Flüssigsalzreaktor

Flüssigsalzreaktor
Schema eines Flüssigsalzreaktors

Flüssigsalzreaktoren (englisch molten salt reactor) sind Kernreaktoren, bei denen der Kernbrennstoff in Form geschmolzenen Salzes vorliegt und dieses zugleich als Kühl- und Wärmeübertragungsmittel dient (homogener Reaktor). Bei diesem Reaktortyp ist der Kernbrennstoff selbst flüssig und als Salz (z. B. Urantetrafluorid) gleichmäßig auf das gesamte Kühlmittelvolumen ausgebreitet. Als Moderator wird Graphit eingesetzt. Der Prototyp des Flüssigsalzreaktors wurde 1954 im Rahmen eines US-amerikanischen Forschungsprojektes gebaut, das das Ziel hatte, einen nuklear getriebenen Langstreckenbomber zu bauen.

Durch eine bessere Neutronenausbeute, bedingt durch das häufige Entfernen von neutronenabsorbierenden Spaltprodukten aus dem Reaktor, kann ein Flüssigsalzreaktor auch als Brutreaktor Verwendung finden und so, einmal mit einer geringen Menge Kernbrennstoff in Gang gesetzt, nur mit nicht spaltbaren Nukliden, wie zum Beispiel Thorium-232 betrieben werden.

Trotz der Vorteile von Flüssigsalzreaktoren wurden bis heute nur einige kleinere Forschungsreaktoren gebaut. Für die kommerzielle Stromerzeugung im großen Stil werden sie allerdings im Rahmen des Generation IV International Forums für zukünftige Kernkraftwerke untersucht.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

The Aircraft Reactor Experiment

Die Entwicklung begann mit dem Aircraft Reactor Experiment. Im Rahmen des NEPA-Programms (Nuclear Energy for the Propulsion of Aircraft), von der US Air Force 1946 gestartet, wurde ein Reaktor mit 2.5 MW(th) Leistung gebaut. Ein etwa 1000-stündiger Testlauf erfolgte 1954. Mit NaF-ZrF4-UF4 (53-41-6 mol%) befüllt erreichte er Höchsttemperaturen von 860 °C. Mit der Verfügbarkeit von Interkontinentalraketen wurde die Idee eines nuklear angetriebenen Langstreckenbombers letztendlich verworfen.

Molten Salt Reactor Experiment

Vergleichbar mit Entwicklung und Bau der ersten Druckwasserreaktoren zur zivilen Energieerzeugung auf Basis der Erfolge mit nukleargetriebenen U-Booten, wurde in den 1960er Jahren mit dem Molten Salt Reactor Experiment an der Nutzbarmachung für die Stromerzeugung geforscht. Die Konstruktion eines einzelnen Reaktors wurde 1964 beendet, der Testbetrieb startete 1965 und dauerte bis 1969 an.

Der 7,4 MW(th) Reaktor bestätigte die Realisierbarkeit des Konzeptes. Zwar gab es weder einen Generator zur Stromerzeugung, sodass die Abwärme über Gebläse einfach an die Umwelt abgegeben wurde, weiterhin wurde auch nicht versucht Spaltmaterial zu erbrüten. Trotzdem wurde gezeigt, dass der Reaktorkern über einen langen Zeitraum mit Temperaturen bis 650 °C betrieben werden kann.

Das Experiment bestätigte eine Reihe von Erwartungen: Die Immunität der ionischen Flüssigkeit gegenüber der Strahlung, die Korrosionsbeständigkeit der Konstruktionswerkstoffe, das Einfangen der Spaltprodukte in einer nichtflüchtigen Ionenbindung oder die einfache Auffangbarkeit der flüchtigen Spaltprodukte (insbesondere das Entfernen von Xenon-135 aus dem Reaktor).

Als Brennstoffe kamen sowohl Uran-233, Uran-235 als auch Plutonium-239 zum Einsatz. Als Moderator des thermischen Reaktors diente Graphit.

Funktionsweise

Durch den Reaktorbehälter und den Wärmetauscher fließt das geschmolzene Salz und transportiert dabei Wärme vom Reaktorkern zu den Turbinen. Dabei ist die Schmelze nur im Reaktor selbst in der Lage, kritisch zu werden, da nur dort das Verhältnis von Volumen und Oberfläche groß genug ist und nur dort ein Moderator vorhanden ist.

