

  • C. Huber (Herausgeber) u. a.: Krebsimmuntherapien. Deutscher Ärzteverlag, 2007, ISBN 3-769-11212-1

Review-Artikel

Fachartikel

  • P. Kufer u. a.: A revival of bispecific antibodies. In: Trends Biotechnol 22, 2004, S. 238–244. PMID 15109810
  • S. Dincq u. a.: Expression and purification of monospecific and bispecific recombinant antibody fragments derived from antibodies that block the CD80/CD86-CD28 costimulatory pathway. In: Protein Expr Purif 22, 2001, S. 11–24. PMID 11388794
  • P. W. Parren und D. R. Burton: Immunology. Two-in-one designer antibodies. In: Science 323, 2009, S. 1567–1578. PMID 19299606
  • D. Rüttinger u. a.: BiTE®-Antikörper: Durch Bispezifität T-Lymphozyten gegen Tumorzellen richten. In: Journal Onkologie Online-Ausgabe April 2008

Weblinks

Einzelnachweise

  1. T. Dreier T u. a.: Extremely potent, rapid and costimulation-independent cytotoxic T-cell response against lymphoma cells catalyzed by a single-chain bispecific antibody. In: Int J Cancer 100, 2002, S. 690–697. PMID 12209608
  2. K. Brischwein u. a.: Strictly target celldependent activation of T cells by bispecific single-chain antibody constructs of the BiTE class. In: J Immunother 30, 2007, S. 798–807. PMID 18049331
  3. a b c d C. Kellner: Entwicklung und Charakterisierung bispezifischer Antikörper-Derivate zur Immuntherapie CD19-positiver Leukämien und Lymphome. Dissertation, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, 2008.
  4. P. A. Baeuerle u. a.: A new class of antibodies that recruit T cells. In: Drugs Future 33, 2008, S. 137–147.
  5. P. A. Baeuerle u. a.: BiTE: Teaching antibodies to engage T cells for cancer therapy. In: Curr Opin Mol Ther 11, 2009, S. 22–30. PMID 19169956 (Review)
  6. a b Baeuerle PA, Reinhardt C.: Bispecific T-cell engaging antibodies for cancer therapy. In: Cancer Res 69, 2009, S. 4941–4944. PMID 19509221 (Review)
  7. a b c R. Bargou u. a.: Tumor regression in cancer patients by very low doses of a T cell-engaging antibody. In: Science 321, 2008, S. 974–977. PMID 18703743
  8. a b M. Peipp und T. Valerius: Bispecific antibodies targeting cancer cells. In: Biochem Soc Trans 30, 2002, S. 507–511. PMID 12196124 (Review)
  9. a b L. M. Weiner u. a.: Binding and cytotoxicity characteristics of the bispecific murine monoclonal antibody 2B1. In: J Immunol 151, 1993, S. 2877–2886. PMID 8103070
  10. U. D. Staerz u. a.: Hybrid antibodies can target sites for attack by T cells. In: Nature 1985, 314, S. 628-631. PMID 2859527
  11. P. Borchmann u. a.: Monoklonale Antikörper: Entwicklung und klinische Perspektiven. In: Der Internist 42, 2001, S. 803–814. doi:DOI 10.1007/s001080170123
  12. M. J. Glennie u. a: Preparation and performance of bispecific F(ab' gamma)2 antibody containing thioether-linked Fab' gamma fragments. In: J Immunol 139, 1987, S. 2367–2375. PMID 2958547
  13. B. Karpovsky u. a.: Production of target-specific effector cells using hetero-cross-linked aggregates containing anti-target cell and anti-Fc gamma receptor antibodies. In: J Exp Med 160, 1984, S. 1686-1701. PMID 6239899
  14. C. Milstein und A. C. Cuello: Hybrid hybridomas and their use in immunohistochemistry. In: Nature 305, 1983, S. 537–540. PMID 6137772
  15. D. Schrama u. a.: Antibody targeted drugs as cancer therapeutics. In: Nat Rev Drug Discov 5, 2006, S. 147–159. PMID 16424916
  16. M. R. Suresh u. a.: Bispecific monoclonal antibodies from hybrid hybridomas. In: Methods Enzymol 121, 1986, S. 210–228. PMID 3724461
