Blickerfassung

Blickerfassung
Kosmonaut auf der ISS mit einem mobilen Eyetracker

Mit Blickerfassung (Okulographie) oder eye tracking bezeichnet man das Aufzeichnen der hauptsächlich aus Fixationen (Punkte, die man genau betrachtet), Sakkaden (schnellen Augenbewegungen) und Regressionen bestehenden Blickbewegungen einer Person.

Als Eyetracker werden Geräte und Systeme bezeichnet, die die Aufzeichnung vornehmen und eine Analyse der Blickbewegungen ermöglichen.

Die Blickerfassung wird als wissenschaftliche Methode in den Neurowissenschaften, der Wahrnehmungs-, Kognitions- und Werbepsychologie, der kognitiven bzw. klinischen Linguistik, im Produktdesign und der Leseforschung eingesetzt.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Ergebnis einer Blickerfassung nach der Betrachtung eines Gemäldes bei verschiedenen Fragestellungen [1]

Bereits im 19. Jahrhundert wurden Augenbewegungen durch direkte Beobachtung erfasst. Einer der Ersten war der Franzose Émile Javal, der die Augenbewegungen beim Lesen beschrieb.[2]

Mit der Erfindung der Filmkamera wurde es möglich, die direkte Beobachtung aufzuzeichnen und nachträglich zu analysieren. Dies erfolgte bereits 1905 durch Judd, McAllister und Steel [3].

Als eigentlicher Pionier der Blickregistrierung mit hoher Genauigkeit gilt der Russe A.L.Yarbus, der insbesondere den Einfluss der Aufgabenstellung auf die Blickbewegungen beim Betrachten von Bildern nachwies [1].

In den 1970er-Jahren wurden dann neue Verfahren entwickelt.

  • Retinal-Nachbilder, durch eine Folge starker Lichtreize werden so genannte Nachbilder auf der Retina erzeugt, durch deren Position man auf die Augenbewegung schließen kann.
  • Elektrookulogramme messen die elektrische Spannung zwischen Netzhaut (negativer Pol) und der Hornhaut (positiver Pol).
  • Kontaktlinsenmethode, die verspiegelt sind und deren Reflexion von einer Kamera aufgezeichnet wird.
  • search coil, bei der ebenfalls Kontaktlinsen eingesetzt werden, welche mit Spulen versehen sind und einem magnetischen Feld ausgesetzt werden. Aus der induzierten Spannung kann dann die Augenbewegung errechnet werden.
  • Cornea Reflex Methode, welche die Reflexion einer oder mehrerer Lichtquellen (Infrarot oder spezielle Laser) auf der Hornhaut und die Pupillenposition zueinander nutzt. Das Augenbild wird mit einer geeigneten Kamera aufgenommen. Das Verfahren wird auch als „video based eye tracking“ bezeichnet.

Je nach Anwendungsgebiet, experimentellen Anforderungen und Systemeigenschaften unterscheidet man bei videobasierten Blickbewegungsmeßsystemen heute im Wesentlichen zwischen 4 Kategorien.

Aufzeichnungsgeräte

Grundsätzlich lassen sich Eyetracker in zwei verschiedene Bauweisen unterteilen: mobile Eyetracker, die fest auf dem Kopf des Probanden angebracht werden und solche, die extern installiert sind. Letztere kann man wiederum in zwei Kategorien unterteilen: Remote-Geräte sowie solche, die eine feste Fixierung des Kopfes des Probanden erlauben.

Mobile Systeme

Mobiler Eyetracker mit Steuerrechner

Mobile Systeme, sogenannte Head-mounted Eye Tracker erlauben in erster Linie Mobilität.

Hierbei wird der Eyetracker, bestehend aus einer Augenkamera und einer Blickfeldkamera, mittels einer speziellen Vorrichtung auf dem Kopf des Probanden montiert. Diese kann je nach Hersteller aus verschiedenen Fixiergurten oder einem Helm bestehen. Der Vorteil dieser Bauweise liegt im mobilen Einsatz, wenn als Steuerrechner ein Notebook Verwendung findet, kann dieses (beispielsweise im Rucksack) vom Probanden transportiert werden. Während bei externen Geräten lediglich der Blick auf einen Bildschirm aufgezeichnet werden kann, eignen sich mobile Eyetracker somit auch für Feldstudien außerhalb des Laborkontextes. Der Nachteil dieser Lösung ist die nicht-parametrisierbare Aufzeichnung der Daten. So wird lediglich der Blick des Probanden in einem Video seiner Blickfeldkamera eingeblendet. Für eine statistische Auswertung müssen mit hohem Aufwand diese Videos manuell durchgesehen werden. Anwendungen sind beispielsweise die Marktforschung (wohin schaut ein Proband beim Gang durch ein Supermarktregal) oder Usability (wie lange schaut ein Proband beim Autofahren auf die Straße, wie lange auf das Navigationsgerät).