Vorteile

Passive Sicherheit

Da sich das Salz bei Temperaturerhöhung ausdehnt, nimmt die Reaktivität bei steigender Temperatur ab, da die kritische Masse durch die Volumenänderung unterschritten wird. Es kann auf Steuerstäbe verzichtet werden. Der Reaktor regelt sich selbst und muss nicht durch äußeren Einfluss vom Verlassen der Betriebsparameter abgehalten werden. Dampfblasen in der Salzschmelze führen bei geringerer Dichte des Kühlmittels auch immer zu einer geringeren Dichte des Spaltmaterials, der Dampfblasenkoeffizient ist somit negativ und eine Leistungsexkursion wird unmöglich.

Eine Schmelzsicherung (freeze plug) schützt vor den Auswirkungen des Ausfalls der externen Stromversorgung. Im Boden des Reaktorgefäßes befindet sich eine Öffnung. Während des Betriebs wird Reaktorflüssigkeit aktiv gekühlt und verschließt im festen Aggregatzustand diese Öffnung. Sobald die Reaktionswärme nicht abgeführt werden kann, etwa bei Ausfall der Zirkulationspumpen schmilzt dieses Salz und die Reaktorflüssigkeit fällt in Aufbewahrungstanks (drain tanks) unterhalb des Reaktors. In diesen Tanks findet keine nennenswerte Kernspaltung mehr statt, bedingt durch die geometrische Form der Tanks und das Fehlen von Moderatormaterial. Die Form der Tanks ist auch auf die Abfuhr von (Nachzerfalls-) Wärme optimiert und macht eine Kühlung der Reaktorflüssigkeit ohne externe Energiequelle möglich. Die Kombination aus Schmelzsicherung und Aufbewahrungstank führt zum Herunterfahren des Reaktors in einen sicheren Zustand ohne Einwirkung des Personals oder aktiver Sicherheitssysteme und unabhängig von externer Energieversorgung oder Zuführens von Kühlmittel.

Falls Rohrleitungen des Primärkreislaufs brechen oder das Reaktorgefäß selbst Schaden nimmt, fließt die Salzschmelze durch Abflüsse am Boden des Reaktorgebäudes in die Aufbewahrungstanks.

Kosten

Aufgrund des geringen Drucks kann ein relativ dünnwandiger Reaktorbehälter hergestellt werden. Kosten für einige der Sicherheitssysteme, die bei diesem Reaktortyp unnötig sind, können eingespart werden. Da der Reaktorbrennstoff nicht in Form von Brennstäben vorliegt, spart man die Kosten für deren Herstellung. Da sich Spaltprodukte nicht in Brennstäben ansammeln können, kann man den bei der Abtrennung der Spaltprodukte übriggebliebenen Kernbrennstoff wieder dem Reaktor zugeben und ihn somit vollständig verbrennen. Bei Leichtwasserreaktoren mit einem Uran-235-Anreicherungsgrad von 3 bis 4 Prozent wird dagegen nur ein Bruchteil des in den Brennstäben vorhandenen Materials gespalten. Somit sind auch die Kosten für Brennstoff erheblich geringer.

Temperatur und Druck

Als Kühlflüssigkeit wird ein Eutektikum eingesetzt. Der im Gegensatz zu einem reinen Salz niedrigere Schmelzpunkt erlaubt es, der Kühlflüssigkeit im Wärmetauscher mehr Wärme zu entziehen, ohne ein Erstarren der Schmelze zu riskieren. Der niedrigere Schmelzpunkt ist auch für den reibungslosen Abfluss in die Aufbewahrungstanks und für das Starten des Reaktors von Vorteil. Bei letzterem muss das Salz vor dem Erreichen der Kritikalität durch eine externe Energiequelle geschmolzen werden.