  17. I. Heisler: Bedeutung spaltbarer Peptidlinker für die Funktion rekombinanter Saporin-EGF-Immunotoxine. Dissertation, FU Berlin, 2008
  18. a b R. T. Curnow: Clinical experience with CD64-directed immunotherapy. An overview. In: Cancer Immunol Immunother 45, 1997, S. 210–215. PMID 9435876 (Review)
  19. S. Canevari u. a.: Bispecific antibody targeted T cell therapy of ovarian cancer: clinical results and future directions. In: J Hematother 4, 1995, S. 423–427. PMID 8581379
  20. C. H. Lamers u. a.: Local but no systemic immunomodulation by intraperitoneal treatment of advanced ovarian cancer with autologous T lymphocytes re-targeted by a bi-specific monoclonal antibody. In: Int J Cancer 73, 1997, S. 211–219. PMID 9335445
  21. D. M. Segal u. a.: Bispecific antibodies in cancer therapy. In: Curr Opin Immunol 11, 1999, S. 558–562. PMID 10508714 (Review)
  22. F. Hartmann u. a.: Treatment of refractory Hodgkin's disease with an anti-CD16/CD30 bispecific antibody. In: Blood 89, 1997, S. 2042–2047. PMID 9058726
  23. L. M. Weiner u. a.: Phase I trial of 2B1, a bispecific monoclonal antibody targeting c-erbB-2 and Fc gamma RIII. In: Cancer Res 55, 1995, S. 4586–4593. PMID 7553634
  24. B. K. Link u. a.: Anti-CD3-based bispecific antibody designed for therapy of human B-cell malignancy can induce T-cell activation by antigen-dependent and antigen-independent mechanisms. In: Int J Cancer 77, 1998, S. 251–256. PMID 9650561
  25. P. Borchmann u. a.: Phase 1 trial of the novel bispecific molecule H22xKi-4 in patients with refractory Hodgkin lymphoma. In: Blood 100, 2002, S. 3101–3107. PMID 12384405
  26. N. D. James u. a.: A phase II study of the bispecific antibody MDX-H210 (anti-HER2 x CD64) with GM-CSF in HER2+ advanced prostate cancer. In: Br J Cancer 85, 2001, S. 152–156. PMID 11461069
  27. J. A. Posey u. a.: A pilot trial of GM-CSF and MDX-H210 in patients with erbB-2-positive advanced malignancies. In: J Immunother 22, 1999, S. 371–379. PMID 10404439
  28. F. H. Valone u. a.: Phase Ia/Ib trial of bispecific antibody MDX-210 in patients with advanced breast or ovarian cancer that overexpresses the proto-oncogene HER-2/neu. In: J Clin Oncol 13, 1995, S. 2281–2292. PMID 7545221
  29. Zulassung von Removab® (Pressemitteilung von Ascenion)
  30. K. Brischwein u. a.: MT110: a novel bispecific single-chain antibody construct with high efficacy in eradicating established tumors. In: Mol Immunol 43, 2006, S. 1129–1143. PMID 16139892

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Нужна курсовая?

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Krebsimmuntherapie — ist die Bezeichnung für verschiedene Methoden der Immuntherapie zur Behandlung von Krebserkrankungen. Die klassischen Behandlungsmethoden bei Krebs sind die operative Tumorentfernung (Resektion), die Chemotherapie und die Strahlentherapie. Häufig …   Deutsch Wikipedia

  • Blinatumomab — Masse/Länge Primärstruktur 54,1 kDa …   Deutsch Wikipedia

  • Chemically linked Fab — Example of chemically linked Fabs: two Fab fragments linked with a thioether, resulting in a F(ab )2. The molecule is bound to a tumour cell via the tumour antigen CD30 and to a macrophage via an Fc receptor. Two chemically linked fragments… …   Wikipedia

  • Single-chain variable fragment — Rotating scFv fragment with highlighted complementary determining regions (CDRs) …   Wikipedia

  • scFv-Fragment — Rotierende 3D Animation eines scFv Antikörpers. Die b …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”