Auswertungen und Analysen erfolgen im Wesentlichen individuell und anwenderzentriert. Eine ebenfalls am Kopfsystem befestige Szenenkamera zeichnet ein Video auf, das in der Regel dem Sichtfeld des Probanden entspricht. In diesem Video wird die Blickposition des Probanden eingespielt und erlaubt so online, aber auch in der Analyse offline, eine Verfolgung des Blickpfades während einer freien Betätigung des Probanden. Generalisierung über mehrere Probanden und Aufmerksamkeitsanalyse auf bestimmte Objekte lässt sich technisch über 3D/6D Positionserfassungssysteme (sogenannte Head Tracker) realisieren.

Externe Systeme

Remote Eyetracker (in den Bildschirm integriert) der Firma Tobii

Externe Systeme, sogenannte Remote Eye Tracker ermöglichen die Durchführung berührungsloser Messungen. Hierbei entfallen mechanische Bauteile wie Übertragungskabel oder Kinnstützen. Der Proband kann sich nach erfolgreicher Kalibrierung in einem gewissen Bewegungsradius frei bewegen. Ein bedeutender Aspekt liegt hierbei in der Kompensation der Kopfbewegungen. Eine Person kann einen Ort fixieren und dabei Kopfbewegungen durchführen, ohne den Fixationsort zu verlieren.

Zur Registrierung von Blickbewegungen auf einem Computerbildschirm können die Komponenten des Gerätes entweder direkt in einen Bildschirm eingebaut oder unter beziehungsweise neben diesem angebracht werden. Die Augenkamera erkennt automatisch das Auge und „verfolgt“ dieses. Es besteht kein Kontakt zwischen Proband und Gerät. Dem gegenüber stehen Eyetracker in „Tower“-Bauweise, wobei der Kopf des Probanden im Gerät fixiert wird. Letztere Bauart ist in der Regel teurer in der Anschaffung und für den Probanden eher unbequem, liefert in der Regel dafür exaktere Ergebnisse in höherer Bildfrequenz.

Unterschiedliche Techniken werden dabei eingesetzt:

  • Pan-Tilt-Systeme:

Mechanisch bewegliche Komponenten führen die Kamera mit Kameraoptik den Kopfbewegungen des Probanden nach. Aktuelle Systeme erreichen dabei Messraten von bis zu 120Hz.

  • Tilting-Mirror-Systeme:

Während Kamera und Optik raumfest bleiben erlauben servogetriebene Spiegel ein Nachverfolgen des Auges bei Kopfbewegungen.

  • Fixed-Camera-Systeme:

Diese Systeme verzichten auf jegliche mechanisch bewegliche Komponenten und erzielen den Bewegungsfreiraum mittels Bildverarbeitungsmethoden.

Diese Varianten haben gegenüber der mobilen Bauart den Vorteil, dass sie Daten aufzeichnen, die eindeutig parametrisierbar sind und so einer statistischen Auswertung zugeführt werden können (es lässt sich also in exakten Werten angeben, zu welchem beliebigen Zeitpunkt die Person in welchen Bereich des Bildschirms geschaut hat). Während Remote-Eyetracker vorwiegend in der Markt- und Medienforschung zum Einsatz kommen (z.B. Nutzung von Webseiten, Blickbewegung beim Betrachten von Filmen), finden die Tower-Eyetracker in den Neurowissenschaften Verwendung (z.B. Forschung zu Mikrosakkaden).

Sonderformen

Einfache Direktaufzeichnungen

In einer Studie von Hunziker über Augenbewegungen beim Problemlösen (1970) wurde eine 8-mm-Filmkamera verwendet, um die Probanden durch ein Glas hindurch zu filmen. Die visuelle Denkaufgabe war auf dem Glas aufgezeichnet.[4]

Vor dem Aufkommen von komplexen Aufzeichnungsgeräten wurden einfache Filmaufzeichnungen eingesetzt, die durch Auswertung der Einzelbilder die Analyse der Augenbewegungen in bestimmten Fällen ermöglichten. Sie konnten dort eingesetzt werden, wo es genügte, die Blickpunkte oben, unten, rechts, links und Mitte zu erfassen. Zudem hatten diese den Vorteil, dass auch die Handbewegungen und der Gesichtsausdruck gesehen werden konnten.