Eine mögliche Reaktorflüssigkeit ist FLiBe, ein Eutektikum aus 33 % Lithiumfluorid und 66 % Berylliumfluorid. Die Schmelztemperatur beträgt 459 °C, die Siedetemperatur 1.430 °C. In diesem Temperaturbereich ist der Druck im Reaktor nur leicht höher als der Umgebungsdruck. Ein Reaktor, der nicht unter Druck steht, kann nicht bersten; die Reaktorwände und Rohrleitungen des Kühlungskreislaufes dürfen dünner sein. Das Containment muss nicht darauf ausgelegt werden, große Mengen von Dampf aufzuhalten, die bei Druckverlust nach einem Leck im Reaktor entstehen würden. Im Falle einer Fehlfunktion ist eine Explosion ausgeschlossen, ebenso gibt es keine großen Mengen an Gas, die am Austritt in die Umgebung gehindert werden müssen.

Je höher die Temperatur der Kühlflüssigkeit ist, umso effizienter kann eine Wärmekraftmaschine die Wärme in Arbeit umwandeln. Die Effizienz einer Gasturbine bei hohen Temperaturen erreicht bis zu 50 %, verglichen mit 33 %, die in heutigen wassergekühlten Reaktoren erreicht werden. Beschränkt wird die erreichbare Temperatur eines Flüssigsalzreaktors zuerst von den Werkstoffen, aus dem der Reaktor gebaut wird. Das Reaktorgefäß muss korrosionsbeständig sein und dem Neutronenfluss standhalten. In der Vergangenheit wurden Testreaktoren mit 650–850 °C betrieben.

Kontinuierliche Aufbereitung

Der gesamte Reaktorinhalt, bestehend aus Brennstoff, Kühlflüssigkeit und Spaltprodukten – mit Ausnahme eines eventuell vorhandenen Graphitmoderators – zirkuliert ständig zwischen Reaktorgefäß und dem ersten Wärmetauscher.

Leichtflüchtige Spaltprodukte wie Edelgase verlassen dabei die Reaktorflüssigkeit von selbst oder mit Hilfe einfacher technischer Hilfsmittel, wie z. B. die Erzeugung von Gasblasen in der Schmelze. Es ist weiterhin möglich, kontinuierlich einen kleinen Teil des Reaktorinventars abzuzweigen und in einer an den Reaktor angeschlossenen Wiederaufbereitungsanlage zu bearbeiten. Dabei können die in der Reaktorflüssigkeit vorhandenen nichtflüchtigen Spaltprodukte, die zu einem Großteil als Fluoride vorliegen, abgetrennt werden. Vorhandener Brennstoff und Kühlflüssigkeit werden dann wieder in den Reaktor geleitet. Plutonium und andere Transurane werden als Brennstoff in den Reaktor zurückgeführt, da sie entweder selbst spaltbar sind oder über eine Reihe von Neutroneneinfängen spaltbar werden.

Die kontinuierliche Wiederaufbereitung hat mehrere Vorteile:

  • Erstens wird die Gesamtmasse von Spaltprodukten im Reaktor auf einem niedrigen Niveau gehalten. Im Störfall hätte man dementsprechend mit einer geringeren Menge radioaktiven Materials zu kämpfen und folglich auch mit weniger Nachzerfallswärme.
  • Zweitens hat man eine geringe Menge von Neutronengiften im Reaktor, d. h. die Neutronenausbeute ist höher. Das erlaubt den Betrieb als Brutreaktor, und es erlaubt die Spaltung der Transurane, aus denen ein spaltbares Isotop ggf. erst erbrütet werden muss.
  • Drittens muss der Reaktor zum Nachfüllen nicht abgeschaltet werden.
  • Viertens ist die Menge an Brennstoff im Reaktor geringer als bei solchen Reaktoren, die mit genügend Brennstoff für die Betriebsdauer von mehreren Monaten bestückt werden müssen.
  • Fünftens hat man die Möglichkeit, die abgetrennten Spaltprodukte ihren Verwertungsketten zuzuführen, ehe sie zerfallen.

Besonders hervorzuheben ist das Entfernen von Xenon-135 aus dem Reaktor. Xenon-135 ist eines der häufigsten Spaltprodukte, ein ausgesprochen starkes Neutronengift und Verursacher der Xenonvergiftung.

Skalierbarkeit

Es wurden Testreaktoren mit Leistungen von einigen Megawatt gebaut. Es gibt theoretische Planungen für Reaktoren mit mehreren Gigawatt Leistung.

Thorium als Brennstoff

Da die Neutronenausbeute relativ groß ist, kann während des Betriebs neues spaltbares Material erbrütet werden. Somit kann nach einer Erstbeschickung mit etwa Uran-235 oder Plutonium-239 die Kettenreaktion nur durch Zugabe des nicht spaltbaren Isotops Thorium-232 aufrechterhalten werden. Wird dem Reaktor dieses Thorium beigemengt, kann es durch Aufnahme eines Neutrons in Thorium-233 umgewandelt werden. Thorium-233 wandelt sich durch Betazerfall mit einer Halbwertszeit von 22,3 Minuten in Protactinium-233 um, das wiederum durch Betazerfall und einer Halbwertszeit von 27 Tagen in spaltbares Uran-233 umgewandelt wird. Die bei der Spaltung freigesetzten Neutronen erzeugen aus Thorium dann wieder neues Uran-233.

\mathrm{^{232}_{\ 90}Th \ + \ ^{1}_{0}n \ \longrightarrow \ ^{233}_{\ 90}Th \ \xrightarrow[22,3 \ min]{\beta^-} \ ^{233}_{\ 91}Pa \ \xrightarrow[26,967 \ d]{\beta^-} \ ^{233}_{\ 92}U}

Der Einsatz von Thorium in solch einem Brutkreislauf erfordert die Wiederaufarbeitung des abgebrannten Brennstoffs, um die sich anreichernden Spaltprodukte abzutrennen und das erbrütete spaltbare Uran zurückzugewinnen. Heute wird Thorium aber nicht in einem Kreislauf eingesetzt, sondern lediglich vermischt mit konventionellem Uran. Ohne Wiederaufarbeitung kann nur ein kleiner Teil des Thoriums gespalten werden. Thorium streckt in solchen gemischten Brennstoffen das primäre Spaltmaterial, kann es aber nicht ersetzen.

Beim Einsatz von Thorium fallen im Vergleich zu Uranreaktoren weitaus weniger Transurane an: Während Uran bereits nach dem Einfang von 1 (U-238) bzw. 2 (U-235) Neutronen Transurane (Pu-239 bzw. Np-237) bildet, entsteht aus Thorium nur durch eine lange Kette von zum Teil unwahrscheinlichen Kernreaktionen das erste Transuran (Neptunium). Dies reduziert die Menge an lange strahlendem Atommüll.

Thorium ist in der Erdkruste deutlich häufiger vorhanden als Uran, insbesondere häufiger als das Isotop Uran-235, welches heute in den meisten Reaktoren eingesetzt wird und nur einen Anteil von 0,7 Prozent am Natururan hat. Thorium würde folglich selbst bei dem erwarteten steigenden Energieverbrauch der Menschheit für lange Zeit (Jahrtausende) verfügbar sein.

Effizienz

In einem Schmelzsalzreaktor kann fast das komplette Thorium zur Energiegewinnung genutzt werden, während in einem Uran-Reaktor nur ein kleiner Prozentsatz des spaltbaren Materials nutzbar ist. Um die gleiche Menge an Energie zu gewinnen, ist etwa 30 mal mehr Uran erforderlich, als es in einem Thorium-Schmelzsalzreaktor der Fall wäre. Die Menge des anfallenden Atommülls verringert sich um denselben Faktor; zudem sind dessen Halbwertszeiten so gering, dass die Strahlung nach etwa 300 Jahren auf ein ungefährliches Niveau sinkt.

Nachteile

Die höhere Temperatur und die chemische Zusammensetzung des geschmolzenen Salzes stellen hohe Anforderungen an die Beständigkeit der verwendeten Materialien.

Es wurden noch keine großen (Gigawatt-)Reaktoren mit dem Ziel der Stromerzeugung gebaut, dementsprechend ist noch Forschungsarbeit nötig, technische Probleme müssen gelöst werden.

Die Probleme der Behandlung und Entsorgung verstrahlter Maschinen- und Anlagenteile besteht in demselben Maße wie bei herkömmlichen Uran-Reaktoren.

Die bestehende Reaktorindustrie bevorzugt konventionelle Uran-Plutonium-Brennstoffkreislauf-Reaktoren. Sie müsste nicht nur einen Umdenkprozess durchmachen, sondern auch auf bestehende Einnahmequellen verzichten, etwa bei der Herstellung von Brennstäben.

Graphit als Moderator ist leicht brennbar.

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