Aufzeichnung mit der Computermaus

Moderne Verfahren wie das AttentionTracking ermöglichen eine Blickaufzeichnung mit Hilfe der Computermaus oder einem vergleichbaren Zeigegerät. Die Blickpunkte fallen in Form von Mausklicks an.

Anwendungsgebiete

Unterschiede der Augenbewegungen (Fixationen) zwischen einem geübten und einem ungeübten Autofahrer [5]

Medizin

Die Laserbehandlung bei Fehlsichtigkeiten verdankt Ihren Erfolg u.a. dem Einsatz von Eye Trackern, welche sicherstellen, dass der Laser die Hornhaut an der geplanten Stelle behandelt und Augenbewegungen überwacht werden. Gegebenenfalls wird der Laser nachgeführt - oder aber abgeschaltet bis das Auge wieder die richtige Position hat. Andere Systeme werden in den Bereichen Neurologie, Gleichgewichtsforschung, Okulomotorik und Augenfehlstellungen eingesetzt.

Neurowissenschaften

Eye Tracker werden als Vergleichssysteme bei funktioneller Bildgebung in Kernspintomographen (fMRI), bei Studien mit Magnetoenzephalographie-Geräten (MEG), oder Elektroenzephalografie (EEG)-Systemen eingesetzt.

Psychologie

  • Bildwahrnehmung
  • Bewegungswahrnehmung
  • Analyse von Lernfortschritten (Trainingsanalyse)

Marktforschung

  • Packungsdesign
  • Point-Of-Sale (POS)
  • Werbung (Print, Online Analysen, etc.)

Informatik

Mensch-Maschine-Interaktion

  • Computersteuerungen für körperlich beeinträchtigte Menschen durch eine Augenmaus. Meist repräsentiert dabei der Cursorpunkt den Blickpunkt. Eine Interaktion wird im Allgemeinen durch eine Fixation auf ein Objekt ausgelöst.

Quellenangaben

  1. a b Yarbus, A. L. Eye Movements and Vision. Plenum. New York. 1967 (Russische Originalausgabe 1962)
  2. Huey, E.B. (1968). The psychology and pedagogy of reading. Cambridge, MA: MIT Press.
  3. zit. in: Hunziker, H.-W. Im Auge des Lesers, transmedia Verlag Stäubli AG, Zürich 2006
  4. Hunziker, H. W.: Visuelle Informationsaufnahme und Intelligenz: Eine Untersuchung über die Augenfixationen beim Problemlösen. In: Schweizerische Zeitschrift für Psychologie und ihre Anwendungen. 1970, 29, Nr 1/2
  5. Hans-Werner Hunziker, (2006) Im Auge des Lesers: foveale und periphere Wahrnehmung - vom Buchstabieren zur Lesefreude, Transmedia Stäubli Verlag Zürich 2006 ISBN 978-3-7266-0068-6 (Seite 67) (Nach Daten von Cohen, A. S. (1983). Informationsaufnahme beim Befahren von Kurven, Psychologie für die Praxis 2/83, Bulletin der Schweizerischen Stiftung für Angewandte Psychologie)
  6. Bulling, A. et al.: Robust Recognition of Reading Activity in Transit Using Wearable Electrooculography, Proc. of the 6th International Conference on Pervasive Computing (Pervasive 2008), pp. 19-37, Sydney, Australia, May 2008. doi:10.1007/978-3-540-79576-6_2
  7. Bulling, A. et al.: Eye Movement Analysis for Activity Recognition, Proc. of the 11th International Conference on Ubiquitous Computing (UbiComp 2009), pp. 41-50, Orlando, United States, September 2009. doi:10.1145/1620545.1620552
  8. Bulling, A. et al.: Eye Movement Analysis for Activity Recognition Using Electrooculography, IEEE Transactions on Pattern Analysis and Machine Intelligence (TPAMI). doi:10.1109/TPAMI.2010.86

Literatur

  • Andrew Duchowski: Eye Tracking Methodology - Theory and Practice, Second Edition, Springer, London 2007, ISBN 978-1-84628-608-7
  • Alan Dix; Finlay, Janet; Abowd, Gregory; Beale, Russell: Mensch Maschine Methodik. Prentice Hall, München 1995. ISBN 3930436108
  • Kaltenbacher, Thomas: Kursunterlagen "Übungen zum Eyetracking", Fachbereich Linguistik, Universität Salzburg.

Weblinks


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